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Reiseerfahrungen und Kunstreflexionen in Italien

Den 6. Oktober Heute früh war ich bei dem Hochamte, welchem der Doge jährlich an diesem Tage wegen eines alten Siegs über die Türken in der Kirche der heiligen Justina beiwohnen muß, wenn an dem kleinen Platz die vergoldeten Barken landen, die den Fürsten und einen Teil des Adels bringen, seltsam gekleidete Schiffer sich mit rot gemalten Rudern bemühen, Am Ufer die Geistlichkeit, die Brüderschaften mit angezündeten auf Stangen und tragbare silberne Leuchter gesteckten Kerzen stehen, drängen, wogen und warten, dann mit Teppichen beschlagene Brücken aus den Fahrzeugen ans Land gestreckt werden, zuerst die langen violetten Kleider der Savi, dann die langen roten der Senatoren sich auf dem Pflaster entfalten, Zuletzt der Alte mit goldener, frügischer Mütze geschmückt, im längsten, goldenen Talar, mit dem Hermelinmantel aussteigt, drei Diener sich seiner Schleppe bemächtigen, alles auf einem kleinen Platz vor dem Portal einer Kirche, vor deren Türen die Türkenfahnen gehalten werden. So glaubt man auf einmal, eine alte, gewirkte Tapete zu sehen. aber recht gut gezeichnet und koloriert. Mir, nordischem Flüchtling, hat diese Zeremonie viel Freude gemacht. Bei uns, wo alle Feierlichkeiten kurzrückig sind und wo die größte, die man sich denken kann, mit dem Gewehr auf der Schulter begangen wird, möchte so etwas nicht am Ort sein. Aber hierher gehören diese Schleppröcke, diese friedlichen Begehungen. Der Doge ist ein gar schön gewachsener und schön gebildeter Mann, Der krank sein mag, sich aber nur noch so um der Würde willen unter dem schweren Rocke gerade hält, sonst sieht er aus wie der Großpapa des ganzen Geschlechts und ist gar hold und leutselig. Die Kleidung steht sehr gut, das Käppchen unter der Mütze beleidigt nicht, indem es ganz fein und durchsichtig auf dem weißesten, klarsten Haar von der Welt ruht. Etwa 50 Nobili. In langen, dunkelroten Schleppkleidern waren mit ihm, meist schöne Männer, keine einzige vertrackte Gestalt, mehrere groß mit großen Köpfen, denen die blonden Lockenperücken wohlziemten, vorgebaute Gesichter, weiches, weißes Fleisch, ohne schwammig und widerwärtig auszusehen, vielmehr klug, ohne Anstrengung, ruhig, ihrer selbst gewiß. Leichtigkeit des Daseins und durchaus eine gewisse Fröhlichkeit. Wie sich alles in der Kirche rangiert hatte und das Hochamt anfing, zogen die Brüderschaften zur Haupttüre herein und zur rechten Seitentüre wieder hinaus, nachdem sie Paar für Paar das Weihwasser empfangen und sich gegen den Hochaltar, den Dogen und den Adel geneigt hatten. Den 6. Oktober. Bei Mondschein bestieg ich eine Gondel, den einen Sänger vorn, den anderen hinten. Sie fingen ihr Lied an und sangen abwechselnd Vers für Vers. Auf welchem Wege sich die Melodie gemacht hat, will ich nicht untersuchen, genug sie passt gar trefflich für einen müßigen Menschen, der sich etwas vormoduliert und und Gedichte, die er auswendig kann, solchem Gesang unterschiebt. Mit einer durchdringenden Stimme, das Volk schätzt Stärke vor allem, sitzt er am Ufer einer Insel, eines Kanals, auf einer Barke und lässt sein Lied schallen, so weit er kann, über den stillen Spiegel verbreitet sich's. Um dieses mich vernehmen zu lassen, stiegen sie am Ufer aus, sie teilten sich am Kanal hin, Ich ging zwischen ihnen auf und ab, so daß ich immer den verließ, der zu singen anfangen sollte, und mich demjenigen wieder näherte, der aufgehört hatte. Da ward mir der Sinn des Gesangs erst aufgeschlossen. Als Stimme aus der Ferne klingt es höchst sonderbar, wie eine Klage ohne Trauer. Es ist darin etwas Unglaubliches, bis zu Tränen rührendes. Ich schrieb es meiner Stimmung zu. Es lässt sich leicht denken, dass ein naher Zuhörer wenig Freude an diesen Stimmen haben möge, die mit den Wellen des Meeres kämpfen. Aber wie menschlich und wahr wird der Begriff dieses Gesangs. Wie lebendig wird mir nun diese Melodie, über deren toten Buchstaben wir uns so oft den Kopf zerbrochen haben. Gesang ist es, das Einsamen in die Ferne und Weite, damit ein anderer, gleichgestimmter, höre und antworte. Warum kann ich dir nicht auch einen Ton hinüberschicken, den du in der Stunde vernehmest und mir antwortetest? Gute Nacht, meine Liebe, ich bin müde vom vielen Laufen und Rückensteigen. Gute Nacht. Zum 8. Oktober. Als ich bei hohem Sonnenschein durch die Lagunen fuhr und auf den Gondelrändern die Gondoliere leicht schwebend, bunt bekleidet, rudernd betrachtete, wie sie auf der hellgrünen Fläche sich in der blauen Luft zeichneten, so sah ich das beste, frischeste Bild der venezianischen Schule. Der Sonnenschein hob die Lokalfarben blendend hervor, und die Schattenseiten waren so licht, dass sie verhältnismäßig wieder zu Lichtern hätten dienen können. Ein Gleiches galt von den Widerscheinen des meergrünen Wassers. Alles war hell in hell gemalt, so daß die schäumende Welle und die Blitzlichter darauf nötig waren, um die Tüpfchen aufs I zu setzen. Die Kuppeln und Gewölbe der Markuskirche, nebst ihren Seitenflächen, alles ist bilderreich, alles bunte Figuren auf goldenem Grunde. Es fiel mir recht aufs Herz, dass doch alles auf die erste Erfindung ankommt und dass diese das rechte Maß, den wahren Geist habe, die Kunst, welche dem Alten seine Fußböden bereitete, dem Christen seine Kirchenhimmel wölbte, hat sich jetzt auf Dosen und Armbänder verkrümelt. Die Zeiten sind schlechter, als man denkt. Den 8. Oktober Ich fuhr heute früh mit meinem Schutzgeiste aufs Lido, auf die Meerzunge, welche die Lagunen schließt und sie vom Meer absondert. Wir stiegen aus und gingen quer über die Zunge. Ich hörte ein starkes Geräusch, es war das Meer, und ich sah es bald, es ging hoch gegen das Ufer, indem es sich zurückzog, es war um Mittag. Zeit der Ebbe. So habe ich denn auch das Meer mit Augen gesehen und bin auf der schönen Tenne, die es weichend zurücklässt, ihm nachgegangen. Da hätte ich mir die Kinder gewünscht um der Muscheln willen. Ich habe selbst kindisch ihrer genug aufgelesen, doch widme ich sie zu einigem Gebrauch, ich möchte von der Feuchtigkeit des Tintenfisches, die hier so häufig wegfließt, etwas eintrocknen. Auf dem Lido, nicht weit vom Meer, liegen Engländer begraben und weiterhin Juden, die beiderseits in geweihtem Boden nicht ruhen sollten. Ich fand das Grab des edlen Konsul Smith und seiner ersten Frauen. Ich bin ihm mein Exemplar des Palladio schuldig und danke ihm auf seinem ungeweihten Grabe dafür. Und nicht allein ungeweiht, sondern halb verschüttet. ist das Grab. Das Lido ist immer nur auf einer Düne anzusehen. Der Sand wird dort hingeführt, vom Winde hin und her getrieben, aufgehäuft, überall angedrängt. In weniger Zeit wird man das ziemlich erhöhte Monument kaum wieder finden können. Das Meer ist doch ein großer Anblick. Ich will sehen, in einem Fischerkahn eine Fahrt zu tun. Die Gondeln wagen sich nicht hinaus. Der Fischmarkt und die unendlichen Seeprodukte machen mir viel Vergnügen. Ich gehe oft darüber und beleuchte die unglücklich aufgehaschten Meeresbewohner. Den 9. Oktober, wenn sie ihre Stadt nur reinlich erhielten, welches so notwendig als leicht ist, und wirklich auf die Folge von Jahrhunderten von großer Konsequenz. Nun ist zwar bei großer Strafe verboten, nichts in die Kanäle zu schütten, noch Kehrig hineinzuwerfen, Einem schnell einfallenden Regenguß aber ist's nicht untersagt, allen den in die Ecken geschobenen Kehricht aufzurühren, in die Kanäle zu schleppen, ja, was noch schlimmer ist, in die Abzüge zu führen, die nur zum Abfluss des Wassers bestimmt sind, und sie der Gestalt zu verschlemmen, dass die Hauptplätze in Gefahr sind, unter Wasser zu stehen. Selbst einige Abzüge auf dem kleinen Markusplatz, die, wie auf dem großen, gar klug angelegt sind, habe ich verstopft und voll Wasser gesehen. Wenn ein Tag Regenwetter einfällt, ist ein unleidlicher Kot. Alles flucht und schimpft, man besudelt beim Auf-und Absteigen der Brücken die Mäntel, und da alles in Schuhen strümpfen läuft, bespritzt man sich und schillt, denn man hat sich nicht mit gemeinem, sondern mit beizendem Kot besudelt. Das Wetter ist wieder schön, und kein Mensch denkt an Reinlichkeit. Wie wahr ist es gesagt, das Publikum beklagt sich immer, dass es schlecht bedient sei und weiß es nicht anzufangen, besser bedient zu werden. Hier, wenn der Souverän wollte, könnte alles gleich getan sein. Ich wende mich mit meiner Erzählung nochmals ans Meer. Dort habe ich heute die Wirtschaft der Seeschnecken, Patellen und Taschenkrebse gesehen und mich herzlich darüber gefreut. Was ist doch ein lebendiges für ein köstliches, herrliches Ding. Wie abgemessen zu seinem Zustande, wie wahr, wie seiend, wie viel nützt mir nicht ein bisschen Studium der Natur und wie freue ich mich, es fortzusetzen. Doch ich will, da es sich mitteilen lässt, die Freunde nicht mit bloßen Ausrufungen anreizen. Die dem Meere entgegengebauten Mauerwerke bestehen erst aus einigen steilen Stufen, dann kommt eine sacht ansteigende Fläche, so dann wieder eine Stufe. abermals eine sanft ansteigende Fläche, dann eine steile Mauer mit einem oben überhängenden Kopfe. Diese Stufen, diese Flächen hinan, steigt nun das flutende Meer, bis es, in außerordentlichen Fällen, endlich oben an der Mauer und deren Vorsprung zerschellt. Dem Meer folgen seine Bewohner, kleine essbare Schnecken, einschalige Partellen und was sonst noch beweglich ist, besonders die Taschenkrebse. Kaum aber haben diese Tiere an den glatten Mauern Besitz genommen, so zieht sich schon das Meer, weichend und schwellend, wie es gekommen, wieder zurück. Anfangs weiß das Gewimmel nicht, wo es ist, die salzige Flut soll wiederkehren, allein, sie bleibt aus, die Sonne sticht und trocknet schnell, und nun geht der Rückzug an. Bei dieser Gelegenheit suchen die Taschenkrebse ihren Raub, wunderlicher und komischer, kann man nichts sehen als die Gebärden dieser aus einem runden Körper und zwei langen Scheren bestehenden Geschöpfe, denn die übrigen Spinnenfüße sind nicht bemerklich. Wie auf stelzenartigen Armen schreiten sie einher, und sobald eine Partelle sich unter ihrem Schild vom Flecke bewegt, fahren sie zu, um die Schere in den schmalen Raum zwischen der Schale und dem Boden zu stecken, das Dach umzukehren und die Auster zu verschmausen. Die Partelle zieht sachte ihren Weg hin. saugt sich aber gleich wieder fest an den Stein, sobald sie die Nähe des Feindes merkt. Dieser gebärdet sich nun wunderlich um das Dächelchen herum, gar zierlich und affenhaft, aber ihm fehlt die Kraft, den mächtigen Muskel des weichen Tierchens zu überwältigen. Er tut auf diese Beute Verzicht, eilt auf eine andere Wandernde los, und die erste setzt ihren Zug sachte fort. Ich habe nicht gesehen, dass irgendein Taschenkrebs zu seinem Zweck gelangt wäre. ob ich gleich den Rückzug dieses Gewimmels stundenlang, wie sie die beiden Flächen und die dazwischen liegenden Stufen hinabschlichen, beobachtet habe. Den 12. Oktober. Nachdem ich zum Schluss mein Tagebuch durchgegangen, kleine Schreibtafelbemerkungen eingeschaltet, so sollen die Akten den Freunden zum Urteilsspruch zugeschickt werden. Schon jetzt finde ich manches in diesen Blättern, das ich näher bestimmen, erweitern und verbessern könnte. Es mag stehen als Denkmal des ersten Eindrucks. Könnte ich nur den Freunden einen Hauch dieser leichteren Existenz hinübersenden. Jawohl ist im Italiener das Ultramontane eine dunkle Vorstellung. Auch mir kommt das Jenseits der Alpen nun düster vor, doch winken freundliche Gestalten immer aus dem Nebel. Nur das Klima würde mich reizen, diese Gegenden jenen vorzuziehen, denn Geburt und Gewohnheit sind mächtige Fesseln. Ich möchte hier nicht leben, wie überall an keinem Ort, wo ich unbeschäftigt wäre. Jetzt macht mir das Neue unendlich viel zu schaffen. Die Baukunst steigt wie ein alter Geist aus dem Grabe hervor. Sie heißt mich ihre Lehren, wie die Regeln einer ausgestorbenen Sprache, studieren, nicht um sie auszuüben oder mich in ihr lebendig zu erfreuen, sondern nur um die ehrwürdige, für ewig abgeschiedene Existenz der vergangenen Zeitalter in einem stillen Gemüte zu erzeugen. zu verehren. Da Palladio alles auf Vitruv bezieht, so habe ich mir auch die Ausgabe des Galliani angeschafft. Allein dieser Foliante lastet in meinem Gepäck wie das Studium desselben auf meinem Gehirn. Palladio hat mir durch seine Worte und Werke, durch seine Art und Weise des Denkens und Schaffens den Vitruv schon näher gebracht und verdolmetscht. Vitruv liest sich nicht so leicht, das Buch ist an und für sich schon düster geschrieben und fordert ein kritisches Studium. Dem ungeachtet lese ich es flüchtig durch, und es bleibt mir mancher würdiger Eindruck, besser zu sagen, ich lese es wie ein Prävir, mehr aus Andacht als zur Belehrung. Schon bricht die Nacht Zeitige ein und gibt Raum zum Lesen und Schreiben. Gott sei Dank, wie mir alles wieder lieb wird, was mir von Jugend auf Wert war. Wie glücklich befinde ich mich, dass ich den alten Schriftstellern wieder näher zu treten wage. Denn jetzt darf ich es sagen, darf meine Krankheit und Hoheit bekennen. Schon einige Jahre her durfte ich keinen lateinischen Autor ansehen, nichts betrachten, was mir ein Bild Italiens erneute. Geschah es zufällig, so erduldete ich die entsetzlichsten Schmerzen. Herder spottete oft über mich, dass ich all mein Latein aus dem Spinoza lerne, denn er hatte bemerkt, dass dies das einzige lateinische Buch war, das ich las. Er wußte aber nicht, wie sehr ich mich vor den Alten hüten mußte, wie ich mich in jene abstruse Allgemeinheiten nur ängstlich flüchtete. Noch zuletzt hat mich die Wielandsche Übersetzung der Satyren höchst unglücklich gemacht. Ich hatte kaum zwei gelesen, so war ich schon verrückt. Hätte ich nicht den Entschluß gefasst, den ich jetzt ausführe, So wäre ich rein zugrunde gegangen. Zu einer solchen Reife war die Begierde, diese Gegenstände mit Augen zu sehen, in meinem Gemüt gestiegen. Die historische Kenntnis fördert mich nicht. Die Dinge standen nur eine Handbreit von mir ab, aber durch eine undurchdringliche Mauer geschieden. Es ist mir wirklich auch jetzt nicht etwa zumute, als wenn ich die Sachen zum ersten Mal sehe, sondern als ob ich sie wieder sehe. Ich bin nur kurze Zeit in Venedig und habe mir die hiesige Existenz genugsamt zugeeignet und weiß, dass ich, wenn auch einen unvollständigen, doch einen ganz klaren und wahren Begriff mit wegnehme. Venedig, den 14. Oktober. In den letzten Augenblicken meines Hierseins, denn es geht sogleich mit dem Kurierschiffe nach Ferrara, ich verlasse Venedig gern, denn um mit Vergnügen und Nutzen zu bleiben, müßte ich andere schritte tun die außer meinem plan liegen auch verläßt jedermann nun die stadt und sucht seine gärten und besitzungen auf dem festen lande ich habe indes gut aufgeladen und trage das reiche sonderbare einzige bild mit mir fort den oktober früh auf dem schiffe meine reisegesellschaft männer und frauen ganz leidliche und natürliche menschen Liegen noch alle schlafend in der Kajüte. Ich aber, in meinen Mantel gehüllt, blieb auf dem Verdeck die beiden Nächte. Nur gegen Morgen ward es kühl. Ich bin nun in den 45. Grad wirklich eingetreten. Die Fahrt bei herrlichem Wetter war sehr angenehm, die Aus-und Ansichten einfach, aber anmutig. Der Po, ein freundlicher Fluss, zieht hier durch große Plänen, man sieht nur seine bebuschten und bewaldeten Ufer, keine Fernen. Ferrara, den 16. Nachts Seit früh sieben deutschen Zeigers hier angelangt, bereite ich mich, morgen wieder wegzugehen. Zum ersten Mal überfällt mich eine Art von Unlust in dieser großen und schönen, flach gelegenen, entvölkerten Stadt. Dieselben Straßen belebte sonst ein glänzender Hof. Hier wohnte Ariost unzufrieden, Tasso unglücklich, und wir glauben, uns zu erbauen, wenn wir diese Städte besuchen. Ariosts Grabmal enthält viel Marmor, schlecht ausgeteilt. Statt Tasso's Gefängnis zeigen sie einen Holzstall oder Kohlengewölbe, wo er gewiss nicht aufbaut. bewahrt worden ist. Auch weiß im Hause kaum jemand mehr, was man will. Endlich besinnen sie sich um des Trinkgeldes willen. Ich war ganz mürrisch geworden, so daß ich an einem schönen akademischen Institut, welches ein aus Ferrara gebürtiger Kardinal gestiftet und bereichert, wenig teilnahm, doch erquickten mich einige alte Denkmale im Hufe. So dann erheiterte mich der gute Einfall eines Malers, Johannes der Täufer vor Herodes und Herodias. Der Prophet in seinem gewöhnlichen Wüstenkostüme deutet heftig auf die Dame. Sie sieht ganz gelassen den neben ihr sitzenden Fürsten, und der Fürst still und klug den Enthusiasten an. Vor dem Könige steht ein Hund, weiß, mittelgroß. Unter dem Rock der Herodias hingegen kommt ein kleiner Bolognese hervor, welche beide den Propheten anbellen. Mich dünkt, das ist recht glücklich gedacht. Cento, den siebzehnten Abends In einer besseren Stimmung als gestern. Es ist aber auch ein ganz anderer Zustand. Ein freundliches, wohlgebautes Städtchen von ungefähr 5000 Einwohnern, nahhaft, lebendig, reinlich, in einer unübersehlich bebauten Pläne. Ich bestieg nach meiner Gewohnheit sogleich den Turm, ein Meer von Pappelspitzen, zwischen denen man in der Nähe kleine Bauernhöfchen erblickt, jedes mit seinem eigenen Feld umgeben, köstlicher Boden, ein mildes Klima. Es war ein Herbstabend, wie wir unserem Sommer selten einen verdanken. Der Himmel, den ganzen Tag bedeckt, heiterte sich auf, die Wolken warfen sich nord-und südwärts an die Gebirge, und ich hoffe einen schönen morgenden Tag. Hier sah ich die Apenninen, denen ich mich näherte zum ersten Mal. Der Winter dauert hier nur Dezember und Januar, ein regnigter April, übrigens nach Beschaffenheit der Jahreszeit gut Wetter, nie anhaltender Regen, doch war dieser September besser und wärmer als er August. Die Apenninen begrüßte ich freundlich im Süden, denn ich habe der Flächen bald genug. Morgen schreibe ich dort an ihrem Fuße. Gorgino liebte seine Vaterstadt. Unter jenes Meisters Leistung entstand nun hier eine Malerakademie. Er hinterließ mehrere Bilder, an denen sich noch der Bürger freut, die es aber auch wert sind. Gürtchen ist ein heiliger Name und im Munde der Kinder wie der Alten. Sehr lieb war mir das Bild, den auferstandenen Christus vorstellend, der seine Mutter erscheint. Vor ihm kniend, blickt sie auf ihn mit unbeschreiblicher Innigkeit. Ihre Linke berührt seinen Leib gleich unter der unseligen Wunde, die das ganze Bild verdirbt. Er hat seine linke Hand um ihren Hals gelegt und biegt sich, um sie bequemer anzusehen, ein wenig mit dem Körper zurück. Dieses gibt der Figur etwas, ich will nicht sagen gezwungenes, aber doch Fremdes. Dem ungeachtet bleibt sie unendlich angenehm. Der still traurige Blick, mit dem er sie ansieht, ist einzig, als wenn ihm die Erinnerung seiner und ihrer Leiden durch die Auferstehung nicht gleich geheilt vor der edlen Seele schwebte. Darauf gewann eine Madonna meine Neigung. Das Kind verlangt nach der Brust, sie schaudert schamhaft den Busen zu entblößen. Natürlich, edel, köstlich und schön. Ferne eine Maria, die dem vor ihr stehenden und nach den Zuschauern gerichteten Kinde den Arm führt, dass es mit aufgehobenen Fingern den Segen austeile. Ein im Sinn der katholischen Mythologie sehr glücklicher und oft wiederholter Gedanke. Guricin ist ein innerlich braver, männlich gesunder Maler ohne Rohheit. Vielmehr haben seine Sachen eine zarte moralische Grazie, eine ruhige Freiheit und Großheit, dabei etwas Eigenes, das man seine Werke, wenn man einmal das Auge darauf gebildet hat, nicht verkennen wird. Die Leichtigkeit, Reinlichkeit und Vollendung seines Pinsels setzt ihn erstaunen. Er bedient sich besonders schöner ins braun-rote gebrochener Farben zu seinen Gewändern, diese harmonieren gar gut mit dem blauen. das er auch gerne anbringt. Die Gegenstände der übrigen Bilder sind mehr oder weniger unglücklich. Der gute Künstler hat sich gemärtert und doch Erfindung und Pinsel, Geist und Hand, verschwendet und verloren. Mir ist sehr lieb und wert, dass ich auch diesen schönen Kunstkreis gesehen habe, obgleich ein solches Vorüberrennen wenig Genuß und Belehrung gewährt. Den 18. Bologna abends Ich habe eben einen Entschluß gefaßt, der mich sehr beruhigt. Ich will nur durch Florenz durchgehen und gerade auf Rom. Ich habe keinen Genuß an nichts, bis jenes erste Bedürfnis gestillt ist. Gestern in Cento, heute hier. Ich eile nur gleichsam ängstlich vorbei, daß mir die Zeit verstreichen möge. Und dann mögt ich, wenn es des Himmels Wille ist, zu aller Heiligen in Rom sein, um das große Fest am rechten Orte zu sehen. Und also einige Tage voraus, da bleibt mir nichts übrig, ich muß also Florenz liegen lassen. und es auf einer frohen Rückreise mit geöffneten Augen sehen. Auch hier in Bologna müsste man sich lange aufhalten. Bologna, den 18. Oktober, nachts. Ein flinker und wohlunterrichteter Lohnbedienter, sobald er vernahm, daß ich nicht lange zu verweilen gedächte, jagte mich durch alle Straßen, durch so viel Paläste und Kirchen, daß ich kaum in meinem Volkmann anzeichnen konnte, wo ich gewesen war, und wer weiß, ob ich mich künftig bei diesen Merkzeichen aller der Sachen erinnere. Nun gedenke ich aber ein paar Lichterpunkte, an denen ich wahrhafte Beruhigung gefühlt. Zuerst also die Cecilia von Raphael. Es ist, was ich zum Voraus wusste, nun aber mit Augen sah. Er hat eben immer gemacht, was andere zu machen wünschten. Fünf Heilige nebeneinander, die uns alle nichts angehen, deren Existenz aber so vollkommen nicht mehr so groß ist, wie sie es sich vorgestellt haben. da steht, dass man dem Bilde eine Dauer für die Ewigkeit wünscht, wenn man gleich zufrieden ist, selbst aufgelöst zu werden. Um ihn aber recht zu erkennen, ihn recht zu schätzen, muss man seine Vorgänger, seine Meister ansehen. Diese haben auf dem festen Boden der Wahrheit Grund gefasst, sie haben die breiten Fundamente emsig, ja ängstlich gelegt und miteinander wetteifernd die Pyramide stufenweise in die Höhe gebaut, bis er zuletzt von allen diesen Vorteilen unterstützt, von dem himmlischen Genius erleuchtet, den letzten Stein des Gipfels aufsetzte, über dem kein anderer stehen kann. Gegen Abend rettete ich mich endlich aus dieser alten, ehrwürdigen, gelehrten Stadt, aus der Volksmenge, die in den gewölbten Lauben, welche man fast durch alle Straßen verbreitet, sieht, geschützt vor Sonne und Witterung, hin und her wandeln, Gaffen kaufen und ihre Geschäfte treiben kann. Ich bestieg den Turm und ergetzt mich an der freien Luft. Die Aussicht ist herrlich. Im Norden sieht man die paduanischen Berge, sodann die Schweizer, Tiroler, Friole Alpen, genug die ganze nördliche Kette, diesmal im Nebel. Gegen Westen ein unbegrenzter Horizont, aus dem nur die Türme von Modena herausragen, gegen Osten eine gleiche Ebene bis ans Adriatische Meer, welches man bei Sonnenaufgang gewahr wird, gegen Süden die Vorhügel der Apenninen bis an ihre Gipfel bepflanzt. bewachsen, mit Kirchen, Palästen, Gartenhäusern besetzt. Der Türmer ließ mich auch die gesunde Lage und Luft der Stadt daran bemerken, daß ihre Dächer wie neu aussäen und kein Ziegel durch Feuchtigkeit und Moos angegriffen sei. Man muß gestehen, die Dächer sind alle rein und schön, aber die Güte der Ziegeln mag auch etwas dazu beitragen. Wenigstens in alten Zeiten hat man solche in diesen Gegenden kostbar gebrannt. Den 19. Oktober abends. Meinen Tag habe ich bestmöglichst angewendet, um zu sehen und wiederzusehen, aber es geht mit der Kunst wie mit dem Leben. Je weiter man hineinkommt, je breiter wird sie. Immer auf der Anatomie, dem Rabensteine, dem Schindanger, immer Leiden des Helden, niemals Handlung, nie ein gegenwärtig Interesse, immer etwas Fantastisch von außen Erwartetes, entweder Missetäter oder Verzuckte, Verbrecher oder Narren, oder in der Mahler, um sich zu retten, einen Nackten. »Wie ein nackter Kerl eine hübsche Zuschauerin herbeischleppt, allenfalls seine geistlichen Helden als Gliedermänner traktiert und ihnen recht schöne Faltenmäntel überwirft. Da ist nichts, was einen menschlichen Begriff gäbe. Unter zehn Suchets nicht eines, das man hätte malen sollen.« Der Maler, dem das Messer an der Kehle saß, sucht sich zu helfen, wie er konnte. Er mühte sich ab, um zu zeigen, dass nicht er der Barbar sei. Zwei nackte Figuren von Guido, ein Johannes in der Wüste, ein Sebastian, wie köstlich gemalt. Und was sagen sie? Der eine sperrt das Maul auf und der andere krümmt sich. Betrachte ich in diesem Unmut die Geschichte, so möchte ich sagen, der Glaube hat die Künste wieder hervorgehoben, der Aberglaube hingegen ist Herr über sie geworden und hat sie abermals zugrunde gerichtet. Nach Tische etwas milder und weniger anmaßlich gestimmt als heute früh, bemerkte ich Folgendes in meine Schreibtafel. Im Palast Tanari ist ein berühmtes Bild von Guido. die säugende Maria vorstellend, über Lebensgröße, der Kopf, als wenn ihn ein Gott gemalt hätte, unbeschreiblich ist der Ausdruck, mit welchem sie auf den säugenden Knaben heruntersieht. Mir scheint es eine stille, tiefe Duldung, nicht als wenn sie ein Kind der Liebe und Freude, sondern ein untergeschobenes himmlisches Wechselkind nur so an sich zehren ließe, weil es nun einmal nichts anderes ist und sie in tiefster Demut gar nicht begreift, wie sie dazu kommt. Der übrige Raum ist durch ein ungeheures Gewand ausgefüllt, welches die Kenner höchlich preisen, ich wußte aber nicht recht, was ich daraus machen sollte. Auch sind die Farben dunkler geworden, das Zimmer und der Tag waren nicht die hellsten. Unerachtet der Verwirrung, in der ich mich befinde, fühle ich doch schon, dass Übung, Bekanntschaft und Neigung mir schon in diesen Irrgarten zu Hilfe kommt. So sprach mich eine Beschneidung von Guargin mächtig an, weil ich den Mann schon kenne und liebe. Ich verzieh den unleidlichen Gegenstand und freute mich an der Ausführung. Gemalt, was man sich denken kann, alles daran respektabel und vollendet. Trifft man denn gar wieder einmal auf eine Arbeit von Raphael oder die ihm wenigstens mit einiger Wahrscheinlichkeit zugeschrieben wird, so ist man gleich vollkommen geheilt und froh. So habe ich eine heilige Agatha gefunden, ein kostbares, obgleich nicht ganz und wohl erhaltenes Bild. Der Künstler hat ihr eine gesunde, sichere Jungfräulichkeit gegeben, doch ohne Kälte und Rohheit. Ich habe mir die Gestalt wohl gemerkt und werde ihr im Geiste meine Iphigenie vorlesen und meine Heldin nichts sagen lassen, was diese Heilige nicht aussprechen möchte. Den 20. Oktober in der Nacht Wie viel hätte ich noch zu sagen, wenn ich alles gestehen wollte, was mir an diesem schönen Tage durch den Kopf ging, aber mein Verlangen ist stärker als meine Gedanken, ich fühle mich unwiderstehlich vorwärtsgezogen, nur mit Mühe sammle ich mich an dem Gegenwärtigen, und es scheint, der Himmel erhört mich. Es meldet sich ein Vettorin gerade nach Rom, und so werde ich übermorgen unaufhaltsam dorthin abgehen, da muss ich denn wohl heute oder morgen noch nach meinen Sachen sehen, manches besorgen und wegarbeiten. Logano auf den Apenninen, den 21. Oktober abends. Ob ich mich heute selbst aus Bologna vertrieben oder ob ich daraus gejagt worden, wüsste ich nicht zu sagen. Genug, ich ergriff mit Leidenschaft einen schnellen Anlass abzureißen. Nun bin ich hier in einem elenden Wirtshause in Gesellschaft eines päpstlichen Offiziers, der nach Perugia, seiner Vaterstadt, geht. Als ich mich zu ihm in den zweirädrigen Wagen setzte, machte ich ihm, um etwas zu reden, das Kompliment, dass ich, als ein Deutscher, der gewohnt sei, mit Soldaten umzugehen, sehr angenehm finde, nun mit einem päpstlichen Offizier in Gesellschaft zu reisen. Nehmt mir nicht übel, versetzt er darauf, ihr könnt wohl eine Neigung zum Soldatenstande haben, denn ich höre, in Deutschland ist alles Militär. Aber was mich betrifft, obgleich unsere Dienste sehr lässig sind und ich in Bologna, wo ich in Garnison stehe, meine Bequemlichkeit vollkommen pflegen kann, so wollte ich doch, dass ich diese Jacke hier los wäre und das Gütchen meines Vaters verwaltete. Ich bin aber der jüngere Sohn, und so muss ich's mir gefallen lassen. Den 22. abends. Cheredo, auch ein kleines Nest auf den Apenninen, wo ich mich recht glücklich fühle, meinen Wünschen entgegenreißend. Die Apenninen sind mir ein merkwürdiges Stück Welt. Auf die große Fläche der Regionen des Poes folgt ein Gebirg, das sich aus der Tiefe erhebt, um zwischen zwei Meeren südwärts das feste Land zu endigen. Wäre die Gebirgsart nicht zu steil, zu hoch über der Meeresfläche, nicht so sonderbar verschlungen, dass Ebbe und Flut vor alten Zeiten mehr und länger hätten hereinwirken? größere Flächen bilden und überspülen können, so wäre es eins der schönsten Länder in dem herrlichsten Klima, etwas höher als das andere Land. So aber ist es ein seltsam Gewebe von Bergrücken gegeneinander, oft sieht man gar nicht ab, wohin das Wasser seinen Ablauf nehmen will. Wären die Täler besser ausgefüllt, die Flächen mehr platt und überspült, so könnte man das Land mit Böhmen vergleichen, nur dass die Berge auf alle Weise einen anderen Charakter haben. Doch muss man sich keine Bergwüste, sondern ein Maiser-Wald vorstellen. meist bebautes, obgleich gebirgiges Land vorstellen. Kastanien kommen hier sehr schön, der Weizen ist trefflich und die Saat immer hübsch grün. Immergrüne Eichen mit kleinen Blättern stehen am Wege, um die Kirchen und Kapellen aber schlanke zu pressen. Gestern Abend war das Wetter trübe, heute ist's wieder hell und schön. Den 25. Abends Perugia Zwei Abende habe ich nicht geschrieben. Die Herbergen waren so schlecht, dass an kein Auslegen eines Blattes zu denken war. Auch fängt es mir an, ein bisschen verworrener zu werden, denn seit der Abreise von Venedig spinnt sich der Reiserocken nicht mehr ganz so schön und glatt ab. Den 23. Früh, unsere Uhr um 10 Uhr, kamen wir aus den Apenninen hervor und sahen Florenz liegen. In einem weiten Tal, das unglaublich bebaut und ins Unendliche mit Villen und Häusern besät ist. Die Stadt hatte ich eiligst durchlaufen, den Dom, das Baptisterium. Hier tut sich wieder eine ganz neue, mir unbekannte Welt auf, in der ich nicht verweilen will. Der Garten Boboli liegt köstlich, ich eilte so schnell heraus als hinein. Der Stadt sieht man den Volksreichtum an, der sie erbaut hat. Man erkennt, dass es sich einer Folge von glücklichen Regierungen erfreute. Überhaupt fällt es auf, was in Toskana gleich die öffentlichen Werke, Wege, Brücken für ein schönes, grandioses Ansehen haben. Es ist hier alles zugleich tüchtig und reinlich. Gebrauch und Nutzen mit Anmut sind beabsichtigt, überall lässt sich eine belebende Sorgfalt bemerken. Wenn ich neulich von den Apenninen sagte, was sie sein könnten, das ist nun Toskana. Weil es so viel tiefer lag, so hat das alte Meer recht seine Schuldigkeit getan und tiefen Lehmboden aufgehäuft. Er ist hellgelb und leicht zu verarbeiten. Sie pflügen tief, aber noch recht auf die ursprüngliche Art, ihr Pflug hat keine Räder und die Pflugschar ist nicht beweglich. Sie schleppt der Bauer hinter seinem Ochsen gebückt einher und wühlt die Erde auf. Es wird bis fünfmal gepflügt, wenigen und nur sehr leichten. Dünger streuen sie mit den Händen. Endlich säen sie den Weizen, dann häufen sie schmale Satteln auf, dazwischen entstehen tiefe Fürchen, alles so gerichtet, daß das Regenwasser ablaufen muß. In den Fürchen gehen sie hin und her, wenn sie jäten. Diese Verfahrensart ist begreiflich, wo Nässe zu fürchten ist. Warum sie es aber auf den schönsten Gebreiten tun, kann ich nicht einsehen. Diese Betrachtung machte ich bei Arezzo, wo eine herrliche Pläne sich auftut. Reiner kann man kein Feld sehen, nirgends nur eine Erdscholle, alles klar gesiebt. Das zweite Jahr bauen sie Bohnen für die Pferde, die hier keinen Hafer bekommen. Es werden auch Lupinen gesät, die jetzt schon vortrefflich grün stehen und im März Früchte bringen. Auch der Lein hat schon gekeimt. Er bleibt den Winter über und wird durch den Frost nur dauerhafter. Die Ölbäume sind wunderliche Pflanzen, sie sehen fast aus wie Weiden, verlieren auch den Kern und die Rindeklaft auseinander, aber sie haben dem ungeachtet ein festeres Ansehen. Man sieht auch dem Holze an, dass es langsam wächst und sich unsäglich fein organisiert. Das Blatt ist weidenartig, nur wenige Blätter am Zweige. Um Florenz an den Bergen ist alles mit Ölbäumen und Weinstöcken bepflanzt. Dazwischen wird das Erdreich zu Körnern benutzt. Bei Arezzo und so weiter lässt man die Felder freier. Ich finde, dass man dem Efeu nicht genug abwehrt, der den Ölbäumen und anderen schädlich ist, da es so ein leichtes wäre, ihn zu zerstören. Wiesen sieht man gar nicht. Man sagt, das türkische Korn zehre den Boden aus. Seitdem's eingeführt worden, habe der Ackerbau in anderem Betrachte verloren. Heute Abend habe ich von meinem Hauptmann Abschied genommen, mit der Versicherung, mit dem Versprechen, ihn auf meiner Rückreise in Bologna zu besuchen. Er ist ein wahrer Repräsentant vieler seiner Landsleute, hier einiges, das ihn besonders bezeichnet. Da ich oft still und nachdenklich war, so sagte er einmal, »Was denkt ihr viel? Der Mensch muss niemals denken. Denkend altert man nur. Der Mensch muss sich nicht auf eine einzige Sache heften, denn da wird er toll, man muss tausend Sachen, eine Konfusion im Kopf verhaben.« Der gute Mann konnte freilich nicht wissen, dass ich eben darum still und nachdenkend war, weil eine Konfusion von alten und neuen Gegenständen mir den Kopf verwirrte. Die Bildung eines solchen Italieners wird man noch klarer aus folgendem erkennen. Da er wohl merkte, dass ich Protestant sei, sagte er nach einigem Umschweif, ich möchte ihm doch gewisse Fragen erlauben, denn er habe so viel Wunderliches von uns Protestanten gehört, worüber er endlich einmal Gewissheit zu haben wünschte. Dürfte ich denn, so fragte er, mit einem hübschen Mädchen auf einem guten Fuß leben, ohne mit ihr gerade verheiratet zu sein? Erlauben euch das, eure Priester? Ich erwiderte darauf, unsere Priester sind kluge Leute, welche von solchen Kleinigkeiten keine Notiz nehmen. Freilich, wenn wir sie darum fragen wollten, so würden sie es uns nicht erlauben. Ihr braucht sie also nicht zu fragen, rief er aus, oh, ihr Glücklichen, und da ihr ihnen nichts beichtet, so erfahren sie es nicht. Hierauf erging er sich in Schelten und Missbilligen seiner Pfaffen und in den Preise unserer seligen Freiheit. Er wandte sich zu einer neuen Frage. Man versichert uns, sagte er, dass Friedrich der Große, welcher so viele Siege selbst über die Gläubigen davongetragen und die Welt mit seinem Ruhme erfüllt, dass er, den jedermann für ein Ketzer hält, wirklich katholisch sei und vom Papste die Erlaubnis habe, es zu verheimlichen, denn er kommt, wie man weiß, in keine eure Kirchen. Verrichtet aber sein Gottesdienst in einer unterirdischen Kapelle mit zerknirschtem Herzen, dass er die heilige Religion nicht öffentlich bekennen darf, denn freilich, wenn er das täte, würden ihn seine Preußen, die ein pestialisches Volk und wütende Ketzer sind, auf der Stelle totschlagen, wodurch denn der Sache nicht geholfen wäre. Deswegen hat ihm der Heilige Vater jene Erlaubnis gegeben, dafür er denn aber auch die alleinselig machende Religion im Stillen so viel ausbreitet und begünstigt als möglich. Ich ließ das alles gelten und erwiderte nur, da es ein so großes Geheimnis sei, könnte freilich niemand davon Zeugnis geben. Unsere ferne Unterhaltung war ungefähr immer in derselben Art, so daß ich mich über die kluge Geistlichkeit wundern mußte, welche alles abzulehnen und zu entstellen sucht, was den dunklen Kreis ihrer herkömmlichen Lehre durchbrechen und verwirren könnte. Ich verließ Perugia an einem herrlichen Morgen und fühlte die Seligkeit, wieder allein zu sein. Die Lage der Stadt ist schön, der Anblick des Sees höchst erfreulich. Ich habe mir die Bilder wohl eingedrückt. Der Weg ging erst hinab, dann in einem frohen, an beiden Seiten in der Ferne von Hügeln eingefaßten Tale hin, endlich sah ich Assisi liegen. Ich verließ bei Madonna dell'Angelo meinen Vettorin, der seinen Weg nach Foligno verfolgte, und stieg unter einem starken Wind nach Assisi hinauf, denn ich sehnte mich, durch die für mich so einsame Welt eine Fußwanderung anzustellen. Dann fragte ich einen hübschen Jungen nach der Maria della Minerva, er begleitete mich die Stadt hinauf, die an einen Berg gebaut ist. Endlich gelangten wir in die eigentliche alte Stadt, und siehe, das löblichste Werk stand vor meinen Augen, das erste vollständige Denkmal der alten Zeit, das ich erblickte. Ein bescheidener Tempel, wie er sich für eine so kleine Stadt schickte und doch so vollkommen so schön gedacht, dass er überall glänzen würde. Der Tempel steht auf der schönen mittleren Höhe des Berges, wo eben zwei Hügel zusammentreffen, auf dem Platz, der noch jetzt Platz heißt. Dieser steigt selbst ein wenig an und es kommen auf demselben vier Straßen zusammen, die ein sehr gedrücktes Andreaskreuz machen, zwei von unten herauf, zwei von oben herunter. Wahrscheinlich standen zur alten Zeit die Häuser noch nicht, die jetzt dem Tempel gegenüber gebaut, die Aussicht versperren. Denkt man sie weg, so blickt man gegen Mittag in die reichste Gegend, und zugleich würde Minervens Heiligtum von allen Seiten her gesehen. Die Anlage der Straßen mag alt sein, denn sie folgen aus der Gestalt und dem Abhanger des Berges. Der Tempel steht nicht in der Mitte des Platzes, aber so gerichtet, dass er dem von Rom heraufkommenden verkürzt gar schön sichtbar wird. An der Fassade konnte ich mich nicht satt sehen, wie genialisch konsequent auch hier der Künstler gehandelt. Ungern riss ich mich von dem Anblick los und nahm mir vor, alle Architekten auf dieses Gebäude aufmerksam zu machen, damit uns ein genauer Riss davon zukäme. Ich ging am schönsten Abend die römische Straße bergab im Gemüt zum schönsten beruhigend, als ich hinter mir raue, heftige Stimmen vernahm, die untereinander stritten. Ich ging gelassen vor mich hin und torchte hinterwärts. Da konnte ich nun gar bald bemerken, dass es auf mich gemünzt sei. Vier solcher Menschen, zwei davon mit Flinden bewaffnet, in unerfreulicher Gestalt, gingen vor mir vorbei, brummten, kehrten nach einigen Schritten zurück und umgaben mich. Sie fragten, wer ich wäre und was ich hier täte. Ich erwiderte, ich sei ein Fremder, der seinen Weg über Assisi zu Fuß mache, in dessen der Vettorino nach Foligno fahre. Dies kam ihnen nicht wahrscheinlich vor, dass jemand einen Wagen bezahle und zu Fuß gehe. Sie fragten, ob ich in Gran Covento gewesen sei. Ich verneinte dies und versicherte ihnen, ich kenne das Gebäude von alten Zeiten her. Da ich aber ein Baumeister sei, habe ich diesmal nur die Maria della Minerva in Augenschein genommen, welches, wie sie wüssten, ein musterhaftes Gebäude sei. Das leugneten sie nicht, nahmen es aber sehr übel, dass ich dem Heiligen meine Aufwartung nicht gemacht und gaben ihren Verdacht zu erkennen, dass wohl mein Handwerk sein möchte, Kontrabande einzuschwärzen. Ich zeigte ihnen das Lächerliche. dass ein Mensch, der allein auf der Straße gehe, ohne Ranzen, mit leeren Taschen, für einen Kontrabandisten gehalten werden solle. Darauf erbot ich mich, mit ihnen nach der Stadt zurückzugehen und zum Podesta zu gehen, ihm meine Papiere vorzulegen, da er mich denn als einen ehrenvollen Fremden anerkennen werde. Sie brummten hierauf und meinten, es sei nicht nötig, und als ich mich immerfort mit entschiedenem Ernst betrug, entfernten sie sich endlich wieder nach der Stadt zu. Ich sah ihnen nach. Da gingen nun diese rohen Kerls im Vordergrunde, und hinter ihnen her blickte mich die liebliche Minerva noch einmal sehr freundlich und tröstend an, dann schaute ich links auf den tristen Dom des heiligen Franziskus und wollte meinen Weg verfolgen, als einer der Unbewaffneten sich von der Truppe sonderte und ganz freundlich auf mich loskam. Grüßen sagte er sogleich, »Ihr solltet wenigstens mir ein Trinkgeld geben, denn ich versichere, dass ich euch allzu bald für einen braven Mann gehalten und dies laut gegen meine Gesellen erklärt habe.« Das sind aber Hitzköpfe und gleich oben hinaus und haben keine Weltkenntnis. Auch werdet ihr bemerkt haben, dass ich euren Worten zuerst Beifall und Gewicht gab. Ich lobte ihn deshalb und ersuchte ihn, ehrenhafte Fremde, die nach Assisi sowohl wegen der Religion als wegen der Kunst kämen, zu beschützen, besonders die Baumeister, die zum Ruhme der Stadt, den Minerventempel, den man noch niemals so recht gezeichnet und in Kupfer gestochen, nun mehr umessen und abzeichnen wollten. Er möchte ihnen zur Hand gehen, da sie sich denn gewiss dankbar erweisen würden. Und somit rückte ich ihm einige Silberstücke in die Hand, die ihn über seine Erwartung freuten. Er bat mich, ja, wiederzukommen, besonders müsse ich das Fest des Heiligen nicht versäumen, wo ich mich mit größter Sicherheit erbauen und vergnügen sollte. Ja, wenn es mir als einem hübschen Manne wie Billig, um ein hübsches Frauenzimmer zu tun sei, so könne er mir versichern, dass die schönste und ehrbarste Frau von ganz Assisi auf seine Empfehlung mich mit Freuden aufnehmen werde. Erschied nun beteuernd, dass er noch heute Abend bei dem Grabe des Heiligen meine in Andacht gedenken und für meine fernerer Reise beten wolle. So trennten wir uns, und mir war sehr wohl, mit der Natur und mit mir selbst wieder alleine zu sein. Der Weg nach Foligno war einer der schönsten und anmutigsten Spaziergänge, die ich jemals zurückgelegt, vier volle Stunden an einem Berge hin, rechts ein reich bebautes Tal. Mit den Vittorinen ist es eine leidige Fahrt, das Beste, dass man ihnen bequem zu Fuß folgen kann. Von Ferrara ließ ich mich nun immer bis hierher sofort schleppen. Dieses Italien von Natur höchlich begünstigt, blieb in allem Mechanischem und Technischem, worauf doch eine bequemere und frischere Lebensweise gegründet ist, gegen alle Länder unendlich zurück. Das Fuhrwerk ist gewiß aus den alten Tragsesseln entstanden, in welchen sich Frauen, ältere und vornehmere Personen von Maultieren tragen ließen. Man wird wie vor Jahrhunderten noch immer fortgeschaukelt, und so sind sie in ihren Wohnungen und allem. Jetzt fühle ich wohl die Verwegenheit, unvorbereitet und unbegleitet in dieses Land zu gehen. Mit dem verschiedenen Gelde, den Vitorinen, den Preisen, den schlechten Wirtshäusern ist es eine tagtägliche Not, dass einer, der zum ersten Male wie ich alleine geht und ununterbrochen Genuß hoffte und suchte, sich unglücklich genug fühlen müsste. Ich habe nichts gewollt, als das Land zu sehen, auf welche Kosten es sei. Und wenn Sie mich auf Ixions Rat nach Rom schleppen, so will ich mich nicht beklagen. Terni. den 27. Oktober abends. Das Städtchen liegt in einer köstlichen Gegend, die ich auf einem Rundgang um dasselbe her mit Freuden beschaute. Nun, da der päpstliche Soldat mich verlassen, ist ein Priester mein Gefährte. Dieser scheint schon mehr mit seinem Zustande zufrieden und belehrt mich, den er freilich schon als Ketzer erkennt, auf meine Fragen sehr gern von dem Ritus und anderen dahingehörigen Dingen. Dadurch, dass ich immer wieder unter neue Menschen komme, erreiche ich durchaus meine Absicht. Man muss das Volk nur untereinander reden hören, was das für ein lebendiges Bild des ganzen Landes gibt. Sie sind auf die wunderbarste Weise, sämtlich Widersacher haben den sonderbarsten Provinzial-und Stadteifer, können sich alle nicht leiden, die Stände sind in ewigem Streit und das alles mit inniger, lebhafter, gegenwärtiger Leidenschaft, dass sie einem den ganzen Tag Komödie geben und sich bloßstellen. Und doch fassen sie zugleich wieder auf und merken gleich, wo der Fremde sich in ihr Tun und Lassen nicht finden kann. Spoledo habe ich bestiegen und war auf der Wasserleitung, die zugleich Brücke von einem Berg zu einem anderen ist. Das ist nun das dritte Werk der Alten, das ich sehe, und immer derselbe große Sinn. Eine zweite Natur, die zu bürgerlichen Zwecken handelt, das ist ihre Baukunst, so steht das Amphitheater, der Tempel und der Äquadukt. Was bin ich nicht den letzten acht Wochen schuldig geworden an Freuden und Einsicht, aber auch Mühe hat mich's gekostet. Ich halte die Augen nur immer offen und drücke mir die Gegenstände recht ein. Urteilen möchte ich gar nicht, wenn es nur möglich wäre. Mit dem, was man klassischen Boden nennt, hat es eine andere Bewandtnis. Wenn man hier nicht fantastisch verfährt, sondern die Gegend real nimmt, wie sie da liegt, so ist sie doch immer der entscheidende Schauplatz, der die größten Taten bedingt, und so habe ich bisher den geologischen und landschaftlichen Blick benutzt, um Einbildungskraft und Empfindung zu unterdrücken. und mir ein freies, klares Anschauen der Lokalität zu erhalten. Da schließt sich denn auf eine wunderbare Weise die Geschichte lebendig an, und man begreift nicht, wie einem geschieht, und ich fühle die größte Sehnsucht, den Tacitus in Rom zu lesen. Man fängt nun an, die Oliven abzulesen, sie tun es hier mit den Händen, an anderen Orten schlagen sie mit Stöcken drein. Kommt ein frühzeitiger Winter, so bleiben die übrigen bis gegen Frühjahr hängen. Heute habe ich auf sehr steinigem Boden die größten, ältesten Bäume gesehen. Citta Castellana, den 28. Oktober. Den letzten Abend will ich nicht fehlen. Es ist noch nicht acht Uhr und alles schon zu Bette, so kann ich noch zu guter Letzt des Vergangenen gedenken und mich aufs nächstkünftige freuen. Heute war ein ganz heiterer, herrlicher Tag, der Morgen sehr kalt, der Tag klar und warm, der Abend etwas windig, aber sehr schön. Morgen Abend also in Rom. Ich glaube es noch kaum. Und wenn dieser Wunsch erfüllt ist, was soll ich mir nachher wünschen? Ich wüsste nichts, als dass ich glücklich zu Hause landen und meine Freunde gesund, froh und wohlwollend antreffen möge. Rom, den 1. November 1786. Ja, ich bin endlich in dieser Hauptstadt der Welt angelangt. Über das Tiroler Gebirg bin ich gleichsam weggeflogen. Verona, Vicenz, Padua, Venedig habe ich gut, Ferrara, Cento, Bologna flüchtig und Florenz kaum gesehen. Die Begierde, nach Rom zu kommen, war so groß, wuchs so sehr mit jedem Augenblick, dass kein Bleibens mehr war und ich mich nur drei Stunden in Florenz aufhielt. Nun bin ich hier und ruhig und, wie es scheint, auf mein ganzes Leben beruhigt. Denn es geht, man darf wohl sagen, ein neues Leben an, wenn man das Ganze mit Augen sieht, das man teilweise in-und auswendig kennt. Alle Träume meiner Jugend sehe ich nun lebendig, die ersten Kupferbilder, deren ich mich erinnere, sehe ich nun in Wahrheit, und alles, was ich in Gemälden und Zeichnungen, Kupfern und Holzschnitten, in Gips und Kork schon lange gekannt, steht nun beisammen vor mir. Wohin ich gehe, finde ich eine Bekanntschaft in einer neuen Welt, es ist alles, wie ich mir's dachte, und alles neu. Ebenso kann ich von meinen Beobachtungen, von meinen Ideen sagen. Ich habe keinen ganz neuen Gedanken gehabt, nichts ganz fremd gefunden, aber die alten sind so bestimmt, so lebendig, so zusammenhängend geworden, dass sie für neu gelten können. Rom, den 3. November. Einer der Hauptbeweggründe, die ich mir vorspiegelte, um nach Rom zu eilen, war das Feste aller Heiligen, der 1. November, denn ich dachte, geschieht dem einzelnen Heiligen so viel Ehre, was wird es erst mit allen werden? Allein wie sehr betrog ich mich. Kein auffallend allgemeines Fest hatte die römische Kirche beliebt, und jeder Orden mochte im Besonderen das Andenken seines Patrons im Stillen feiern. Denn das Namensfest und der ihm zugeteilte Ehrentag ist's eigentlich, wo jeder in seiner Glorie erscheint. Gestern aber, am Tage aller Seelen, gelang mir's besser. Das Andenken dieser feiert der Papst in seiner Hauskapelle auf dem Quirinal. Jedermann hat freien Zutritt, ich eilte mit Tischbein auf den Monte Cavallo. Der Platz vor dem Palaste hat was ganz eigenes Individuelles, so unregelmäßig als grandios und lieblich. Wir eilten mit der Menge durch den prächtigen geräumigen Hof, eine geräumige Treppe hinauf. In diesen Vorsälen, der Kapelle gegenüber, in der Ansicht der Reihe von Zimmern, fühlt man sich wunderbar unter einem Dache mit dem Stadthalter Christi. Die Funktion war angegangen. Papst und Kardinäle schon in der Kirche, der Heilige Vater, die schönste, würdigste Männergestalt, Kardinäle von verschiedenem Alter und Bildung. Mich ergriff ein wunderbar Verlangen, dass Oberhaupt der Kirche möge den goldenen Mund auftun und von dem unaussprechlichen Heil der seligen Seelen mit Entzücken sprechend uns in Entzücken versetzen, da ich ihn aber vor dem Altare sich nur hin und her bewegen sah, bald nach dieser, bald nach jener Seite sich wendend, Sich wie ein gemeiner Pfaffe gebärdend und murmelnd, da erregte sich die protestantische Erbsünde, und mir wollte das bekannte und gewohnte Messopfer hier keineswegs gefallen, hat doch Christus schon als Knabe durch mündliche Auslegung der Schrift und in seinem Jünglingsleben gewiß nicht schweigend gelehrt und gewirkt, denn er sprach gern, geistreich und gut, wie wir aus den Evangelien wissen. Was würde der sagen, dachte ich, wenn er hereintrete und sein Ebenbild auf Erden summend und hin und her wankend wieder anträfe, und ich zupfte meinen Gefährten, daß wir ins Freie der gewölbten und gemalten Säle kämen. Hier fanden wir eine Menge Personen, die köstlichen Gemälden aufmerksam betrachtend, denn dieses Fest aller Seelen ist auch zugleich das Fest aller Künstler in Rom. Ebenso wie die Kapelle ist der ganze Palast und die sämtlichen Zimmer jedem zugänglich und diesen Tag für viele Stunden frei und offen. Man braucht kein Trinkgeld zu geben und wird von dem Kastellan nicht gedrängt. Vorzüglich willkommen aber waren mir die Meisterstücke der Künstler, deren Art und Weise ich mir schon eingeprägt hatte. Ich sah mit Bewunderung die heilige Petronilia von Gorgin, ehemals in St. Peter, wo nun eine musifische Kopie anstatt des Originals aufgestellt ist. Der heiligen Leichnam wird aus dem Grabe gehoben und dieselbe Person, neu belebt, in der Himmelshöhe von einem göttlichen Jüngling empfangen. Noch mehr erstaunte ich vor einem Bilde von Titian. Es überleuchtet alle, die ich gesehen habe. Ob mein Sinn schon geübter oder es wirklich das vortrefflichste sei, weiß ich nicht zu unterscheiden. Ein ungeheures Messgewand, das von Stickerei, ja von getriebenen Goldfiguren starrt, umhüllt eine ansehnliche bischofliche Gestalt. Den massiven Hirtenstab in der linken blickt er entzückt in die Höhe, mit der rechten hält er ein Buch, woraus er eben eine göttliche Berührung empfangen zu haben scheint. Hinter ihm eine schöne Jungfrau, die Palme in der Hand, mit lieblicher Teilnahme nach dem aufgeschlagenen Buche hinschauend. Ein ernster Alter dagegen zu rechten, dem Buche ganz nah, scheint er dessen nicht zu achten. Die Schlüssel in der Hand mag er sich wohl eigenen Aufschluss zutrauen. Dieser Gruppe gegenüber ein nackter, wohlgebildeter, gebundener, von Pfeilen verletzter Jüngling, vor sich hin sehend, bescheiden ergeben, in dem Zwischenraume zwei Mönche, Kreuz und Lilie tragend, andächtig gegen die himmlischen gekehrt. Denn oben offen ist das halbrunde Gemäuer, das sie sämtlich umschließt. Dort bewegt sich in höchster Glorie eine herabwärts teilnehmende Mutter. Das lebendig muntere Kind in ihrem Schoße reicht mit heiterer Gebärde einen Kranz herüber. Ja, scheint ihn herunter zu werfen. Auf beiden Seiten schweben Engel, Kränze schon im Vorrat haltend. Über allen aber und über dreifachem Strahlenkreise waltet die himmlische Taube als Mittelpunkt und Schlussstein zugleich. Wir sagen uns, Hier muss ein heiliges, altes, überliefertes zugrunde liegen, dass diese verschiedenen unpassenden Personen so kunstreich und bedeutungsvoll zusammengestellt werden konnten. Wir fragen nicht nach wie und warum, wir lassen es geschehen und bewundern die unschätzbare Kunst. Endlich zog mich ein Bild besonders an, den heiligen Georg, den Drachenüberwinder und Jungfrauenbefreier vorstellend. Niemand konnte mir den Meister nennen. Da trat ein kleiner, bescheidener, bisher lautloser Mann hervor und belehrte mich, es sei von Pordenone, dem Venezianer, eines seiner besten Bilder, an dem man sein ganzes Verdienst erkenne. Der belehrende Künstler ist Heinrich Mayer, ein Schweizer, der seit einigen Jahren hier studiert, die antiken Büsten in Sepia vortrefflich nachbildet und in der Kunstgeschichte wohl erfahren ist. Rom, den 7. November. Nun bin ich sieben Tage hier. und nach und nach tritt in meiner Seele der allgemeine Begriff dieser Stadt hervor. Wir gehen fleißig hin und wieder, ich mache mir die Plane des alten und neuen Roms bekannt, betrachte die Ruinen, die Gebäude, besuche ein und die andere Villa, die größten Merkwürdigkeiten werden ganz langsam behandelt, ich tue nur die Augen auf und sehe und gehe und komme wieder, denn man kann sich nur in Rom auf Rom vorbereiten. Gestehen wir jedoch, es ist ein saures und trauriges Geschäft, das alte Rom aus dem neuen herauszuklauben, aber man muss es doch tun und zuletzt eine unschätzbare Befriedigung hoffen. Man trifft Spuren einer Herrlichkeit und einer Zerstörung, die beide über unsere Begriffe gehen. Was die Barbaren stehen ließen, haben die Baumeister des neuen Roms verwüstet. Wenn man so eine Existenz ansieht, die 2000 Jahre und darüber alt ist, Durch den Wandel der Zeiten so mannigfaltig und vom Grund aus verändert und doch noch derselbe Boden, derselbe Berg, ja oft dieselbe Säule und Mauer und im Volke noch die Spuren des alten Charakters, so wird man ein Mitgenosse der großen Ratschlüsse des Schicksals und so wird es dem Betrachter von Anfang schwer zu entwickeln, wie Rom auf Rom folgt und nicht allein das Neue auf das Alte, sondern die verschiedenen Epochen des Alten und Neuen selbst aufeinander. Ich suche nun erst selbst, die halb verdeckten Punkte herauszufühlen, dann lassen sich erst die schönen Vorarbeiten recht vollständig nutzen, denn seit dem 15. Jahrhundert bis auf unsere Tage haben sich treffliche Künstler und Gelehrte mit diesen Gegenständen ihr ganzes Leben durch beschäftigt. Und dieses Ungeheure wirkt ganz ruhig auf uns ein, wenn wir in Rom hin und her eilen, um zu den höchsten Gegenständen zu gelangen. Andere Orten muss man das Bedeutende aufsuchen. Hier werden wir davon überdrängt und überfüllt. Wie man geht und steht, zeigt sich ein landschaftliches Bild aller Art und Weise. Paläste und Ruinen, Gärten und Wildnis, Fernen und Engen, Häuschen, Ställe, Triumphbögen und Säulen, oft alles zusammen so nah, dass es auf ein Blatt gebracht werden könnte. Verzeihen mir jedoch meine Freunde, wenn ich künftig wortkarg erfunden werde. Während eines Reisezugs rafft man unterwegs auf, was man kann. Jeder Tag bringt etwas Neues, und man eilt auch darüber zu denken und zu urteilen. Hier aber kommt man in eine gar große Schule, wo ein Tag so viel sagt, dass man von dem Tage nichts zu sagen wagen darf. Ja, man täte wohl, wenn man, jahrelang hier verweilend, ein pythagoreisches Stillschweigen beobachtete. Ich bin recht wohl, das Wetter ist, wie die Römer sagen, brutto. Es geht ein Mittagswind, Chiroco, der täglich mehr oder weniger Regen herbeiführt. Ich kann aber diese Witterung nicht unangenehm finden. Es ist warm dabei, wie es bei uns im Sommer regnichte Tage nicht sind. Tischbeins Talente, so wie seine Vorsätze und Kunstabsichten, lernte ich nun immer mehr kennen und schätzen. Er legte mir seine Zeichnungen und Skizzen vor, welche sehr viel Gutes geben und verkünden. Die Logen von Raphael und die großen Gemälde der Schule von Athen etc. habe ich nun erst einmal gesehen, und da ist's, als wenn man den Homer aus einer zum Teil verloschenen, beschädigten Handschrift herausstudieren sollte. Das Vergnügen des ersten Eindrucks ist unvollkommen, und nur, wenn man nach und nach alles recht durchgesehen und studiert hat, wird der Genuß ganz. Am haltendsten sind die Deckenstücke der Logen, die biblische Geschichten vorzustellen, so frische wie gestern gemalt, zwar die wenigsten von Raphaels eigener Hand, doch aber gar vortrefflich nach seinen Zeichnungen. und unter seiner Aufsicht. Ich habe manchmal in früherer Zeit die wunderliche Grille gehabt, dass ich mir sehnlichst wünschte, von einem wohlunterrichteten Manne, von einem kunst-und geschichtskundigen Engländer, nach Italien geführt zu werden, und nun hat sich das alles indessen schöner gebildet, als ich hätte ahnen können. Tischbein lebte so lange hier, als mein herzlicher Freund, er lebte hier mit dem Wunsch, mir Rom zu zeigen. Unser Verhältnis ist alt durch Briefe, neu durch Gegenwart. Wo hätte mir ein werterer Führer erscheinen können? Ist auch meine Zeit nur beschränkt, so werde ich doch das Möglichste genießen und lernen. Den 9. November. Manchmal stehe ich wie einen Augenblick still und überschaue die höchsten Gipfel des schon Gewonnenen. Sehr gerne blicke ich nach Venedig zurück, auf jenes große Dasein, dem Schoße des Meeres, wie Pallas aus dem Haupte Jupiters entsprossen, hier hat mich die Rotonda. so die äußere wie die innere, zu einer freudigen Verehrung ihrer Großheit bewogen. In St. Peter habe ich begreifen gelernt, wie die Kunst sowohl als die Natur alle Maßvergleichungen aufheben kann, und so hat mich Apoll von Belvedere aus der Wirklichkeit hinausgerückt. Denn wie von jenen Gebäuden die richtigsten Zeichnungen keinen Begriff geben, so ist es hier mit dem Original von Marmor gegen die Gipsabgüsse, deren ich doch so sehr schöne früher gekannt habe. Den 10. November 1786. Ich lebe nun hier mit einer Klarheit und Ruhe, von der ich lange kein Gefühl hatte. Meine Übung, alle Dinge, wie sie sind zu sehen und abzulesen, meine Treue, das Auge, Licht sein zu lassen, meine völlige Entäußerung von aller Prätention, kommen mir einmal wieder recht zu statten und machen mich im Stillen höchst glücklich. Alle Tage ein neuer, merkwürdiger Gegenstand, täglich frische, große, seltsame Bilder und ein Ganzes, das man sich lange denkt und träumt, nie mit der Einbildungskraft erreicht. Heute war ich bei der Pyramide des Cestius und abends auf dem Paladin, oben auf den Ruinen der Kaiserpaläste, die wie Felsenwände dastehen. Hiervon lässt sich nun freilich nichts überliefern. Wahrlich, es gibt hier nichts Kleines, wenn auch wohl hier und da etwas Seltenswertes. Und abgeschmacktes, doch auch ein solches hat Teil an der allgemeinen Großheit genommen. Kehre ich nun in mich selbst zurück, wie man doch so gerne tut bei jeder Gelegenheit, so entdecke ich ein Gefühl, das mich unendlich freut, ja, das ich sogar auszusprechen wage. Wer sich mit Ernst hier umsieht und Augen hat zu sehen, muss solid werden, er muss einen Begriff von Solidität fassen, der ihm nie so lebendig ward. Der Geist wird zur Tüchtigkeit gestempelt. Gelangt zu einem Ernst ohne Trockenheit, zu einem gesetzten Wesen mit Freude, mir wenigstens ist es, als wenn ich die Dinge dieser Welt nie so richtig geschätzt hätte als hier. Ich freue mich der gesegneten Folgen auf mein ganzes Leben. Und so laßt mich aufraffen, wie es kommen will. Die Ordnung wird sich geben. Ich bin nicht hier, um nach meiner Art zu genießen. Befleißigen will ich mich der großen Gegenstände, lernen und mich ausbilden, ehe ich vierzig Jahre alt werde. Frascati, den 15. November. Die Gesellschaft ist zu Bette, und ich schreibe noch aus der Tuschmuschel, aus welcher gezeichnet worden ist. Wir haben ein paar schöne, regenfreie Tage hier gehabt, warm und freundlichen Sonnenschein, das man den Sommer nicht vermisst. Die Gegend ist sehr angenehm, der Ort liegt auf einem Hügel, vielmehr an einem Berge, und jeder Schritt bietet dem Zeichner die herrlichsten Gegenstände. Die Aussicht ist unbegrenzt, man sieht Rom liegen und weiter die See, an der rechten Seite die Gebirge von Tivoli und so fort. In dieser lustigen Gegend sind Landhäuser zur rechten Lust angelegt, und wie die alten Römer schon hier ihre Villen hatten, so haben vor hundert Jahren und mehr reiche und übermütige Römer ihre Landhäuser auch auf diesen schönen Fleck gepflanzt. Zwei Tage gehen wir schon hier herum, und es ist immer etwas Neues und Reizendes. Und doch lässt sich kaum sagen, ob nicht die Abende noch vergnügter als der Tag hingehen. Sobald die stattliche Wirtin die messingene, dreiarmige Lampe auf den großen, runden Tisch gesetzt und »Felicissima notte« gesagt hat, versammelt sich alles im Kreise und legt die Blätter vor, welche den Tag über gezeichnet und skizziert wurden. Darüber spricht man, ob der Gegenstand hätte günstiger aufgenommen werden sollen, ob der Charakter getroffen ist und was solche erste allgemeine Fordernisse sind, wovon man sich schon bei dem ersten Entwurf Rechenschaft geben kann. Hofrat Reifenstein weiß die Sitzung durch seine Einsicht und Autorität zu ordnen und zu leiten. Diese löbliche Anstalt aber schreibt sich eigentlich von Philipp Hackert her, welcher höchst geschmackvoll die wirklichen Aussichten zu zeichnen und aufzuführen wußte. Künstler und Liebhaber, Männer und Frauen, Alt und Junge ließ er nicht ruhen. Er munterte jeden auf, nach seinen Gaben und Kräften sich gleichfalls zu versuchen und ging mit gutem Beispiel vor. Diese Art, eine Gesellschaft zu versammeln und zu unterhalten, hat Hofrat Reifenstein nach der Abreise jenes Freundes treulich fortgesetzt, wir finden wie löblich es sei, den tätigen Anteil eines jeden zu wecken. Die Natur und Eigenschaft der verschiedenen Gesellschaftsmitglieder tritt auf eine anmutige Weise hervor. Tischbein zum Beispiel sieht als Historienmaler die Landschaft ganz anders an als der Landschaftszeichner. Er findet bedeutende Gruppen und andere anmutige, vielsagende Gegenstände da, wo ein anderer nichts gewahr würde. Und so glückt es ihm auch, manchen menschlichen naiven Zug zu erhaschen, es sei nun an Kindern, Landleuten, Bettlern und anderen der gleichen Naturmenschen oder auch an Tieren, die er mit wenigen charakteristischen Strichen gar glücklich darzustellen weiß und dadurch der Unterhaltung immer neuen, angenehmen Stoff unterlegt. Rom, den 17. November. Wir sind zurück. Heute Nacht fiel ein entsetzlicher Regenguss mit Donnern, Blitzen. Nun regnet es fort und ist immer warm dabei. Ich aber kann nur mit wenig Worten das Glück dieses Tages bezeichnen. Ich habe die Fresco-Gemälde von Dominicin in Andrea della Valle, in gleichen die farnesische Galerie von Caraccio gesehen. Freilich zu viel für Monate, geschweige für einen Tag. Den 18. November. Es ist wieder schön Wetter, ein heller, freundlicher, warmer Tag. Ich sah in der Farnesina die Geschichte der Psyche. deren farbige Nachbildungen so lange mein Zimmer erheitern, Dann zu St. Peter in Montorio die Verklärung von Raphael, alles Altbekannte wie Freunde, die man sich in der Ferne durch Briefwechsel gemacht hat und die man nun von Angesicht sieht. Das Mitleben ist doch was ganz anderes, jedes wahre Verhältnis und Missverhältnis spricht sich sogleich aus. Auch finden sich alle Orten und Enden herrliche Sachen, von denen nicht so viel Redens ist, die nicht so oft durch Kupfer und Nachbildungen in die Welt gestreut sind. Hiervon bringe ich manches mit, gezeichnet von Guten. jungen Künstlern. Dass ich mit Tischbein schon lange durch Briefe in dem besten Verhältnis stehe, dass ich ihm so manchen Wunsch sogar, ohne Hoffnung nach Italien zu kommen, mitgeteilt, machte unser Zusammentreffen sogleich fruchtbar und erfreulich. Er hatte immer an mich gedacht und für mich gesorgt, auch was die Steine betrifft, mit welchen die alten und neuen gebaut, ist er vollkommen zu Hause, er hat sie recht gründlich studiert, wobei ihm sein Künstlerauge und die Künstlerlust an sinnlichen Dingen sehr zustatten kommt. Eine für mich ausgewählte Sammlung von Musterstücken hat er vor kurzem nach Weimar abgesendet, die mich bei meiner Zurückkunft freundlich empfangen soll. Rom, den 22. November 1786, am Zezilienfeste. Es war das schönste, ruhigste Wetter, ein ganz heiterer Himmel und warme Sonne. Ich ging mit Tischbei nach dem Petersplatze, wo wir erst auf-und abgehend, und wenn es uns zu warm wurde, im Schatten des großen Obelisks, der eben für zwei breit genug geworfen wird, spazierten und Trauben verzehrten, die wir in der Nähe gekauft hatten. Dann gingen wir in die sextinische Kapelle, die wir auch hell und heiter, die Gemälde wohl erleuchtet fanden. Das jüngste Gericht und die mannigfaltigen Gemälde der Decke von Michel Ange teilten unsere Bewunderung. Ich konnte nur sehen und anstaunen, die innere Sicherheit und Männlichkeit des Meisters, seine Großheit geht über allen Ausdruck. Nachdem wir alles wieder und wieder gesehen, Verließen wir dieses Heiligtum und gingen nach der Peterskirche, die von dem heiteren Himmel das schönste Licht empfing und in allen Teilen hell und klar erschien. Wir ergätzten uns als genießende Menschen an der Größe und Pracht, ohne durch allzu ekeln und zu verständigen Geschmack uns diesmal irre machen zu lassen und unterdrückten jedes schärfere Urteil. Wir erfreuten uns des Erfreulichen. Endlich bestiegen wir das Dach der Kirche, wo man das Bild einer wohlgebauten Stadt im Kleinen findet. Wir bestiegen die Kuppel und besahen die hellheitere Gegend, nahe vor uns die ganze Stadt Rom in ihrer Breite und Weite, mit ihren Palästen, Kuppeln etc. Es rührte sich keine Luft und in dem kupfernen Knopf war es so heiß wie in einem Treibhause. Nachdem wir das alles beherzigt hatten, stiegen wir herab und ließen uns die Türen zu den Gesimsen, der Kuppel, des Tambors und des Schiffs aufschließen. Man kann um dieselbe herumgehen und diese Teile und die Kirche von oben betrachten. Als wir auf dem Gesimse des Tambours standen, ging der Papst unten in der Tiefe vorbei, seine Nachmittagsandacht zu halten. Es fehlte uns also nichts zur Peterskirche. Wir stiegen völlig wieder herab, nahmen in einem benachbarten Gasthofe ein fröhliches, frugales Mahl und setzten unseren Weg nach der Zizilienkirche fort. Viele Worte würde ich brauchen, um die Auszierung der ganz mit Menschen ausgefüllten Kirche zu beschreiben. Man sah eben keinen Stein der Architektur mehr. Die Säulen waren mit rotem Samt überzogen und mit goldenen Tressen umwunden, die Kapitäle mit gesticktem Samt, so alle Gesimse und Pfeiler behangen und bedeckt, alle Zwischenräume der Mauern mit lebhaft gemalten Stücken bekleidet, die ganze Kirche mit Mosaik ausgelegt und über 200 Wachskerzen brannten um und neben dem Huchaltar, so daß die ganze Wand mit Lichtern besetzt und das Schiff der Kirche vollkommen erleuchtet war. Eine schöne Art musikalischer Aufführung. hörte ich hier. Wie man Violin oder andere Konzerte hat, so führen sie Konzerte mit Stimmen auf, dass die eine Stimme der Sopran zum Beispiel herrschend ist und Solo singt, das Chor von Zeit zu Zeit einfällt und ihn begleitet. Es versteht sich immer mit dem ganzen Orchester. Es tut gute Wirkung. Den 24. November. Von der Nation wüßte ich nichts weiter zu sagen, als daß es Naturmenschen sind, die unter Pracht und Würde der Religion und der Künste nicht ein Haar anders sind, als sie in Höhlen und Wäldern auch sein würden. Was allen Fremden auffällt und was heute wieder die ganze Stadt reden, aber auch nur reden macht, sind die Totschläge, die gewöhnlich vorkommen. Vier sind schon in unserem Bezirk in diesen drei Wochen ermordet worden. Heute ward ein braver Künstler, Schwendermann, ein Schweizer, Der letzte Schüler von Hettlinger, überfallen, völlig wie Winkelmann. Der Mörder, mit dem er sich herumbalgte, gab ihm an die zwanzig Stiche, und da die Wache hinzukam, erstach sich der Bösewicht selbst. »Das ist hier sonst nicht Mode.« Der Mörder erreicht seine Kirche. Und so ist's gut. Und so sollte ich denn, um auch Schatten in meine Gemälde zu bringen, von Verbrechen und Unheil, Erdbeben und Wasserflut einiges melden. Doch setzt das gegenwärtige Ausbrechen des Feuers des Vesuvs die meisten Fremden hier in Bewegung, und man muss sich Gewalt antun, um nicht mit fortgerissen zu werden. Diese Naturerscheinung hat wirklich etwas Klapperschlangenartiges und zieht die Menschen unwiderstehlich an. Es ist in dem Augenblick, als wenn alle Kunstschätze Roms zunichte würden. Die sämtlichen Fremden durchbrechen den Lauf ihrer Betrachtungen und eilen nach Neapel. Ich aber will aushachen in Hoffnung, dass der Berg noch etwas für mich aufheben wird. Den 1. Dezember. Moritz ist hier, der uns durch Anton Reiser und die Wanderungen nach England merkwürdig geworden. Es ist ein reiner, trefflicher Mann, an dem wir viel Freude haben. Den 3. Dezember. Die Witterung hat bisher meist von sechs zu sechs Tagen abgewechselt. Zwei ganz herrliche, ein trüber, zwei bis drei Regentage und dann wieder schöne. Ich suche jeden nach seiner Art, aufs Beste zu nutzen. Doch immer noch sind mir diese herrlichen Gegenstände wie neue Bekanntschaften. Man hat nicht mit ihnen gelebt, ihnen ihre Eigentümlichkeit nicht abgewonnen. Einige reißen uns mit Gewalt an sich, dass man eine Zeit lang gleichgültig, ja ungerecht gegen andere wird. So hat zum Beispiel das Pantheon Der Apoll von Belvedere, einige kolossale Köpfe und neuerlich die Sixtinische Kapelle, so mein Gemüt eingenommen, dass ich daneben fast nichts mehr sehe. Wie will man sich aber, klein wie man ist und ans Kleine gewohnt, diesem edlen, ungeheuren, gebildeten Gleichstellen, und wenn man es einigermaßen zurechtrücken möchte, so drängt sich abermals eine ungeheure Menge von allen Seiten zu, begegnet dir auf jeden Schritt, und jedes fordert für sich den Tribut der Aufmerksamkeit. Wie will man sich da herausziehen, anders nicht, als dass man es geduldig wirken und wachsen lässt und auch fleißig auf das merkt, was andere zu unseren Gunsten gearbeitet haben. Winkelmanns Kunstgeschichte, übersetzt von Feher, die neue Ausgabe, ist ein sehr brauchbares Werk, das ich gleich angeschafft habe und hier am Orte in guter, auslegender und belehrender Gesellschaft sehr nützlich finde. Auch die römischen Altertümer fangen mich an zu freuen. Geschichte in Schrift. »Ich habe die ganzen Schriften, Münzen, von denen ich sonst nichts wissen mochte, alles drängt sich heran. Wie mir es in der Naturgeschichte erging, so geht es auch hier, denn an diesem Ort knüpft sich die ganze Geschichte der Welt an. Und ich zähle einen zweiten Geburtstag, eine wahre Wiedergeburt, von dem Tage, da ich Rom betrat, den 5. Dezember. In den wenigen Wochen, die ich hier bin, habe ich schon manchen Fremden kommen und gehen sehen, und mich über die Leichtigkeit verwundert, mit welcher so viele diese würdigen Gegenstände behandeln. Gott sei Dank, dass mir von diesen Zugvögeln künftig keiner mehr imponiert, wenn er mir im Norden von Rom spricht, keiner mir die Eingeweide mehr erregt, denn ich hab's doch auch gesehen und weiß schon einigermaßen, woran ich bin. Den 8. Dezember. Wir haben mitunter die schönsten Tage. Der Regen, der von Zeit zu Zeit fällt, macht Gras und Gartenkräuter grün. Die immergrünen Bäume stehen auch hier hin und wieder. so daß man das abgefallene Laub der übrigen kaum vermißt. In den Gärten stehen Pomeranzenbäume voller Früchte, aus der Erde wachsend und unbedeckt. Von einer sehr angenehmen Spazierfahrt, die wir ans Meer machten, und von dem Fischfang da selbst, dachte ich umständlich zu erzählen, als abends der gute Moritz, hereinreitend, den Arm brach, indem sein Pferd auf dem glatten römischen Pflaster ausglitschte. Das zerstörte die ganze Freude. und brachte in unseren kleinen Zirkel ein böses Hauskreuz. Rom, den 13. Dezember. Heute früh fielen mir Winkelmanns Briefe, die er aus Italien schrieb, in die Hand. Mit welcher Rührung habe ich sie zu lesen angefangen? Vor ein und dreißig Jahren, in derselben Jahreszeit, kam er, ein noch ärmerer Narr als ich, hierher. Ihm war es auch so deutsch ernst um das Gründliche und Sichere der Altertümer und der Kunst. Wie brav und gut arbeitete er sich durch, und was ist mir nun auch das Andenken dieses Mannes auf diesem Platze? Außer den Gegenständen der Natur, die in allen ihren Teilen wahr und konsequent ist, spricht doch nichts so laut als die Spur eines guten verständigen Mannes, als die echte Kunst, die ebenso folgerecht ist als jene. Hier in Rom kann man das Recht fühlen, wo so manche Willkürlichkeit gewütet hat, wo so mancher Unsinn durch Macht und Geld verewigt worden. Eine Stelle in Winkelmanns Brief an Franken freute mich besonders. Man muss alle Sachen in Rom mit einem gewissen Fleckma suchen. In Rom, glaub ich, ist die hohe Schule für alle Welt. Und auch ich bin geläutert und geprüft. Das Gesagte passt recht auf meine Art, den Sachen hier nachzugehen, und gewiß, man hat außer Rom keinen Begriff, wie man hier geschult wird. Man muss sozusagen wiedergeboren werden, und man zieht auf seine vorigen Begriffe wie auf Kinderschuhe zurück. Der gemeinste Mensch wird hier zu etwas, wenigstens gewinnt er einen ungemeinen Begriff, wenn es auch nicht in sein Wesen übergehen kann. Dieser Brief kommt euch zum neuen Jahre, alles Glück zum Anfange. Vor Ende sehen wir uns wieder, und das wird keine geringe Freude sein. Das Vergangene war das Wichtigste meines Lebens. Ich mag nun sterben oder noch eine Weile dauern. In beiden Fällen war es gut. Jetzt noch ein Wort an die Kleinen. Den Kindern mögt ihr Folgendes lesen und erzählen. Man merkt den Winter nicht, die Gärten sind mit immergrünen Bäumen bepflanzt, die Sonne scheint hell und warm. Schnee sieht man nur auf den entferntesten Bergen gegen Norden. Die Zitronenbäume, die in den Gärten an den Wänden gepflanzt sind, werden nun nach und nach mit Decken von Rohr überdeckt. Die Pomeranzenbäume aber bleiben frei stehen. Es hängen viele hundert der schönsten Früchte an so einem Baum, der nicht wie bei uns beschnitten und in einen Kübel gepflanzt ist, sondern in der Erde frei und froh in einer Reihe mit seinen Brüdern steht. Man kann sich nichts Lustigeres denken als einen solchen Anblick. Für ein geringes Trinkgeld ist man deren so viel man will. Sie sind schon jetzt recht gut, im März werden sie noch besser sein. Neulich waren wir am Meere und ließen einen Fischzug tun, da kamen die wunderlichsten Gestalten zum Vorschein an Fischen, Gräbsen und seltsamen Unformen, auch der Fisch, der dem Berührenden einen elektrischen Schlag gibt. Den 25. Dezember Ich fange nun schon an, die besten Sachen zum zweiten Mal zu sehen, wo denn das erste Staunen sich in ein Mitleben und reineres Gefühl des Wertes der Sache auflöst. Um den höchsten Begriff dessen, was die Menschen geleistet haben, in sich aufzunehmen, muss die Seele erst zur vollkommenen Freiheit gelangen. Der Marmor ist ein seltsames Material, deswegen ist Apoll von Belvedere im Urbilde so grenzenlos erfreulich, denn der höchste Hauch des lebendigen, jünglingsfreien, ewig jungen Wesens verschwindet gleich im besten Gipsabdruck. Gegen uns über im Palast Rondandini steht eine Medusenmaske, wo in einer hohen und schönen Gesichtsform über Lebensgröße das ängstliche Starren des Todes unsäglich trefflich ausgedrückt ist. Ich besitze schon einen guten Abguss, aber der Zauber des Marmors ist nicht übrig geblieben. Das edle, halbdurchsichtige des gilblichen, der Fleischfarbe sich nähernden Steins, ist verschwunden. Der Gips sieht immer dagegen kreidenhaft und tot. Und doch, was für eine Freude bringt es, zu einem Gipsgießer hineinzutreten, wo man die herrlichen Glieder der Statuen einzeln aus der Form hervorgehen sieht und dadurch ganz neue Ansichten der Gestalten gewinnt. Als dann erblickt man nebeneinander, was sich in Rom zerstreut befindet, welches zur Vergleichung unschätzbar dienlich ist. Ich habe mich nicht enthalten können, den kolossalen Kopf eines Jupiters anzuschaffen. Er steht meinem Bette gegenüber, wohlbeleuchtet, damit ich sogleich meine Morgenandacht an ihn richten kann, und der uns bei aller seiner Großheit und Würde das lustigste Geschichtchen veranlaßt hat. Unsere alten Wirtin schleicht gewöhnlich, wenn sie das Bett zu machen hereinkommt, ihre vertraute Katze nach. Ich saß im großen Saale und hörte die Frau drinnen ihr Geschäft treiben. Auf einmal, sehr eilig und heftig, gegen ihre Gewohnheit, öffnet sie die Türe und ruft mich eilig zu kommen und ein Wunder zu sehen. Auf meine Frage, was es sei, erwiderte sie, die Katze bete Gott Vater an. Sie habe diesem Tiere wohl angemerkt, dass es Verstand habe wie ein Christ, dieses aber sei doch ein großes Wunder. Ich eilte mit eigenen Augen zu sehen, und es war wirklich wunderbar genug. Die Büste steht auf einem hohen Fuße, und der Körper ist weit unter der Brust abgeschnitten, so daß also der Kopf in die Höhe ragt. Nun war die Katze auf den Tisch gesprungen, hatte ihre Pfoten dem Gott auf die Brust gelegt und reichte mit ihrer Schnauze, indem sie die Glieder möglichst ausdehnte, gerade bis an den heiligen Bart, den sie mit der größten Zierlichkeit belegte und sich weder durch Interjektion der Wirtin noch durch meine Dazwischenkunft im Mindesten stören ließ. Der guten Frau ließ ich ihre Verwunderung, erklärte mir aber diese seltsame Katzenandacht dadurch, daß diese scharf riechende Tier wohl das Fett möchte gespürt haben. das sich aus der Form in die Vertiefung des Bartes gesenkt und dort verhalten hatte. Den 29. Dezember 1786. Von Tischbein muß ich noch vieles erzählen und rühmen, wie ganz originaldeutsch er sich aus sich selbst herausbildete, sodann aber dankbar melden, daß er die Zeit seines zweiten Aufenthalts in Rom über für mich gar freundschaftlich gesorgt hat, indem er mir eine Reihe Kopien nach den besten Meistern fertigen ließ, einige in schwarzer Kreide, andere in Sepia und Aquarell, wo man von den Originalen entfernt ist, an Wert gewinnen und mich an das Beste erinnern werden. Auf seiner Künstlerlaufbahn, da er sich zum Porträt bestimmte, kam Tischbein mit bedeutenden Männern, besonders auch zu Zürich in Berührung, und hat an ihnen sein Gefühl gestärkt und seine Einsicht erweitert. In diesem Künstlerwesen lebt man wie in einem Spiegelzimmer, wo man auch wieder Willen, sich selbst und andere oft wiederholt sieht. Ich bemerkte wohl, dass Tischbein mich öfters aufmerksam betrachtete, und nun zeigt es, dass er mein Porträt zu malen gedenkt. Sein Entwurf ist fertig, er hat die Leinwand schon aufgespannt. Ich soll in Lebensgröße als Reisender in einen weißen Mantel gehüllt in freier Luft auf einem umgestürzten Obelisken sitzend vorgestellt werden, die tief im Hintergrund liegende Ruinen der Campagna di Roma überschauend. Es gibt ein schönes Bild, nur zu groß für unsere nordischen Wohnungen. Ich werde wohl dort wieder untergriechen, das Porträt aber wird keinen Platz finden.