Transcript for:
Das 11. Jahrhundert: Kirche und Macht

Hi, herzlich willkommen zu unserem Video über das 11. Jahrhundert. Wie immer mit einem Aspekt aus dem Jahrhundert, der uns bis heute besonders prägt. Musstet ihr schon mal einen Gang nach Canossa antreten? Also zu jemandem gehen, um sich zu... Entschuldigen und Reue zeigen? Das ist keine angenehme Sache, sage ich euch. Der Ursprung für dieses geflügelte Wort liegt im 11. Jahrhundert, als ein berühmter König auf Knien Abbitte leisten musste. Was es damit genau auf sich hat? Das erfahrt ihr hier. Das Reich, über das zu Beginn des 11. Jahrhunderts der deutsche König herrscht, bedeckt die Mitte Europas. Oberitalien und Burund gehören auch noch dazu. Man schätzt, dass im Jahr 1000 rund 4 Millionen Menschen auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reichs und Skandinavien zusammenleben. Und die Bevölkerung wächst sehr schnell, sodass aus vielen kleinen Dörfern Städte geschützt werden. durchmauern werden. Aber die meisten Menschen leben auf dem Land, haben nur das Nötigste. Macht und Besitz teilen sich Bischöfe, Adel und klar der König. Die Gesellschaft im 11. Jahrhundert ist sehr religiös. Die Macht der katholischen Kirche ist immer weiter gewachsen. Sie hat eigene Ländereien und auch eigene Steuereinkünfte. Erhebt zum Beispiel den sogenannten Zehnt, also etwa den zehnten Teil von allem, was ein Bauer so auf seinem Feld erwirtschaftet hat. Schenkungen von Adel. bescheren der Kirche zunächst nicht nur jede Menge Geld, sondern auch immer mehr Grund und Boden. Macht und Einfluss hat die Kirche aber auch auf das Leben jedes Einzelnen. Denn wer zu den Menschen predigt, hat ziemlich viel Einfluss auf die Gläubigen. Die Alphabetisierungsrate der einfachen Menschen war damals niedrig. So war die Auslegung der Heiligen Schrift allein Sache der Geistlichen. Und die legten fest, was als gottgefälliges Verhalten galt. Aber auch die Verflechtung der Menschen, Die Verflechtungen zwischen Politik und Kirche sind im abendländischen Europa gewaltig. Viele einflussreiche Kirchenleute kommen inzwischen aus dem Adel. Weil Papst und Bischöfe zum Beispiel auch von Adligen gewählt werden, sorgen die wiederum dafür, dass einer von ihren Verwandten oder Vertrauten auf die einflussreiche Position kommt. Die Päpste und Bischöfe in dieser Zeit üben durchaus weltliche Herrschafts- und Machtbefugnisse aus. Bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts Im 6. Jahrhundert ist die Welt klar geordnet. Der König gilt als Verwalter Christi und Diener Gottes. Die Bischöfe gehen ihm als Helfer bei der Bewahrung der gottgegebenen Ordnung zur Hand, sind ihm also unterstellt. Darum ist es auch total logisch, dass der König die Bischöfe ins Amt einsetzen kann. Dass er für diese einflussreichen Ämter Gleichgesinnte bevorzugt, liegt ja irgendwie auf der Hand. Diese Einsetzung eines Bischofs in sein Amt nennt man Investitur, quasi Investition. Das heißt, der König überreicht dem neuen Bischof Ring und Stab als Symbole seiner neuen Position. Er kleidet ihn damit also ein. Denkst nicht jeder findet diese Praxis gut. Im Gegenteil. Dass ein Laie einen Bischof ernennt, hinterfragen ab Mitte des Jahrhunderts immer mehr Geistliche. Die Forderung, dass die Kirche unabhängig von weltlichen Autoritäten sei und Geistliche mehr nach den Bestimmungen der römischen Kurie leben sollten, wird mit der Zeit immer lauter. Vorne mit dabei der geistliche Hildebrand von Suana. Er will unbedingt die Reform der Kirche voranbringen. Dafür sucht Hildebrand die Unterstützung des Königshauses. König Heinrich IV. ist zu der Zeit allerdings noch ein Kind. Sein Vater starb, als er sechs war. Das Sagen, bis er volljährig ist, hat seine Mutter Agnes. Man hat seit eurem letzten Besuch schon einiges von euch gehört, Hildebrand. Er wollte die vielen Missstände in der Kirche bekämpfen. Das ist wahr. Die Klöster sind in der Kirche. Die Priester leben in Saus und Braus. Wir müssen der Weiberwirtschaft bei den Priestern ein Ende machen. Und die Bischöfe, die Bischöfe, die Bischöfe müssen wieder, sie müssen unbedingt wieder... Mehr dem Papst als dem König und Kaiser folgen, wollte er sagen. Das sind Hildebrandts Ziele. Naja, von denen wird Heinrich noch mehr hören, wenn er etwas älter ist. Denn aus dem geistlichen Hildebrandt wird im Jahr 1073 Papst Gregor VII. Der siebte. Ein Papst, der zugleich als einer der bedeutendsten, allerdings auch schon zu Lebzeiten, als einer der umstrittensten Päpste in die Kirchengeschichte eingehen soll. Wegen seiner Härte und Strenge nennt ihn ein befreundeter Kardinal sogar einmal heiliger Satan. Ob das wohl schmeichelhaft gemeint sein sollte? Ich weiß es nicht. Naja, Gregor VII. ist es auf jeden Fall auch, der für angehende Priester den Zölibat, also die Ehelosigkeit, durchsetzt. Eine Regel, das wisst ihr, die bis heute nicht mehr vorhanden ist. wie es heute gilt. So sollen sich die Geistlichen nicht auf Frau und Familie, sondern ausschließlich auf Gott konzentrieren. Netter Nebeneffekt zu Zeiten Gregors VII. Das Verbot der Priesterehe macht eine Kirchenkarriere für Adelige unattraktiver. auf dynastische Macht als auf den Dienst für Gott scharf sind. Und Gregor VII. macht sich auch stark für das Ende der Simonie. Damals eine ziemlich weit verbreitete und auch einträgliche Sache. Wenn Kirchenleute mit Sakramenten Reliquien oder sogar kirchlichen Ämtern gegen Geld handelten. Gregor VII. verbiete diese Praxis auf einer Synode. Er findet, wie viele Reformer, dass derjenige mit dem reinsten Charakter und der besten Bildung Abt eines Klosters werden sollte und nicht der, der den dicksten Geldbeutel zückt. So richtig durchgesetzt hat sich das Verbot der Simonie aber lange nicht. Dass Gregor sich mit solchen strengen Regeln nicht nur Freunde bei den Geistlichen gemacht hat, gibt es nicht. Gerade bei den mächtigen Bischöfen, das kann man sich ja denken. Aber was Papst Gregor VII. am meisten stört, ist die Investitur. Dass weltliche Herrscher über kirchliche Ämter bestimmen dürfen, das passt ihm gar nicht. Und vor allem, dass selbst Päpste im 11. Jahrhundert mehrfach auf Initiative von Kaisern ins Amt kommen, das stinkt ihm. Und das ist der Ausgangspunkt, der zum sogenannten Investiturstreit führen wird. Schauen wir mal, wie es Heinrich in der Zwischenzeit. Der ist inzwischen erwachsen, zum König ernannt, und er ist verschrien als ziemlicher Hallodri und Frauenheld. Die Fürsten des Landes sind überhaupt nicht begeistert von seiner Reichsführung. Kein Wunder, denn während seiner Unmündigkeit hatten die Fürsten ihre Macht stark ausgebaut. Um sie wieder zurückzudrängen, setzt Heinrich zunehmend auf neue Berater und Verwaltungsträger, die in seinen Diensten die Chance für einen sozialen Aufstieg sahen und schwächt damit die Macht der Fürsten. Und dann nimmt Heinrich auch noch sein Recht auf die Investitur in Anspruch und bringt damit die Kirche gegen sich auf, sprich seinen alten Bekannten, Papst Gregor VII. Der fordert nicht nur die alleinige Macht über die Ernennung der Bischöfe, sondern er erhebt einen Führungsanspruch über die Kirche und die ganze christliche Welt. Dass er allein Bischöfe absetzen und wieder einsetzen kann. Dass es dem Papst erlaubt ist, den Kaiser abzusetzen. Ja klar, dass Heinrich das nicht auf sich sitzen lassen kann. Auch andere Herrscher Europas rufen die Worte des Papstes auf den Plan. Denn niemand will auch nur ein Stückchen seiner Macht abgeben. Aber mit Heinrich soll dieser Streit am stärksten. Eskalieren. Er hat euch sogar Deutscher König genannt. Deutscher König? Ich bin der König der Römer, der künftige Kaiser, Nachfolger Karls des Großen. Ein bitterböser Briefwechsel folgt. Heinrich kontert die Beleidigung. Du nennst mich nur Deutscher König? Dann bist du nicht mehr als der falsche Mönch Hildebrand für mich. Heinrich tut sich mit mehreren Bischöfen zusammen, die er vorher selbst eingesetzt hatte und befiehlt Gregor dem Siebten vom Papstamt zurückzutreten. Und dann Dann knallts. Gregor VII. fährt die ganz großen Geschütze auf. Von allen Geistlichen des Landes lässt er verlesen, dass nach seinem Willen Heinrich die Herrschaft über das Heilige Römische Reich abgesprochen wird. Dass alle Christen von ihrem Eid gegenüber ihrem König Heinrich gelöst werden, dass sie ihm nicht mehr folgen sollen. Und er lässt den König zusammen mit seinen Bischöfen exkommunizieren. Ein Kirchenmann. Das heißt Ausschluss aus der Gemeinschaft der Kirche und damit kein Empfang der Sakramente mehr. Das heißt eine Gefahr für das Seelenheil. So etwas Undenkbares hat es noch nie gegeben. Die Fürsten, ohne die Heinrich nicht regieren kann, beschließen ein Ultimatum. Heinrich muss die Absetzung Gregors widerrufen und sich innerhalb eines knappen halben Jahres von dem Bann lösen. Sonst werden sie ihm die Gefolgschaft verweigern und er verliert alles. Heinrich bleibt nichts anderes übrig. Er muss sich dem Papst unterwerfen, wenn er seine Macht behalten will. Der Papst hat sich unterdessen in die oberitalienische Burg Canossa zurückgezogen. Also zieht Heinrich im Winter 1076-77 mit Familie und einem kleinen Gefolge hinterher. Über die verschneiten Alpen nach Canossa. Eine echte Tortur. Angeblich drei Tage im Büßergewand. Barfuß im Schnee soll er vor der Burg ausgeharrt und Papst Gregor um seine Absolution gebeten haben. Dem bleibt gar nichts anderes übrig. Als Mann der Kirche muss er verfolgen. Vergebung demonstrieren und Heinrich vom Bann lösen und ihn wieder als König anerkennen. Deshalb spricht man heute noch vom Gang nach Canossa, wenn man um Vergebung für etwas bitten oder Reue zeigen muss. Klar. Heinrich hat sich maximal erniedrigt auf seinem Gang nach Canossa, aber er hat damit zugleich sehr clever gehandelt. Seine symbolische Unterwerfung hat ihm die Macht gesichert. Und trotzdem, vorher war immer ganz klar gewesen, Der König steht über der Kirche. Dass sich der König nun dem Papst unterworfen hat, sorgte plötzlich für eine Umkehrung der Machtverhältnisse. Alles schien auf dem Kopf zu stehen. Der Papst als Nachfolger des Apostels Petrus hatte den römischen König und späteren Kaiser, den höchsten Herrscher in der abendländischen Christenheit, in die Knie gezwungen. Dass das die Menschen total verunsicherte, das könnt ihr euch wahrscheinlich denken. Der Chronist Bonizio von Sutri beschrieb diese Geschichte. und sah diese Entwicklung damals dann auch als eine Erschütterung der Welt. Es gibt übrigens sogar einen Wissenschaftler, der der Meinung ist, der ganze Bußgang von Canossa hätte gar nicht wirklich so dramatisch stattgefunden, sondern Heinrich und Gregor hätten auf Canossa eigentlich eher gemütlich zusammengesessen und einen Friedensvertrag ausgehandelt. Es wurde ziemlich diskutiert, gilt aber als eher unwahrscheinlich. Die Bedeutung von Canossa und dem sogenannten Investiturstreit ist aber nicht unvergesslich. liegt hauptsächlich darin, dass es durch die Zeiten hinweg immer wieder als Chiffre, sogar als historisches Argument für die Trennung von Kirche und Staat instrumentalisiert wurde. Bekanntestes Beispiel ist die Reichstagsrede Bismarcks von 1872. Heute wird in der Wissenschaft der Investiturstreit nicht mehr als eine klare Trennung von Kirche und Staat gesehen, sondern Historiker und andere Wissenschaftler verstehen darunter eine Zeit, in der die geistliche und weltliche Autorität ihre Machtbefugnisse und ihre Vorstellung von der Ordnung beider Mächte genauer austarierten und definierten. Die Kirche nahm auch nach dem 11. Jahrhundert noch Einfluss auf das politische Geschehen und das Königtum wurde nicht entsakralisiert. Der Umgang und Versuch, wie wir heute die Ereignisse von Canossa rekonstruieren und erzählen, hat auch Auswirkung auf unser heutiges Handeln. An Gregor VII. kann man ganz gut sehen, wie die Macht der Kirche gewachsen ist. Sogar ein König wurde durch die Macht der Kirche gewachsen. Kirche in die Knie gezwungen. Was meint ihr? Hat die Kirche heute ihre Macht verloren oder nimmt sie da doch noch Einfluss auf unsere Gesellschaft? Und wie sieht dieser Einfluss aus? Schreibt es gerne unten in die Kommentare. Bin sehr gespannt, was ihr dazu denkt. Und hier neben mir findet ihr noch die Videos zu den vergangenen Jahrhunderten und direkt darüber eine Playlist zu allen Jahrhundert Videos. Danke euch fürs Zuschauen und bis zum nächsten Jahrhundert.