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Normalität und ihre vielfältigen Perspektiven

Fitness, Ernährung, Schönheits-OPs, alles dreht sich derzeit um den Körper. Wir sprechen aber nicht über den optimierten Körper, sondern über den, der aus der Norm fällt. Ja, wir sprechen mit Menschen, die anders aussehen und deswegen auffallen und fragen, normal, was ist das eigentlich? Warum wollen wir alle gerne normal sein und trotzdem irgendwie speziell? Unser ambivalentes Verhältnis zur Normalität.

Jetzt, in der Sternstunde der Nacht. Normal. Schon das Wort verursacht Gänsehaut.

Und was hat dieser Begriff nicht schon alles erdulden müssen? Die normale Ehe, die normale Familie, die normale Gesellschaft. Normal ist alles, was nicht aneckt, stört oder außerhalb des Mainstreams steht.

Nur, wer definiert das und was passiert mit Abnormalem, das mehrheitsfähig wird? Gemäß statistischer Definition bedeutet Normal das durchschnittliche Verhalten der Mehrheit. In der Soziologie umschreibt der Begriff das Selbstverständliche in einer Gesellschaft, das nicht mehr erklärt werden muss.

Es wird klar, das einzige Normale am Begriff Normal ist, dass er stets für etwas anderes steht. Wenn Wenn also ein gesellschaftliches Phänomen eine gewisse Größe erreicht hat, gilt es somit als normal. Heute ist normal, dass 16,7 Prozent der Schweizer Kinder adipös sind. Ebenso normal, ein Viertel der 25-34-Jährigen ist tätowiert. Somit auch normal?

Einer von 16, also 6,25% der Menschen in der Schweiz, sind körperlich stark behindert. Oder macht die Gesellschaft sie behindert? Ja, und ich begrüsse ganz...

herzlich unseren ersten Gast, nämlich Raoul Krauthausen. Er ist Blogger, er ist Moderator, er ist Buchautor und Vorstandsvorsitzender der Sozialheldin, einer Organisation, die sich auf Inklusion spezialisiert hat. Ganz herzlich willkommen hier, Herr Krauthausen.

Dankeschön. Ja, Herr Krauthausen, Sie sagen, dass behinderte Menschen sehr oft in Talkshows eingeladen werden, als eine Art Alibi-Übung, nämlich um den nichtbehinderten Menschen ein gutes Gefühl zu geben. Was muss heute Abend hier passieren, damit das hier keine Alibi-Übung gibt?

Übung wird? Über andere Dinge zu reden als über die Tatsache, dass ich im Rollstuhl sitze, vielleicht auch versuchen herauszufinden, was mein Charakter ausmacht, meine Interessen, meine Träume. meine Ziele, meine Leidenschaften, sodass dann die Zuschauerinnen und Zuschauer auch die Erlaubnis haben, zu sagen, Herr Krauthausen, das ist ein Charakterschwein, den würde ich ungern zum Kaffee treffen oder das Gegenteil. Werden Sie gerne hier und da das Charakterschwein? Nein, aber ich habe manchmal schon die Beobachtung, dass es so große Berührungsängste gegenüber Menschen mit Behinderung, also zum Beispiel mit mir, gibt, dass sie dann eben sich mit ihrer Kritik oder vielleicht auch mit der...

ja, wie soll ich mal sagen, mit der anderen Meinung eher zurückhalten, weil sie denken, ach, das arme Hascher sitzt im Rollstuhl, da traue ich mich dann eher nicht, was zu sagen. Mich interessiert ja wirklich auch sehr Ihre Expertise eben bei diesen Sozialhelden, dieses Inklusionsthema. Als erste Frage habe ich mir ausgedacht, ich wüsste eigentlich gerne mal von Ihnen, wie Sie den Begriff normal definieren.

Was heisst das für Sie? Also ich fand es in dem Einspieler ganz interessant, dass da gesagt wurde, dass der Begriff, das eine, Das Einzige Beständige im Wort Normal ist die ständige Veränderung. Und wenn wir Kinder beobachten, oder ich beobachte ja auch täglich Kinder, weil sie mich beobachten, und dann natürlich neugierig sind und dann zu ihren Eltern irgendwie sich trauen zu fragen, guck mal Papa, warum sieht der denn so aus?

Oder guck mal Mama, was hat denn der? Und wenn ich dann mit den Kindern aber direkt ins Gespräch komme, manchmal weil sie dann selber ihre Neugier direkt an mich richten, oder weil die Situation gerade erläutert ist, dass wir miteinander reden. Ich bin nicht der Freak, der jedes Kind anspricht. Sondern einfach dann im Gespräch sich oft ergibt, dass Kinder natürlich neugierig sind, und das total okay ist, aber nach spätestens zwei, drei Minuten haben sie das als das neue Normal dann praktisch verinnerlicht. Und wenn sie dann mich wiedersehen, dann erzählen sie mir, wo sie gerade herkommen oder wo sie hingehen.

und was gerade ihr Lieblingseis ist, und sind eben nicht mehr unsicher und neugierig, warum denn der Mann so klein ist. Ich empfinde das selber immer wieder als einen ganz schwierigen Grad, dieses einerseits neugierig sein wollen, Sie haben gerade gesagt, Sie werden angeguckt, angestarrt, und vielleicht sich eine gesunde Neugier auch fürs Andere, für die Differenz zu bewahren, und gleichzeitig platt, voyeuristisch zu sein. Ja.

Wie können wir das lernen, und wo verläuft denn diese Grenze? Was ich ganz gerne... Und was ich dann so als Tipp gebe, weil wir ja auch Journalistinnen und Journalisten mit unserem Projekt Leitmedien ja auch fortbilden, wie eben man über Menschen mit Behinderung zum Beispiel berichtet, ist, dass wir sagen, versuchen Sie die Behinderung zu begreifen wie eine Haarfarbe. Also macht jemand trotz seiner blonden Haare etwas oder mit den blonden Haaren? Und wenn wir die Behinderung gleichsetzen würden wie eine Haarfarbe, dann wäre das vielleicht gar nicht mehr so relevant.

Also wenn wir uns jetzt zum Beispiel kennenlernen würden zum ersten Mal. und sie sind vielleicht normaltypisch, dann würde mich natürlich nicht interessieren, wie sie sich in ihrem Geschlecht fühlen oder ob sie homo-oder heterosexuell sind, sondern ich würde dann vielleicht als Einstiegsfrage fragen, wo kommen sie gerade her? Oder wie sind sie zum Beruf der Moderatorin gekommen?

Und ich würde mir wünschen, dass die Leute nicht, wenn sie mir begegnen, als allererstes die Frage im Kopf haben, oh Gott, warum ist denn der Mann so klein? Warum sitzt er im Rollstuhl? Hat er Schmerzen?

Tut das weh? Leidet er? Sondern eben auch die Frage, wie sind die Menschen, die sich in der Gesellschaft befinden, Wo kommt der her?

Wie lebt der eigentlich in Berlin? Was hat er eigentlich studiert oder hat er studiert? Solche Fragen, die dann hergestellt werden. Ist das auch der Grund, warum Sie in Ihren eigenen Talksendungen, die heisst Face to Face mit Krauthausen, jeweils vorgestellt werden als der Mann mit der Mütze und eben nicht zum Beispiel der Moderator im Rollstuhl? Ja, weil ich mir irgendwann mal gesagt habe, ich möchte, also ich höre dann mit dem Beruf des Erklärbärs, sage ich mal, auf.

Wenn die Leute sagen, der Mann mit der Mütze und nicht der Mann im Rollstuhl. Dann habe ich für mich eine persönliche Messlatte. Wenn ich dann nur noch mit dem Mann mit der Mütze angesprochen werde oder eingeführt werde, dann habe ich meinen Job erledigt und dann kann ich aufhören und in Rente gehen. Jetzt haben Sie vorhin gerade Ihr eigenes Projekt oder eines Ihrer ganz vielen Projekte erwähnt. Sie machen ja so viele Projekte und machen die so hervorragend, dass Sie dieses Jahr auch den Grimme Online Award erhalten haben.

Und eben für Ihre Blogs, für... Ganz verschiedene Dinge. Und dieses Projekt Leid Medien mit schwachem D schult eben Journalistinnen und Journalisten darin, in einer inklusiven Art und Weise über behinderte Menschen zum Beispiel zu berichten.

Also dazu gehört, dass man eben nicht sagt, du bist ein Opfer von irgendetwas und eben auch nicht zum Beispiel, sie leiden an Glasknochenkrankheit, sondern wenn schon, sie haben Glasknochen. Und selbst das wäre wahrscheinlich etwas, was man gar nicht erwähnen müsste. Nein. wenn man sich weiter mit mir beschäftigt oder mit der Arbeit, die wir, nicht nur ich alleine, sondern ein ganzes Team machen, sind die Themen Inklusion, Barrierefreiheit, Teilhabe, Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung. Und dann ist es sogar irrelevant, was meine Diagnose ist.

Also Fakt ist, ich sitze im Rollstuhl, das sieht jeder. Das kann man im Kamerabild wahrscheinlich besonders gut erkennen. Und dann ist es relativ egal, was meine Diagnose ausmacht, weil hoffentlich bin ich Expertin eigener.

Und ob ich jetzt Glasknochen, Querschnitt, Lähmung oder Muskelschwund habe, spielt in dem Moment keine Rolle, weil die Themen sind die gleichen. Und es befriedigt eher einen Bojurismus. Einen Bojurismus entweder des Journalisten oder der Zuschauerin oder des Zuschauers, wo man, ich fest davon überzeugt bin, auch in der journalistischen Arbeit, in der ich ja auch teilweise tätig bin, dass man den Zuschauerinnen und Zuschauern...

auch nicht alles erklären muss. Also man kann das Publikum auch Fragen zurücklassen. Und wenn es Sie dann wirklich brennend interessiert, ob Herr Krauthausen Glas machen hat oder irgendwas ganz anderes, dann können Sie das auch in der Suchmaschine Ihres Vertrauens herausfinden. Aber ich denke nicht, dass wir dem Publikum es zu einfach machen sollten, immer Dinge zu erklären.

Ich bekomme dann sehr oft von Journalistinnen die Antwort, naja, aber wir müssen es den Zuschauern ja erklären. Dieses klassische, wir müssen sie mitnehmen, abholen. und dann wieder freilassen, was ja im Journalismus gerne gesagt wird.

Wo ich denke, manchmal verkaufen wir auch das Publikum zu dumm. Also das Publikum ist schlauer als wir glauben. Ich würde Ihnen da ganz gerne eine Geschichte erzählen, die mir gerade in den Sinn kommt. Ich bin eines Tages aus einer S-Bahn-Station ausgestiegen und mir begegnet... Es gibt eine Familie, vierköpfige Familie, zwei Kinder, zwei Eltern.

Und dann fragte der Junge, Papa, warum ist denn der Mann so klein? Und der Vater antwortete, und das ist wirklich spannend, was der Vater geantwortet hat, er antwortete, der Mann ist aus dem gleichen Grund so klein, warum du ein Junge und kein Mädchen bist. Und das war bisher in meinem ganzen 38-jährigen Leben die beste Antwort, die ich je von einem Erwachsenen gehört habe, die politisch korrekt, kindgerecht erklärt und auch noch biologisch korrekt ist.

Weil es mit den Genen zu tun hat. Man hat den komplexen Sachverhalt, der wirklich komplex ist, so reduziert, dass das Kind danach keine Frage mehr hat. Und das wünsche ich mir mehr als Selbstverständlichkeit.

Sie haben Ihrem Buch, das Sie geschrieben haben, einen Titel gegeben, der natürlich für sich spricht und vor allem für Ihren Charme und Ihren Witz spricht. Das heisst nämlich, Dachdecker wollte ich eh nicht werden. Und dieses Buch liest sich ja auch tatsächlich sehr witzig. Gewisse Stellen sind aber auch extrem bedrückend.

Sie beschreiben zum Beispiel, wie Sie nach Hause gehen nach einer Party und auf dem Nachhauseweg von zwei Personen quasi blöd angemacht werden. Die greifen Ihnen einfach in den Schritt. Also...

Das sind so Stellen, wo man das Buch fast weglegen muss. Aber worauf ich hinaus will, ist dieser sehr positive Blick auf die Welt, den Sie haben. Gibt es da nicht auch so etwas wie ein Glücksimperativ in unserer Gesellschaft, der manchmal schwierig ist? Dass wir denken, alle Menschen müssen immer alles, was ihnen widerfährt, auch noch positiv wenden. Obwohl manche Dinge ja auch, wenn wir es mal ganz platt sagen, einfach scheisse sind?

Nein. zu dem Buchtitel würde ich gerne noch eine Sache sagen. Das Buch heißt ja Dachdecker wollte ich eh nicht werden, Ein Leben aus der Rollstuhlperspektive.

Und ich habe sehr lange mit dem Verlag darüber gesprochen, ob wir dieses Ein Leben aus der Rollstuhlperspektive nicht weglassen können. Weil man sieht ja auf dem Cover, dass ich im Rollstuhl sitze. Und dann haben die gesagt, wir müssen das machen, weil dann kann man das nämlich in einem Online-Buchhandel besser suchen.

Weil Bilder kann man nicht suchen. Und Das war auch eine Debatte, die wir da geführt haben. Zu Ihrer Frage mit dem Thema Glück. Ich kenne sehr viele Menschen mit Behinderung, und da würde ich mich mit einschließen, die Humor als eine Überlebensstrategie für sich entdeckt haben, um die Unsicherheit der nichtbehinderten Mehrheitsgesellschaft mit Humor zu überspielen und zu überbrücken.

Für diesen Moment, wo diesen berühmten Awkward Moment, dieser rosa Elefant, im Raum, die niemand thematisiert. Und diese Stille oder Beklommenheit, die kennen wir ja alle. Und ich dann für mich die Strategie entwickelt habe, oft einen Witz zu machen, meistens auf meine Kosten, um dann die Situation zu entspannen und auch aufzulockern.

Und das hat mir dann irgendwann den Ruf gegeben, dass ich ein Clown bin, dass ich ein witziger Mensch bin und dass ich ja irgendwie so fröhlich sei. Aber es gibt natürlich auch Momente, wie bei jedem anderen auch, wo ich mal traurig bin oder auch mal nachts. nachdenkliche Gedanken habe. Wir werden noch viel von Ihnen lernen heute, da bin ich mir ganz sicher. Ganz herzlichen Dank für diese erste Einschätzung.

Sie haben sozusagen von Kindsbeinen an gelernt, mit schwierigen Momenten umzugehen, auch mit der Ungerechtigkeit dieser Welt manchmal umzugehen. Aber auch mit Schönem. Selbstverständlich, aber jetzt trifft Yves an der Bar eine Person, für die sich über Nacht das Leben komplett verändert hat. Ja, genau.

Bei mir sitzt Marcel Matti, Sie haben 2005 bei einem Brand in Ihrer Wohnung heftige Verbrennungen am ganzen Körper erlitten. Dabei war auch Ihr Gesicht verloren, könnte man sagen. Das ist 13 Jahre her. Können Sie sich noch erinnern, was in dieser Nacht passiert ist? Da hat jeder Mensch oder jede Verletzung, die so intensiv ist, da gibt es wie einen Ausknopfschalter.

Da werden die Systeme runtergefahren. Untergefahren, wiss ich nicht. zu diesen Systemen, die wirklich noch benötigt werden, die Ressourcen benötigen, um aktiv zu bleiben. Aus diesem Grund kann ich nicht sagen, was zu jenem Zeitpunkt alles vorgefallen ist.

Sie haben vieles vergessen, lagen danach auch längere Zeit im Koma. Mich interessiert, als Sie aufgewacht sind und zum ersten Mal in Berührung gekommen sind mit Ihrem Körper, mit der Verbrennung, was ist da in Ihnen passiert? Was passiert? Was passiert?

Das ist ja nicht die Möglichkeit... Man hat in dieser Situation nicht die Möglichkeit zu sagen, ja, jetzt ist etwas nicht Schönes passiert, es ist etwas in die Hosen gegangen, es ist etwas sehr Schlimmes passiert. Da gibt es nicht gross die Möglichkeit zu entscheiden, will ich jetzt diese Situation annehmen oder nicht.

Man hat allenfalls drei Möglichkeiten. Entweder ich nehme sie an, wie ich jetzt. Das ist die eine Variante. Die Variante zwei ist, ich nehme sie an, aber kann auf der anderen Seite mit dieser Situation Trotzdem nicht leben. Ich fühle mich zu Hause die ganze Zeit eingeschwärmt.

Ich traue mich nicht mehr unter die Welt, nicht mehr nach draussen. Trotzdem lebt er noch. Aber er hat nicht mehr das gleiche Bewusstsein oder die gleiche Freiheit, die er vorher genossen hat, weil er sich nicht traut, nach draussen zu gehen. Die letzte Variante wäre dann eventuell die schlimmste, wenn man überhaupt nicht mehr mit dieser Situation zugegangen kommt.

Das ist die erste Variante. Wenn man überhaupt nicht mehr die Kraft hat, dann hat man auch nicht die Kraft für die Wundheilung, für die generelle Heilung. Dann wären auch die Ärzte machtlos gegenüber dieser Situation.

Bei Ihnen ist das anders. Sie gehen in die Öffentlichkeit. Mich interessiert, Sie hatten ja mehrere Operationen.

Wie lange hat das gedauert, bis sich Ihr Gesicht als Ihr eigenes wieder angefühlt hat? Oder fühlt es sich heute noch? fremd an, auf eine Art und Weise?

Auch ich weiss, dass mein Gesicht nicht mehr dementspricht, wie es früher ausgesehen hat. Das ist eine Situation, die ich nicht von mir wegschminken kann. Da kann die Dame in der flotten Schminke noch so tollen Job machen.

Ich werde nie mehr so ein Gesicht bekommen, wie ich es mal gehabt habe. Aber das muss einem auch für Lust sein. Und wenn man sich der Meinung ist, Ich habe so und so viele Operationen hinter mir und so und so viele Operationen über mich ergehen lassen. Ich kann nie zum Operateur gehen oder zu einem Ärzten und kann denen meinen Wunschzettel präsentieren. Da müssen die auch mir sagen, Herr Mattis, bis hier und hierhin haben wir medizinische Möglichkeiten und hier sind uns medizinisch die Hände gefunden.

Weil die Anatomie von einem Gesicht, vom Oberkörper, nicht mehr die gleiche Voraussetzung hat, wie das ein gesunder Körper hat, weil das Muskel und das ganze Gewebe nicht mehr vorhanden ist. Und da muss man sich auch eingestehen können, man kann es, und wenn man das einfach nicht kann, dann hat man eben die Variante, die ich vorher schon genannt habe. In unserem Vorgespräch hat mich am meisten überrascht, dass Sie gesagt haben, dieser Unfall... Der hat Ihr Leben bereichert.

Ja, das ist so. Wie meinen Sie das? Weil es, ich sage mal, auch ich, ich kann von mir nicht verhelfen, dass ich vor der Verletzung mich nicht an irgendwelchen anderen Leuten vielleicht einmal lustig gemacht habe oder eventuell mal einen Witz über eine Verletzung gerissen habe. Ich finde es nicht so überheblich, von mir zu verhelfen, ich wäre nicht so gewesen.

Also für mich war das... Ich sehe das als Verreicherung an, dass ich heute die Möglichkeit habe, mich mit dieser Materie von einem Verletzten auseinandersetzen zu dürfen und auch die Variante als gesunder Mensch wahrnehmen zu dürfen. Und auch abschätzen zu können, wie ich früher gegenüber anderen Leuten geurteilt habe, wo ich überhaupt keine Kenntnis dazu habe. Nur weil ich auf der Meinung war, eben das...

Das fehlt, das fasst nicht. Oder es gibt mir die Erlaubnis, mir über diese Situation ein Urteil zu bilden, wo ich gar keine Möglichkeit dazu habe. Einfach aufgrund des Äusseren auch. Wenn ich Sie richtig verstehe, ist mit dieser äusseren Veränderung auch eine innere Verwandlung, Veränderung einhergegangen.

Sie sehen jetzt die Welt, die Menschen anders und haben auch andere Grundwerte, könnte man sagen. Ja, weil durch diese Verletzung habe ich auch Ich habe festgestellt, dass nicht nur das Äussere, eben das optische Bild, relevant ist, sondern dass auch vieles, was wir nicht alles nur mit Händen greifen können oder was wir auch schön oder hübsch definieren, wichtig ist. Aber diese Bereicherung, wie Sie sagen, geht nicht so weit, dass Sie es sogar sagen würden, angenommen, es gebe medizinische Wunder, ich möchte das alte Gesicht nicht mehr zurück.

Ich sage immer, ich habe ein stolzes Alter erreicht von knapp 50 oder etwas 50. Da muss man sich immer bewusst sein, was ist. Medizinisch kann sich die Medizin weiterentwickeln, aber da muss man sich immer auch so ehrlich sein. Die Haut braucht auch ihre Zeit, um diese Genesung zu bekommen.

Und mein Alter mit der Medizin auch noch Schritt hält. Das ist die andere Seite. Wenn Sie in der Öffentlichkeit unterwegs sind, im Zug oder auf den Strassen, dann starren die Leute, die Leute gehen auf Distanz. Verletzt Sie das heute noch, 13 Jahre nach dem Unfall? Ich habe das zu Beginn nie verletzt.

Meine Ex-Frau war da etwas anders. Sie hat das immer etwas mehr zur Kenntnis genommen. Sie hat das eher etwas gestört.

Sie nahm das eher zur Kenntnis. Ich sage immer, der, der... Das sage ich nicht nur früher, sondern auch heute.

Der, der mit mir ein Problem hat, hatte mit mir früher genauso, obwohl ich nicht verletzt war. Wie gehen Sie mit Mitleid um? Das ist überhaupt nichts, was ich benötige. Noch eine letzte Frage, die mich interessiert.

Es gibt ja Verletzungen, die sieht man auf Anhieb, so etwas wie Ihre Verbrennung. Dann gibt es innere Verletzungen, seelische, vielleicht einen Missbrauch in der Kindheit. Was ist für Sie schlimmer, dass man etwas permanent sieht und alle anderen ein Problem kennen, das einen sehr nah betrifft? Ich sage sicher, es gibt viele Leute, die Depressionen haben, andere mentale Verletzungen, die man nicht mit den Händen greifen kann. Da habe ich zum Teil manchmal schon ein Problem, weil es da sehr viele Leute gibt, sehr viele Institutionen, die da anbieten.

Auf der anderen Seite gibt es viele Verletzte, wie z.B. Leute im Rollstuhl oder der Kollege hier, der auch im Rollstuhl sitzt, der auf der anderen Seite... nie diese Präsenz bekommen, wie wenn ich mich irgendwo hinein zusetze, wo zwar die Leute schauen, vielleicht auch zur Seite schauen, aber es gibt auch viele Leute, die mich anquatschen oder anfragen, was ist mit ihnen passiert, die den Mut verwinden. Was es gesellschaftlich bräuchte, damit Inklusion gelingt, darüber werden wir am Schluss nochmal sprechen und ich werde dann nochmal zu Ihnen kommen. Jetzt für den ersten Moment vielen herzlichen Dank für dieses Gespräch.

Ja und zu uns gestoßen sind jetzt Svenja Goltermann, sie ist Professorin für Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich und hat ein viel beachtetes Buch geschrieben über den Begriff des Opfers, über die Wahrnehmung von Krieg und Gewalt in der Moderne. Ein Buch über das sehr viel diskutiert worden ist und bei uns ist auch Bertram Eisenhauer. Er ist verantwortlicher Redaktor für das Dossier Leben bei der Sonntagsausgabe der FAZ und auch er hat ein grossartiges Buch geschrieben, «Weil ich ein Dicker bin. Szenen eines Lebensgefühls», in dem er erzählt vom Dicksein, vom Abnehmen und von ganz vielen unterschiedlichen Eindrücken, die auf diesem Weg einem begegnen. Ganz herzlich willkommen Ihnen beiden, Frau Goldermann.

Der Opferbegriff, der interessiert mich. Wir sprechen von Verbrennungsopfern, von Unfallopfern, von Kriegsopfern. Gleichzeitig beschimpfen sich Kinder heute auf dem Pausenhof mit dem Wort, du Opfer.

Was ist mit diesem Opferbegriff passiert? Warum ist er heute so negativ konnotiert? Warum er heute so negativ konnotiert ist, ist ehrlich gesagt im Augenblick noch sehr schwer zu sagen.

Was ich interessant finde, ich gucke mir als Historikerin längere Zeiträume an und bei der Geschichte, die ich über die Wahrnehmung von Menschen... denen irgendein Unglück zugestoßen ist oder die extreme Belastung erlebt haben. Was mir da aufgefallen ist, ist, dass der Begriff, ein Opfer von etwas geworden zu sein, im 20. Jahrhundert...

die meiste Zeit negativ konnotiert ist. Es ist eine relativ kurze Zeit historisch gesehen, in der Menschen sich ohne weitere Probleme ein Opfer nennen können. Und das fängt in den späten 70er-Jahren an und geht bis zur Jahrtausendwende.

Aber wer ein Opfer ist, kann ja zum Beispiel auch Ansprüche geltend machen. So denken wir ja auch von diesem Opferbegriff. Und das könnte ja erst einmal interessant sein.

Naja, es ist schwierig, weil wir sind heute schon in einer Situation oder seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert, dass sich eine zunehmende Anzahl von Menschen tatsächlich als Opfer bezeichnen kann oder sagen kann, ich bin ein Opfer von etwas geworden. Und diese Ausweitung hängt damit zusammen, dass sich unsere Vorstellungen davon... was eigentlich Gewalt ist, im 20. Jahrhundert auch verändert haben. Also es geht nicht mehr nur um körperliche Gewalt, es geht nicht mehr nur um Menschen, wo die körperliche Integrität verletzt worden ist, sondern wir haben heute auch einen Begriff davon, dass es zum Beispiel psychische Gewalt gibt, dass Menschen auch psychisch an etwas leiden können.

Das gibt es auf diese Art und Weise in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht. Und diese Menschen sind nicht... einheitlich. Also sie können nicht alle geltend machen, Entschädigungsanforderungen stellen oder Ansprüche geltend machen. Jetzt hat ja vorhin Herr Mattis ganz deutlich gesagt, Mitleid, das braucht er nicht.

Und Opfer zu sein... ist ja irgendwie auch eng mit dem Begriff des Mitleids oder des Mitleidens verwoben. Wie denken Sie darüber, Herr Krauthausen?

Mitleid, ist das auch etwas, was Sie von sich weisen und sagen, darauf kann ich nun wirklich verzichten? Ja, ich glaube, dass Mitleid vor allem etwas mit der Person macht, die beobachtet. Also die sieht, dass jemand vielleicht ein Opfer ist oder anders ist als man selbst. hat dann eben Mitleid.

Und dieses Mitleid ist letztendlich ein Gefühl, das die Person aushalten muss. Und die Person, die beobachtet wird, kann gar nichts dafür. Beziehungsweise würde die Person ja vielleicht auch gar nicht in die Situation bringen wollen.

Wir verwechseln, glaube ich, manchmal den Unterschied zwischen Empathie und Mitleid. Der da wäre, ja. Also Mitleid ist etwas, wovon beide, glaube ich, sich nichts kaufen können. Wo wir auch nicht weiterkommen als, sagen wir mal, in der Situation oder auch als Gesellschaft. Was ich mir viel mehr wünsche, ist sowas wie Empathie.

Also zu sehen, dass es Menschen gibt, die anders sind und vielleicht andere Herausforderungen haben. als man selbst und dann sich irgendwie Strategien, entweder gemeinsam zu überlegen, wie ich jetzt letztendlich oder wie wir gemeinsam aus dieser Misslage offensichtlich das Beste daraus machen. Also weniger so dieses vom hohen Ross heraus Mitleid empfinden, sondern stärker miteinander fühlen und füreinander denken und einstehen. Und vielleicht sogar auch Gemeinsamkeiten entdecken. Also gemeinsame Situationen, wo man sich ähnlich oder ähnlich mal gefühlt hat.

als die Person, die man beobachtet, sagen wir mal, gerade in einer Herausforderung steckt. Und diese gemeinsame Ebene zu finden, ist die große Herausforderung unserer Zeit. Und dann letztendlich auch sich zu überlegen, vielleicht sind wir doch ähnlicher, als wir dachten. Herr Eisenhauer, Sie entsprechen ja auch nicht der Norm.

Und würden Sie sagen, dieses Nicht-der-Norm-Entsprechen ist für Sie an sich problematisch oder ist die... Ist Ihr Übergewicht für Sie nur dann problematisch, wenn es darum geht, dass es Ihren Alltag beeinträchtigt oder Ihre Gesundheit beeinträchtigt? Nein, das beeinträchtigt meine Gesundheit natürlich.

Und je älter ich werde, umso stärker empfinde ich das. Ich habe aber auch, also der Impuls für das Buch war, dass ich irgendwann angefangen habe, aufzuschreiben, immer wenn ich so Momente hatte, wo ich dachte, das hat was mit meinem Übergewicht zu tun, was ich gerade erlebe. Und habe ich dann mir Notizen gemacht, auf dem iV und immer so eine Sprachnotiz gemacht. Dann habe ich angefangen, wenn ich, ich wusste gar nicht genau wieso, und dann habe ich angefangen, so kleine Videoaufnahmen zu machen, wenn ich wieder mal eine Diät angefangen habe. Das war auch sehr frustrierend, weil ich ungefähr 25 Videoschnipsel zu Hause habe, wo ich immer den ersten Tag eine Diät anfange.

Und dann am zweiten oder dritten Tag habe ich es wieder abgebrochen. Und dann musste ich wieder sagen, heute ist übrigens der erste Tag der Diät. Und ich dachte irgendwie so an, irgendwann schreibe ich mal drüber und mache einen Videofilm oder sowas drüber. Und in dem Buch habe ich dann, und da habe ich eine Kolumne geschrieben für unsere Zeitung und zuerst auch anonym, weil ich hatte so den Eindruck, wie so über das Dicksein geredet wird.

In der Gesellschaft wird immer mit so einer gewissen Flockigkeit drüber gesprochen. Immer, ach, ich und meine Problemzonen. Und ich fand, es musste mal gesagt werden, dass aber darunter ein Schmerz ist. Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, wie der Herr Mattes oder auch Herr Krauthausen, wie die so mit diesem Leben umgehen.

Weil im Vergleich ist sozusagen das Päckchen oder den Knacks, den ich habe, ein Kinderspiel gerade so. Aber ich hatte so den Eindruck, dass die Art und Weise... wie ich mich so als dicker verstanden habe, seit ich das als Problem wahrgenommen habe, als Teenager, dass das auf meine Seele durchgeschlagen hat.

Dass die Art und Weise, wie ich mich als dicker so empfinde, die Art sozusagen einfärbt, wie ich mich zur Welt verhalte. Und ich sage immer, das Übergewicht verkürzt einem das Leben, indem man nicht so lange lebt, statistisch gesehen. Aber es beschneidet einem das. Ich meine auch damit, dass es einem das Leben beschneidet. Es stiehlt einem das.

einem Lebensvermögen. Das ist ja auch sehr, sehr deutlich, wird das eigentlich im Buch. Jetzt wollte ich Sie aber fragen, Sie haben gerade den Kopf geschüttelt, als er gesagt hat, im Vergleich zu Ihnen sei sein Dicksein sozusagen ein Kinderspiel, oder?

Ja, also ich kenne Leute, die topfit sind und Depressionen haben. Ich kenne Leute, die im Rollstuhl sitzen und die größten Scherzbolde und fröhlichsten Menschen sind, die ich je in meinem Leben getroffen habe. Und ich glaube, es steckt mehr, sagen wir mal, also es ist auch eine Frage von Resilienzen, die wir im Laufe unserer Kinder oder im Laufe unseres Lebens entwickelt haben.

Hatten wir ein bestärkendes Umfeld oder hatten wir ein Umfeld, das uns vielleicht stigmatisiert und ausgelacht hat? Wie viele Barrieren haben wir im Laufe unseres Lebens überwinden müssen? Oder wo hat uns auch die Umwelt dabei geholfen, Barrieren zu überwinden? Sodass das eine ganz individuelle Frage ist. Und glaube ich, gar nicht so sehr etwas mit der Behinderung.

Und wirklich, was mag das einfach nicht aufwiegen oder müssen? Etwas, was diese Geschichten ja jetzt verbindet, ist ein Punkt, den Sie in Ihrem Buch so schön benennen. Sie sagen nämlich, der Körper ist unsere Schnittstelle zur Welt. Und dass der Körper, da nicken Sie auch gleich, oder?

Dass der Körper sozusagen eben Schnittstelle zur Welt, auch das Eintrittstor der Reaktionen der anderen, oder? Also man würde gerne Menschen gegenüber treten als eine Persönlichkeit. Aber das Erste, was die Menschen einem sehen, ist eben nicht die Persönlichkeit. Sondern sie erleben einen zunächst mal als einen Körper, als ein Objekt. Und der Körper hat ja eine ganz komische Stellung so im Leben.

Also sozusagen jeder hat einen. Also es ist sozusagen ein äusseres Objekt in gewisser Weise, aber jeder ist auch ein Körper. Also es gibt die enge Verschränkung, darüber reden wir vielleicht noch, aber zwischen Körper und Selbst natürlich. Hat sich das verändert historisch gesehen, die Rolle des Körpers sozusagen für unsere Identität, für unser Selbst? Ich denke schon, wobei man natürlich sagen muss, also...

Dass sie immer eine Rolle gespielt hat, also auch im 19. Jahrhundert hat sie gespielt. Die ganze Mode ist darauf abgestellt, etwas mit dem Körper zu machen und nach außen zu zeigen, etwas zu zeigen, was man ist oder was man nicht sein will, zu verstecken. Was ich aber wichtig finde, ist, dass sie sich nicht nur in der Welt verliebt, Ich finde dabei, was der Körper ist und wie er aufgenommen wird und wie er wahrgenommen wird, ist nichts, was an sich natürlich und gegeben ist.

Sondern wir setzen die Normen. Wir setzen die Normen schon und das können Sie am einfachsten dann feststellen. wenn sie, sagen wir mal, nach Lateinamerika gehen. Das Dicksein hat dort einen ganz anderen Stellenwert.

Wenn eine dicke Frau in Lateinamerika ist, wird anders angesehen, gilt als schön. Während die ganz Dünnen dort nicht dieses Ideal der Schönheit empfüllen. Und das, finde ich, führt einem immer wieder vor Augen, dass da was gemacht wird, dass wir das setzen.

Genau, es gibt dieses Setzen der Normen und dann kann man ja aber auch seinen Körper noch verändern. Und das ist eine Frage, die ganz bestimmt vielen Zuschauern unter den Nägeln brennt, nämlich die Frage, warum Herr Eisenhauer, wenn Sie so leiden unter Ihrem Übergewicht und ja auch wirklich sehr, sehr schwer krank waren diesen Sommer, lange auf der Intensivstation lagen, warum ändern Sie es nicht? Ja, wissen Sie, wenn ich das so genau wüsste, also es gibt, also ich habe sehr lange Jahre, habe ich das dass ich das nicht in den Griff bekommen habe.

Das ist also der Vorwurf an den Dicken, du kriegst dein Leben nicht in den Griff. Obwohl viele Dicke sehr erfolgreich sind, aber dieses eine Phänomen, dieses eine Ding in ihrem Leben, das kriegen sie nicht in den Griff. Und ich habe das lange Jahre als ein persönliches Versagen betrachtet, dass ich das nicht hingekriegt habe. Ich habe auf der anderen Seite aber auch gemerkt, wenn ich versucht habe, es loszuwerden, also wenn ich dann viel Sport gemacht habe und Diät gemacht habe, dass ich da auch irgendwie gegen meinen eigenen Körper einen Kriegführer, einen ständigen, das war dann sozusagen der Körper, den ich völlig externalisiert habe.

Das war dann für mich der Feind, der musste niedergehoben werden. Das ist auch nicht gesund, glaube ich, letztlich, gedanklich. Ich habe aber, wie gesagt, immer auch gemerkt, er sträubt sich auch irgendwie dagegen.

Jetzt in letzter Zeit lese ich immer häufiger, es gibt da irgendwie Stoffwechselsachen. Viele Dicke übrigens sind gar nicht aus sozusagen eigenem Versagen oder so dick, sondern sie haben eine Erkrankung, sie nehmen bestimmte Medikamente. Da gibt es... Da gibt es vieles.

Und woher das bei mir genau kommt, ich wäre auch am liebsten so eine Filmfigur oder Drehbuchautor, wie sie dem Drehbuchautor so eine interessante Wunde mitgibt, so in der Kindheit, wo man irgendeine krassliche... Ich habe das bisher nicht finden können für mich. Aber es wäre einfacher, Sie hätten es, um sich sozusagen zu erklären? Ja, die Frage ist auch immer dann, wenn Sie es mal verstanden haben, können Sie es dann auch wirklich ändern. Das ist ja...

Also ich weiß es nicht. Also es hat mich schon eine Menge Kraft gekostet, es immer wieder zu versuchen. Und realistischerweise ist es auch so, dass viele andere Leute, ich habe das Buch geschrieben, nachdem ich so einen jahrelangen Abnehmkurs gemacht habe.

Und das war auch in einer Gruppe mit anderen Leuten. Und realistischerweise ist es so, dass die wenigsten von diesen Diäten selbst sehr, Sachen, die so richtig state of the art sind mit Ernährungsumstellung und alles, dass die am Ende bei der Zukunft, bei den wenigsten zu einem Erfolg führen. Deswegen ist es, wie gesagt, Verantwortung ist eine schwere Sache, festzuschreiben an dem Punkt.

Es ist an der Zeit, Pedro Lenz zuzuhören, einem Spoken-Word-Künstler und Schweizer Schriftsteller. Auch er hat sich seine Gedanken zum Thema Normalität gemacht. Ja, das glaubst du jetzt nicht.

Das ist im Fall ziemlich abnormal. Bei uns im Block, wie es auch wie, ist von Letzstein ein Eingang. Das ist abnormal und tut aber. wie wenn das ganz normal wäre. Man sieht nicht mehr eindeutig an, dass er nicht normal ist.

Jeder weiss es, jeder merkt es, jeder spürt es, jeder versteht es. Dieser Typ ist richtig, richtig abnormal. Aber er selber, er verhält sich so, wie wenn nichts wäre.

Oder genauer gesagt, wie wenn mit ihm nichts wäre. Also ich meine, sorry, nichts für ungut, aber das ist nicht mehr normal. Ich finde es jedenfalls recht abartig, dass jemand... Eine eindeutige Abartung ist eine so deutliche, wenn es nicht wäre.

Verstehe mich bitte nicht falsch, ich will nicht intolerant sein oder alte Vorurteile pflegen. Von mir aus kann jeder sein, wie er halt ist. Klar, klar, klar. Ich habe schon verstanden, dass der Abnormal-Nachbar auch ein anderes Verhältnis zu seiner Abnormalität hat, als wir Normale, die ja in der Regel zu unserer Normalität gar kein Verhältnis haben. Das ist ja auch logisch.

Wer einfach normal ist, braucht zudem kein Verhältnis. Er ist ja schon normal. Für jemanden, der... Aber wer nicht normal ist, ist abnormal, vermutlich vergleichsweise verhältnismässig normal. Wenn der neue Nachbar schon immer so war, kennt er ja nichts anderes.

Innerhalb von denen, die so abnormal sind wie er, gehört er wahrscheinlich sogar zu den Normaleren, denn da gibt es sicher noch viel Abnormalere. Trotzdem denke ich, es wäre nicht normal, wie normal, dass er dorthin kommt, wie normal, dass er sich gibt, wie normal, dass er sich verhält. Ich will sagen, Wie normal, dass er mit seiner Abnormalität versucht umzugehen.

Wie ein Abnormalsein fast normal wäre. Wie wenn wir anderen, also wir Normalen, die das Abnormale vielleicht nicht normal finden, die Abnormalen wären und er den Normalen umzieht. Wer weiss, wo das noch hinführt, wenn wir gewöhnlichen Bürgern, die eindeutig normal sind und alles dafür machen, möglichst normal zu leben, nicht zuletzt für uns normal sein müssen.

Uns rechtfertigen müssen. Heute ist vieles normal, was früher noch abnormal oder sogar unmöglich war. Normalität ist grösser geworden und weitergefasst. Innerhalb dessen, was in der Regel als normal angeschaut wird, hat viel mehr Platz als früher. Das gehört zum ganz normalen Wandel der Werte.

Aber wenn dann irgendwann alles normal sein soll, auch das Abnormalste, dann klingt es mir irgendwie nicht ganz normal. Sie hat mit ihrem Auftritt am Eurovision Song Contest den Zeitgeist getroffen. Conchita, alias Tom Neuwirt, hat nicht nur mit ihrem Gesang überzeugt, sondern auch mit ihrer Botschaft.

Es sei eben Wurst, woher man kommt, welche sexuelle Orientierung man hat und in welchem Körper man steckt. Ihre tolerante Botschaft schlägt eine erstaunliche Brücke in die Menschheitsgeschichte. Unser Körper war schon immer mehr als nur pure Anatomie.

Einerseits Arbeitsgerät, aber auch Vehikel für Projektionen unseres Geistes. Bereits die australischen Aborigines verorteten sich durch ihren Körper in der mystischen Welt, wanderten mit ihm durch reale und geträumte Landschaften. Andere Beispiele legen nahe.

dass Gestaltungstechniken wie das Tätowieren, das Setzen von Brandmarken und Narbenzeichnungen so alt sind wie die Felsenmalereien. Über Ursprung und Bedeutung in den verschiedenen Kulturen lässt sich nur spekulieren. Klar ist, dass ihre Anwendung weit über ästhetische Aspekte hinausging.

Die Zeichen und Bilder bekamen magisch-rituelle Funktionen, definierten die Stammeszugehörigkeit und den sozialen Rang des Individuums. Die Südsee und deren Völker wurden durch europäische Seefahrer im späten 18. Jahrhundert entdeckt. Ebenso ihre hochentwickelte Tätowierkultur.

Sogenannt edle Wilde, die man nach Europa brachte, begeisterten ein staunendes Publikum mit ihrem merkwürdigen Hautschmuck und wurden zum Vorbild einer neuen und eigenständigen Weiterentwicklung der Tätowierkunst. Die Erfindung der Tätowiermaschine 1891 löste einen Boom aus. Einzelne Tätowierer bemühten sich um Anerkennung als ernstzunehmende Künstler. Tätowierungen waren, wie heute, auch im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ein Massenphänomen.

Selbst große Staatsmänner waren tätowiert. Churchill mit Anker, Roosevelt mit Familienwappen und Stalin mit Totenkopf. So sind die heutigen Bestrebungen, mit dem Körper etwas auszudrücken und aus der Masse herauszuragen, überhaupt nichts Neues, sondern nur das nächste Kapitel einer langen Geschichte.

Bezeichnend für unsere heutige Zeit, die Individualisierung geht mit dem Drang nach Selbstvermarktung einher. Körperkult bedeutet nicht einfach Zugehörigkeit zu einer Gruppe, sondern Identität und Abgrenzung von anderem. Er ist eine Beschäftigung mit sich selbst, die praktisch nie abgeschlossen ist. Ein Perpetuum mobile des Egozentrismus, unabhängig oder sagen wir jenseits des Geschlechtes.

Vielleicht am weitesten gehen jene Zeitgenossen, die sich nicht nur tätowieren lassen, sondern bewusst auch operative Mittel anwenden, um das normale Äußere zu verändern und sich so vom Mainstream abzusetzen. Die Körperkünstlerin Sandy Jaspers gehört zu ihnen. Sie zeigt, dass dem Ausdruckswillen noch lange keine Grenzen gesetzt sind.

Ja, bei mir sitzen jetzt zwei Menschen, die ihr Äusseres freiwillig verändern und ihr Anderssein in gewisser Weise auch zelebrieren. Das ist zum einen die Drag-Queen Enya Faith alias Tristan Eckert und zum anderen die Körperkünstlerin Sandy Jaspers, die wir soeben im Beitrag gesehen haben. Zuerst möchte ich kurz bei Ihnen bleiben.

Was haben Sie denn alles mit Ihrem Körper machen lassen, beziehungsweise die Frage, was ist denn noch echt? An Ihnen? Naja, das meiste sieht man ja von Tattoos.

In meinem Gesicht die Ziernarben, die gedehnten Ohren. Die Ziernarben? Genau. Das sind die hier, ein Labyrinth Pluck, das ist ein grosses Piercing. Die Eckzähne.

Die Zunge haben wir schon gesehen, dürfen wir die nochmal sehen? Wahnsinn. Die Elfenohren, gespitzte Ohren hier oben.

Gespitzte Ohren und dann diese grossen Vorlöcher. Genau, die Plucks. Das ist so das Erste, was man so sieht, wenn man mich anguckt.

Gibt es etwas an Ihrem Körper, das Ihnen besonders gefällt? Besonders nicht, eigentlich ist es so das Gesamte. was ich mir erarbeitet habe.

Aber das sind schon viele einzelne Dinge, die als Ganzes zusammenkommen, die ich im Einzelnen nicht mehr missen wollte. Was bedeutet Ihnen Ihr Körper? Einerseits ist es wie eine Art Spielfeld. Ich kann ihn so gestalten, wie er mir gefällt. Andererseits ist es ein Ausdruck von dem, was für mich als Idealbild von Schönheit darstellt.

Und ich kann mit meinem Körper machen, was ich will. und schmücken, wie ich das möchte. Das ist das Einzige, was mir alleine gehört. Was würden Sie verlieren, wenn Sie alles wieder rückgängig machen müssten?

Ein bisschen meine Identität, weil das ist, was ich lebe. Das ist das, was ich immer wollte. Ich lebe in dieser Blase von Body Modifications.

Ich arbeite damit. Das wäre schon ein bisschen ein Verlust von mir selber. Und dieses Kunstwerk, ist das irgendwann fertig? Nein, wahrscheinlich nie. Irgendwann wird mir der Platz ausgehen, aber deshalb bin ich jetzt noch ein bisschen sparsam mit Tattoos, weil so viel Platz ist nicht mehr.

Aber das ist eine Veränderung, die das ganze Leben dauert. Das ist nichts, was ich so ein fertiges Bild habe und dann sage, okay, ich habe es erreicht. Das ist eine Veränderung, die das ganze Leben dauert.

Auch Sie, Anya Face, haben sich verändert. Das hat nicht Jahre gedauert, sondern immerhin drei Stunden. Von einem männlichen Äusseren zu einem weiblichen. Was haben Sie denn alles gemacht in diesen drei Stunden?

Vielleicht können Sie das mal mir erklären. Ja, ich stehe vielleicht dafür schnell auf. Angefangen von den Schuhen natürlich.

High Heels machen immer schön lange Beine. Dann haben wir vier Paar Tänzerstrumpfhosen. Meine künstlichen Hüften, also nicht ein Hüftgelenk, so alt bin ich noch nicht, aber ich habe Schaumgummihüften drin.

Dann mit die Taille schön schmal wird ein Korsett. Seither kann ich auch nicht mehr... zu mir nehmen, was nicht in den Shotglass passt. Und dann natürlich die...

Die echt aussehenden Brüste? Richtig, danke schön. Das sind nur...

Hähnchenbrüste, Hähnchenschnitzel. Dann natürlich die 700-Schritte-Make-up und die Perücke. Bei mir ist eigentlich das Gegenteil.

Alles, was man sieht, ist nicht echt. Und Sie sind jetzt als Dragqueen hier. Was ist eine Dragqueen? Na, eine Dragqueen...

Drag ist eine Kultur oder ein Kulturgut aus der Queerszene. Ich denke unterm Strich... Es ist immer noch, wenn sich ein Mann als seine Frau verkleidet. Es gibt aber so viele Subkulturen oder so viele Unterarten davon, dass ich... Für mich entscheidet das Mindeste, was für mich Drag ausmacht, ist, dass man einen Lippenstift, High Heels und Eier braucht dazu.

Und was ist der Reiz des Ganzen für Sie persönlich? Es ist für mich ein Lebensgefühl, eine Lebensfreude. Und das ist... einen Wow aus den Leuten rauszukriegen. Genauso, wenn sie lesen, wie ich vorher ausgesehen habe.

Und ich denke, es ist für mich das Medium, um andere Leute zu unterhalten oder ihnen Freude zu bereiten. Steckt noch mehr dahinter als Unterhaltung und Spiel? Naja, ich kann damit Kohle verdienen.

Gut. Aber wenn Sie jetzt auf Sexuelles anspielen zum Beispiel... Nein, ich hätte jetzt eher daran gedacht, an eine gesellschaftliche Botschaft auch.

Im Vergleich zu vielen Gästen heute bin ich ja die Light-Version, denn es ist temporär und freiwillig, dass ich anders aussehe. Aber ich habe mich heute auch selber gefragt, was für eine Botschaft vermittle ich? Oder vertrete ich eine Garde überhaupt?

Oder mache ich das nur für mich? Aber ich denke schon, aus der Tatsache heraus, dass ich zu einem Auftritt oder zu einer Show nie in öffentlichen Verkehrsmitteln oder zu Fuss gehe, sondern immer einen Uber wähle oder ein Taxi oder mich vor Ort bereit mache, sagt eigentlich etwas über meine eigene Angst doch auch wieder aus, dass ich einem... Man weiss ja keine Anne Ecken.

Sie sind ja nicht eine Transperson, muss man vielleicht sagen. Sie möchten nicht eine Frau sein, sie fühlen sich auch nicht als Frau, sondern es ist eine Rolle, die sie einnehmen. Und bei Ihnen, Sandy Jaspers, ist es ja so, Sie können nicht mehr so schnell zurück in das Normale.

Die Blicke der anderen haben Sie immer. Kennen Sie solche Geschichten auch von der Straße, wo Sie Leute einfach belästigen, doof anstarren, beleidigen? Ja, ohne das würde das wahrscheinlich gar nicht funktionieren.

Das ist einfach in der Gesellschaft so, dass alles, was anders ist oder abnormal wirkt, angesprochen, angequatscht oder provoziert wird. Was ich extrem merke, ist, dass viele Leute den unglaublichen Drang haben, mir ihre ungefragte Meinung kundzutun. Also weniger, dass Leute kommen und sagen, hey, ich finde das eigentlich ganz cool, sondern dass sie dann kommen und sagen, ich finde das total scheiße.

Gefällt dir das überhaupt? Nein, ich finde es schrecklich. Also das ist dann halt so ein bisschen, man kann das ja normal fragen, denkst du, du findest das auch schön im Alter oder warum gefällt dir das?

Aber das ist ein Urteil, dass sie sich gefällt haben, ohne überhaupt mit mir zu sprechen. Also die gehen davon aus, dass auch ich das hässlich finden muss. Dass jemand normal ist, das ja nicht schön finden kann.

was ich hier aber tue. Und das ist so ein bisschen das Problem, was die Leute haben, dass sie vielleicht mehrmals zu Leuten zugehen sollten und sagen, hey, mir gefällt das zwar nicht, aber ich finde es cool, dass du das machst, oder hey, mir gefällt das. Weil die Frage ist auch oft, gefällt einem das wirklich nicht oder hat einem die Gesellschaft gesagt, dass man so etwas nicht schön finden soll oder kann. Das ist abnormal, also gucken wir weg.

Die Eltern ziehen die Kinder weg, weil sowas darf man nicht. Das ist irgendwie schlecht und böse, aber warum? Genau.

Das haben wir schon gehört, dass diese Normen auch gesetzt werden, die Körperbilder, die Schönheitsvorstellungen und so weiter. Wenn ich jetzt Sie einfach fragen würde, warum machen Sie das? Haben Sie eine Antwort darauf?

Weil das für mich das Idealbild von Schönheit ist. Und ich mir das nicht ausgewählt habe, dass die Gesellschaft das nicht schön findet. Das ist das Problem. Also Sie möchten nicht provozieren, sondern Sie finden das einfach schön und müssen damit leben, dass Sie auffallen und das andere das hässlich findet. Genau.

Aber mir gefallen ja auch Sachen nicht. Also ich finde auch Sachen nicht schön, aber ich würde dann trotzdem nicht irgendwo hingehen und sagen, oh, das Jackett ist echt, wir kennen uns zwar nicht, aber das sieht kacke aus. Also warum sollte ich das denn machen?

Das ist mein Schönstes. Naja, ist nicht schwarz. Ist nicht schwarz, ja.

Es ist zu hell für Ihre Schönheitssicht. Ja, ich fühle mich damit ein bisschen beleidigt. Aber dieser Hang zum Dunklen, zum Abgründigen, woher kommt der bei Ihnen?

Das weiss ich nicht, das war schon immer da. Viele fragen mich auch immer, wie ich denn so geworden bin. Und ich bin der Meinung, dass man nicht so wird, sondern dass man so ist. Entweder man unterdrückt das dann, vom Elternhaus her, dass das nicht toleriert wird, oder man lebt irgendwie ein anderes Leben in eine andere Richtung, aber nie sein eigenes. Und entweder, ich sage immer, man ist als Freak geboren und lebt das, oder man ist es einfach nicht, man wird nicht so.

Man wacht nicht plötzlich morgens auf und findet, okay, ich will jetzt meinen ganzen Körper zutätowieren. und Eckzähne und eine gespaltene Zunge haben. Das ist etwas, das man entweder schon immer schön fand und dann irgendwann lebt oder halt einfach nicht.

Wie ist das bei Ihnen? Wie hängen Rolle und Person zusammen? Wie hängt der Tristan Eckert mit dieser Dragqueen Anja Face zusammen?

Das ist eine gute Frage. Ich denke, ohne dass es schizophren klingen soll, es ist eine und gleiche Person. In einigen Bewegungen, Bewegungsabläufen unterscheiden sie sich bestimmt, die beiden. beispielsweise die Haare nach hinten zu tun. Das tut man natürlich nicht, wenn man kurze Haare trägt.

Es gibt dann aber die Diskussionsgestik oder auch, wie man überhaupt schon geht, nur schon wegen den Heels, wegen der Haltung, wegen des Korsetts. Diese Unterschiede passieren automatisch, aber vom Humor her, von der Lebensfreude, das ist natürlich eine und dieselbe Person. Im Unterschied zu Marcel Mattis und anderen Gästen heute, Wählen Sie diese Veränderung selbst, die mit einem gewissen Auffallen einhergeht in der Gesellschaft?

Wollen Sie auch ein bisschen provozieren? Oder ist das einfach nur eine unangenehme Nebensache? Nein, ich denke, provozieren möchte ich niemandem bewusst.

Außer vielleicht meinen Eltern. Aber ich gehe ja auch nur wirklich dorthin, wo ich den als Drag Queen gebucht werde. Also ich drehe mich niemandem auf. Und wie gesagt, wenn ich die Aufmerksamkeit nicht... Wenn ich weiß, wo sie nicht gefragt ist, wie in der Öffentlichkeit, dann bin ich halt in einem Taxi oder dann werde ich hingefahren.

Und da, wo ich in den Clubs und in den Lokalitäten, wo ich dann gefragt bin, da widerfährt mir echt nur Liebe. Ich denke auch, das ist der falsche Ansatz, wenn man provozieren will. Wenn man das macht oder so viele Veränderungen in Kauf nimmt, nur um zu provozieren, macht man das wieder für wen anders.

Das ist dann nicht mehr für sich selber, sondern man will irgendein Statement setzen, man will auffallen, man will anders sein und nicht für sich selber, zum sich selber verwirklichen, sondern um zu provozieren oder aufzufallen. Und das ist für mich persönlich nicht der richtige Weg. Und wenn jetzt alle Menschen so aussehen würden wie Sie? Cool, super für mein Geschäft. Sie betreiben ja ein Tattoo und ein Piercingstudio, muss man noch dazu sagen.

Aber Sie finden das genauso schön? Ja, das ist ja nichts, was mir gehört. Wenn auch Leute immer sagen, oh wow, ich wünschte, ich könnte das auch.

Das kann man auch. Ich kann nichts Spezielles. Das kann jeder, der sagt, ich will das so leben, der kann das machen.

Der muss aber einfach mit allen Konsequenzen leben können. Also das ist nicht so, ich will das zwar, aber ich will nicht auffallen. Ich will das zwar, aber ich will nicht, dass die Leute mich ansehen. Das geht nicht.

Entweder als Ganzes oder gar nicht. Was muss denn passieren, damit das geht? Wie muss sich unsere Gesellschaft verändern? Was muss sich in den Köpfen verändern, damit jeder sein Ding machen kann?

Die Leute müssen bestimmt mal versuchen zu überlegen, was ist meine persönliche Meinung? Nur weil ich jetzt was gesehen habe, urteile ich darüber und sage, das muss bestimmt ein Satanist sein oder die trinkt Blut oder whatever. Was Sie nicht tun. Was ich nicht tun, nein. Also meine Kunden gehen mit genau gleich viel Blut wieder raus aus meinem Lager.

Die Leute sehen etwas und urteilen. Und dann müsste man sich mal hinterfragen, ist es das, was ich wirklich schlecht finde oder hässlich finde, oder ist es das, was mir eingetrichtert wurde. Deshalb sind Kinder auch so neutral. Kinder kommen und sagen, finde ich cool oder finde ich blöd. Aber das sind sie selber, bevor die Eltern den erklärt haben, nein, das musst du schlecht finden.

Und wenn mehr Leute auf ihr Inneres hören würden und da drauf gehen, dann wäre alles schon viel einfacher. Vielen herzlichen Dank Ihnen beiden für dieses Gespräch. Danke auch.

Ja, und bei uns sitzt wiederum eine neue Person. Es ist Jörg Scheller, er ist Philosoph und Kunsttheoretiker. und unter anderem Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste. Und Sie, Herr Scheller, haben unter anderem über Arnold Schwarzenegger promoviert, Arnold Schwarzenegger oder die Kunst, ein Leben zu stemmen.

Und Sie sagen, Bodybuilding, und darum geht es in diesem Buch natürlich auch, das ist etwas, da geht es nicht darum, dass man anderen gefallen will, sondern man will in erster Linie auffallen. Wie kommen Sie zu dieser These? Nun ja, ich habe zum einen... Ich habe viele Bodybuilder kennengelernt, auch Bodybuilderinnen kennengelernt und kann insofern wie empirisch sagen, diesen Menschen geht es nicht darum, einem Mainstream-Ideal zu entsprechen, sondern im Gegenteil aus dem Mainstream rauszustechen.

Eine radikale, wenn Sie so wollen, Subkultur, eine radikale Avantgarde zu bilden. Und diese Avantgarde, die ist recht interessant dahingehend in den Zusammenhängen, die wir hier diskutieren. dass die Bodybuilder gewissermaßen die Norm so weit zuspitzen und überspitzen, dass die Norm ins Gegenteil kippt.

Also es sind eigentlich Kippfiguren. Also die Selbstoptimierung, das Training des Körpers für Fitnesszwecke wird so weit zugespitzt, dass der Körper eigentlich ins Dysfunktionale kippt. Das heißt, da sehen wir eigentlich sehr schön, dass wenn wir das Normale auf die Spitze treiben, dann wird es abnormal.

Also das Normale. ist nicht das Gegenteil vom Abnormalen und umgekehrt, sondern das Abnormale, wie der brave Soldat Schweig, eigentlich die Übererfüllung von bestimmten Befehlen oder von bestimmten Erwartungen bedeuten, die er uns gebracht hat. Und überzeugt Sie das, was die beiden Gäste jetzt vorhin auch gesagt haben? Sie finden das einfach schön oder denken Sie, nein, denen geht es schon auch ums Auffallen. Wenn alle tätowiert wären, alle solche Implantate hätten, dann wäre das auch gar nicht mehr interessant, zumindest nicht avant-garde.

Da müssten wir uns etwas länger direkt unterhalten haben. Kann ich so schlecht sagen, weil wir uns nicht genau kennen. Also die persönlichen Motivationen weiß ich in dem Fall natürlich nichts.

Aber ganz grundsätzlich ist es natürlich so, dass selbst Schönheit etwas ist, mit dem man auffällt. Auch Schönheit ist etwas, mit dem man heraussticht. Schönheit ist nicht die Norm. Und insofern... Wenn man also sagen würde, ich möchte einfach schön sein, kann das auch bedeuten, dass ich aus, also zumindest der Normalität, vielleicht nicht aus der Norm, aber aus der Normalität rausstechen werde.

Ob ich das möchte oder nicht. Und ich würde gerne noch eine These von Ihnen aufnehmen, weil ich die so interessant finde. Die haben Sie in einem Interview... gesagt für SRF Kultur, das man auch weiterhin noch nachlesen kann auf unserer Website.

Und da sagen Sie, wir brauchen den Freak, um uns selber irgendwie als normal zu fühlen. Das heisst, wir glotzen und finden das alles interessant, um uns darin zu bestätigen, dass wir ganz schön normal sind. Verstehe ich das richtig?

Ja, das verstehen Sie vollkommen richtig. Also wir müssen alle sehr, sehr dankbar sein, dass es die Bodybuilder und andere Freaks gibt. Bodybuilding ist auch eine Subkultur. wo der Freakbegriff auf die Bodybuilder selbst angewendet wird.

Sie sprechen auch von sich selbst als Freaks, als Monster zum Teil, als Massefreaks. Und insofern, vor einem Bodybuilder, um nur dieses Beispiel zu wählen, kommen wir uns wie Naturkinder vor. Wir haben uns vielleicht nur so ein bisschen das Näschen richten lassen. Wir gehen nur dreimal die Woche zum Kiesertraining und fühlen uns wie die reinen Naturkinder.

Die Bodybuilder... Und Natur ist immer noch attraktiv. Natur ist immer noch attraktiv.

Auch wenn es sich nicht... mehr gibt, wahrscheinlich ist sie genau deswegen so attraktiv, weil kein Mensch mehr weiss, was es eigentlich ist. Ich würde gerne zu Ihnen kommen, Herr Kauthausen.

Mich interessiert eine ganz grundlegende Frage. Wir haben jetzt ganz unterschiedliche Formen dessen kennengelernt, was es heisst, mit seinem Körper, Schnittstelle zur Welt, nicht der Norm zu entsprechen. Und man könnte ja bösartig sagen, Sie kümmern sich um Inklusion, Sie kämpfen für eine Welt, in der alle Menschen gleiche Chancen haben, zum Beispiel bei... barrierefrei durchs Leben kommen.

Und dann gibt es Menschen, die verwenden ihre gesamte Zeit, ihr gesamtes Geld darauf, möglichst sich selber so ein bisschen zu optimieren. Sind Sie da auch so tolerant, wie wir es bis anhin gehört haben? Oder sagen Sie dann irgendwann noch, Entschuldigung, das ist jetzt echt ein anderes Kapitel.

Können wir hier mal über die wirklichen Probleme sprechen? Also das wäre ja ganz schön vermessen, wenn ich sowas sagen würde. Ich bin da eher bei Frau Jasper.

Wer bin ich, dass ich das beurteilen darf? wie jemand sein Leben gestaltet. Wer bin ich, dass ich sage, investiere mal deine Zeit sinnvoll.

Was ich aber gerade ganz interessant fand, das war eine ganz andere Beobachtung, die ich hier in der Sendung gerade mache. Inwieweit bestätigen wir hier eigentlich gerade die Freakshow? Erzählen Sie.

Also es gab im letzten Jahrhundert noch Wanderzirkusse, wo ein... der kleinste Mann der Welt, der dickste Mann der Welt, die tätowierteste Frau der Welt oder was auch immer, zur Schau gestellt wurden, um dann letztendlich das Publikum zu amüsieren. Und das waren große Ereignisse, das war ein ganzes Dorffest, hat man dann da drum veranstaltet. Und jetzt sitzen wir hier also auf Bühnen und reden mit Ihnen als normale, nicht betroffene Menschen und lassen uns das dann von nicht betroffenen Wissenschaftlern einordnen. Einordnen und ähm...

Wir bestätigen das auf der Art. Interessant fände ich es eigentlich, wenn hier ein betroffener Wissenschaftler säße. Und das wäre Inklusion. Ich bin kein Wissenschaftler. Naja, Sie sind ein Inklusionsspezialist und deswegen sitzen Sie hier.

Mein Dilemma ist ja, ich bin ein sogenannter Berufsbehinderter. Das heißt, ich bestätige diese Situation ja permanent. Ich bin als Mensch mit Behinderung auf Bühnen und rede über Behinderung. Dabei könnte ich auch über Social Media reden. Aber über Social Media hat mich noch niemand eingeladen.

Ich kann nicht dazu was sagen, weil wenn Sie die betroffene Wissenschaftlerin haben möchten, können Sie sie auch haben. Ich bin Epileptikerin. Ja, aber Sie sind nicht als solche eingeladen. Nee, ich bin nicht als solche eingeladen, weil es ist aber trotzdem eine interessante Seite daran, weil Sie haben vorhin gesagt, man sollte das Publikum nicht für dumm verkaufen und man könnte irgendwie ruhig mal davon ausgehen, dass Sie einen irgendwie auch als normal irgendwie so auffassen. Wenn ich denke, ich möchte das Publikum nicht für dumm verkaufen, dann mache ich das, indem ich sage, dass ich Epileptikerin bin.

Das heißt für mich nämlich, indem ich sie mit etwas konfrontiere, was sie im Grunde genommen läuft unter einer, eigentlich erzählt man sowas nicht. Das ist nämlich eine andere Kategorie von, jedenfalls in den Köpfen vieler, von, oh da ist jemand behindert. Ich habe mich nicht verhindert.

Ich habe das auch ganz, ganz lange, Jahrzehnte, kann ich mittlerweile schon sagen, von Leuten ferngehalten. Und Sie nehmen Medikamente, um keine Anfälle zu kriegen. Genau.

Ich würde gerne die These der Freakshow Ihnen weitergeben. Empfinden Sie das auch so? Finden Sie, wir machen hier gerade eine Freakshow?

Also so hart wie der Kollege würde ich das nicht sagen. Aber es ist natürlich ein entscheidender Unterschied zwischen uns beiden. Und den beiden, die haben das selbst gewählt. Und ich sehe das natürlich, ich habe auch ein bisschen Geschichte studiert, ich sehe das auch in historischer Perspektive. Es ist schon auch ein enormer, emanzipatorischer Zugewinn, dass Leute...

wie die beiden das machen können. Es wird sicherlich immer Leute geben, die gucken, was ist denn das für eine, wie zieht der sich an oder die sich an. Aber trotzdem, man hat heutzutage eine, also in der deutschen Geschichte, Verzeihung, eine größere Freiheit, ein Free zu sein, gab es in Deutschland, mit Ausnahme vielleicht des Berlins der 20er Jahre, gab es nirgendwo. Und das ist schon, und da eben ist der Unterschied auch in der Freiwilligkeit. Und weil Sie über das Opfer gesprochen haben, mit dem Opfer, das ist ja eine schwierige Sache, weil viele von den Gruppen, die sich als Opfer bezeichnen heutzutage, das ist sozusagen die Kette.

Kehrseite einer Emanzipationsgeschichte. Wenn Sie so wollen, die Freiheit im Westen hat angefangen mit den Revolutionen des 18. Jahrhunderts. Die waren aber vornehmlich für Männer, für begüterte Männer, in Amerika für begüterte, sklavenhaltende Männer.

Und ist dann ausgeweitet worden auf Arbeiter, auf Frauen. Heutzutage hat man immer mehr Gruppen, der Kreis derer, die sich als Opfer empfinden, damit aber politische Forderungen verbinden. Und man muss sich als Opfer einer...

strukturellen Gewalt zum Beispiel, erstmal definieren, damit man dann sagen kann, ich will da raus, wird immer größer. Wir sind jetzt bei Transgender, wir sind also sagen Schwule und Lesben, das nehmen wir schon fast sozusagen als normal, jetzt sind wir bei Transgender, die Umwelt, die Tiere, diese Geschichten werden immer größer und der emanzipatorische Zuwachs in der Gesellschaft, glaube ich, wird auch immer größer. Es gibt sicherlich auch Schließungstendenzen überall, aber ich glaube trotzdem, dass das auch...

Von allen Problemen abgesehen, es ist ein grosser Zuwachs. Vielleicht, weil mich das natürlich beschäftigt. Und diese Geschichte der Freakshow, die haben wir natürlich auch auf der Redaktion gewälzt und uns überlegt, wie machen wir das. Und ich finde interessant, dass an mehreren Stellen die Frage aufkam, sind Kinder nicht stärker darin, mit Differenz umzugehen, mit dem anderen umzugehen. Die fragen einfach.

Die sind dann aber auch sehr schnell bereit, das, was anders aussieht, was anders ist, einzugliedern und dann einfach davon auszugehen, die sind gleich wie wir. Aber die sprechen auch miteinander, die gehen aufeinander zu. Und ich glaube, das war eigentlich das Anliegen, miteinander ins Gespräch zu kommen und unterschiedliche Formen der Normalität mal auszuloten, mal zu gucken, wer setzt denn diese Normen? Also wieso finden wir zum Beispiel dick sein, übergewichtig sein? Das ist eigentlich nicht normal.

Wir sprechen vom Normalgewicht. Aber wir haben die Zahlen vorhin gesehen. eine von fünf Personen sind übergewichtig in der Schweiz. Das ist eine hohe Anzahl. Sie und ich setzen die Normen zum Beispiel.

Also Eltern setzen sie in der Kindererziehung. Medien setzen sie auch ständig. Weil Medien sozusagen ist eine der Agenturen, die diese Normen vielleicht nicht setzen, aber doch vermitteln und verstärken, glaube ich.

Und man muss auch immer wieder sich fragen, Medien ästhetisieren die Wirklichkeit natürlich. Wenn Sie mal im Fernsehen gucken oder im Film, die Leute... im Film oder im Fernsehen sind immer im Durchschnitt 30 Prozent hübscher als die Gesamtbevölkerung. Weil es einfach...

und wir, bevor wir hier angefangen haben, sind geschminkt worden. Das ist einfach... das sind so ein bisschen... man hat sozusagen Filmstars.

Wofür werden Filmstars bezahlt? Sie werden dafür bezahlt, dass sie sozusagen die schönsten, denkbaren Exemplare der Spezies Mensch sind. Herr Scheller, Sie haben vorhin nur so genickt oder ich hatte den Eindruck, Sie wollen was sagen dazu.

Aha, ich glaube... Ich glaube, dass das, was Sie gerade beschrieben haben, mit Blick auf die Öffnung, auf die emanzipatorischen Zugewinne, dass wir dadurch zurzeit sehr, sehr starke Backlashes erleben. Es gibt eine neue Sehnsucht nach Normalität. Es gibt eine neue Sehnsucht nach Authentizität.

Es gibt eine Sehnsucht nach so etwas wie Heimat etc. Und das kann man eigentlich sehr schön am Bodybuilding ablesen. Es gab eine Phase der Öffnung, die gerade mit diesen emanzipatorischen Bewegungen der 60er, 70er, 80er Jahre zusammenfiel. viel, also der Phase der Postmoderne, da waren diese Bodybuilding-Freaks, die waren plötzlich interessant für den Mainstream.

Also die kamen aus diesen Untergrundszenen raus und man hat sie auf eine Art und Weise an denen delektiert, wie an einer Freakshow, aber gleichzeitig mit einem durchaus authentischen und ehrlichen Interesse. Seit den 90er Jahren wandert Bodybuilding und Bodybuilding ist wirklich eine extreme Körperpraxis, da geht es um das Maximum an Muskelmasse, anders als in Fitness, wo es noch funktional und gemäßigt sein soll. Seit den 90er Jahren ist Bodybuilding Bodybuilding wieder in die Kultur in den Untergrund abgewandert, man spricht wieder zunehmend negativ darüber, eben als abnormal, das sind Freaks im negativen Sinne.

Und man nutzt diese Negativvorbilder, wie gesagt, um sich selbst wiederum als normal zu konstituieren. Sie haben ja vorhin gefragt, ich bin ja jemand, der sich für Inklusion einsetzt. Und wir haben alle Bücher geschrieben offensichtlich, wir hätten ja auch über das Schreiben von Büchern sprechen können.

Und dann ist es letztendlich eine ganz andere Gemeinsamkeit. Und das wäre für mich ein Auftrag an Medien, eben nicht diese Freakshow zu machen, sondern eben eine illustre Talkrunde zum Thema das Schreiben von Büchern, wo die Autorinnen und Autoren divers sind. Und wieso können wir nicht unser Thema so wählen, dass wir sagen, wir sprechen jetzt mal gemeinsam darüber, was normal für uns bedeutet? Nein, weil ich ja gerade gesagt habe, dass wir hier letztendlich die Bestätigung dieses Andersseins sind.

Und dann aber letztendlich vor allem uns einordnen lassen von Moderatorinnen, Moderatoren, von Wissenschaftlerinnen, von Wissenschaftlern, die eben nicht dick, nicht Rollstuhlfahren, nicht tätowiert oder nicht drag sind. Obwohl, aber das ist glaube ich, Entschuldigung. Da muss ich auch mal widersprechen. Weil ich würde sagen, also mein Ideal wäre auf jeden Fall, dass es möglich sein sollte für Menschen zu sprechen über Die Art, wie sie sich anders, nicht normal oder behindert fühlen oder sie sollen es lassen, darüber zu sprechen.

Ich finde diese Vorstellung, man muss darüber sprechen oder man muss nicht darüber sprechen, also auch das andere, dass man nicht darüber sprechen soll, finde ich genau so eine Einschränkung. Weil die Bedürfnisse sind individuell höchst verschieden. Was ja auch damit zusammenhängt, dass die Menschen, die anders sind, ich meine, man ist es aus unterschiedlichem Grund. Es gibt, Sie haben vorhin gesagt, es ist ein sich selbst sein.

Das ist die Vorstellung, sich selbst zu sein. Warum soll man darüber nicht sprechen können? Das Schlimme ist ja für Sie, wenn, oder auch für Sie möglicherweise, wenn Menschen über Sie urteilen, dauernd, ohne dass man Sie überhaupt danach gefragt hat.

Ich kippe sehr total Ihren Punkt. Und ich glaube, das ist die Tiefe, die diese Sendung ja auch erzeugen möchte. Also, dass dann jemand... wie ich eine provokante These in den Raum setze und dann natürlich wir in dieses tolle Gespräch kommen. Aber Inklusion wäre es wirklich auch anzunehmen.

Und Inklusion ist eben kein Ziel, das wir irgendwann mit einer Checkliste abhaken können, sondern es ist ein Prozess. Und zwar ein Prozess der Annahme und der Bewältigung von menschlicher Vielfalt. Das heißt, anzunehmen, dass... Wir auch eine voll tätowierte Moderatorin hier sitzen hätten haben können, die über das Thema Kultur in einer Kultursendung spricht, ohne dass das dann gleich wieder Thema sein muss.

Und an dem Punkt sind wir halt lange noch nicht. Und das ist etwas, was ich mir auch für uns als Gesellschaft wünschen würde. Ich würde gerne noch, ich weiß nicht, wie viel Sendezeit wir noch insgesamt haben, aber ich habe mir fest... Immer zu wenig, Herr Krauthausen. Immer zu wenig, ich weiß.

Aber ich habe noch fest... vorgenommen, mir eine Sache zu sagen. Und zwar, wir müssen auch über die Frage des Glücks sprechen. Also des eigenen empfundenen Glücks.

Und Menschen mit Behinderung, Menschen, die dick sind, werden total oft von nicht behinderten, nicht dicken Menschen unterstellt, sie müssen jetzt etwas dagegen tun. Mir wurde mein Leben lang gesagt, ich muss Sport machen. Also Sie sollen was wogegen tun?

Also, ich wäre ja schon behindert, und dass mein Körper möglichst gesund ist. Das ist so die Idee gewesen. Und es gab die Idee, 1.000 Operationen über mich ergehen zu lassen. Und ich kann mich an ein Gespräch mit meiner Mutter erinnern, wo die Frage im Raum stand, operieren wir Rauls Beine? Und meine Mutter ist glücklicherweise Ärztin.

Und die Frage war, wenn ich operiert werde, dann könnte ich vielleicht mit viel Training und viel Krankenhaus und viel Operation 2, 3 Schritte laufen. Und alle Kinder in meinem Alter wurden damals in dem Maße operiert. Und meine Mutter als Ärztin hat gesagt, du musst das nicht machen, weil der Einsatz, dass du Jahre im Krankenhaus sein wirst, versus dein persönlich empfundenes Lebensglück, das müssen wir zusammen diskutieren. Und wir haben das, ich war neun Jahre alt, zusammen diskutiert.

Und die Entscheidung war, ich lasse mich nicht operieren, weil ich bin glücklich. Und das Glück einem abzusprechen. Weil man dick ist oder weil man behindert ist oder weil man tätowiert ist oder weil man Drag macht, das steht dem Nichtbetroffenen nicht zu. Wir alle sind auch Körper, doch nicht mit jedem Körper kommt man gleich einfach durch diese Gesellschaft. Denn behindert wird man ja auch sehr oft von der Gesellschaft.

Als nichtbehinderter Mensch kann man sich kaum vorstellen, was es für Behinderte bedeutet, in eine Strassenbahn einzusteigen oder eine Treppe zu erklimmen. oder eine Trendsportart auszuüben. Das Leben ist voller Hürden, selbst wenn es Nichtbehinderten gar nicht so scheint. Wer jedoch denkt, dass nur eine Minderheit vor diesen Problemen steht, irrt sich. Allein in der Schweiz gelten je nach Definition bis zu 1,6 Mio.

Menschen als behindert. 26% davon, also fast eine halbe Million Menschen, gelten als schwer beeinträchtigt. Die Schweiz sieht sich gerne als behindertengerechtes Land. Die sog.

Inklusion, also die Integrierung von Behinderten in der Gesellschaft, wird großgeschrieben. Dennoch brauchte es auch hier unzählige Anläufe und eine jahrelange politische Auseinandersetzung. Doch seit einigen Jahren scheint unsere Gesellschaft intoleranter und gleichgültiger geworden zu sein.

Dies belegen die Zahlen des Bundesamtes für Statistik. Gemäß einer Auswertung von 2015 hat sich das subjektive Wohlbefinden von Menschen mit starker Behinderung um über 15 Prozent verschlechtert. Davon kann auch der Thurgauer Politiker Christian Lohr ein Lied singen. Seit sieben Jahren engagiert er sich im Nationalrat für seine Anliegen.

Als eines der letzten Kinder, welches aufgrund des Beruhigungsmittels Contagan vorgeburtliche Schäden erlitten hatte, war sein Weg ein steiniger. Dennoch will er sich nicht auf sein Handicap reduzieren lassen. Ich habe die ganze Thematik mit dem Medikament eigentlich für mich nie zu einem Lebensthema aufkommen lassen, weil für mich war klar, das sind meine Lebensumstände, meine Lebensbedingungen und mit denen habe ich zu leben.

Ja, und der CVP-Nationalrat und Vizepräsident von Pro Infirmis sitzt jetzt neben mir, Christian Lohr. Raoul Krauthausen wollte über das Glück sprechen und ich habe von Ihnen gelesen, dass Sie Ihre Behinderung nicht als... Benachteiligung empfinden. Können Sie das erläutern? Das ist absolut richtig.

Ich habe auch starke Glücksgefühle immer. Es ist sicher manchmal eine Gratwanderung zwischen Demut eigener Wahrnehmung, aber doch auch dem Bewusstsein, dass mein Leben einen grossen Sinn macht. Nicht trotz der Behinderung, das möchte ich ausdrücklich sagen, sondern mit dieser Behinderung, wie ich leben kann, wie ich ein authentisches Leben führen kann.

wie ich auch glücklich sein kann, wie ich eben immer wieder damit konfrontiert bin, dass ich einerseits natürlich meine Andersartigkeit durchaus annehme und sie bewusst auch lebe, weil es ist ein Teil der Realität, aber andererseits ist diese Andersartigkeit für mich eine Normalität. Und ich denke, mir gelingt es immer wieder sehr gut, das in einem Gleichgewicht zu behalten. Das braucht natürlich aber auch verschiedene Umstände, die sich so ergeben.

Andererseits schien mir in der Diskussion vorher ein bisschen problematisch, als man dann die Erstbegegnung oder den direkten Kontakt nur auf den Körper zu beschränken wollte. Erleben Sie das anders? Für mich ist das eben auch eine Frage... des Wesens, der Art des Menschen.

Und da habe ich manchmal Mühe, wenn man auch gerade in solchen Diskussionen dann doch wieder zu stark in Schemata verfällt. Aber sind diese Menschen, die wenig Kontakt haben mit körperlich Behinderten oder körperlichen Auffälligkeiten, sind die nicht auch in diesen Schemata drin? Und erleben sie das nicht so, dass man erst mal irgendwie auf ihre Füsse guckt dass sie keine Arme haben und so. Also ich erlebe immer mehr, dass die Leute mir zuerst in die Augen schauen.

Und ich schaue auch zurück und suche Augenkontakt. Und dann ist bei mir speziell, das haben Sie ja heute selber auch wahrgenommen, meine erste Begegnung findet eben nicht einfach mit dem statt, was ich nicht habe, nämlich Arme, sondern mit dem, was ich habe. Und das sind meine Füsse. Und darum grüsse ich alle Menschen offen und direkt mit meinem Fuss.

So, genau. Das ist wirklich, also ich bewundere, wie sie den Alltag leisten, von Mail schreiben bis zu Zähneputzen und das ist irgendwie für mich verblüffend. Sie haben von Demut gesprochen, dass man das annimmt, dass es sogar dem Leben einen Sinn Heute erleben wir einen Trend hin zur Verbesserung, zur Optimierung.

Nicht nur des Körpers, sondern auch des Geistes. Wie beurteilen Sie das? Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob wir da auf dem richtigen Kurs sind.

Optimierung, was will das heissen? Will das unsere Situation, will das unsere Verhaltensweisen optimieren? Wollen wir besser oder optimaler werden damit? dass unser Wohlstand besser wird, dass unsere Umstände besser werden. Aber werden wir als Menschen mit unseren Werten damit wirklich besser?

Das ist für mich schon eine grosse Frage. Und Sie bezweifeln das. Jetzt würde mich natürlich interessieren, was das stattdessen bräuchte. Wir haben über Behinderung gesprochen und das ist immer nicht nur ein individuelles Thema, sondern immer auch ein gesellschaftliches, politisches.

Sie sind Politiker, engagieren sich auch in unterschiedlichen Organisationen. Und die Schweiz, sagen Sie, hat einen grossen, erheblichen Nachholbedarf, was Behindertengerechtigkeit betrifft. Ich glaube, da muss man schon differenzieren. Wir haben einige Punkte, die schon auch im internationalen Vergleich, sagen wir, mehr als ordentlich entwickelt sind. Der öffentliche Verkehr ist heute in vielen Bereichen schon gut erreichbar, zugänglich.

Da ist vieles gemacht worden in den letzten Jahren. Natürlich muss man fortsetzen und dranbleiben, damit da nicht auf einmal wieder neue Barrieren aufgebaut werden. Es gibt aber andere Bereiche, da habe ich schon das Gefühl, dass wir an einer Grundhaltung arbeiten müssen, die offener wird, die toleranter wird, die verständnisvoller wird, empathischer.

Was heisst das ganz konkret? Was braucht es politisch? Ich denke, ganz wichtig ist, wenn wir von Integration oder Inklusion sprechen, dass wir von Integration sprechen. eben schon bewusst sein müssen, dass es viele Menschen mit Beeinträchtigungen gibt, die die gesellschaftliche Teilhabe, die breite gesellschaftliche Teilhabe heute noch nicht haben und es ihnen nicht möglich ist.

Ich möchte kurz einige Bereiche erwähnen, die mir sehr wichtig erscheinen. Da ist die Bildung im Vordergrund. Ich denke, es ist enorm wichtig, dass junge Menschen nicht nur einfach das Recht, die geschriebenen Rechte auf eine Bildung haben, sondern dass das auch umgesetzt wird.

Woran scheitert das jetzt ganz konkret? Wir haben eigentlich noch zu wenige Modelle, die einerseits natürlich dem Gesamtanspruch einer Schule gerecht werden, aber andererseits eben die besonderen Bedürfnisse, die die Menschen oder die jungen Menschen mit besonderen Anforderungen haben, dass man die ihnen gewähren kann. Es sollte eben aufgehört werden, immer das gegeneinander auszuspielen. Ich habe manchmal das Gefühl, entweder ist es möglich oder nicht möglich.

Aber das Leben ist A, mal kein Wunschkonzert und B, ist es auch nicht nur schwarz und weiss, sondern der grösste Teil vom Leben ist der Graubereich. Dann gibt es aber auch einen weiteren Bereich, den ich ganz bewusst hier erwähnen möchte. Das ist natürlich die Arbeitsmarktintegration.

Menschen mit Behinderungen, für die ist es auch sehr wichtig, dass sie sich als Arbeitskraft einbringen können. Die Arbeit bedeutet ja auch die Stärkung des Selbstwertgefühls, die gesellschaftliche Integration. Auch, dass man selber etwas für sich erarbeiten kann, dass man selber etwas verdienen kann und dass man dann eben wirklich ein bisschen stärker wieder auf sich danach orientiert, dass Menschen mit Behinderungen unserer Gesellschaft auch etwas wert sein müssen.

Wo fühlen Sie sich persönlich noch am stärksten eingeschränkt? Das geht dann wieder in den Bereich, den wir heute Abend auch schon gehört haben, wenn man immer wieder von neuen Sachen darlegen muss, fast Erklärungen bringt. Manchmal habe ich das Gefühl, aber ich wehre mich wirklich konsequent dagegen, dass ich mich noch fast entschuldigen muss dafür, dass ich behindert bin. Das kann es ja nicht sein.

Ich versuche dann aber wirklich den Menschen auch... Offenbar, seid doch mutiger. Ich verstehe zum Beispiel, ich sage das auch bewusst heute Abend hier, ich verstehe nicht, warum das Schweizer Fernsehen sich so schwer mit dem Thema Behinderung tut.

Eine solche Sendung, wie sie heute hier aufgezeichnet wird, die hätte doch schon längst passieren müssen. Wir sind im Jahr 2018. Das Thema ist nicht ein neues. Aber eben ist die Frage, wie können... auch wir als Betroffene uns in diesen Prozess einbringen. Es geht tatsächlich nicht darum, dass wir uns darstellen.

Wir sind keine Selbstdarsteller, sondern wir sind Menschen, die in unserer Gesellschaft ihren Platz haben. Nicht Berechtigung, sondern ihren Platz haben. Und diesen Platz müssten wir selber aber auch ausfüllen mit unserem Engagement, mit unserer Bereitschaft, uns zu öffnen, auch für andere Menschen.

Ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses kurze Gespräch zum Schluss. Frau Goldsamann, Sie haben vorhin mir ein Zeichen gegeben und gesagt, Sie möchten unbedingt über diesen Graubereich sprechen, den Herr Nationalrat Lohr vorhin angesprochen hat. Was interessiert Sie am Graubereich? Zunächst mal was anderes nochmal setzen. Und zwar finde ich es fantastisch, dass wir eigentlich nicht über Opfer sprechen.

Ich bin zwar deswegen eingeladen worden, weil ich dieses Buch darüber geschrieben habe, aber ich finde es fantastisch, dass hier eigentlich nicht von die Rede ist. Meine These ist nämlich, dass viel weniger Menschen sich als Opfer selber bezeichnen, als mittlerweile in den Medien oft irgendwie, es gibt immer den Vorwurf, alle würden sich als Opfer bezeichnen. Ich halte es für einen Mythos, der da in die Welt gesetzt wird. Alles andere als das ist der Fall. Es gibt immer solche Leute, die das machen, aber ich kann das nirgendwo finden.

Das wollte ich als erstes mal irgendwie deutlich machen. Und diesen Graubereich, beziehungsweise diese Unterschiede, die hier deutlich werden, die finde ich eigentlich nochmal sehr wichtig, das eigentlich auch zu betonen. Sie haben gesagt, gerade, dass als Mensch mit körperlichen Behinderungen, das ja auch wichtig sein kann, diesen, ja, auch in der Arbeitswelt etwas zu leisten, dass das so für das...

für das Selbstwertgefühl ganz wichtig sein kann. Nun ist Leistung nicht weit weg von Optimierung oft. Leistung ist, glaube ich, eigentlich ein wichtiges Stichwort, was von vielen Menschen gesetzt wird, als ein Wert, der wichtig ist.

Aber ich glaube, wir müssen dann viel differenzierter darüber sprechen, welche Art von Leistung meinen wir denn? Und für wen gilt eigentlich was als Leistung? Es kann gar nicht jeder oder Menschen mit unterschiedlichen Formen von Einschränkungen Können unterschiedliche Arten von Leistungen bringen, aber da gibt es nicht die Leistung und nicht mal nur die Leistung im Arbeitsbereich.

Ich glaube, da müsste man noch viel differenzierter werden und eine, ja ich weiß es nicht, schön fände ich eigentlich, wenn die nächste Sendung, die Sie machen, noch weitergehen würde und nicht eine Grenzziehung machen würde, die es hier im Augenblick in dieser Sendung gibt. Das ist nämlich wirklich die Grenze zwischen Es gibt Menschen mit körperlichen Einschränkungen oder Behinderungen oder psychischen. Genau.

Darüber hatten wir natürlich auch ganz lange diskutiert und das könnte man auch machen. Aber etwas, was uns tatsächlich am Herzen gelegen ist und wir kommen langsam zum Ende der Sendung und deswegen bin ich auch so interessiert daran, vielleicht noch herauszufinden, wie denkt man dann über diese unterschiedlichen Kategorien nach und wie hätte man vielleicht noch besser darüber nachdenken können. Etwas, was wir nicht tun wollten.

ist eben eine Grenze setzen zwischen behindert und nicht behindert. Weil wir ja dann immer so tun, als wären das empirische Daten, sondern wie Sie ja auch immer wieder betonen und wie ganz viele Inklusionsorganisationen betonen, entscheidet ja auch die Gesellschaft, was behindert ist und was nicht. Wie wir eben die Gesellschaft einrichten, dass Menschen Zugang haben oder keinen Zugang haben. Sondern wir wollten eben die unterschiedlichen Formen von nicht normal, von auffallen.

thematisieren. Also solche wie Sie, die dick sind, Menschen, die sich verändern, Drag Queen, eine Körperkünstlerin, ein Mensch, der einen Unfall erlitten hat und so weiter. Finden Sie das auch problematisch oder nicht wirklich gelungen? Also dafür bin ich, glaube ich, im Schaffensprozess von Talksendungen nicht derjenige, der das beurteilt kann, ob das gelungen ist oder nicht. Ich bin auch nicht Zuschauer, sondern ich bin ja Teil der Sendung.

Das heißt, dann wäre es ja auch eine Teilschuld. Also ich würde sagen, es war eine gute Sendung. Also ich fand es auch gerade jetzt so im letzten Drittel sind wir, glaube ich, thematisch wirklich an sehr spannende Sachen gekommen. Ich finde den Gedanken super spannend, dass wir, wenn wir über das Thema Behinderung sprechen oder anders sein.

wir eigentlich immer nur diesen roten Faden verschieben, anstatt ihn abzuschaffen. Also zu sagen, okay, es gibt den Körperbehinderten, das ist jetzt plötzlich okay, weil da kann man ja Aufzüge bauen, aber bei psychischen Erkrankungen, da sind wir uns unsicher. Aber letztendlich ist es dann vielleicht doch, wenn wir Inklusion ernst meinen, noch ein ganz, ganz weiter Weg, nämlich die Annahme und die Bewältigung von menschlicher Vielfalt.

Das geht sogar noch weiter, und zwar zu sagen, nicht... die Menschen einem System oder einer Gesellschaft anzupassen, sondern die Gesellschaft den Menschen. Und das bedeutet, zu akzeptieren, dass jeder anders ist.

Jeder ist anders. Und wir aber im Moment diesen Inklusionsbegriff fast schon missbrauchen und ihn nur noch anwenden auf jene Menschen, die volkswirtschaftlich nutzbar sind. Also wo wir dann sagen, die dann eben arbeiten und leisten können. Und dabei vernachlässigen wir die Gesellschaft.

die all jene Menschen, die nicht arbeiten können oder nicht arbeiten wollen. Aber die haben genauso ein Recht auf Sein, auf Leben. Und das müssen wir, glaube ich, noch tiefer denken.

Und der letzte Satz, der, glaube ich, schließt uns wieder alle zusammen, persönlich, Menschen mit Behinderung sind die am schnellsten wachsende Minderheit weltweit. Warum? Weil wir immer mehr alte Menschen haben, weil Menschen mit Behinderung älter werden aufgrund der Medizin.

bessere medizinische Versorgung. Und sie in allen Kulturen existieren. Und wenn wir irgendwann an den Punkt kommen, als Gesellschaft zu verstehen, dass auch nichtbehinderte Menschen ein Recht darauf haben, mit Menschen mit Behinderung zusammenzuleben, dann wird es auf einmal ein Recht für alle und nicht nur ein Recht für diese 10%. Ich glaube, das sind ganz wichtige Gedanken. Lassen Sie mich vielleicht gegen...

Schluss hin noch einmal zu Herrn Scheller kommen und seiner These der Avantgarde, dass eigentlich das Kratzen an der Normalität auch immer so etwas Avantgardistisches hatte. Und da spürt man ja auch, wie für Sie da auch sozusagen die Kunst dann sozusagen ihren Platz findet. Avantgarde und Kunst waren immer sehr, sehr nah beieinander.

Was wird denn die Avantgarde sein in Zukunft? Die Avantgarde, da würde ich mich anschliessen, die Avantgarde wird tatsächlich eine Avantgarde der Vielfalt sein.... Musik... Also gerade wenn wir wieder aufs Bodybuilding schauen, dann können wir sehen, wie es sich entwickelt hat in den letzten Jahrzehnten.

Am Anfang ging es im Bodybuilding wirklich um eine ganz klare Norm des Körpers. Das war der unverletzte Körper, der perfekte Körper, der eigentlich über die Zeiten erhabene Körper. Aber gleichzeitig muss man sagen, bereits in den 40er, 50er Jahren waren im Bodybuilding schwarze Körper, weiße Körper, hat man nicht dazwischen unterschieden.

Die konnten Mr. Olympia werden. Universum werden und so weiter. Aber es gab dieses Ideal des unversehrten Körpers.

Mittlerweile gibt es Wheelchair-Bodybuilding. Mittlerweile werden im Bodybuilding Tattoos akzeptiert. Das war anfangs nicht so.

Also ein Tattoo, das war eigentlich eine Beeinträchtigung des Körpers, eine ästhetische Beeinträchtigung. Das heißt, da öffnet sich das Feld, da findet genau diese Pluralisierung statt. Gleichwohl, es gibt noch einen starken Hang zum Konservatismus.

Es gibt im Bodybuilding, es gibt keine Da-Da-Klasse im Bodybuilding. Es gibt keine... eine Surrealismus-Klasse oder keine Konstruktivismus-Klasse im Bodybuilding.

Das habe ich eingeführt. Aber wenn irgendwann alles geht und Sie sagen, Avantgarde bringt uns immer auch weiter, müsste man dann nicht fast froh sein, dass es noch Konservative gibt, damit es noch Platz gibt für Avantgarde? Ja, absolut. Also die Avantgarde ist immer auf eine Form von Mainstream angewiesen.

Das heisst, es ist ein dialektischer Prozess. Wenn sich irgendwann herauskristallisiert, eine größtmögliche Vielfalt, die auch repräsentiert ist in der Öffentlichkeit, dann wird es... und das erleben wir heute schon wieder, eigentlich Backlashes geben, dann wird es Gegenbewegungen geben dazu, was wir jetzt eben überall auf KM sehen.

Leute, die sagen, wir wollen zurück zu einer Form von Homogenität, Normalität. Das ist eigentlich die Gegenbewegung zu dieser quasi Homogenität der Vielfalt, was ja von manchen sozusagen aufgebracht wird. Also ich glaube, das wird immer wieder passieren. Allerdings sieht man durch die gesamte Geschichte, Die Fichte der Moderne werden vielleicht zustimmen, immer dann, wenn Homogenität auf eine eine oder andere Art und Weise erreicht war, hat man mit Vielfalt darauf reagiert.

Also die moderne Wirtschaft, die Industrialisierung hat zu einer Pluralisierung der Lebensstile geführt. Die Globalisierung, die wir heute erleben, wird auch zu einer Pluralisierung der Lebensstile, der Ausdrucksformen, der Existenzformen führen, auch wenn es Backlashes gibt. Dieser dialektische Prozess wird sich fortsetzen und den sehen wir eben in der Körperkultur. Es wurde vorhin, Sie haben es gesagt, ganz faktisch, es gibt eine größere Pluralität, würde ich sagen, körperlichen Ausdrucks heute als jemals zuvor.

Und auch, selbst wenn der nicht immer verwirklicht wird, es gibt die Möglichkeit dazu, es gibt das Potenzial. Ich glaube, wir sind tatsächlich jetzt an einem wunderbaren Punkt, um hier zu schließen. Es gibt viel, was wir nicht diskutiert haben.

Ich habe Sie ganz am Anfang gefragt, Herr Krauthausen. Was muss passieren, dass das hier keine Alibi-Übung wird? Ich wage jetzt fast nicht zu fragen, ob es eine geworden ist. Ich tue es trotzdem, weil es mir wirklich auch wichtig war, die Frage ernst gemeint zu haben und sie weiter ernst zu meinen. Also nein, das ging schon wesentlich tiefer als viele andere Talkshows, die ich sonst besucht und erlebt habe.

Ich fände es schön, wenn sich das Thema eben jetzt nicht so als... Einmaliges Thema. Als Alibithema.

Als Alibithema dann herhält, wie ja bereits erwähnt wurde, sondern dass wir das eben auch einweben in weitere Themen. Also ich weiß ja nicht, was die Themen der nächsten Sendung sind, aber auch da werden sie es bestimmt darauf achten, dass es nicht nur Männer sind, sondern eben auch Frauen, die als Protagonistinnen finden. Und da aber eben dieses Vielfaltmerkmal zu erweitern und dann eben zu sagen, okay, dann nehmen wir vielleicht eine kleine Frau oder einen kleinen Mann.

Oder... da dann auch dort die Vielfalt zu leben. Ich danke Ihnen sehr, dass Sie hier waren. Ich bin selber wirklich richtig berührt und bedanke mich einfach sehr.

Vielen Dank, Herr Krauthausen, Frau Goldsamann, Herr Eisenhauer, Herr Scheller. Danke. Ja, und auch von meiner Seite vielen herzlichen Dank Ihnen allen hier im Saal und natürlich auch Ihnen zu Hause für das Interesse an der Diskussion über die Normalität und über Vielfalt. Jetzt gleich geht es weiter mit einem Spielfilm, und zwar mit der Entdeckung der Unendlichkeit über das Leben des weltbekannten Physikers Stephen Hawking. Und das Schlusswort übergebe ich jetzt an Pedro Lenz.

Wer anders ist, wird abgelenkt. Aber nicht immer. Nicht jeder Sanger ist gleich bewertet.

Nicht jeder Sanger ist etwas Negatives. Längsein wird in den meisten Fällen bewundert. Wie eine Leistung oder eine Auszeichnung. Ich frage Sie, seid ihr über 2 m?

Seid ihr 2 m? Wie? 2,02 m? Also sogar über 2 m?

Pots, pots, 2,02 m. In diesem Fall über 2 m. Hanspeter, Hanspeter, er ist doch über 2 m.

Du hattest doch recht. Er ist über 2 m. Man hat sicher schon den Kopf am Türrahmen oder an der Lampe.

Bei dieser Grösse, wie macht ihr das mit dem Bett? Habt ihr ein extra grosses Bett? Die Hemden müsst ihr extra machen. Tatsächlich über 2 m, also dass es über 2 m sind.

Das hätte ich jetzt nicht. Man sieht es sich gar nicht an. Ich meine, dass es mehr als 2 m sind.

Spielt ihr Basketball oder Handball? Auch nicht. Ihr wärt doch einer für Handball. Bei dieser Grösse haben wir sicher.

Oder eben Basketball. Oder für ins Goal. Genau, ihr wärt einer für ins Goal.

Das sagen alle Leute und alle sagen es ganz genau so. Aber umgekehrt hätten wir noch nie gehört, dass jemand zu jemandem auffällig, klinisch gesagt hätte, seid ihr unter 1,50 m. Seid weniger als 1,50 m. Wie?

1,48 m. Also sogar unter 1,50 m. Pots, pots, nur 1,48 m.

In diesem Fall doch unter 1,50 m. Hanspeter, Hanspeter, er ist keine 1,5 m. Du hattest doch recht, er ist nur 1,48 m.

Ihr könnt euch nicht die Ruteablage aufmachen. Ihr habt sicher schon mal an einem Ort nicht aufmachen können. Bei einer Küchenschaft oder so. Hey, bei dieser Grösse. Und wie macht ihr es mit dem Bett?

Habt ihr ein extra kleines Bett? Und die Hemden müsst ihr extra machen. Tatsächlich unter 1.5m.

Also, dass es unter 1.5m ist, hätte ich jetzt nicht gedacht. Man sieht es sich gar nicht an. Ich meine, dass es weniger als 1.5m sind. Spielt ihr Minigolf?

Oder tut ihr Badenturnen auch nicht? Ihr wärt doch einer für das Badenturnen. Bei dieser Grösse einmal sicher.

Oder zum Ponyreiten. Ihr wärt einer für das Ponyreiten. Warum sagt man nichts solches?

Vielleicht, weil man die Leute in Ruhe lassen will. Also die kleinen Leute oder die langen Leute lässt man nicht in Ruhe. Was ist eigentlich besser? Jeden Tag mehrmals gesagt, wie gross man ist. Jeden einzigen Tag meines Erwachsenen-Lebens die genau gleichen Fragen beantworten.

Oder jeden Tag meines Erwachsenen-Lebens nichts zu ihrer eigenen Grösse hören. Aber trotzdem merken, dass man angestarrt wird. Man könnte ja schon einmal darüber sprechen. Einmal, aber immer darüber sprechen.

Oder gar nicht darüber sprechen. Das ist beides komisch. Es gibt es auch für die, die nicht dazwischen sind. Nicht dazwischen.