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Soziale Frage und Veränderungen im 19. Jahrhundert

Hi! herzlich Willkommen zu unserem Video zum 19. Jahrhundert. Aus dieser Zeit möchten wir uns wieder einen Aspekt herausnehmen, der für uns alle wichtig ist und der uns heute noch betrifft, nämlich: die soziale Frage. Erst durch Sozialleistungen wird Deutschland zu einem Sozialstaat wie wir ihn heute kennen. Aber wie ist das passiert? Genau darum geht es jetzt. Rentenversicherung, Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung alles Dinge, die für uns heute selbstverständlich sind. Sozialleistungen sollen für eine größere soziale Gerechtigkeit sorgen. Allerdings von dieser Gerechtigkeit sind die Menschen im 19. Jahrhundert weit entfernt. Was Bismarck und Marx damit zu tun haben, das erklären wir Euch später. Aber jetzt erstmal zu einer Entwicklung die schon Ende des 18. Jahrhunderts in England beginnt: nämlich die industrielle Revolution. Ein Video dazu findet ihr übrigens oben im „i“. Zur Mitte des 19. Jahrhunderts läuft die industrielle Revolution international auf Hochtouren, auch hier in Deutschland. Ausschlaggebend für diesen Boom in der Industrie sind Erfindungen, wie die Dampfmaschine, die James Watt 1769 entscheidend weiterentwickelt. Neue und größere Fabriken entstehen. Unternehmer können immer mehr in kürzerer Zeit produzieren und verdienen sich eine goldene Nase. Durch ihren neuerworbenen Reichtum konkurrieren sie mit dem alteingesessenen Adel, der bisher unangefochten den Ton in den europäischen Monarchien vorgibt. Die Aristokratie gerät in eine Krise und gesellschaftliche Umwälzungen sind im vollen Gange. Zu diesen Umwälzung gehört auch, dass aus Agrarstaaten Industriestaaten werden und Städte einen enormen Bevölkerungszuwachs bekommen. Die Menschen zieht es vom Land in die Städte. Aber es zeigt sich auch das Elend dieser Veränderungen: Zwar haben die Menschen Arbeit, aber die ist oft körperlich zermürbend und zu schlechten Konditionen. Hungerlöhne und Arbeitstage von mehr als 12 Stunden sind normal. Unter den Fabrikarbeitern gibt es sogar Kinder. Und nicht selten kommt es zu Toten bei der Arbeit. Ein Mann beobachtet diese Entwicklungen äußerst kritisch: nämlich Karl Marx. Er lebt von 1818 bis 1883 und ist als Philosoph und ehemaliger Zeitungsverleger bestens über das nationale und internationale Geschehen informiert. Karl Marx erkennt die Auswirkungen der industriellen Revolution. Die spaltet die deutsche Gesellschaft. Die Arbeiterschaft wird vom bürgerlichen Unternehmertum mit niedrigen Löhnen ausgebeutet. Diese Zustände kann Marx nicht länger mit anschauen und setzt sich daher für eine Verbesserung der Situation der Arbeiter ein. An dieser Stelle will ich euch das Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis des 19. Jahrhunderts einmal ganz kurz darstellen, grob gesagt. Auf der einen Seite haben wir Mr. Money, nach Marx gehört er zur Bevölkerungsgruppe der Bourgeoisie, dem reichen Bürgertum oder Adel. Als Bourgeoisie ist er Fabrikbesitzer und Arbeitgeber. Sagen wir Mr. Money gehört ein Bergwerk. Zusätzlich besitzt er die Rechte zum Abbau, die Maschinen, die Spitzhacken, die Schaufeln, die Karren oder das Öl und das Wasser, um die Maschinen zu kühlen. All das fasst Marx unter Produktionsmittel zusammen, die Mr. Moneys Privateigentum sind. Was ihm nicht gehört ist der Arbeitnehmer. Der gehört zur Bevölkerungsgruppe der Proletarier, nennen wir ihn mal Steve. Er bedient die Maschinen oder schwingt die Spitzhacke. Durch die industrielle Revolution und die Maschinen sind Arbeitnehmer wie Steve zwar noch notwendig aber nicht mehr so wertvoll. Nach und nach werden manuelle Arbeitsabläufe in den Fabriken durch Maschinen ersetzt. Zu viele Arbeiter für zu wenige Arbeitsstellen. Und Unternehmer, die hauptsächlich ihre Gewinne im Auge haben. Das heißt Mr. Money kann die Arbeitskonditionen verändern und zum Beispiel die Löhne senken oder die tägliche Arbeitszeit auf 14 Stunden hochsetzen. Weigert sich Steve, setzt ihn Mr. Money einfach vor die Tür, denn es gibt genügend andere Arbeitnehmer, denen es schlechter geht und die gerne Steves Job übernehmen wollen. Steve ist also ganz stark von Mr. Money abhängig. Wir gehen jetzt mal weg von den Namen, aber ich denke euch ist klar, in welcher grässlichen Situation die Arbeitnehmer stecken. Sie verfügen über keine umfassenden Rechte und es gibt auch keine Zusammenschlüsse, keine Verbände, die ihre Interessen nach besseren Arbeitsbedingungen vertreten. Ganz im Gegenteil, zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist das Konkurrenzdenken zwischen den Arbeitnehmern sehr, sehr stark ausgeprägt, weil jeder austauschbar ist und man Angst hat, dass durch die Maschinen noch mehr Arbeitsplätze wegfallen werden. Deshalb lässt man sich ziemlich viel gefallen. Und Karl Marx sieht für die Arbeiter eine noch schlechtere Zukunft heraufziehen. In demselben Maße, in dem die Widerwärtigkeit der Arbeit wächst, nimmt daher der Lohn ab. Er befürchtet also, dass sich Monopole in den einzelnen Wirtschaftszweigen durchsetzen. So würde der Wettkampf zwischen Fabrikbesitzern wegfallen und Mr. Money könnte, um unser Beispiel aufzugreifen, für den gesamten Bergbau einen festgeschriebenen Lohn vorgeben. Dann heißt es für die Arbeitnehmer wie Steve, friss oder stirb. Und was macht ein Philosoph wie Marx in so einer Situation? Er greift zu Feder und Papier. Worte sind seine Waffen im Kampf für die Arbeiter. Nach Marx‘ Auffassung bewirken die Produktionsverhältnisse, dass sich die gesellschaftliche Arbeitsteilung vertieft und der wirtschaftliche Reichtum zwar vom Proletariat erschaffen wird, aber der Reichtum an Produktionsmitteln an immer weniger Unternehmer geht. Für Marx ist das der Grundwiderspruch der kapitalistischen Produktion. Nur eine revolutionäre Erhebung der Arbeiterklasse kann dem entgegenwirken. Mit dem Ziel die Produktionsmittel in Gesellschaftseigentum zu überführen. Damit würde der Kapitalismus vom Sozialismus abgelöst. Letztendliches Ziel ist eine klassenlose Gesellschaft im Kommunismus. Dazu findet ihr übrigens auch nochmal ein Video, wenn ihr oben auf das „i“ klickt. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt euch! Genau so schreibt 1848 Marx im Manifest der jungen kommunistischen Partei. Auch wenn das Manifest sich zu Beginn noch nicht weit verbreitet, trifft es den Zeitgeist. Denn ebenfalls 1848 kommt es auf deutschem Boden zur sogenannten Märzrevolution. Einfache Menschen bewaffnen und versammeln sich auf den Straßen von Großstädten wie Berlin oder Frankfurt. Die Situation verschlimmert sich, da es ein Jahr zuvor 1847 eine große Missernte gibt, die eine Hungersnot zur Folge hat. Die Menschen der unteren Schichten wollen und können die katastrophalen Zustände nicht mehr ertragen und stürmen gegen die Monarchen. Zusätzlich werden die Stimmen lauter ein geeinigtes Deutschland zu schaffen. Es kommt zu Aufständen und Straßenkämpfen. Als die Revolution im vollem Schwung, im vollem Gange ist lenken die Monarchen der deutschen Staaten ein. Der Einberufung einer Nationalversammlung wird tatsächlich zugestimmt. Und daraufhin tagt in der Paulskirche in Frankfurt 1848 das erste Nationalparlament. An den verschiedenen Sitzungen nehmen über 500 Abgeordnete teil und es wird über viele richtig große Themen diskutiert. In den meisten kommt man allerdings leider nicht wirklich zu einer Einigung. Als Größte Errungenschaft gilt wohl das „Reichsgesetz betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes“. Das hat auch Einfluss auf unser heutiges Grundgesetz und gewährleistet tatsächlich die Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Zusätzlich wird auch noch die Todesstrafe abgeschafft. Aber leider löst sich das Parlament auf, weil in vielen anderen Fragen keine Lösung gefunden wird und Interessenskonflikte zu groß sind. Daraufhin scheitert auch die Revolution. Die Monarchen spüren, dass die Dynamik schwindet und sorgen daraufhin mit dem Militär wieder für die alte Ordnung. Sie wollen das Rad der Zeit zurückdrehen und wieder ihre Machtposition stärken. Aber auch wenn die Revolution letztlich scheitert, erkennen die Arbeiter, dass sie gleiche oder zumindest ähnliche Forderungen haben. Als Folge dessen gründen sich die ersten Gewerkschaften und Verbände. Die Idee ist ganz klar, liegt auf der Hand: Gemeinsam können sie ihren Forderungen ein größeres Gewicht verleihen und sich besser organisieren. Diese ersten Zusammenschlüsse orientieren sich noch ganz stark an den Berufszweigen. Da gibt es zum Beispiel den Druckerverband oder den Verband der Zigarrenarbeiter. Zur Arbeiterverbrüderung zwischen den einzelnen Verbänden kommt es mit dem Zentralkomitee für Arbeiter im August 1848 in Berlin. Grundsätzlich setzten sich alle für eine soziale Absicherung und für einen Schutz gegen sinkende Löhne ein. Eine weitere Forderung ist ein gesetzlich festgeschriebener 10 Stunden Arbeitstag. Das Druckmittel ist die kollektive Arbeitsverweigerung, wodurch die Unternehmer Gewinnausfälle erleiden, also Streiks. Diese Methode bewährt sich bis heute, wisst ihr ja. Die Zeit der Revolution hat ihnen gezeigt, „die Masse machts“ und ein gemeinsames Auftreten hat durchaus Wirkung. Die Arbeiter haben sich vereinigt. Daher wird 1875 die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands - kurz SAP - ins Leben gerufen, sie ist ein Vorläufer der noch heute bestehenden SPD. Jetzt können Verbände und Gewerkschaften zusammen mit Politikern immer mehr Rechte für Arbeiter einfordern und durchsetzen. Diese neue politische Macht und damit verbundene demokratischen Tendenzen sind Reichskanzler Otto Bismarck ein Dorn im Auge. Und wie reagiert er auf diese Entwicklung? Naja, mit Zuckerbrot und Peitsche, wie es so ein bisschen abgedroschen heißt, aber es passt einfach. Einerseits werden Maßnahmen ergriffen, um die schlimmsten Missstände innerhalb der Arbeiterschaft zu mildern. Zum Beispiel Fabrikinspektionen, die sicherstellen sollen, dass Löhne, Pausen und das Verbot von Kinderarbeit eingehalten werden. Andererseits versucht Otto Bismarck für Ruhe zu Sorgen indem er zwei misslungene Attentate, die 1878 auf Kaiser Wilhelm I. verübt werden, ausnutzt. Diese Attentate lastet Bismarck der SAP an. Wirkliche Beweise gibt es für diese Behauptung zwar nicht, aber Bismarck kann die Sozialisten also Revolutionäre brandmarken und damit Angst unter der Bevölkerung verbreiten. Beim Reichstag am 19. Oktober 1878 erlässt er zusätzlich das Gesetz "wider die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie". Eine Stimmenmehrheit erreicht er über die Konservativen und Nationalliberalen. Das „Sozialistengesetz“, wie es auch genannt wird, erlaubt es sozialistische Parteien, Organisationen und politischer Versammlungen zu verbieten. Aber das Gesetz bewirkt letztendlich das Gegenteil: es stärkt die Opposition der Arbeiter gegenüber dem Staat und ungewollt setzt sich das marxistische Gedankengut richtig durch. So müssen die konservativen Parteien, die vorher Bismarck noch den Rücken gestärkt haben, bei den Reichstagswahlen 1881 starke Verluste hinnehmen. Wegen des Massenelends und der daraus entstandenen revolutionären Gefahr weiß auch Bismarck, dass er handeln muss. Er will den Glauben der Arbeiter an die Monarchie stärken und entscheidet sich deshalb mit Sozialleistungen einzulenken. Ab 1883 verkündet Reichskanzler Otto von Bismarck dann schrittweise die Unfallversicherung, die Krankenversicherung, und eine gesetzliche Rentenversicherung. Über Jahrzehnte hinweg kommen noch weitere Verordnungen dazu. Dazu gehört zum Beispiel auch die erste Form des Kurzarbeitergelds im Jahr 1910. Solange gibt es das schon. Heute sind diese Gesetze und Versicherungen natürlich viel ausgefeilter als damals, aber der Grundstein ist gelegt. Diese Veränderungen erlebt Karl Marx nicht mehr wirklich mit, aber es ist beeindruckend wie genau er die Missstände seiner Zeit erkannt und die Auseinandersetzungen vorhergesehen hat. Erst nach seinem Tod entfaltet die Sprengkraft seiner - oft umgedeuteten oder falsch verstandenen - Ideen ihre durchschlagende Wirkung. Da würde mich mal interessieren: Was meint ihr? Stellt sich die soziale Frage auch noch in unserem Jahrhundert? Gibt es sie wieder? Und wie sieht sie aus? Vielleicht auch international gesehen? Schreibt es gerne unten in die Kommentare und hier Oben auf dem „i“ verlinkt findet ihr mehr zu Karl Marx, und hier neben mir die Playlist zu allen anderen Jahrhundertvideos. Und direkt darunter das Video zum 18. Jahrhundert. Danke fürs Zuschauen, bis zum nächsten Mal.