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Herausforderungen der Pharmaindustrie verstehen

Freunde der Sonne, ich bin's wieder, Mai, Eure Chemikerin des Vertrauens. Nachdem ich im letzten Video klar gemacht habe, warum manche Verschwörungs- erzählungen über Big Pharma nicht- falsifizierbare Märchen sind, mit dem wir nicht unsere Zeit verschwenden sollten, widmen wir uns heute echten, gut dokumentierten Pharmaskandalen. Denn Spoiler: Es braucht gar keine geheimen Machenschaften, wie man es sich für eine Krebs- verschwörung ausmalt. Man kann auch ganz legal Geld über Gesundheit stellen. Wir klären heute Was treibt Big Pharma wirklich an? Welche Gefahren entstehen daraus? Und warum sage ich auch ohne Verschwörung: Man darf der Pharmaindustrie nicht blind vertrauen. Holt euch einen Tee, macht es euch gemütlich, wir steigen durch. Die Pharmaindustrie erwirtschaftet in Deutschland fast 60 Milliarden Euro pro Jahr. Die Firmen agieren, wie für Firmen üblich, nach den Regeln der Marktwirtschaft. Durch Konkurrenz können Anreize entstehen, immer bessere Produkte zu immer geringeren Kosten zu entwickeln. Im besten Fall profitieren davon auch die Verbraucher, die immer mehr Innovation, höhere Qualität und niedrigere Preise bekommen. “Der Markt regelt”, die besten Produkte setzen sich durch. So zumindest die Idealvorstellung. Aber das Ziel “Ich will möglichst viel Geld machen” und das Ziel “Ich will möglichst gute Gesundheitsversorgung”, passen nicht immer zusammen. Erst mal: Hinter jedem neuen Medikament steckt viel Aufwand und Risiko. Die Entwicklung dauert im Schnitt zehn, 15 Jahre und kostet hunderte Millionen bis ein paar Milliarden Euro. Und es gibt keine Erfolgsgarantie. Immer wieder scheitert ein potenzielles neues Medikament sogar noch kurz vor der Zielgeraden. Wirtschaftlich ein herber Schlag auch für große Firmen. “Merck stellt entscheidende Studie zu wichtigem Krebsmedikament ein” “Alzheimer- Wirkstoff von Roche scheitert in Studien - Aktie reagiert deutlich” “Studie gestoppt: Bayer-Aktie stürzt nach Pharmaflop ab” Deshalb überlegen sich Pharmafirmen sehr genau, wann sich Aufwand und Risiko lohnen. Und das kann zu Problemen führen, zum Beispiel bei Antibiotika. Ohne Antibiotika würden wir an einfachen Entzündungen sterben und viele lebensrettende OPs wären sehr gefährlich bis praktisch unmöglich. Aber leider sind einige Bakterien gewiefte Arschlöcher. Sie entwickeln Resistenzen, werden immun gegen Antibiotika. Diese Resistenzen sind ein Riesenproblem. Weltweit sterben schon jetzt über 1 Million Menschen pro Jahr. Der Bedarf an neuen Antibiotika, an die sich die Bakterien noch nicht anpassen konnten, ist also riesig. Da müssten Pharmafirmen doch eigentlich Fett investieren. Tun sie aber nicht. “But why?” Ich sage euch why: Je öfter wir Antibiotika auf Bakterien abfeuern, desto schneller werden sie immun. Deshalb müssen Antibiotika möglichst sparsam eingesetzt werden und neue Antibiotika ganz besonders sparsam. Möglichst nur in Fällen, in denen ältere nicht mehr wirken. Für Pharmafirmen heißt das: All der Aufwand und das Risiko für ein Produkt, das dann möglichst in der Schublade liegt, das lohnt sich einfach nicht. Ein ähnliches Problem gibt es bei seltenen Erkrankungen. Amyotrophe Lateralsklerose zum Beispiel, kurz “ALS”, eine schwere fortschreitende Krankheit, die zu Lähmungen führt. Ein berühmter Betroffener war Stephen Hawking. Bei ihm wurde die Krankheit mit 21 diagnostiziert und dafür wurde er erstaunlich alt, 76 Jahre. Die Hälfte der Betroffenen verstirbt innerhalb der ersten drei Jahre nach Ausbruch der Krankheit. Ihr erinnert euch vielleicht an die Eisbucket Challenge, die vor ein paar Jahren viral ging. Wir zeigen das noch mal kurz, um es verständlich zu machen. “Und das hätte man nicht anders zeigen können?! Vielleicht mit einem von den 1 Million Videos, die es im Internet bereits gibt?!” Also diese Aufmerksamkeitskampagne sollte Spendengelder einbringen und da war sie sehr erfolgreich. Die Eis Bucket Challenge brachte allein einer amerikanischen Non- Profit-Organisation 115 Millionen $ ein. Das gesammelte Geld hat mit dazu beigetragen, dass die Forschung voranschreiten konnte. Es wurden sogar neue Behandlungsmöglichkeiten entwickelt. Wer weiß, was heute für ALS- Betroffene möglich wäre, wenn Pharmafirmen schon früher so am Start gewesen wären. Aber dafür betrifft die Krankheit zu wenige Menschen. Und dann gibt es noch Krankheiten, die viele betreffen, die aber trotzdem wirtschaftlich uninteressant sind. Unter Krankheiten wie Leishmaniose, Dengue-Fieber, Chagas oder der Schlafkrankheit leiden zusammen über 1 Milliarde Menschen. Sie führen zu schweren langfristigen körperlichen Schäden und für 200.000 Menschen jedes Jahr auch zum Tod. Diese Krankheiten werden auch als vernachlässigte Tropenkrankheiten bezeichnet. Und warum werden sie vernachlässigt? Das sieht man auf dieser Karte hier. Die Betroffenen leben vor allem in ärmeren Regionen. Die haben kein Geld und so fließt nur ein Bruchteil der Innovationskraft der Pharmabranche in diese Krankheiten. Vergleichen wir das jetzt mal mit, sagen wir Haarausfall. Wir können uns bestimmt darauf einigen, dass Haarausfall einen Menschen deutlich weniger beeinträchtigt. Aber es betrifft viele Menschen, und zwar auch zahlungskräftige Menschen. Und das ist dann wirtschaftlich wieder sehr attraktiv. “In der Tat.” Ja, der Markt regelt, aber halt nicht immer im Sinne unserer Gesundheit. In den Unternehmen bestimmt die Wirtschaftlichkeit und nicht unbedingt, wo der Leidensdruck der Patienten am höchsten ist. Und selbst wenn Firmen sinnvolle und benötigte Medikamente entwickeln, handeln sie nicht immer im besten Sinne unserer Gesundheit. Oktober 1957 Die deutsche Firma Chemie Grünenthal bringt ein neues Schlaf- und Beruhigungsmittel auf den Markt. In den USA will das Pharmaunternehmen Merel das Produkt vermarkten und beantragt die Zulassung bei der amerikanischen Behörde, der FDA. Da sitzt eine Sachbearbeiterin, die noch ganz neu ist in ihrem Job: Dr. Francis Kelsey bekommt das Beruhigungsmittel auf den Tisch als einer ihrer ersten Fälle. Und sie stellt fest: Statt aussagekräftiger Nachweise zu Wirkungen Nebenwirkungen liegen nur ärztliche Erfahrungsberichte vor, die wenig wissenschaftlichen Wert haben. Kelsey fordert Belege nach, insbesondere weil das Medikament auch an Schwangere verkauft werden soll, da es auch gegen Schwangerschaftsübelkeit hilft. Casey fordert daher vor allem den Nachweis, dass es dem Ungeborenen nicht schadet. Für sie ist klar: Keine Zulassung ohne diese Belege. Aber das würde ja Zeit und vor allem Geld kosten. Stattdessen übt Merel Druck auf Kelsey aus. Sie schreiben Briefe, rufen an, kommen sie besuchen oder drängen bei ihrem Vorgesetzten. Aber Kelsey bleibt stabil, und das Medikament kommt in den USA nicht auf den Markt. In 48 anderen Ländern allerdings schon. Mit fatalen Folgen. Die meisten werden es sicher schon erkannt haben: Es geht um Contergan und einen der größten Pharmaskandale der Geschichte. Die Sorgen von Frances Kelsey sind berechtigt. In den vier Jahren nach der Zulassung führt Contergan zu schweren Fehlbildungen bei bis zu 10.000 Ungeborenen weltweit. Etwa die Hälfte davon in der Bundesrepublik Deutschland. Dazu kommt eine unbekannte Zahl von Totgeburten. Der Hersteller Grünenthal beruft sich später darauf, dass man nicht damit hätte rechnen können. Man sei davon ausgegangen, dass der Conterganwirkstoff von der Plazenta zurückgehalten würde, also gar nicht beim Fötus ankäme. Man wusste allerdings damals schon von anderen Substanzen, die nicht von der Plazenta zurückgehalten werden. Um wirklich sicher zu gehen, hätte es eben Tests gebraucht. Der Fall Contergan ist möglicherweise der bekannteste, aber nicht der einzige Arzneimittelskandal. Wir schreiben das Jahr 1981. Das Pharmaunternehmen Behringwerke erhält die Zulassung für ein Medikament namens Faktor VIII-HS-Behringwerke. Cathy Name, aber ein lebenswichtiges Medikament für Menschen mit Hämophilie A, auch Bluter- krankheit genannt. Bei Hämophilie A schließen sich Wunden deutlich langsamer. Blutungen treten auch ohne erkennbare Ursache auf. Das Risiko zu verbluten und für Infektionen ist deutlich erhöht. Den Betroffenen fehlt meistens ein bestimmtes Protein, das bei der Blutgerinnung hilft, der sogenannte Blutgerinnungsfaktor acht. Dieses Protein wird durch das Medikament ersetzt. Der Ansatz ist auch nicht neu. Seit Jahren produzieren verschiedene Firmen Faktor-VIII-Präparate. Die Bergwerke haben jetzt aber ein wichtiges Update entwickelt. Ein überlebens- wichtiges Update könnte man sagen, denn das Gerinnungsmedikament hat bislang einen großen Haken: Es wird aus Spenderblut hergestellt und das birgt ein hohes Infektionsrisiko. In jeder Dosis steckt sogar Blut von über 1000 Spendern und dementsprechend ist das Risiko, dass ein Infizierter unter den Spendern war, auch über 1000 mal höher als bei einer normalen Blutspende. Und so stecken sich viele Menschen über dieses Medikament an, vor allem mit Hepatitis C. Mit ihrem Update lösen die Behringwerke nun das Problem durch eine gezielte Hitze- behandlung töten sie die Viren ab. Ein Durchbruch. Und 1981 gerade rechtzeitig. Anfang der 80er Jahre taucht eine neue, rätselhafte Erkrankung auf, die ebenfalls durch Viren im Blut übertragen wird: AIDS. Die Fallzahlen steigen rasant, viele Infizierte versterben. Tests gibt es anfangs nicht. Menschen geben die Krankheit weiter, ohne es zu wissen. Eine große Gefahr insbesondere für alle, die auf das Blut- Gerinnungsmedikament Faktor VIII angewiesen sind. Aber zum Glück ist ja jetzt dank der Behringwerke ein neues Verfahren auf dem Markt, das Viren abtötet. Eigentlich. Eigentlich könnten jetzt alle Pharmafirmen, die Blutgerinnungsfaktor VIII herstellen, das Verfahren der Behringwerke lizensieren, also sich das Recht erkaufen, dieses Verfahren ebenfalls zu nutzen. Aber kaufen kostet ja Geld. Wir alle kennen das Problem. Also versuchen die Firmen, eigene Verfahren zu entwickeln, nehmen Fehlversuche in Kauf, um Geld für die Lizenz zu sparen. Den Preis zahlen andere. Es vergehen vier Jahre bis Hitze- behandelte Faktor-VIII-Präparate flächendeckend zur Verfügung stehen. Vier Jahre, in denen weiter mit HIV- kontaminierte Medikamente verkauft werden. In der Bundesrepublik infizieren sich von insgesamt 2704 Menschen mit Hämophilie a etwa 43 % mit HIV, von denen ein Großteil später an AIDS stirbt. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags kommt zu dem Ergebnis, dass spätestens ab 1983 die Datenlage so eindeutig war, dass die alten Präparate nicht mehr hätten benutzt werden dürfen. Das heißt auch, etwa die Hälfte der Infektion war vermeidbar. Und leider ist die Geschichte hier noch nicht zu Ende. Ab Mitte der 80er Jahre waren zwar alle Herstellerfirmen in der Lage, Viren in ihren Medikamenten zu bekämpfen, aber es gab noch Lagerbestände mit alten, unbehandelten Präparaten. Die nachträglich mit Hitze unschädlich zu machen, war unmöglich. In Europa und Nordamerika wollte sie natürlich niemand mehr haben. Also exportierten die Hersteller ihre potenziell HIV- kontaminierten Altbestände noch über ein Jahr lang in andere Länder, insbesondere nach Asien und Lateinamerika. Auch die Behörden hätten schneller reagieren und den Verkauf verbieten müssen. So konnten sich alle Firmen darauf berufen, gesetzeskonform gehandelt zu haben. Ihr seht also, es braucht gar keine geheimen Machenschaften, wie man es sich für eine Krebsverschwörung ausmalt. Man kann auch ganz legal Geld über Gesundheit stellen. Halten wir fest Es gibt immer wieder Interessenkonflikte zwischen Wirtschaftlichkeit und Gesundheit. Nach den Regeln des Kapitalismus wird immer das Geld gewinnen. Um unsere Gesundheit zu schützen, braucht es also zusätzliche Regeln, Gesetze, Kontrollen und Regularien. Davon haben wir heute auch tatsächlich deutlich mehr als vor ein paar Jahrzehnten. Aber reichen Sie auch? Wer heute die Zulassung für ein Medikament will, muss nachweisen, dass es - haltet euch fest - wirkt. Ja, das ist keine Selbstverständlichkeit. Wuhu Wirkung! Seh ich genauso. Keine Selbstverständlichkeit. Diese Auflage gibt es erst seit 1976. Und wer kontrolliert, dass es wirkt? Unabhängige Behörden wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin- produkte, Behörden also, die keinen Interessenkonflikt haben, weil da niemand mehr verdient, wenn mehr Medikamente verkauft werden. Unabhängige Behörden, ich küsse eure Augen. Und wir wissen: keine Wirkung ohne Nebenwirkungen. Auch erst seit 1976 muss man gezielt nach Nebenwirkungen suchen. Wäre das schon immer so gewesen, wäre der Contergan-Skandal vielleicht nie passiert. Vorher mussten Nebenwirkungen nur angegeben werden, wenn sie bekannt waren. Und die Kontrolle geht noch weiter. Sehr seltene Nebenwirkungen fallen statistisch nur bei sehr vielen Anwendungen auf. Da reichen die größten klinischen Studien nicht aus. Man muss das Medikament auch noch weiter beobachten, wenn es schon auf dem Markt ist. Genau dafür gibt es das sogenannte Pharmako-Vigilanz-System. Auch sehr catchy. Pharmafirmen müssen mögliche Nebenwirkungen dokumentieren und melden. Und Ärzte und Patienten können Nebenwirkungen auch direkt an die Behörden melden. Und die können dann zum Beispiel Warnhinweise anordnen oder auch das Medikament ganz vom Markt nehmen. In Deutschland wurde das System in dieser Form erst 2004 eingeführt. 2004. Da hatten wir schon längst Tamagotchis Aber es gibt noch mehr. Auch gegen Wucherpreise für Medikamente gibt es Maßnahmen wie Preisregulierung. Wenn es um Medikamentenpreise geht, können Pharmafirmen nicht einfach beliebig hohe Preise aufrufen. Vor allem die Krankenkassen haben da auch mitzureden. Wenn ein neues Medikament zum Beispiel ähnlich zu bereits existierenden ist, akzeptieren die Krankenkassen auch keinen höheren Preis. Und selbst wenn ein neues Medikament ein richtiger Durchbruch ist, muss der Hersteller den Preis aushandeln und kann ihn nicht willkürlich festlegen. Zumindest nicht mehr seit 2011. 2011. Da hatten wir schon längst Socken für iPods und Schnitzel für Toaster. Aber es geht noch weiter. Werbeverbote: In der EU ist es zum Beispiel verboten, verschreibungspflichtige Medikamente direkt Patienten gegenüber zu bewerben. Nur gegenüber Ärzten ist das erlaubt. Das soll natürlich so laufen, dass eine Ärztin nur Informationen bekommt, nicht etwa Geld dafür, dass sie ein Medikament möglichst oft verschreibt. Das wäre ja Bestechung. Zumindest seit 2016. Vorher war das jedenfalls strafrechtlich kein Problem. 2016, da hatten wir schon Snapchatfilter. Ihr seht also, viele dieser Regeln wurden erst erstaunlich spät eingeführt, aber besser spät als nie. Nur leider ist auch heute noch nicht alles in Butter. Es gibt da zum Beispiel ein Schlupflöchlein, in das sehr viel Geld reinpasst mit dem harmlos sinnvoll, pflichtbewusst klingenden Namen “Anwendungsbeobachtungen”. Offiziell dienen Anwendungsbeobachtungen dazu, weitere Erkenntnisse über Medikamente zu gewinnen. Ärzte verschreiben ein Medikament und beobachten, wie gut es funktioniert. Klingt erst mal super, aber: Die wissenschaftliche Qualität der meisten Anwendungsbeobachtungen ist schlecht. Zum Beispiel weil sie Fragestellungen untersuchen, die nicht mit dem Design einer Anwendungsbeobachtung zu beantworten sind. Schlechte wissenschaftliche Qualität, das hören wir hier natürlich nicht gerne, aber der Clou kommt jetzt: Bei Anwendungssbeobachtungen bekommen Ärzte für jede Verschreibung des Medikaments ein Honorar. Es findet also völlig legal genau das statt, was eigentlich seit 2015 strafbar ist. Pharmafirmen bezahlen Ärzt:innen dafür, bestimmte Medikamente zu verschreiben. “Ich scheiß dich so was von zu mit meinem Geld.” Ja, und sie zahlen wirklich gut. Laut Bundesärztekammer sind die Vergütungen für Anwendungs- beobachtungen oft - Zitat: “unangemessen hoch”. Wenn das selbst Ärzte sagen. Diese Befunde sprechen dafür, dass Anwendungsbeobachtungen von pharmazeutischen Unternehmern meist initiiert werden, um die Verkaufszahlen des untersuchten Arzneimittels zu steigern und den teilnehmenden Ärzten Geld zukommen zu lassen. Okay, die Kontrollen und Gesetze haben also noch Luft nach oben. Aber gut, dass sich da in den letzten Jahrzehnten immerhin schon viel getan hat. Denn wie gesagt, Interessenkonflikte zwischen Geld und Gesundheit gibt es immer wieder und nur Kontrollen und Gesetze können unsere Gesundheit effektiv schützen. Und damit Leute, kommen wir zu einem Kernproblem. Jetzt kommt der Knaller. Setzt euch am besten. Es gibt da einige Produkte, für die die meisten dieser Regeln überhaupt nicht gelten. Kommen wir noch einmal zum Thema Wirkung. Wir wissen ja, ein Medikament darf heute nur zugelassen werden, wenn die Wirkung nachgewiesen und unabhängig überprüft wurde. Das ist Gesetz - es sei denn, hier: In diesem Gesetz steht explizit eine Ausnahme drin. Es gibt eine gesetzliche Extrawurst für Pflanzenheilkunde, Homöopathie und Anthroposophie. Die werden oft zusammengefasst als “besondere Therapierichtungen”. Besonders sind sie ja durchaus. Mitunter werden ja noch nicht mal Wirkstoffe eingesetzt. Aber das macht doch nichts, denn Wirkstoffe sind ja nur für die Wirkung da. Und die ist bei den besonderen Therapierichtungen einfach nicht so wichtig wie Tradition, Erfahrung oder teilweise auch. Ich sage, wie es ist: magisches Wunschdenken. Und es ist auch super praktisch, denn man spart sich den ganzen Aufriss, jahrelang was zu entwickeln, zu prüfen, ob und wie es wirkt, was die Nebenwirkungen sind. Auch mit der Werbung hat man es hier deutlich einfacher. Nicht- verschreibungspflichtige Medikamente dürfen ja beworben werden, aber man darf natürlich nichts behaupten, was nicht solide nachgewiesen ist - eigentlich. Bei Pflanzenheilkunde, Anthroposophie und Homöopathie sieht das anders aus. [Werbespot 1] “Entdecke die Heilkräfte der Wala-Euphrasia- [Werbespot 1] Augentropfen. Dein ein Augentröster [Werbespot 1] bei geröteten, gereizten tränenden Augen. [Werbespot 1] Natürlich wirksam und gut verträglich” [Werbespot 2] “Imupret N [Werbespot 2] kann bei beginnender Erkältung die Abwehrstärken [Werbespot 2] und die Erkältung bekämpfen.” [Werbespot 3] “Jetzt Abwehr- [Werbespot 3] und Selbstheilungskräfte stärken [Werbespot 3] mit Meditonsin.” Klingt alles wirksam, wurde aber nicht mit methodisch korrekten Studien belegt. Und ja, Meditonsin ist homöopathisch. Homöopathie gibt es nicht nur in Globuliform. Höchste Zeit, mal mit ein paar Märchen aus ihrer Kindheit aufzuräumen. Alf war eine Puppe! Besondere Therapierichtungen haben einen echten Freifahrtsschein. Aber es geht noch besser. Man kann wirklich aus jeder Scheiße Gold machen, wenn man weiß wie. Und ich weiß. Pass auf. Ich nehme jetzt diese Flasche Wasser und zwinkere ihr zu. So, jetzt ist das Wasser energetisiert. Das Gesetz verbietet zwar in diesem Fall, dass ich es als Arzneimittel bewerbe, aber das ist kein Problem, wie das nächste Beispiel zeigt. Chlordioxid. Das ist ein Desinfektions- und Bleichmittel, gibt’s überall, aber nur in bestimmten Kreisen wird es mit CDL abgekürzt und in solchen Büchern steht dann drin, wofür das gut sein soll. Hier zum Beispiel dieser vertrauenserweckende Mann schreibt auch darüber. Andreas Kalcker, das ist einer der führenden “CDL-Experten”. Kalcker empfiehlt, dieses Bleichmittel zu schlucken, darin zu baden, sich Einläufe zu machen. Ja, man soll sich das durch den Darm spülen, weil das alles Erdenkliche heilen soll, was die Pharmaindustrie verheimlichen will. Einläufe mit dem Wunder- Bleichmittel sollen etwa von Parasiten- Würmern befreien. Hier ist ein Beweisfoto von einem solchen Parasiten- Wurm frisch ausgespült. In Wirklichkeit ist das allerdings die Darmschleimhaut, die sich da ablöst, weil man sich - surprise - kein ätzendes Bleichmittel durch den Darm spülen sollte. Ich weiß, man muss da vielleicht lachen, aber das ist kein Witz und teilweise herzzerreißend. Zum Beispiel, wenn Eltern versuchen, ihre Kinder mit Chlordioxid von Autismus zu “heilen.” Da wird einem ganz anders. Jedenfalls, “Experten” wie Kalcker betonen dabei immer wieder, dass ihre Bücher natürlich keine medizinischen Ratgeber sind. “Gesetzlicher Hinweis: Bei diesem Buch handelt es sich nicht um eine Empfehlung medizinischer Behandlungen, sondern um eine Datensammlung von selbst behandelnden Freiwilligen.” Die wissen halt ganz genau, wie sie haarscharf im legalen Bereich bleiben. Solche Autoren verkaufen auch oft nur Bücher und nicht das dazugehörige Wundermittel. Das machen andere. In entsprechenden Shops wird natürlich auch mit keinem Wort erwähnt, dass es bei CDL um ein Arzneimittel gehen soll. Gleichzeitig macht man der Kundschaft unmissverständlich klar, dass es hier auch wirklich um dieses Zeug geht, weil Chlordioxid nur in diesem alternativmedizinischen Kosmos mit CDL abgekürzt wird. Viele Menschen, die verzweifelt medizinische Hilfe suchen, werden Opfer solcher Gurus, die ihr Geld damit machen, Eltern solche Sachen für ihre Kinder zu empfehlen, die so etwas mit ihrem Gewissen vereinbaren können, aber gleichzeitig Verschwörungsgeschichten über Big Pharma raunen. Also das ist wirklich eine Ironie der gar nicht witzigen Sorte. Interessenkonflikte zwischen Gesundheit und Geld gibt es in jeder Art von Gesundheitsbranche. Vielleicht denkt sich der ein oder andere bei Big Pharma sogar: Wieso mach ich's mir eigentlich so schwer? “Fitness-Apps, Leute, einfacher kannst du dein Geld nicht verdienen. Es ist simpel. Jeder ist da gerade hinterher. Und sie geben mir all ihre Daten freiwillig. Verkaufe ich natürlich schön weiter.” “Ja, aber ist doch nichts gegen Pharma. Krank wären sie alle früher oder später. Ich sage nur Volkskrankheiten oder Pandemie. Da kommen sie plötzlich alle angelaufen.” “Ich hab mein Geld geerbt.” “Entschuldigen Sie?! Dieser Bereich ist für Leistungsträger, wo ist denn die Security?” “Pandemie. Wirklich gut. Da habe ich auch richtig viel Geld verdient.” “Sie sind reich? Haben Sie Ihr Geld vielleicht manifestiert?” “Ja, ich mache so was Ähnliches wie Sie, nur alternativ.” “Was glauben Sie, was diese Flasche hier in der Herstellung kostet?” “Sehe ich so aus, als wüsste ich, was Wasser kostet? 4 €?” “12 Cent Und wir verkaufen Sie für 189,90.” “Und warum sollte man das kaufen?” “Wir behaupten, dass das Wasser hier energetisiert ist.” “Darf ich mal?” “Boah. Ich spür die Energien.” “Na, aber das müssen Sie doch nachweisen.” “Nö.” “Dann bekommen Sie doch keine Zulassung!” “Brauchen wir nicht. Wir behaupten ja nicht, dass es wirkt, nur, dass es energetisiert ist. Mehr noch, es ist hexagonal. Und wenn jetzt irgendjemand kommt und sich über die Wirkung informieren möchte, dann schaffen wir einfach unabhängige Informationsportale, wo wir unsere Produkte verlinken. Keine langjährige Entwicklung, keine gigantischen Investitionen, kein Risiko, keine Wirkungsnachweise.” “Also ich muss gestehen, das macht mich neidisch.” “Ja, ja, Sie müssen sich dann mit diesen ganzen Gesetzen rumschlagen. Das ist dann wahrscheinlich auch der Grund, warum hier in dem Raum so schlechte Schwingungen sind.” “Ja, das habe ich auch immer gesagt.” “Was für Schwingungen?” “Kriegen wir hin. Passen Sie auf: So... Das hier macht diesen Raum wieder schön. Seiner Energie wird nämlich nachgesagt, schädliche und tödliche Lebensenergie umzuwandeln. Gut, oder? Hilft auch gegen 5G.” “5G? Ich nehm fünf.” “Das macht dann 12.000 €. Ich nehm auch Kreditkarten und ja, da würde ich sagen zur Feier des Tages noch ein Gläschen Hexagonalwasser?” “Ja.” Also, wenn ihr “Big Pharma” nicht vertraut, okay. Aber wenn ihr Pharma schon fishy findet, dann müsst ihr bei der “Alternativmedizin” doch noch skeptischer sein. Die werden nicht mal richtig kontrolliert. Egal ob Spritzen, Globuli oder Heilkristalle. Sobald man Geld mit der Heilung von Krankheiten verdient, entstehen Interessenkonflikte, denen man durch kluge Regularien und unabhängige Kontrollen entgegenwirken muss. Es gibt so ein falsches Schwarz-Weiß-Bild, das viele Menschen haben. Auf der einen Seite die “Alternativ-Bubble”, die “Schulmedizin” und “Big Pharma” hasst, auf der anderen Seite die “Science Bubble”, die Pharma-Fans sind. zumindest für die Science Bubble kann ich als eure Chemikerin des Vertrauens stellvertretend sagen: Ich bin kein Pharma Fan. Ich bin Fan von wirksamen Medikamenten, von unabhängigen Kontrollen und unabhängigen Behörden - Liebe geht raus, von methodisch korrekten Studien, von Evidenz. Ich mag Beweise. Anders gesagt: I like to prove it, prove it. Freunde der Sonne, ich kenne euch doch. Ich weiß, auch ihr liked to prove it prove it. Wenn ihr also noch mehr Sendungen sehen wollt, die auf methodisch korrekten, unabhängig geprüften Studien beruhen: Das hier ist nur die erste von sieben neuen MAITHINK-X-Sendungen. Ab jetzt jeden Sonntag in ZDFneo oder in der ZDFmediathek natürlich. Und ja, ihr habt richtig gehört. Wir haben ab jetzt nicht nur sechs, sondern sieben Sendungen pro Staffel. Also wenn das mal kein Grund zum Singen ist. Wenn ihr dieses 90er Evidenz-Medley ohne mein Gelaber sehen wollt, findet ihr das auch in der ZDFmediathek. Ansonsten sehen wir uns nächste Woche zum Thema ungerechte Klimapolitik. Klimaschutz kostet Geld. Sagen wir, wie es ist. Da führt kein Weg dran vorbei. Das Problem ist: Dieses Geld zahlen aktuell die Falschen. Und ich finde, bei all den Diskussionen rund ums Klima wird auf diese Ungerechtigkeit zu wenig Wert gelegt. Deswegen schaut’s euch an im Fernsehen oder in der Mediathek. Wir sehen es also dort oder hier. Bis dahin bleibt sicher. Also Leute, ihr müsst niemandem blind vertrauen. You’ve got to prove it. Danke an Maddin Schneider, an Loona, an Max Bierhals, den Nerd-Chor, die Tänzer:innen. Danke für’s Zuschauen. Wir sehen uns nächste Woche wieder bei MAITHINK X. Tschüss!