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Bildungsumgebung in Deutschland

Bildung ist wichtig und in einer Wissensgesellschaft essentiell. Auch Politiker weisen darauf immer wieder hin. "Kinder verdienen beste Bildung", steht zum Beispiel im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Aber nicht selten sieht die Umgebung der Bildung, sieht es an deutschen Schulen so aus. (Angespannte Klänge) Viele Gebäude sind völlig marode. Ja, das ist das beste Fenster hier. Unvorstellbar, dass es so was ... Hmm, das muss eigentlich zugeschraubt werden. Aber es ist kein anderer ... Das geht nicht mehr auf und das auch nicht. Die Schüler:innen sind wenig begeistert über die Räumlichkeiten, in denen sie jeden Tag lernen müssen. Überall ist halt ein bisschen Moder. Deswegen sind sie auch alle nicht so ordentlich und ein bisschen so schmuddelig. Was ist da los an unseren Schulen? Ist das überall so? Wissenschaftler weisen darauf hin, dass das unmittelbare Umfeld einen Einfluss auf das Lernen hat. Schulgebäude haben einen indirekten Einfluss auf das Lernen der Kinder. In dieser neuen Folge "MrWissen2go Exklusiv" sind wir zu einer besonders maroden Schule nach Berlin gefahren. Sie ist beispielhaft für viele Schulgebäude in Deutschland. Das passt nicht zu einem guten Lernumfeld. Das ist klar. Aber warum sieht es an deutschen Schulen so aus? Und was müsste sich ändern? Darum geht's jetzt. (Lockere Musik) (Abfallende Töne) Mein Kollege Thilo hat in Berlin das Gymnasium am Europasportpark besucht. Die Schule ist rund 50 Jahre alt und wurde seitdem kaum modernisiert. Direktorin Katrin Schäffer sagt, ein Hauptproblem seien die Fenster. Wenn's richtig stürmt, dann fliegt auch schon mal ein Fenster, was eigentlich zu sein sollte, fliegt auch schon mal auf. Wir haben also auch eine Gefährdungsbeurteilung, die besagt, dass bei Sturm bestimmte Plätze nicht zu besetzen sind am Fenster. Also, wenn wirklich mal eine Scheibe rausfällt, dann ist es so, sagt der Glaser, eine Scheibe fällt nicht, bupp, nach unten, sondern eine Scheibe segelt. Deshalb ist die Absperrung nicht direkt vorm Haus, sondern so 15 Meter vom Haus entfernt und das ist quasi der Schutz. Das ist natürlich auch nur halb gedacht, weil wenn hier die Scheibe raussegelt, knallt sie auch hier rein. Aber es ist quasi der Schutz für die Menschen, die hier das Gebäude betreten. (Mirko:) Die Bausubstanz der Schule ist überall marode. Also das ist, das ist gemacht. (Lachen) Das ist gemacht?

  • Mhm. Na ja, da hat man das Gröbste weggemacht, den gröbsten Dreck. Diese Bereiche werden immer wieder nachgestrichen, weil da immer wieder die Feuchtigkeit durchkommt. Hier sitzt überall die Feuchtigkeit im Mauerwerk. Ja, riecht ein wenig.
  • Mhm, riecht ein wenig. Wenn man es jeden Tag sehen muss, ne? Dieses alte Zeug. Das ist auch nicht schön. (Surren) Geht auch nicht mehr richtig zu. (Leises Lachen) (Rumpeln) Nö. Ich lasse es offen. (Lachen) (Mirko:) Für die Schülerinnen und Schüler, die dort zur Schule gehen, ist die Situation nicht wirklich angenehm. Einige finden es aber gar nicht so schlimm. Ich finde, auch beim Lernen kommt's auf die Lehrer und Schüler an. Und deswegen merkt man nicht wirklich, dass es halt so ein marodes Schulgebäude ist. Ich hab schon manchmal Angst, irgendwie vor allem im Herbst, wenn dann doller Wind ist. Im Sommer sind die Räume oben ziemlich heiß, da wir keine Klimaanlage haben. Also ein neues Gebäude wäre schon ganz schön, das ist schon sehr ... Auch von außen sieht es nicht so schön aus, überall sind Risse. Es ist alles eher so mittelmäßig. (Mirko:) In der gesamten Schule dürfen nur wenige Fenster geöffnet werden. Bei vielen regnet es rein. Vereinzelt wurden neue eingebaut. Das ist quasi ein altes Fenster ... aus einer anderen Schule, die saniert wird, wo die Fenster noch besser sind als bei uns. Wo man relativ gefahrlos dann auch ein Fenster öffnen kann, ne? Wo noch nicht alles kaputt ist. Das wird dann hier eingebaut. Und die anderen drumherum sind in der Regel ... Also, hier kann man wahrscheinlich sogar noch öffnen. Aber hier ist auch nicht mehr zu öffnen. Für uns ist das schon gut. (Mirko:) Auch ihr Büro ist davon betroffen, denn auch hier regnet es rein. Hier kommt es durch und dann habe ich hier auch teilweise einen See. Also, die Zustände sind von Anfang an so, seit 2016. Ich bin seit '17 hier und erlebe das quasi permanent. Also, ich finde nicht, dass wir hier so richtig ernst genommen werden. Warum müssen in Deutschland Schüler jahrelang so eine Schule besuchen? Dieses Gymnasium ist ja nur ein Beispiel von extrem vielen. Wir sind bei unserer Recherche auf zig marode Schulgebäude gestoßen. Laut einer Studie der KfW, der Kreditanstalt für Wiederaufbau beträgt der Investitionsrückstau an deutschen Schulen 45 Milliarden Euro. 17 Prozent der Kommunen nannten nach KfW-Angaben den Investitionsstau in ihren Schulen gravierend. Wie kann das sein? Wer ist dafür verantwortlich? Schon bei dieser vermeintlich einfachen Frage wird es kompliziert. Laut Artikel 7 Absatz 1 des Grundgesetzes ist der Staat zuständig für die Schulen. Zitat: Allerdings ist Bildung, und das wisst ihr, in Deutschland Ländersache. Das heißt, der Bund kann da gar nicht so viel mitreden. Auch das ist im Grundgesetz so verankert. Man wollte nach der NS-Zeit den Missbrauch des Bildungssystems erschweren. So werden die Lehrer aus Landesmitteln finanziert. Also alle Gehälter kommen direkt aus dem Haushalt eines Bundeslandes. Für die Schulbauten, für die Gebäude wiederum, sind die Kommunen oder die Landkreise zuständig. Muss eine Schule saniert oder neu gebaut werden, dann finanziert das die Gemeinde beziehungsweise der Landkreis. Das jeweilige Bundesland gibt gerade bei Neubauten auch oft Gelder dazu, aus einem Fördertopf, einem Investitionsprogramm zum Beispiel. Der Bund aber darf da faktisch nichts finanzieren. Er kann zweckgebundene Mittel bereitstellen, wie beim Digitalpakt, als Milliarden für Tablets und Internetzugänge bereitgestellt wurden. Mehr dazu erfahrt ihr in dem Video hier oben auf dem "i". Weil jetzt also die Kommunen maßgeblich die Schulgebäude finanzieren, sehen Schulen in ärmeren Gemeinden häufiger so aus wie das Gymnasium am Europasportpark. In Berlin wurde jahrelang nicht in Schulen investiert, bemängeln Kritiker. Auch hätte man die Schülerzahlen unterschätzt und so plötzlich viel mehr Schulgebäude benötigt, die dann natürlich nicht mal eben gebaut werden können. Mein Kollege Thilo konnte in Berlin mit der zuständigen Behörde sprechen, mit dem Bezirksamt Pankow, und zwar eben über dieses eine Gymnasium. Warum sieht die Schule so aus, wie sie aussieht? Weil sie seit 1973, seitdem das Objekt so errichtet wurde, quasi nicht ordnungsgemäß saniert und instandgehalten wurde. Wie kann das sein?
  • Wie das sein kann? Indem man quasi kein ... keine finanziellen Mittel in diese Schule, äh, steckt oder wir die entsprechenden, ähm, Drehscheiben genehmigt kriegen. Wir hatten insgesamt fünf angemeldet, bewilligt haben wir nur zwei bekommen seinerzeit. Das war dann sozusagen alles. Es ist ja in den letzten fünf Jahren sozusagen passiert mit den Drehscheiben, ähm, dass wir die Schülerschaft dort nicht rauskriegen in dem Sinne. Es gibt keinen Raum, wo die provisorisch unterrichtet werden können? Genau, es gab keine ... Wir nennen das ja Drehscheiben. Um die Schulgemeinschaften aus dem Objekt rauszuholen, in eine Drehscheibe zu setzen, eine Drehschulscheibe, um dann das ursprüngliche Gebäude durchzusanieren. Was bedeutet das konkret für Frau Schäffer und ihre Kolleginnen und die Schüler an der Schule? Konkret bedeutet das für die Schüler und Schülerinnen, dass ich mir hier ein Bein ausreißen werde und alles tun werde dafür, dass Frau Schäffer schnellstmöglich und ihre Schulgemeinschaft aus diesem Objekt rauskommt, weil die Zustände da drin einfach nicht hinnehmbar sind. Da muss ich nicht dort vor Ort gewesen sein. Dann kämpfe ich dafür und versuche, dass die schnellstmöglich in das Objekt an der Kopenhagener einziehen können. Nun gibt es aber noch nicht mal eine Baugenehmigung. Richtig, weil diese Baugenehmigung durch den Eigentümer des Objektes eingeholt werden muss. Also, das können nicht wir als Bezirksamt machen. Ja, es ist wie so oft kompliziert. Erst muss der Sanierungsbedarf erfasst werden. Dann findet sich kein Ausweichgebäude für die Schulgemeinschaft. Und als das dann endlich gefunden ist, braucht es noch die Baugenehmigung für die Umbauten. Denn die Schule zieht in ein ehemaliges Bürogebäude um, das erst einmal umgebaut werden muss. Und das dauert. Geld allein hätte in unserem Beispiel also gar nicht geholfen. Aber insgesamt würden ärmere Kommunen natürlich mit mehr Geld schon deutlich besser für ihre Schulgebäude sorgen können. Ganz klar. Steht dieser Status quo nicht im Widerspruch zum Bildungsland Deutschland? Zum selbsternannten, muss man dazusagen. Im aktuellen Koalitionsvertrag der Ampelregierung steht, Zitat: Ist das denn in Deutschland wirklich gewährleistet? Eine große Frage, die man nicht in einem Video beantworten kann. Aber Bildungsexperten fordern schon lange, dass Deutschland mehr Geld für seine Bildung ausgeben muss. Und zwar in allen Bereichen. Tatsächlich haben sich auch die Ausgaben für Bildung in Deutschland ungefähr verdoppelt in den vergangenen 20 Jahren. Das klingt erst mal viel. Aber die Ausgaben, die steigen schon allein dadurch, dass Lehrer mehr Geld bekommen, dass es mehr Schüler gibt, und dass viel Geld in den Ausbau der Schulen zu Ganztagsschulen gesteckt worden ist. Das Bundesbildungsministerium schreibt uns dazu, dass Deutschlands Pro-Kopf-Bildungsausgaben mit mehr als 15.000 US-Dollar höher seien als der OECD-Durchschnitt. Richtig ist aber auch, dass die Ausgaben für Bildungseinrichtungen, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, geringer sind als der OECD-Durchschnitt. Da liegen viele Länder weit vor Deutschland. Markus Sänger ist einer der Mitbegründer des Bündnisses "Bildungswende jetzt!", ein Zusammenschluss von Eltern, Schülern, Lehrern und Erziehern. Sie fordern ein sofortiges Umdenken im Bildungssektor. Auch weil ärmere Gemeinden oft eine viel schlechtere Ausstattung hätten. Die finanzielle Situation der Kommunen hat einen massiven Einfluss auf die Gebäudestruktur der Schulen. Wir haben in ärmeren Kommunen Schulen mit unfreiwilliger Innenbegrünung, während wir in reicheren durchaus auch mal gewollte Innenbegrünung haben. Was würden Sie sich wünschen konkret?
  • Ich würde mir wünschen, dass Bund, Länder und Kommunen enger miteinander zusammenarbeiten, das große Thema Bildung auf der Karte an erster Stelle haben, den Investitionsstau in unseren Schulen, in unseren Kitas und in unseren Universitäten aufheben und sich auf den Weg machen in ein zukunftsgerechtes, inklusives Bildungssystem. Was fordern Sie? Mindestens 100 Milliarden Euro als Investitionsmaßnahme in die Schulen, nicht nur für Infrastruktur, auch für Lehrerausbildung. Vielleicht habt ihr es gemerkt, damit spielt er auf das Sondervermögen Bundeswehr an, das nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sehr zügig verabschiedet wurde. Das Bundesbildungsministerium möchte uns kein Interview dazu geben und teilt uns schriftlich mit, Zitat: Für so ein Sondervermögen Bildung spricht unter anderem die wissenschaftliche Erkenntnis, dass das Lernumfeld einen Einfluss auf das Lernen hat. Das ist ähnlich wie beim Müllphänomen. Da wo mehr Müll rumliegt, schmeißen Menschen auch mehr Müll in die Landschaft. In einer sauberen Umgebung wird weniger weggeworfen. Ohne jetzt Bildung mit Müll zu vergleichen. Das Gegenteil ist der Fall. In Schulen lässt sich das auch beobachten. Das haben uns mehrere Lehrer geschildert. Da, wo alles ordentlich ist, wird viel weniger kaputtgemacht. Jetzt machen intakte Schulgebäude allein noch keine schlauen Schüler. Aber wie sich die Lernumgebung aufs Lernen auswirkt, das hat uns die Erziehungswissenschaftlerin Ulrike Stadler-Altmann erklärt. Sie forscht genau zu diesem Thema. Schulgebäude haben einen indirekten Einfluss auf das Lernen der Kinder. Wenn wir uns so weiche Faktoren anschauen wie persönliches Wohlbefinden, das Gefühl, willkommen zu sein. Das sind Signale, die ein Schulgebäude ausstrahlen kann. Dazu gibt's auch einiges an Forschung, etwa von Christian Rittelmeyer, der gesagt hat: Was macht es mit unserer, tatsächlich mit unseren Gefühlen, unseren Emotionen, wenn wir ein Schulgebäude betrachten? Fühlen wir uns eingeladen? Ist es eher abweisend? Damit könnte ein Schulgebäude schon was signalisieren. Beziehungsweise die Schulgemeinschaft könnte mit ihrem Schulgebäude etwas ausdrücken. Nämlich eine Willkommenskultur. Beispielsweise sagen: Hier wird gerne gelernt, hier bist du als Schüler und Schülerin willkommen, aber eben auch als Lehrperson und als Eltern. Jetzt haben Sie ja schon Studien angesprochen. Was gibt es denn da konkret für Ergebnisse? Also, ein sehr konkretes und überzeugendes Ergebnis gibt's von Peter Barrett, der in seiner HEAD-Studie nachgewiesen hat, dass Schulgebäude, Klassenzimmer und deren Gestaltung tatsächlich einen Einfluss auf das Lernen haben. Und zwar auch hinsichtlich der Faktoren wie Licht, Lüftung, Farbe an den Wänden, Ausblick ins Grüne. Also, wenn man sagt, das ist vielleicht hart für Fakten an der Stelle. Da konnte er zeigen, dass in der Klasse, in der das untersucht wurde, im Vergleich zu einer anderen Klasse, bis zu ein Schuljahr mehr Stoff bearbeitet und gelernt werden konnte. Die Wissenschaftlerin hat uns auch erzählt, dass es gut sei, wenn Schüler und Lehrer bei der Raumplanung einbezogen werden, und dass gemeinschaftlich genutzte Räume wichtig seien. In Südtirol zum Beispiel seien pädagogische Ideen für die Schulbaurichtlinie aufgenommen worden, was sich dann positiv auf den Unterricht ausgewirkt hat. Tatsächlich gibt es auch in Deutschland Schulen, wo die Situation sehr gut ist. Hier in Ingelheim bei Mainz zum Beispiel. Ich bin dort zu einem Vortrag eingeladen und spreche darüber, wie man Falschmeldungen erkennen kann. Die Schule sieht, muss ich sagen, super aus. Ganz anders als die in Berlin. Dazu muss man aber wissen: Ingelheim ist auch eine deutlich reichere Gemeinde im Vergleich zu dem Bezirk in Berlin. Die Schüler finden es gut. Wir haben total viele Möglichkeiten für Fünfte, Sechste, Siebente und Achte. Wir haben total viele Lernbüros oder generell Sachen, wo Schüler sitzen können und viele Möglichkeiten haben, offen zu lernen, was ich total gut finde. Ich glaube, ich habe sehr viel Glück mit der Schule hier und auch mit den Lehrern, die ich gerade habe. Und die Ausstattung ist ja sehr gut. Also, es ist eine sehr angenehme Atmosphäre. Gerade im letzten Jahr mit den Lernumgebungen, die durch die Kreisverwaltung gestiftet wurden oder propagiert wurden. Es ist angenehm modern. Ja. Das heißt, in Deutschland werden Schüler teilweise in Räumen unterrichtet, wo kein normaler Angestellter je arbeiten würde. Viele Schulgebäude wurden seit Jahren kaum saniert oder modernisiert. Dabei hat die Lernumgebung nachweislich einen indirekten Einfluss aufs Lernen. Hier könnt ihr noch weiter schauen. In diesem Video geht es um künstliche Intelligenz und wie sich das auf den Schulalltag auswirkt. Das ist auch ein Bildungsthema. Und direkt darunter noch ein Video der Kollegen von "STRG_F", die zeigen, dass viele Schülerinnen und Schüler überfordert sind und kurz vor dem Burnout stehen. Danke euch fürs Zuschauen und bis zum nächsten Mal.