Transcript for:
Vorlesung über Homer und die Ilias

Ich begrüße Sie zu einer hoffentlich musenreichen Viertelstunde. Mit Homer, darüber sind sich alle einig, mit Homer beginnt die abendländische Literatur, überhaupt die Literatur der Menschheit vielleicht. Nun, was unterscheidet die Ilias und die Odyssee von den anderen Ebenen, die es vor Homer gab, von denen wir leider nicht viel mehr haben, ein paar Bruchstücke, aber die wir doch rekonstruieren können? Was ist das Neue bei Homer? Sehen wir uns in Anfang den ersten Satz. der Ilias an. Dort heißt es, besinge, o Muse, den Zorn des Achill. Und damit ist schon das Neue, das aufregend Neue charakterisiert. Denn es ist dieses Epos, die Ilias, ist nicht die Geschichte primär, die Geschichte des Trojanischen Krieges, sondern der Trojanische Krieg bildet so etwas wie die Kulisse, den Hintergrund. Vor dieser Kulisse spielt eine Geschichte von einem Menschen, nämlich von Achill und dem Zorn. Und das ist das unerhört Neue. Bis dahin ist anders geschrieben worden, ist anders erzählt worden. Die anderen Mythen, die es gab, die verloren gegangen sind, die haben ein historisches Ereignis erzählt. Und dort waren die Personen nicht mehr als die ausführenden Organe dieses historischen Ereignisses. Das ist ganz anders bei Homer. Bei Homer steht ein Individuum, eine Person im Zentrum. Und das ist das ungeheuer Neue. Besinge, oh Muse! Den Zorn des Achill vor dem Hintergrund des Trojanischen Krieges. Was war dieser Zorn des Achill? Was hat ihn ausgelöst? Den Zorn des Achill. Folgen wir der Ilias. Agamemnon, der Heerführer vor Troja, der Generalissimus, der Bruder des Menelaos. Menelaos ist ja die Ursache des Krieges. Seine Frau Helena wurde gestohlen und er will sie sich zurückholen. Agamemnon nun hat sich bei einem der Raubzüge ein Mädchen mitgenommen, die Tochter eines trojanischen Priesters, Chryseis. Und in sie hat er sich verliebt. Das ist... Mehr als nur eine Mätresse, er hat sich wirklich in sie verliebt, er hat es sogar gesagt, er hat gesagt, ich liebe sie mehr als meine Frau Clitamnestra. Nun gut, über Clitamnestra habe ich schon erzählt und diese Liebe des Agamemnon, wenn der überhaupt in der Lage ist zu lieben, ist etwas Eigenartiges. Na gut, aber in diese Chryseis, in dieses Mädchen hat er sich nun wirklich verliebt. Aber dieses Mädchen, das wollte nicht bei diesem Schlagetod bleiben, sie wollte zurück zu ihrem Vater, sie wollte nach Hause, sie ist Kriegsbeute. Und ihr Vater, dieser trojanische Priester, der hat sich natürlich auch nichts mehr gewünscht, als dass seine Tochter wieder zurückkommt zu ihm. Und er hat zu seinem Gott gebetet, zu Apoll. Ich habe schon mal angedeutet, auch die Götter haben sich in diesem Krieg beteiligt am Geschehen. Sie haben nicht nur zugeschaut vom Berg Ida aus, das hat... Zeus gemacht, das hat Hera gemacht, sondern sie haben sich eingemischt und Apoll hat auf der Seite der Trojaner gekämpft. Er war der Meinung, die Trojaner sind ihm recht, zumindest waren ihm die Trojaner sympathischer. Und nun hat der Vater der Chrysäis, dieser Priester des Apoll, zu seinem Gott gebetet und hat gesagt, ich möchte meine Tochter zurückhaben. Schick die Pest ins Lager der Griechen. Sie sollen sehen, was sie angerichtet haben dadurch, dass ihr Heerführer, ihr Generalissimus, das Agamemnon, meine Tochter, gestohlen hat. Und Apoll hat die Gebete seines Priesters erhört. Er ist erhabenen Schrittes durch das Lager der Griechen gegangen, den Bogen in der Hand und hat die Pestpfeile eingelegt und hat auf die Helden geschossen. Es gab einen Helden. Bei den Griechen, einen Held, der konnte die Götter sehen in brenzligen Situationen. Das war Diomedes. Und Diomedes hat gesehen, wie Apoll durch die Reihen der Griechen ging und seine Pestpfeile abgeschossen hat. Und er wusste, was die Ursache ist. Er ging zu Agamemnon und hat gesagt, hör zu. Agamemnon, gib Chryseis zurück, gib die Tochter ihrem Vater wieder. Ansonsten werden wir diesen Krieg nicht nur verlieren, sondern wir werden eines sehr unheldenhaften Todes sterben. Wir werden nämlich an der Pest zugrunde gehen. Agamemnon hat auf Diomedes nicht gehört. Wer ist Diomedes? Irgendein Offizier? Dann hat sich Achill eingeschaltet, ist zu Agamemnon gegangen und Achill ist der größte Held der Griechen. Ohne ihn ist gar nicht vorstellbar, dass ein Krieg geführt wird dort. Und er hat gesagt, gib sie zurück, du musst es tun, es ist deine Verpflichtung. Und Agamemnon hat gesehen, reihenweise starben die Soldaten an der Pest. Er hat seinen Berater Kalkers gefragt und der hat gesagt, ich glaube es bleibt dir nichts übrig, du musst deine Geliebte hergeben. Das hat Agamemnon dann getan, aber er war voll Zorn und hat sich gedacht, ich bin der Generalissimo, ich lasse mir doch nicht vom Achille etwas vorschreiben. Und was hat er gemacht? Er hat gesagt, ich gebe Chryseis zurück, dafür hole ich mir deine Geliebte, deine Mätresse. Und hat dem Achille das Mädchen Meck genommen, das auch Achille geliebt hat. Und das ist die Ursache für den Zorn des Achill. Wie hat Achill reagiert? Er hat gebockt. Er hat gesagt, gut, wenn du das willst, bitte, meinetwegen. Dann werde ich aber in den Kriegsstreik treten. Ich werde einfach nicht mehr teilnehmen am Kreuzzug. Ich werde zu Hause bleiben, in meinem Zelt. Ich werde zusehen. Und nicht nur ich, sondern auch mein Freund Patroklos und all diese Soldaten, die mit uns gekommen sind. Da könnt ihr selber schauen, wie es weitergeht. Und es ging nicht gut weiter. Die Trojaner haben die Griechen zurückgedrängt. So ein Soldat war Achill und es hat sehr, sehr bitter ausgesehen für die Griechen und sie hätten diesen Krieg verloren. Odysseus ist zu Achill geschickt worden, er soll ihn doch überreden, er hat alles Mögliche probiert. Schließlich hat sich Achill erweichen lassen, aber nicht er selbst ist in den Krieg gezogen und hat gesagt, gut. Ich werde meinen Freund Patroklos schicken. Er soll stellvertretend ein bisschen für Ordnung sorgen. Hat ihm seine wunderbare Rüstung geliehen, dem Freund Patroklos. Und Patroklos mit seinen Soldaten hat wieder Krieg geführt. Und es hat so ausgesehen, als ob sich das Kriegsglück wieder wendet. Die Griechen haben die Trojaner zurückgedrängt. Aber dann kam es zum Zweikampf zwischen dem Patroklos und dem Hector. Hector, der Heerführer der Trojaner. Ein edler Mann, der den Krieg nie wollte. Und in diesem Zweikampf fiel Patroklos. Er wurde getötet von Hector, der Freund, der Vertraute, der engste Freund des Achilles. Der Schmerz des Achilles ist unendlich gewesen. Unendlich. Und er hat nicht mehr daran gedacht, weiter in den Kriegsstreik zu treten, sondern hat sich eine neue Rüstung machen lassen und ist selbst wieder aufs Feld gegangen. Und ihn hat er überhaupt nicht interessiert, ob man die Helena zurückbekommt oder wie dieser Krieg ausgeht. Er wollte nur eines. Er wollte einen Zweikampf führen mit Hector, mit dem Mann, der ihm seinen liebsten Freund getötet hat. Und es kam zu diesem Zweikampf. Hector sagt zu Achill, hör zu, wir beide sind edle Herren, lass uns etwas verabreden. Wer auch immer in diesem Zweikampf siegen wird, er soll dem Gegner, dem Getöteten, alle Ehre erweisen. Achill sagt darauf, das kannst du meinetwegen tun, mich interessiert das nicht. Mich interessiert das nicht. Ich werde dir keine Ehre erweisen. Es kam zum Zweikampf zwischen den beiden. Und es wäre beinahe für Hector ausgegangen, es musste sich Pallas Athene, die Göttin, einmischen. Sie hat dem Hector die Sinne vernebelt und Achill hat Hector getötet. Und er hat dem Leichnam keine Ehre erwiesen, er hat ihn siebenmal um die Stadt Troja geschleift. Und er hat ihn auch nicht begraben, sondern neben seinem Zelt liegen lassen. Und nun kommt es zur schönsten Szene in der Ilias. Der Greise Priamos, der König von Troja, kommt und bittet Achill, ihm die Leiche seines Sohnes zu geben. Und diese beiden sind einander entgegengesetzt, wie man gar nicht sein kann. Der alte Mann, dessen Sohn Hector das Liebste des Achill, nämlich seinen Freund Patroklos, getötet hat. Und auf der anderen Seite Achill, der Feind des Priamos, der den Sohn des Priamos getötet hat. Aber es gibt etwas, was die Menschen nicht wissen. beiden vereint verbindet über ihre gegensätzlichkeit hinaus es ist ihr schmerz und dieser schmerz führt sie zusammen und sie sitzen da und sie weinen gemeinsam sie umarmen sich und achille gibt den leichnam des hektor frei nun achille sie wissen es er war am ganzen körper unverwundbar bis auf die eine stelle an der verse achille wird auch getötet werden In diesem Krieg, Paris schießt einen Pfeil von den Zinnen der Stadt Troja ab. Er konnte nicht gut mit dem Pfeil und Bogen umgehen. Apoll hat diesen Pfeil gelenkt und dieser Pfeil war vergiftet und er traf den Achill in der Ferse. Aber der Krieg wurde dann dennoch gewonnen. Sie kennen die Geschichte vom trojanischen Pferd. Ich will es gar nicht weiter ausführen. Ein hohles Holzpferd wurde als Geschenk an die Trojaner dort gelassen. Die Griechen haben sich als List zurückgezogen. Die Trojaner haben das Pferd mit in die Stadt gezogen. Das Pferd war angefüllt mit Soldaten, mit Griechischen. Und sie haben die Stadt von innen aufgerollt. So endete dieser Krieg. Und dann gab es noch eine Geschichte, eine furchtbare Geschichte. Als die Stadt eingenommen war, wird ein Kind gefunden, ein Jahr alt. Und diese Helden, die griechischen, lauter derbe Männer, zehn Jahre hat dieser Krieg gedauert, verhärtet. Plötzlich kommt so etwas wie ein weiches Empfinden in ihr Herz, als sie diesen Säugling sehen. Einer reicht in dem anderen weiter, sie wollen alle in den Popo klemmen von diesem Säugling. Na du, du, du, sagen sie alle mit ihren schwierigen Waffenhänden. Und dann kommt Odysseus und sagt, wisst ihr wer das ist? Sie sagen, nein, wer ist das? Das ist Astianax, sagt Odysseus. Astianax, der Sohn des Hektor. Ja, und? Sagen sie. Ja, was stellt ihr euch vor, sagt Odysseus? Dieser kleine Astianax, der wird ja heranwachsen. Naja, soll er doch, ist doch ein lieber Kerl, wird ein schöner Mann, sagen sie. Ja, was glaubt ihr, wird dieser Astianax tun, was wird er tun müssen, wenn er erwachsen ist? Er wird sich rächen müssen für das, was wir seiner Stadt, seiner Familie angetan haben. Ja, aber doch nicht dieses kleine Kind, sagen sie, was sollen wir denn tun? Oh, sagt Odysseus, hört her. Ihr wolltet diesen Krieg haben, ich wollte ihn nicht. Ich habe mich gedrückt vor diesem Krieg, das gebe ich offen zu, ich wollte ihn nicht. Aber Krieg kann man nicht als halbe Sache führen, sagt Odysseus. In diesem Fall ist er ganz der Schüler von Palas Athene, nicht der Schüler des Kriegsgottes Ares, der einen Spaß daran hat, Krieg zu führen, sondern Palas Athene will den Krieg verhindern, aber wenn er geführt wird, muss er geführt werden, sagt Odysseus. Was soll jetzt mit diesem Kind geschehen? Wir können es nicht zulassen, dass es erwachsen wird, sagt Odysseus. Denn es wird ein Heer zusammenstellen und wird gegen uns ziehen und das Ganze beginnt von Neuem und immer wieder, immer wieder. Ja und? Wir müssen es töten, dieses Kind, sagt Odysseus. Da stellt sich Menelaos, der Menelaos, dieser Mann, der so zur Hälfte aus Sentimentalität besteht und zur anderen Hälfte aus Brutalität, der stellt sich vor das Kind und sagt, ich werde es beschützen. Ach so, sagt Odysseus. Du bist plötzlich der Beschützer der Kinder. Wegen dir haben wir zehn Jahre lang Frauen und Kinder umgebracht und du willst der Beschützer der Kinder sein? Nein, es gibt gar keine andere Möglichkeit als dieses Kind jetzt zu töten, um zu verhindern, dass dieser Krieg weitergeht. Das ist die Logik des Krieges, sagt Odysseus. Und es wird abgestimmt und es wird dem Odysseus Recht gegeben. Nicht Odysseus selbst hat den Knaben getötet, sondern er hat es veranlasst. Astianax wird von den Zinnen der rauchenden Stadt Troja geworfen. Er wird geopfert. damit weiter kein Krieg mehr sei. Das ist die perverse Logik des Krieges. Diese Geschichte erzählt uns der Homer nicht. Wir können sie beim Euripides in Ansätzen erfahren, wir können sie in Ansätzen bei Vergil erfahren, dessen Äneas im Rückblick den Untergang der Stadt Troja beschreibt. Und nun ziehen die Helden nach Hause. Fast keinem wird eine glückliche Heimkehr beschieden. Und die unglücklichste Heimkehr, die am längsten dauert, die trifft den Odysseus. Und Homer hat dieser Heimkehr ein eigenes Epos gewidmet, die Odyssee. Und die Odyssee werde ich Ihnen das nächste Mal erzählen.