Nach dem Messerangriff in Solingen hat die Polizei einen Tatverdächtigen festgenommen. Der 26-jährige Syrer soll sich selbst gestellt und zugegeben haben, für den Anschlag verantwortlich zu sein. Inzwischen hat die Bundesanwaltschaft den Fall an sich gezogen. Bei dem Angriff waren vorgestern drei Menschen getötet worden.
Bei vielen sitzt der Schock tief. Am Vormittag kamen Hunderte zu einem Trauergottesdienst zusammen. Die Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt. Einige Besucher weinen bei dem Gottesdienst.
Bilder aus der Kirche gibt es aus Respekt gegenüber den Trauernden nicht. Die Menschen in Solingen wollen in diesen schweren Stunden zusammenstehen. Am Zimmer überfällt mich das ein bisschen, aber ich muss stark sein. Das ist total super, dass man auch wenigstens einen Anhaltspunkt hat oder ein Zusammentreffen hat von Leuten, die zusammentrauern können.
Gestern Abend stellt sich der mutmaßliche Täter der Polizei und gesteht die Tat. Bei dem 26-jährigen Verdächtigen soll es sich um einen Geflüchteten aus Syrien handeln. Eigentlich sollte er im vergangenen Jahr nach Bulgarien abgeschoben werden, weil er dort in die EU eingereist war.
In Deutschland war sein Asylantrag abgelehnt worden, doch seine Abschiebung ist lang. Das sorgt nun für politische Diskussionen. Ich erwarte bei allen politischen Debatten, dass sie den Respekt vor den Menschen dieser Stadt zollen.
Dass Solingen nicht missbraucht wird, wie es schon einmal geschehen ist für politische Debatten, sondern dass die Menschen, die gerade schwer zu tragen haben, den Respekt gezollt bekommen, egal welche Debatte jetzt geführt wird. Der mutmaßliche Täter wurde inzwischen nach Karlsruhe. Karlsruhe gebracht.
Dort hat wegen eines möglichen terroristischen Hintergrunds die Bundesanwaltschaft den Fall übernommen. Gestern Abend hatte der sogenannte Islamische Staat die Tat für sich reklamiert. Und darüber sprechen wollen wir mit unserem ARD-Terrorismus-Experten Michael Göttschenberg. Wir haben eben gerade gehört, der Generalbundesanwalt hat sich eingeschaltet.
Woran macht man denn fest, dass es sich bei diesem Attentat um einen Terrorakt handelt? Ja, es gibt verschiedene Elemente, die hier eine Rolle spielen. Da ist zum einen das Bekenntnis, die Bekenntnisbotschaft des sogenannten Islamischen Staates, die gestern veröffentlicht wurde und in der der IS den mutmaßlichen Täter als einen Soldaten des Islamischen Staates bezeichnet. Das heißt, es steht hier der Verdacht im Raum.
dass der Täter in Kontakt gewesen ist mit dem sogenannten IS. Das ist jetzt Gegenstand der Ermittlungen, ob das tatsächlich so gewesen ist. Aber es ist auch ein Grund für die Bundesanwaltschaft, ihre Zuständigkeit zu erklären. Denn die ist vor allem auch dann gegeben, wenn es hier um die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung geht. Und dann hat man natürlich, nachdem der Mann sich gestellt hat, auch die Unterkunft durchsucht.
Man hat Beweismittel gefunden, die eine... direkte Verbindungen herstellen zu der Tat selbst. Und wird jetzt natürlich Kommunikationsmittel, Datenträger, die beschlagnahmt wurden, auswerten, um genauer rekonstruieren zu können, warum hat er die Tat begangen.
Und hat er sich möglicherweise unmittelbar vorher radikalisiert. Es werden ja nach und nach immer mehr Details bekannt zum Täter. Wie eng mögen denn seine Verbindungen zum IS gewesen sein? Ja, das ist im Moment tatsächlich noch völlig unklar.
Der IS hat diese Tat für sich reklamiert, hat eine Bekennerbotschaft veröffentlicht, auch über die bekannten Wege, die wir aus der Vergangenheit kennen, wo das mehrfach der Fall war, dass der IS Taten für sich reklamiert hat. Nicht immer zu Recht, häufig auch propagandistisch motiviert. Da wurden Anschläge als Anschläge des IS bezeichnet, obwohl keine Verbindung der Attentäter zum IS erkennbar war. Ja, genau. Aber wenn wir uns diese Botschaft anschauen, dann stellen wir fest, dass weder der Name des Attentäters genannt wird, sie noch über exklusives Täterwissen verfügt und dementsprechend man schon noch Fragezeichen dahinter setzen muss, ob es diese Verbindung zum IS tatsächlich gegeben hat.
Es gab auch bisher kein Bekennervideo, in dem der Attentäter dann die Tat ankündigt und beispielsweise eine treue Schwur auf den IS leistet. Auch das war in der Vergangenheit immer wieder der Fall, dass der IS dann solche Videos verbreitet hat. Unterm Strich muss man sagen, die Frage, ob es diese Verbindung zum IS tatsächlich gegeben hat, die lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten.
Aber vielleicht schauen wir mal auf den Hintergrund des Täters. Er sollte ja abgeschoben werden. Was genau wissen Sie?
Ja, wir haben es mit einem 26-jährigen Syrer zu tun, der als Geflüchteter in Deutschland war. Und der in der Tat im vergangenen Jahr, Anfang 2023, abgeschoben werden sollte. Und zwar nach Bulgarien, EU-rechtskonform.
Denn in der EU wird auf Basis des Dublin-Abkommens geregelt, wo Asylanträge bearbeitet werden. Nämlich in dem Land, wo die Erstanreise in die EU erfolgt ist. Dementsprechend sollte er nach Bulgarien abgeschoben werden.
Allerdings gibt es für diese Abschiebungen eine Frist von sechs Monaten. Wenn das in dieser Zeit nicht gelingt, dann ist das Thema vom Tisch. Dann muss über den Asylantrag in Deutschland befunden werden.
Und tatsächlich war der Mann dann sechs Monate lang untergetaucht. Für die Behörden nicht auffindbar, nicht greifbar, sodass die Abschiebung dann tatsächlich auch in dem Moment hinfällig war. Herr Götzenberg, ich würde ganz gerne nochmal allgemein fragen, warum schlägt denn der IS, sofern er denn tatsächlich dafür verantwortlich sein sollte, ausgerechnet auf einem kleinen Stadtfest in Solingen zu?
Nach welchen Kriterien suchen die Terroristen ihre Ziele aus? Wenn wir jetzt mal unterstellen, dass der IS hier eine Rolle gespielt hat, dann muss man sagen, dass es für den IS völlig gleichgültig ist, wo Attentäter zuschlagen. Entscheidend ist, dass man überhaupt jemanden findet, der bevorzugterweise in einem westlichen Land bereit ist, einen solchen Anschlag zu verüben.
Das bedeutet ja in der Regel auch, dass die Menschen bereits in ihr eigenes Leben. dafür einzusetzen. Und dann spielt es für den IS eigentlich keine Rolle, ob das ein besonders symbolträchtiger Ort ist oder ob das eine kleine Feier ist. Entscheidend ist nur, dass man auf diese Weise bei der Bevölkerung den Eindruck erwecken will, dass sie nirgendwo sicher ist.
Man will Angst und Schrecken verbreiten. Das ist das Kernanliegen von Terrorismus. Und insofern... Macht das für den IS durchaus Sinn, egal an welcher Stelle in Deutschland? Vielen Dank für diese Einordnungen.
Das war der ARD-Terrorismus-Experte Michael Göttschenberg.