Innovationen in der Krebsbehandlung

. Im Urlaub mit Frau und Tochter hatte Jean-Claude Mottet einen harmlosen Badeunfall. Nie im Leben hätte er damit gerechnet, was die anschließende Blutuntersuchung ans Licht brachte: Blutkrebs. Den Sensenmann, den habe ich zwei-, dreimal erlebt. Für mich war die Diagnose niederschmetternd. Brustkrebs. Susanne Stückle dachte: "Das ist mein Todesurteil." Meine Tochter hat zu mir gesagt: "Mutti, wir bestellen jetzt gleich einen Sarg für dich, weil du kämpfst nicht." "Oder kämpfst du? Und dann packen wir das alle zusammen." Lange Zeit waren Operation, Bestrahlung und Chemotherapie die einzigen Waffen der Ärzte gegen den Krebs. Wenn sie versagten, war der Tod oft nur noch eine Frage von Monaten. Doch nun gibt es für viele Betroffene neue Hoffnung: Die Aktivierung ihres Immunsystems mit Antikörpern aus dem Labor. Die Überlebenszeiten haben sich für die Patienten, die von dieser Therapie profitieren, ausgedehnt in Regionen, die wir für diese genannten Erkrankungen nicht kannten. Wie funktioniert die Immuntherapie? Wem hilft sie? Und kann sie tatsächlich auch langfristig Heilung bringen? Wir haben Patientinnen und Patienten über Monate, manche sogar über drei Jahre bei ihrem Kampf gegen die tödliche Krankheit begleitet. Haben sie es geschafft, den Krebs zu besiegen? (Beklemmende Musik) Februar 2021. Ammerbuch bei Tübingen. Hier lebt Susanne Stückle. Sie ist fröhlich und genießt das Leben. Doch vor knapp drei Jahren ändert sich über Nacht alles. (Beklemmende Musik) Im August 2018 habe ich die Diagnose Brustkrebs bekommen. Da sind mir ganz komische Gedanken durch den Kopf gegangen an dem Tag: Ich werde nie Enkelkinder sehen, das Leben ist vorbei, eigentlich müsste die Welt anhalten, aber die geht weiter. Und ich wusste mit mir selber nichts anzufangen. Ich hatte wirklich, wirklich, wirklich Angst. Was ihr am meisten Angst macht: Der Krebs hat bereits gestreut. Für eine Operation ist es deshalb zu spät. Doch genau in dieser ausweglos erscheinenden Lage bietet ihr die Frauenklinik Tübingen eine Immuntherapie mit einem neuen Antikörper an, der bisher erst bei sehr wenigen Patientinnen mit Brustkrebs eingesetzt wurde. So, Frau Stückle, wir können starten heute. - Schauen wir mal. Sie kontrollieren einmal. Vor- und Zuname. - Passt alles. Geburtsdatum. - Oh, ja, das passt auch, danke. Und, alles okay bei Ihnen? - Super. Bei Ihnen auch? Auch alles. - Bei dem schönen Wetter. Das läuft eine halbe Stunde. Dann kommt noch die Nachspülung und dann komm ich auch gleich wieder. Dann geht's ja ratzifatzi heute, gell? Wie immer. - Wie immer. Ciao. - Danke, ciao. Susanne Stückle bekommt seitdem Atezolizumab, einen erst vor wenigen Jahren in Deutschland zugelassenen Antikörper, der bisher nur bei Lungen- und Harnblasenkrebs eingesetzt wurde. Nun wird diese neue Immuntherapie auch bei Brustkrebs erprobt. Also, wo ich im August 2018 diese Immuntherapie beginnen durfte, war so viel Hoffnung in mir, weil ... ich hatte Todesangst. Richtig, richtig Todesangst. Dass ich nicht mehr lang hier leben darf. Und dann hat man so ein Quäntchen Hoffnung, dass es vielleicht doch gut wird mit dieser Therapie, mit dieser Immuntherapie. Also, ich hab alle Hoffnungen drauf gesetzt, ne? Ich konnte ja nichts mehr verlieren. Seit über zwei Jahren bekommt sie alle drei Wochen eine Infusion mit dem Medikament. Aber wie lange hält die Wirkung an? Wie ist es jenen ergangen, die wir vor drei Jahren bei ihrer Immuntherapie kennengelernt haben? November 2017. In Asperg bei Ludwigsburg treffen wir Helga Kröner-Schock das erste Mal. Wie jeden Samstag ist sie damals mit ihrer Sportgruppe unterwegs, die sie mit Begeisterung leitet. (Rhythmische Musik) Und beide Arme nach oben. Und wenn wir runterkommen, machen wir eine Faust. Dass sie zu diesem Zeitpunkt wieder Sport machen kann, hätte sie sich nie träumen lassen. Denn die Diagnose Krebs reißt sie vier Jahre zuvor mitten aus dem Leben. (Ernste Musik) Helga ist 52, als 2013 der Lungenkrebs kommt und sich rasend schnell im Körper ausbreitet. Erschöpfung bei kleinsten Anstrengungen und rätselhafte Sprachstörungen - so tritt der Krebs in ihr Leben. Dann war ich einkaufen, und der Metzger kennt hier alle Leute, die bei ihm einkaufen. Und ich konnte ihm dann nicht sagen, was ich einkaufen will. Dann hat er gedacht, ich mach einen Spaß und hat gelacht und gesagt: "Was wollen Sie jetzt?" Und dann war ich bei der Neurologin und hab dann praktisch ... ein CT haben die gemacht. Auf dem CT hat man ganz deutlich drei Metastasen im Gehirn gesehen. Und zwar zwei davon waren ziemlich mittig, also so, wie wenn man hier am Scheitel sozusagen Steinchen reinfallen lassen hätte. Und einer war so mehr auf der Seite. Und das war praktisch die Metastase, die aufs Sprachzentrum gedrückt hat. Helga Kröner-Schock und ihr Mann fahren nach Tübingen. Sie hoffen, in der dortigen Universitätsklinik zu erfahren, ob es tatsächlich Krebs ist, der da ihrem Körper den Krieg erklärt. Im Gehirn gibt es drei walnussgroße Tumore - das fand bereits die zuerst aufgesuchte Neurologin heraus. Nun veranlassen die Ärzte in der Uniklinik ein Ganzkörper-CT. Es soll zeigen, in welche anderen Regionen die Krankheit gestreut hat. (Leises Gespräch) Bitte einatmen, die Luft anhalten, nicht atmen. Ärzte verschiedener Fachrichtungen besprechen die Befunde und das weitere Vorgehen. Können Sie uns die Situation oben links am Hals zeigen? Neben den bereits bekannten drei Tumoren im Gehirn gibt es einen krebsverdächtigen Bezirk in der rechten Lunge und einen auffälligen Lymphknoten oberhalb des linken Schlüsselbeins. Eine Biopsie des Lymphknotens soll Antworten auf zwei Fragen bringen: Ist der Lymphknoten von Krebs befallen? Wenn ja, wo befindet sich der Ausgangstumor? Unter dem Mikroskop sind die Krebsherde deutlich zu erkennen. Die Ärzte können aus dem Gewebetyp schließen: Der Ausgangstumor befindet sich in der Lunge. Dieser Krebstyp wächst schnell und kann überall im Körper Metastasen bilden. So sieht Lungenkrebs unter dem Rasterelektronenmikroskop aus: Rot die Krebszellen, die das helle Lungengewebe angreifen und zerstören. Da bricht schon so die Welt von einem zusammen. Von einer Minute auf die andere kriegt man so eine Diagnose und dann denkt man, das war es jetzt. Und ich hatte aber auch immer so das Gefühl, ich kann jetzt noch nicht sterben, ich will noch nicht sterben. Ich dachte auch immer, der Max ist noch viel zu klein, der braucht mich noch. - (Mann:) Der war erst zwölf. Irgendwie hab ich gedacht, es geht jetzt noch nicht. Irgendwann muss jeder mal sterben, aber jetzt noch nicht. (Unbehagliche Musik) Der Krebs in der Lunge hat bereits so stark gestreut, dass eine Operation nicht infrage kommt. Doch Kopfschmerzen und Sprachstörungen nehmen immer weiter zu. Deshalb entschließen sich die Ärzte zu einer Bestrahlung des Gehirns. Nach der Bestrahlung gehen zwar die Sprachstörungen zurück, aber Erschöpfung und Schmerzen überall im Körper bleiben. Und die Haare fallen aus. Man wusste auch nicht, ob die Haare jemals wieder wachsen, weil die Dosis relativ hoch war. Dann hab ich zehnmal hintereinander diese Gesamthirnbestrahlung gekriegt und danach sind mir auch alle Haare ... Innerhalb von zwei Tagen sind alle Haare ausgefallen. Wenig später bahnt sich die nächste Katastrophe an. Im Stichkanal der Biopsie über dem linken Schlüsselbein entwickelt sich eine Krebsmetastase. (Angespannte Musik) Die Ärzte veranlassen sofort eine Chemotherapie. Unter dieser Behandlung bildet sich die Metastase am Hals rasch wieder zurück. Das Problem war aber, dass ich die Chemo ganz schlecht vertragen habe. Ich hab zu der Zeit dann nur noch gespuckt, ja? Ich hab dann ungefähr zehn Kilo abgenommen und konnte gar nichts mehr essen, weil nichts mehr drin blieb. Also, ich hab fürchterlich immer erbrochen. Und dann ging die Chemo mir total auf die Augen. Und das war dann also praktisch ausschlaggebend, dass man sie abgesetzt hat nach der fünften Chemotherapie. Nach dem Abbruch der Chemotherapie explodiert der Krebs geradezu im Körper von Helga Kröner-Schock. Es bilden sich Metastasen in Schulterblatt, Nieren, Hals- und Lendenwirbelsäule. Das Leben ist nur noch erträglich mit stärksten Schmerzmitteln. In dieser hoffnungslos erscheinenden Situation schlägt ihr Prof. Kopp von der Uniklinik Tübingen vor, an einer Studie mit einem neuen Krebs-Immunpräparat teilzunehmen. Er glaubt, wenn es noch eine Chance auf Heilung gibt, dann wahrscheinlich nur mit der Immuntherapie. Das Grundprinzip ist, dass Tumoren lernen, körpereigene Mechanismen auszunutzen, sich vom Immunsystem abzuschirmen. In unserem Blut gibt es drei Gruppen von Zellen: Unter dem Rasterelektronenmikroskop sehen wir in der Mitte die roten Blutkörperchen oder Erythrozyten. Sie transportieren Sauerstoff in alle Regionen des Körpers. Links die Blutplättchen oder Thrombozyten. Sie stoppen Blutungen und sorgen dafür, dass Wunden abheilen. Rechts die weißen Blutkörperchen oder Leukozyten. Ein Teil dieser weißen Blutkörperchen sind die sogenannten T-Zellen. Sie sind die Hauptakteure unseres Immunsystems. Diese Zellen mit den Antennen oder Rezeptoren auf ihrer Oberfläche stehen im Fokus aller Methoden der heutigen Krebsimmuntherapie. T-Zellen sind in der Lage, fremde Zellen wie Bakterien oder Viren zu zerstören. Grundsätzlich gilt das auch für Krebszellen. Doch diese können sich tarnen und die T-Zellen täuschen. So können sie sich ungehindert vermehren. Hier greift die Immuntherapie ein. Sie versetzt die Abwehrzellen in die Lage, Krebszellen zu besiegen. Wie T-Zellen Krebszellen zerstören, sehen wir unter dem Rasterelektronenmikroskop. Es funktioniert natürlich nie bei allen, aber wenn es funktioniert, dann funktioniert es unglaublich lang. Prof. Kopp erläutert damals zwar begeistert die neue Behandlungsmöglichkeit, aber noch müssen umfangreiche Laboruntersuchungen zeigen, ob Helga Kröner-Schock für die Immuntherapie überhaupt geeignet ist. Wieder heißt es: warten. Quälende Wochen. Und immer die Angst: Ist es vielleicht schon zu spät für die neue Therapie? Hat sich der Krebs schon zu sehr in ihrem geschwächten Körper ausgebreitet? Die Lage kann kaum aussichtsloser sein. Die ganze Familie ist wie gelähmt. Ich hab gedacht, das kann doch nicht sein, dass uns so was passiert jetzt, oder meiner Frau. Wir sind jetzt ... wir sind seit der Schulzeit zusammen. Das sind jetzt 41 Jahre und sie ist die Liebe meines Lebens. Und ich dachte, das kann nicht sein. Da müssen wir alles dafür tun, dass es einfach weiter geht. - Mhm. Dann, endlich, am 9. Oktober 2014, bekommt sie ihre erste Infusion mit dem neuen Immunpräparat. Noch ahnt sie nicht, welche unerwartete Wendung ihre scheinbar hoffnungslose Geschichte dadurch nehmen wird. Schon bevor die Immuntherapie bei Lungenkrebs eingesetzt wurde, zeigte sie beeindruckende Erfolge beim Schwarzen Hautkrebs. 2018 lernen wir Magda Haug kennen. Sie ist zu der Zeit 64 und lebt mit ihrem Mann in einer Kleinstadt unweit der Burg Hohenzollern. (Melancholische Musik) Zwei Jahre zuvor fällt ihr auf, dass sich das Muttermal an ihrem rechten Unterarm verdächtig verändert hat. Nach dem Urlaub geht sie damit zum Hautarzt. Er stellt fest, dass aus dem jahrzehntelang harmlosen Muttermal Schwarzer Hautkrebs geworden ist. Das Tumorgewebe wird herausgeschnitten, doch nicht früh genug. Der Krebs hat bereits gestreut. In der Hautklinik der Universität Tübingen müssen zahlreiche krebsbefallene und verdächtige Lymphknoten entfernt werden - aber es kommt noch schlimmer: Metastasen in Leber, Milz und Lunge. Sie können nicht herausoperiert werden. Trotzdem hat Magda Haug Glück: Die Hautklinik bietet ihr im Rahmen einer Studie eine Immuntherapie an. Alle drei Wochen kommt sie zur Infusion. (Unsichere Musik) In der Universitätsapotheke wird die Infusionslösung hergestellt. Die dafür benötigten Antikörper stammen aus den Hightech-Labors von Pharmaunternehmen. Im Reinraum der Apotheke werden sie in mehreren Arbeitsschritten zu einer gebrauchsfertigen Lösung aufbereitet. Wenig später steht das fertige Medikament Dr. Eigentler zur Verfügung. Gut, Frau Haug, das läuft jetzt wieder rund eine Stunde. - Ja. Sie kennen es ja. Ich mach mal Start. Wenn das Gerät anfängt zu piepsen, bitte melden. Vielleicht liegt der Schlauch krumm oder so was. Ein Jahr lang bekommt Magda Haug die Immuntherapie. Was hat sich dadurch verändert? Damals hatte man Angst. Und ... das hat sich schon ein bisschen gelegt. Doch was geschieht dabei im Körper? Über eine Infusion gelangen künstlich hergestellte Eiweißmoleküle, sogenannte monoklonale Antikörper, in großer Zahl in das Blut der Patientin. (Monotone Musik) Die winzigen Antikörper - hier als grüne Punkte sichtbar gemacht - heften sich an die Rezeptoren oder Antennen der T-Zellen und rütteln sie quasi aus dem Schlaf. Die eben noch passiven Abwehrzellen starten einen massiven Angriff auf die Krebszellen. Diese blähen sich auf, platzen und sterben ab. Weil die künstlich erzeugten Antikörper gewissermaßen die Bremse der Abwehrzellen lösen, werden sie auch als Bremslöser oder Checkpoint-Inhibitoren bezeichnet. Wie lange wirkt die Immuntherapie? Und: Hilft sie allen Erkrankten? Auch Michael Schäfer treffen wir vor drei Jahren das erste Mal. Er hat ebenfalls Schwarzen Hautkrebs. Doch bei ihm läuft bis heute alles ganz anders als bei Magda Haug. Der Pfleger lebt mit seiner Frau Karin und Hund Billy im Allgäu. Die Schäfers streifen oft durch die Natur, aber vor allem lieben sie ihr Wohnmobil - "unser eigentliches Zuhause", wie sie sagen. Vier Jahre zuvor, Michael Schäfer ist damals 46, fällt Ehefrau Karin etwas Merkwürdiges auf. Ja, wir saßen im November 2013 im Wohnmobil und er hatte die Hose so ein bisschen hoch. Dann habe ich gesagt, da ist ein Leberfleck, der sieht komisch aus, lass den mal angucken. Dann ging er im Januar zum Hautarzt und im Februar kam dann ... hat er es dann rausgeschnitten, der Hautarzt eben. Und hat da festgestellt, dass das nichts Gutes ist. Und das ist erst mal komisch. Man denkt sich nichts dabei. Was ist Krebs? Es tut ja nichts weh. Aber dann ging die Schnibblerei los. Eine wichtige Rolle im täglichen Kampf gegen den Krebs spielt Billy. Der Hund, der gibt einfach viel Liebe, ohne nachzufragen. Er lenkt ab, er macht Blödsinn, da muss man dann mitmachen. Und er ist immer da. Michael Schäfer macht sich mit seiner Frau Karin auf den Weg in die Hautklinik der Universität Tübingen. Eine Immuntherapie soll die weitere Ausbreitung seines Schwarzen Hautkrebses stoppen. Seit November 2017 erhält er Antikörperinfusionen. Alle zwei Wochen kommt er zur Behandlung. Heute hat er wieder einen Termin bei Dr. Eigentler. Eigentlich sind die Schäfers an diesem Morgen nur wegen der Infusion in die Hautklinik gekommen. Doch weil die Lösung mit den Antikörpern erst in einer Stunde fertig ist, wird die Zeit für eine Ultraschallkontrolle genutzt. Hier, in dem Bereich sehe ich zum Beispiel eine Struktur, die ist rundlich und zieht nicht mit, ja? Also, im Ultraschall erst mal auffällig, beweist noch gar nichts, ja? Und tasten kann man ja auch einen kleinen Knoten. Und den muss man halt kontrollieren oder weiter abklären, ja? (Düstere Musik) Michael und Karin Schäfer wissen, was "abklären" heißt: Die Ärzte werden beschließen, die verdächtigen Knoten noch am selben Tag zu entfernen. (Düstere Musik) Zeit für die Operation. In einem kleinen OP der Hautklinik schneidet ein Arzt den zuerst im Ultraschall festgestellten verdächtigen Gewebsknoten heraus. Gefasst lässt Michael Schäfer den Eingriff über sich ergehen. Wenig später wird die Wunde bereits wieder verschlossen. Der erfahrene Operateur ist davon überzeugt, dass es sich bei dem herausoperierten Knoten um eine Krebsmetastase handelt. Wenn man diesen Knoten jetzt hier, also dieses Hautstück, anfasst, kann man den Knoten tasten. Der Arzt untersucht die alte OP-Narbe und ertastet drei weitere verdächtige Knoten. Es gibt Melanommetastasen, die sind pigmentiert, also sehr einfach zu differenzieren vom normalen Hautgewebe, weil sie eine andere Farbe haben. In diesem Fall braucht man einen guten Blick und ein gutes Fingergespür, um zu merken, dass man hier tatsächlich den Knoten dann richtig entfernt hat. Michael Schäfer sagt die ganze Zeit kein Wort. Diesen Tag in Tübingen hatte er sich anders vorgestellt. Nach 20 Minuten werden die Wunden vernäht. Es bleibt die bange Frage, ob alle Metastasen vollständig entfernt werden konnten. Das wird sich erst im Labor herausstellen. Ende der Operation, aber nicht der Behandlung, denn jetzt bekommt Michael Schäfer noch seine Infusion mit den Antikörpern. Gut, dann nehmen Sie doch Platz, Herr Schäfer. Hier? - Mhm. (Seufzen) Wie geht es Ihnen aktuell? So, wie es einem nach einer Operation geht. Okay. Aber Infusion können wir geben? - Mhm. Ständig neue Metastasen am rechten Bein, immer wieder Operationen. Der Krebs gibt keine Ruhe. Auch die Infusionen mit dem Immunmedikament haben bisher nichts daran geändert. Doch das ist noch nicht beunruhigend. Oft dauert es zwei bis drei Monate, bevor die Antikörper das Abwehrsystem so aktiviert haben, dass der Krebs sich nicht weiter ausbreitet. Bei den Immuntherapien ist man bisher davon ausgegangen, dass man mindestens drei Monate dort warten sollte, bis man es abschließend beurteilt. Wenn man mehrere Wirkstoffe kombiniert, erhofft man sich natürlich einen schnelleren Wirkansatz, einen schnelleren Therapieerfolg. Aber man muss Geduld mitbringen, um das abschließend beurteilen zu können. Doch was ist, wenn der Krebs kommt und sich von keiner Therapie beeindrucken lässt? Dieser Albtraum ist noch im Sommer 2014 für Helga Kröner-Schock Realität. Ihr Lungenkrebs hat sich im ganzen Körper ausgebreitet. Alle therapeutischen Möglichkeiten sind ausgereizt. Der Tod scheint nur noch eine Frage von Wochen zu sein. Plötzlich wendet sich das Schicksal. In der Tübinger Universitätsklinik bekommt sie ein neues Immunpräparat. Nach der dritten Infusion, ich konnt es selber fast nicht glauben, ging es mir deutlich besser, ja. Und auch die Schmerzen haben dann einfach nachgelassen, also waren nicht mehr so fürchterlich. Und dann habe ich eigentlich die Schmerzmittel ziemlich reduzieren können. Dann habe ich noch zwei, drei weitere Infusionen gekriegt und irgendwann die Schmerzmittel gar nicht mehr gebraucht. Und hab aber weiterhin ... Zwei Jahre lang war ich dann alle drei Wochen in Tübingen und hab praktisch diese Antikörpertherapie bekommen. Ich war ja immer dabei bei diesen Infusionen in Tübingen. Dann war es so, am Schluss waren immer noch so ein paar Milliliter in diesem Plastikbeutel unten drin. Und ich dachte, das kann doch nicht sein. Das kann man doch als guter Schwabe nicht verschenken sozusagen, diese teuren Antikörper. Ich hab dann, ich weiß nicht, ob es erlaubt war, aber ich hab dann entsprechend den Schlauch etwas aus diesem Apparat raus und hab dann von Hand noch schön diese letzten Tropfen durch den Schlauch gedrückt, damit die noch in die Blutbahn meiner Frau fließen und da noch gut wirken können. So furchterregend wie der Krebs in ihr Leben getreten ist, so kleinlaut zieht er sich vorerst wieder zurück. Also, wir sind schon immer gern gereist. Und haben das eigentlich dann auch wirklich genießen können ... also einfach genießen, dass ich noch am Leben bin. Aber wird sie den Krebs auch dauerhaft besiegen können? Für die Ärzte in den Kliniken ist die Immuntherapie eine neue Waffe gegen den Krebs. Doch wie lange hält der Erfolg an? Wir wollen unsere Patienten in drei Jahren wiedersehen. Werden sie dann noch leben? Unterdessen wird in Forschungslabors auf der ganzen Welt daran gearbeitet, die Einsatzmöglichkeiten der Immuntherapie auszudehnen. Bei welchen weiteren Krebsarten gibt es im Jahr 2021 eine Chance auf Heilung? (Erwartungsvolle Musik) Wir fahren in die Nähe von Stuttgart, denn hier lebt ein Mann, der auch Krebs hat, aber eine völlig neue Immuntherapie erhält. Jean-Claude Mottet, hier unterwegs mit Frau und Tochter, hat Blutkrebs. Im November 2020 bieten ihm Mediziner die Behandlung mit sogenannten CAR-T-Zellen an. CAR bedeutet Chimärischer Antigen-Rezeptor. Diese CARs werden im Gentechniklabor in die T-Zellen, also die wichtigsten Abwehrzellen der Krebspatienten, eingebaut. Das Ergebnis: Die zuvor "krebsblinden" T-Zellen können dank ihrer zahlreichen neuen, antennenartigen Rezeptoren die Krebszellen erkennen und zerstören. Von 2007 bis zum Sommer 2020 können Ärzte einer Stuttgarter Klinik die Leukämie von Jean-Claude Mottet mit Chemotherapien in Schach halten. Dann versagen diese. Der gebürtige Schweizer hat kaum noch Hoffnung und macht bereits sein Testament. Die neue Immuntherapie ist seine letzte Chance. Ich war immer positiv eingestellt. Aber zuletzt, also nach August 2020, da hab ich die Verpflichtung gefühlt, dass ich meine Sachen regeln muss, ja? In den ganzen Papierkram, den ich immer selber organisiert hatte, musste ich meine Frau einweihen, in dieses Zeug. Ich musste alle Codes, die wir verwenden für unseren PC, kopieren, weitergeben, Schlüssel von unseren Autos auf den Tisch legen, Ordner und so. Und ich habe mich sogar verabschiedet von Freunden, von ... von Bekannten. Ich habe denen allen gesagt, dass möglicherweise die Therapie nicht so anschlägt und dass es vielleicht auch mal schlimme Folgen geben könnte. Jean-Claude Mottet arbeitete 45 Jahre als Ingenieur. Kaum im Ruhestand, entgleist sein Blutkrebs. Da bietet ihm die Tübinger Uniklinik die völlig neue CAR-T-Zell-Therapie an. Erst im August 2018 wurde sie in Deutschland zugelassen. Wir waren alle sehr froh, als wir gehört haben, dass gerade hier eine Studie, die für meinen Mann ganz und gar geeignet ist, durchgeführt wird. Als dann die CAR-T-Zell-Therapie kam, da wusste ich einfach, die muss die Lösung sein. Die muss ihn einfach retten, weil ohne ... es geht ja gar nicht. Wenn man jetzt, Anfang 2021, Nathalies Vater sieht, kann man kaum glauben, dass er noch vor drei Monaten um sein Leben kämpfte. Gut sieht's aus. (Angespannte Musik) Das Besondere an der CAR-T-Zell-Therapie: Sie erfolgt nur einmal. Wir fahren zur Uniklinik Tübingen und besuchen Claudia Lengerke. Die Professorin ist Spezialistin für Krebserkrankungen wie Leukämie und wird uns zeigen, wie CAR-T-Zellen hergestellt werden. Hier beginnt die CAR-T-Zell-Produktion in dem Sinne, dass die Zellen, die im Patienten ja sind ... Seine eigenen Zellen werden hier entnommen unter sterilen Bedingungen, damit sie danach im Labor genetisch verarbeitet werden können, um sich gegen die Tumorzellen zu richten. Die ganze Prozedur dauert circa drei Stunden. Und das ist die komplett gleiche Prozedur wie bei einer Stammzelltransplantation. Es sind circa 200 Milliliter, die entnommen werden. Das ist wie ein großes Glas Wasser. Die Flüssigkeit, die dabei dem Körper verloren geht, werden wir wieder erstatten im Rahmen dieser Prozedur. Der Patient merkt nicht viel davon, von diesen Zellen, die entnommen werden. Die CAR-T-Zellen eignen sich nicht zur Bekämpfung von soliden Tumoren, die ihren Ursprung in Geweben oder Organen haben, sondern nur zur Bekämpfung von Blutkrebs. Das erfuhr Jean-Claude Mottet, als ihn das Team von Prof. Lengerke vor drei Monaten behandelte. Heute kommt er zur Nachuntersuchung. Wie geht es Ihnen? Oh, bestens! Lieber Gott, mir geht's so gut. Ja? Also, Sie haben mich repariert, komplett. Ja? - Ja. Ist die Kraft denn wieder da? Die fehlt noch ein bisschen, aber ich würde schätzen: 90 Prozent. Also, ich hoffe, ich freu mich, wenn Sie mir grünes Licht geben, dass ich bald wieder Mountainbike oder Rennrad fahren darf. (lachend:) Alles klar, dann schauen wir mal die Blutwerte heute an. Und Sie sehen hier, mit der Behandlung, die Sie ja im November hatten, einmalig nur, bei uns hier stationär, sind diese CLL-Zellen, diese bösartigen Lymphozyten, die Ihre Blutbildung unterdrücken im Knochenmark und Ihnen deswegen auch diese ganzen Probleme machen, deutlich abgefallen, wenn Sie hier sehen, ja? Oh, das ist spektakulär. Die waren hier oben, und seit der Behandlung sind sie hier abgefallen. Fantastisch. Ich habe befürchtet, dass möglicherweise die CAR-T-Zellen bei mir gar nicht funktionieren, ja? - Mhm. Und als ich es diese paar Tage etwas schwerer hatte, da war ich dankbar, weil dann hat es ... Dann gab's ein Donnerwetter in meinem Körper, eine Reaktion. Also, wie Sie uns erklärt haben, wie Ihre Beschwerden waren, das sieht man auch im Blut an diesen Konzentrationen von Botenstoffen, die ausgeschüttet werden als Zeichen der Aktivierung dieser CAR-T-Zellen. Und wie Sie hier sehen, das sind zwei, Interleukin 6 und der lösliche Interleukin-2-Rezeptor in Blau. Sie zeigen einen ganz starken Anstieg nach der Behandlung. Da haben wir auch eingegriffen, um die Nebenwirkungen für Sie erträglich zu halten. Und dann fällt das im Verlauf der Therapie und nach Behandlung wieder ab. Hier ungefähr konnten Sie dann wieder nach Hause gehen. Fehlt noch die körperliche Untersuchung. So, Herr Mottet, bei Ihnen war ja die Milz vergrößert im Rahmen der Erkrankung. Ich schaue mal gerade, wie sich das jetzt alles zurückgebildet hat. Okay. Und dann hat man bei der CLL ja gerne Lymphknotenvergrößerungen. Das sind typische Beschwerden. Aber hier am Hals ist im Moment gar nichts zu tasten. Das ist sehr schön. Sie merken auch nichts? Gar nichts, nein. An den anderen Stellen im Körper, da müssen wir genauer mit ... Mit dem Ultraschall kann man welche erreichen und sonst mit einer Computertomografie, um ganz genau zu sein. Am Hals ist alles super, da habe ich nichts Vergrößertes getastet. In fast allen Kliniken werden die dem Krebspatienten entnommenen T-Zellen tiefgefroren und zu Gentechniklabors großer Pharmakonzerne geschickt, meistens in den USA. Dort werden sie zu "Kampfzellen" umgeformt. Nach sechs Wochen kommen sie zurück. In Tübingen hat das Team um Prof. Lengerke eine viel schnellere Lösung gefunden: Mithilfe dieses deutschen Gerätes können die Krebsmediziner die CAR-T-Zellen in weniger als zwei Wochen herstellen und ihre Patienten damit behandeln. Jean-Claude Mottet hat von diesem Tübinger Konzept profitiert. Bei ihm waren wir, würde ich sagen, jetzt goldrichtig mit dieser Therapie. Er hat maximal profitiert, sieht man. Man muss sehen, wie lange das hält, aber im Moment sieht das wirklich sehr gut aus. Und er hat deutlich weniger Nebenwirkungen als bei einer Stammzell- transplantation jetzt erfahren mit dieser Form der Therapie. Und ich habe große Hoffnung, ich darf bald wieder Rad fahren, Rennrad fahren, Mountainbike, und das passiert bestimmt die nächste Woche, und da freue ich mich schon riesig. Aber die Behandlung mit CAR-T-Zellen ist kein "Zuckerschlecken", denn in der Regel ist sie mit schweren Nebenwirkungen wie Lungenentzündung verbunden. Krebsspezialisten können diese jedoch mit geeigneten Medikamenten in Schach halten. Von Tübingen machen wir uns auf zu den Menschen, die wir zuletzt vor drei Jahren gesehen haben. Die Immuntherapie schenkte ihnen damals so viel neue Hoffnung. Wie geht es ihnen heute? Zuerst haben wir uns mit Helga Kröner-Schock und ihrem Mann Gerhard verabredet. 2013 erkrankte sie an Lungenkrebs. Die Ärzte gaben ihr noch sechs Monate zu leben. Dank der Immuntherapie wurden daraus bis heute acht Jahre. Also, in den letzten drei Jahren wurden immer noch CT-Kontrollen in der Universität Tübingen durchgeführt. Gott sei Dank war es so, dass jedes Mal das Ergebnis gut war, dass es eigentlich stabile Verhältnisse sind in diesen Bereichen, wo der Krebs war, und sich nichts verändert hat. Und danach waren wir immer sehr erleichtert und haben ab und zu ein Gläschen Sekt getrunken. Ja, auf die guten Werte angestoßen. Es ist auch so, dass halt die ersten zwei Jahre die Nervosität höher war. Aber, sagen wir mal, seit diesem Jahr sind wir dann schon etwas beruhigter, weil es geht ihr ja soweit hoffentlich gut, auch weiterhin. Ich wünsche mir, dass irgendwann mal "geheilt" unter meinem Befund steht, weil seither steht immer "stable disease", das heißt stabile Erkrankung. Aber ich wünsch mir natürlich schon, dass da irgendwann mal "geheilt" steht. Das wär schon mein großer Wunsch. Als mein ältester Bruder 60 wurde, dann war der so - wie soll man sagen? - so ein bisschen jammerig und hat dann so gesagt: "Ah, jetzt werd ich schon so alt!" und so. Und dann hab ich zu dem gesagt: "Glaubst du, wie froh ich wäre, wenn ich wüsste, ich werd mal 60." Ja, und jetzt werde ich im Januar 60. Also, von daher hätt ich das selber nicht gedacht, dass ich das mal schaffe. (Ernste Musik) Bei Helga Kröner-Schock ist es Lungenkrebs, den die Immuntherapie bis heute in Schach halten kann. Wir fahren nach Isny im Allgäu, denn wir wollen wissen, wie es Michael Schäfer geht. Sein Schwarzer Hautkrebs hält ihn und seine Frau Karin seit sieben Jahren in Atem. Bei unserem letzten Treffen vor drei Jahren wurden Michael Metastasen am Unterschenkel entfernt. Wie ging es danach weiter? März 2020 ... haben sie beim PET-CT festgestellt, dass ich überall Metastasen habe. In der Lunge, in der Leiste ... Und im Darm. - Im Darm. Und da haben sie wieder mit der Immuntherapie angefangen. Und bei der ersten Gabe ging alles okay. Vor der zweiten Gabe bekam ich einen Darmdurchbruch. Verschluss. - Darmverschluss. Da war ich mehr tot als lebendig, bin ins Krankenhaus gekommen. Das weiß meine Frau besser, ich weiß nichts mehr. Ich hab ihn ja auch gesehen, ich hab ihn ja auch abgeliefert in der Klinik. Also, mir war himmelangst und ich hab gedacht, ich nehm ihn nicht mehr mit nach Hause, so, wie er ausgeschaut hat und wie er, ja, nicht da war. Er war ja gar nicht da. In einer Notoperation wurde 1,40 Meter Dünndarm entfernt. Der Bauchraum war voller Metastasen. Der Anfang vom Ende, befürchteten die Schäfers. Doch es kam anders: Der Krebs zog sich noch einmal zurück. (Unruhige Musik) Die Schäfers auf dem Weg in die Hautklinik Tübingen. Heute ist wieder so eine der Kontrolluntersuchungen, die harmlos beginnen und dann doch im OP enden können. Seit sieben Jahren begleitet Dr. Eigentler, inzwischen Professor, seinen Patienten. Wir haben uns ja zuletzt im August gesehen, da war ja alles okay. Wie geht's Ihnen denn aktuell? - Mir erging es soweit ganz gut. Also, es war schon mal sehr positiv, dass dieses PET-CT im August negativ war, also nichts angezeigt hat. Lassen wir uns überraschen, ob es beim Ultraschall so bleibt. Heute würden wir schauen, per Ultraschall und Tumormarker, wie der aktuelle Status ist. Als wir Michael Schäfer vor drei Jahren zum Ultraschall begleiteten, entdeckten die Ärzte neue Metastasen am Unterschenkel. Noch am selben Morgen wurden sie herausoperiert. Hoffentlich wiederholt sich dieser Albtraum heute nicht. Sieht man was oder wie sieht's aus? - Bis jetzt sieht alles super aus. Keine suspekten Raumforderungen irgendwie sichtbar und die Lymphknoten sind ja alle rausgemacht worden. Aber was ist mit dem schon mehrfach operierten Unterschenkel? Auch hier sehe ich nichts, Herr Schäfer. Bis jetzt alles unauffällig. Auch hier alles unauffällig. Also alles reaktive Lymphknoten. - Wunderbar. Prof. Eigentler ist gespannt, was die Ultraschallkontrolle ergeben hat. Sie sind ja schon fertig. Wie sind denn die Befunde? Alles unauffällig, also beide Leisten oben im Transit unauffällig. An der Narbe hab ich auch nichts mehr gesehen. Das sind ja gute Nachrichten, Herr Schäfer. Das heißt, dass die nächste größere Untersuchung, wo man Sie auch wirklich wieder komplett anschaut mit dem CT ... Aber das sind erst mal gute Nachrichten. - Ja, wunderbar. Und, und wie war's? - Alles okay. Ja. Super. - Jetzt gehen wir heim. Gar nichts mehr? - Nein, überhaupt nichts. Gehen wir? - Super. Gehen wir. Also. Also, bei Herrn Schäfer bin ich aktuell sehr zufrieden mit der Ultraschalluntersuchung. Bei beiden Leisten, der Transitstrecke und der Primärnarbe, wo das Melanom ursprünglich war, haben wir keinen Anhalt auf eine Absiedelung, Metastasierung. Das ist natürlich beruhigend für den Patienten, aber grundsätzlich lernen wir, dass auch wir die Erkrankung in eine Art chronisches Stadium überführen können. Wir können also für die Patienten ein lebenswertes Leben mit der Erkrankung ermöglichen - auch über längere Zeit. Bei Herrn Schäfer sind wir jetzt im siebten Jahr. Wenn man das vergleicht mit vor 20 Jahren, ist es eine erstaunliche Zeit, die wir die Patienten nun betreuen. In der Nähe der zu allen Jahreszeiten imposanten Burg Hohenzollern leben Magda und Richard Haug. Nach Operation und Immuntherapie ihres Schwarzen Hautkrebses ging es Magda bis zum Frühjahr 2020 gut. Dann zeigte eine Kontrolluntersuchung: Der Krebs ist zurück. Ein paar Wochen später hab ich dann erfahren, wie groß der Tumor in der Gallenblase war. 3,2 Zentimeter und eine kleinere noch am Gallengang. So, das hat man alles entfernt. Ja, morgen ist die nächste Kontrolle in Tübingen. Wir fahren mit gemischten Gefühlen. Ich hoffe, dass nichts ist. Dann ... ist es gut. Im Prinzip ist die schlimmste Zeit von der Untersuchung bis zum Befund, wenn der vorliegt. Das ist die schlimmste Zeit, die Ungewissheit. - Ja. Wenn man nicht weiß, was kommt dabei raus? In der Uni-Hautklinik Tübingen will Prof. Eigentler dem Ehepaar Haug das Ergebnis des letzten PET-CT zeigen. Sie wissen: Wenn es im PET-CT aufleuchtet, heißt das Alarm. Denn dieses spezielle CT zeigt an, wie stoffwechselaktiv einzelne Organe, aber auch Tumore und Metastasen sind. Hier sehen wir den unteren Bereich der Leber. Was wir sehen, sind eigentlich diese zwei großen Läsionen, die auch so hell leuchten. Das bedeutet letztendlich, dass es sich da tatsächlich um Metastasen wieder von dem malignen Melanom handelt. Weil es doch mehrere dieser Läsionen sind, glauben wir nicht, dass andere Optionen wie eine Operation oder eine Bestrahlung grade zielführend sind. Wir denken aber, dass eine Immuntherapie für Sie wieder die richtige Wahl wäre. Sie haben schon mal darauf angesprochen. Man würd Ihnen jetzt eine Therapie mit zwei Medikamenten empfehlen. Nivolumab ist der erste von zwei Antikörpern, die Magda Haug heute per Infusion bekommt. Das Auftauchen neuer Metastasen ist für das Team um Prof. Eigentler kein Grund zur Kapitulation vor dem Krebs. "Wenn ein Antikörper nicht ausreicht, probieren wir es eben mit zweien", so die Mediziner. Hallo, Frau Haug. - Hallo. Wie geht's? - Danke, gut. Ja, wir machen ja eine Kombinationsbehandlung aus zwei Medikamenten. Das erste ist ja bald durch, das Nivolumab. Dann können wir nach einer kurzen Pause auf das Ipilimumab umsteigen. Ich wünsche alles Gute, dass alles gut reinläuft. Vielen Dank. Tschüss. - Tschüss. Nach der ersten Immuntherapie gab der Krebs für zwei Jahre Ruhe. Doch die OP im letzten Jahr und die neuen Metastasen im Bauchraum bedeuten: Der Krebs ist noch nicht besiegt. Also, beim ersten Mal war ich viel lockerer drauf irgendwie. Und dieses Mal hab ich das Gefühl: Aus der Nummer komm ich nicht mehr raus. (leise:) Ganz schlimm. Prof. Eigentler hofft, dass er nach der geplanten viermaligen Kombinationsbehandlung den Krebs wieder unter Kontrolle hat. Doch wenige Tage nach der ersten Infusion bekommt Magda Haug eine Lungenentzündung - eine gefährliche und nicht seltene Nebenwirkung der Immuntherapie. Inzwischen ist auch dieser Schock überstanden. Und die Ärzte geben nicht auf. Sie planen bereits die nächste Immuntherapie. Doch die bange Frage, ob und wann der Krebs zurückkehrt, beschäftigt nicht nur die Patienten, die wir schon lange begleiten, sondern auch Susanne Stückle, die wir erst kürzlich kennengelernt haben. Heute kommt sie bereits zur 47. Infusion von Antikörpern in die Tübinger Frauenklinik. Prof. Hartkopf erkundigt sich nach ihrem Befinden. Frau Stückle, wie geht's Ihnen? Wie ist es Ihnen seit der letzten Immuntherapie ergangen? Sehr gut, nur die Müdigkeit. Das hört dann aber auch wieder auf, sodass ich meistens montags wieder ganz normal ins Geschäft gehen kann ohne irgendwelche Nebenwirkungen. Nebenwirkungen, von Schlechtsein oder dass die Knochen weh tun, das ist überhaupt nicht der Fall. Susanne Stückle kommt bisher mit der Immuntherapie gut zurecht. Aber was sagen die objektiven Befunde? Wir sehen hier ein MRT der Brust von Frau Stückle, das wir zu Beginn ihrer Therapie gemacht haben. Sie sehen hier den damals etwa vier Zentimeter großen Tumor. Das war 2018, zu Beginn der Therapie. Wir machen dann immer, wenn wir die Diagnose Brustkrebs stellen, ein sogenanntes Ganzkörper-CT, um nach Metastasen zu suchen. Und bei Frau Stückle hatten wir tatsächlich hier unten in der Leber eine kleine, 17 Millimeter große Metastase gefunden. Die erscheint relativ klein, aber hat natürlich die Tendenz, sich relativ rasch auszubreiten bei dieser aggressiven Tumorbiologie. Das ist jetzt ein aktuelles MRT, welches wir im Februar gemacht haben, also vor ein, zwei Wochen. Hier, in diesem Areal, war der Tumor gewesen in der Brust. Der ist komplett verschwunden. Da ist nichts mehr zu erkennen. Und auch im CT. Hier unten im Segment sieben war die kleine Lebermetastase gewesen. Die ist nicht mehr zu erkennen. Die Zyste, die auf der Darstellung etwas größer angeschnitten ist, war von der Größe her gleich, hatte sich nicht verändert. Für diese Art von Brustkrebs hatten wir vor der - ich möchte mal sagen - "Ära der Immuntherapie" tatsächlich nur die Chemotherapie zur Verfügung. Und das hat leider meistens dazu geführt, dass wir mit Ende der Chemotherapie ... Eine Chemotherapie können Sie niemals dauerhaft fortführen, da müssen Sie meistens nach, ja, wenn es gut läuft, einem halben Jahr aufhören aufgrund von Nebenwirkungen. Dann ist es da meistens so, dass es relativ rasch, innerhalb von wenigen Monaten, dazu kommt, dass der Tumor wieder anfängt zu wachsen. Und so haben wir beim Brustkrebs das erste Mal die Möglichkeit, eine Behandlung durchzuführen, die man auch dauerhaft durchführen kann. Und die - wie im Fall von Frau Stückle - auch dazu führt, dass der Tumor dauerhaft verschwindet und auch hoffentlich noch lange wegbleibt oder vielleicht sogar - und das ist die große Hoffnung, die wir in die Immuntherapie setzen - für immer wegbleibt. Am Anfang hab ich ... ja, total viel Hoffnung gesetzt in den Beutel mit dem Inhalt. Und jetzt kann ich sagen: Die Hoffnung, die hat sich erfüllt. Susanne Stückle hat soeben ihre 47. Infusion bekommen. Sie geht wieder ihrer Arbeit in einer Firma für Feuerungsbau nach. Der Krebs ist nicht aus ihrem Leben verschwunden, denn alle drei Wochen muss sie zur Infusion in die Frauenklinik. Das nimmt sie gern in Kauf, denn seit zweieinhalb Jahren ist ihr Brustkrebs dank der Immuntherapie unter Kontrolle. Als wir den ersten Urlaub hatten, habe ich zu dem Brustkrebs gesagt: "Auch du hast jetzt Urlaub, du bleibst zu Hause." "Und wenn wir wiederkommen, geht es einfach weiter mit dem Kämpfen, ne?" Und eigentlich ... denke ich nur noch positiv. Im November 2020 schwebte Jean-Claude Mottet noch zwischen Leben und Tod. Doch die einmalige Infusion mit CAR-T-Zellen hatte eine beeindruckende Wirkung. Jeden Tag kann er wieder seinem Lieblingssport nachgehen. Regen und Schnee stören ihn nicht. Bei Sonnenschein kann ja jeder fahren. (Beklemmende Musik) Die Krebsimmuntherapie hat sich in den letzten Jahren in einem atemberaubenden Tempo weiterentwickelt. Ständig kommen neue Medikamente und Indikationen wie Brustkrebs hinzu. Doch nach wie vor verhindert die Immuntherapie nur bei einem Viertel der Patienten über Jahre hinaus ein Fortschreiten der Krankheit. An einer Verbesserung dieser Erfolgsquote arbeiten Forscher auf der ganzen Welt. Ich denke schon, dass die Immuntherapie uns helfen wird, wenn sie richtig eingesetzt wird, Erkrankungen auch in eine langfristige Remission, wenn nicht Heilung, zu bringen. Von über 4.000 weltweit laufenden Studien zur Immuntherapie ist die Rede. Viel Aufwand, viel Geld, aber auch viel Hoffnung für alle Menschen mit der Diagnose Krebs. SWR 2021

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