Fast täglich hören wir in den Nachrichten von Desinformation, von Fake News oder von Cyberattacken, von sogenannten hybriden Bedrohungen. Was diese für die Kriegsführung und das Kriegsbild im Allgemeinen bedeuten, daran forscht Oberst i.G. Dr. Johann Schmid vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Wir sprechen heute mit ihm über das Thema hybride Kriegsführung. Guten Tag, Herr Oberst. Grüß Gott, Frau Major Grosse. Es freut mich, hier zu sein. Sie sind ja ein Experte für hybride Kriegsführung. Wenn wir an Krieg denken, ist das immer ein klassisches Bild: Zwei Staaten, die sich militärisch gegenüberstehen. Was genau ist denn jetzt hybride Kriegsführung? Das ist eine gute Frage. Und dieses Bild, das Sie gerade gegeben haben, also die militärische Kriegsführung, ist natürlich ein Teil der hybriden Kriegsführung. Aber hybride Kriegsführung wird auf einem breiten, horizontal entgrenzten, Gefechtsfeld geführt. Das heißt, der militärische Kampf ist das eine, der Propagandakrieg das andere. Der Wirtschaftskrieg kommt vielleicht ergänzend dazu und der gesellschaftliche Kulturkampf mag das vielleicht abrunden. Also das heißt, wir haben es hier mit einem Krieg zu tun oder einer Form der Kriegsführung, die nicht nur die militärisch Domäne nutzt, sondern auch eine Vielzahl von nichtmilitärischen Bereichen. Auch weiche Faktoren wie Legitimität und Moral können hier mitentscheidend werden. In dem Moment, wo sie den Willen, einen Krieg zu führen oder fortzusetzen, politisch beeinflussen können. Hybride Kriegsführung ist also ziemlich komplex und eine Besonderheit ist auch, dass es nicht mehr allein auf dem militärischen Schlachtfeld stattfindet. Was zeichnet diese Form der Kriegsführung denn noch aus? Wie lässt sie sich beschreiben? Sie kann auch als Grauzonenkriegsführung beschrieben werden. Und zwar handelt es sich hier um die Grauzonen traditioneller Ordnungskategorien wie Krieg und Frieden oder Freund und Feind oder traditionelle Verantwortungsbereiche, wie zwischen innerer und äußerer Sicherheit oder zwischen militärischen und zivilen Verantwortungsbereichen und natürlich auch zwischen Wahrheit und Lüge. Und durch das Operieren in der Grauzone dieser Schnittstellen, wo sich die Verwundbarkeiten befinden, wird das erzeugt, was wir als strategische Ambiguität bezeichnen können, also Vieldeutigkeit, was dann die Verteidigung lähmen kann. Und wenn Sie sich jetzt gefragt haben: Wofür steht dieses symbolische Schweizer Taschenmesser? Das wäre das dritte Element, womit wir gewissermaßen durch hybride Formen der Kriegsführung herausgefordert werden, nämlich durch unorthodoxe Kombinationen unterschiedlichster Mittel und Methoden. Das Messer können Sie vielleicht symbolisch betrachten, als bildhaft für das Militärische, aber es besteht eben auch aus einer Vielzahl weiterer Instrumente, weicher oder smarter Faktoren, also von regulären und irregulären Methoden, Taktiken und Strategien, also militärisch und geheimdienstlich beispielsweise. Im Militärischen kann das beispielsweise bedeuten die Kombination von konventioneller Kriegsführung mit Elementen der Guerillakriegsführung oder gar der Drohung im nuklearen Spektrum. Das heißt, hybride Akteure nutzen einen sehr breiten Instrumentenkasten. Das Militär ist ein Instrument unter vielen. Und diese Instrumente fügen sie passgenau so zusammen, dass sie an ausgewählten Grauzonen operieren können. Das ist also so, als würden sie sich gewissermaßen ihr eigenes Schweizer Taschenmesser konstruieren wollen, um damit an spezifischen Schnittstellen, Grauzonen, operieren zu können. Sie sprachen es eben an: Wir befinden uns bei der hybriden Kriegsführung in einer Grauzone. Wir haben wahnsinnig viele Akteure und auch ziemlich viele Möglichkeiten. Welche Ziele werden denn mit der hybriden Kriegsführung verfolgt? Bei hybrider Kriegsführung geht es grundsätzlich erst mal um die gleichen Ziele wie bei jeder anderen Form des Krieges auch. Es geht um Macht. Es geht um die Implementierung von politischen Interessen. Es geht letztendlich darum, den Gegner zur Erfüllung des eigenen Willens zu zwingen. Wir können dabei auch durchaus bei den klassischen Kriegsdefinitionen etwa eines Clausewitz bleiben. Das Besondere bei hybrider Kriegsführung ist nur, dass dieses Zwingen nicht nur militärisch, sondern auf der breiten hybriden Gesamtklaviatur erfolgt, eben auch politisch-diplomatisch, eventuell wirtschaftlich, propagandistisch, gesellschaftlich etc.. Also es geht um eine ganzheitliche Interessensdurchsetzung. Militärische Konflikte werden ja auch immer mit Strategien verbunden. Wie sieht denn das bei der hybriden Kriegsführung aus? Wie sehen dort die Strategien aus? Die hybride Kriegsführung kennzeichnet sich natürlich durch eine Strategievielfalt. Der Kreativität sind hier letztendlich keine Grenzen gesetzt, aber es gibt gewisse Muster, die sich wiederholen. Ein Beispiel wäre zum Beispiel das Muster der Nutzung von Geschwindigkeit und Überraschung, um den Status quo einer Situation so zu verändern, dass dies hinterher kaum mehr mit vertretbarem Aufwand rückgängig gemacht werden kann. Die Übernahme der Krim 2014 durch Russland wäre ein solches Beispiel. Aber es gibt auch genau gegenteilige Strategieansätze, die also nicht auf Geschwindigkeit setzen, sondern auf Zeit, die also versuchen, möglichst lange unterhalb der Schwelle militärischer Gewaltanwendung zu bleiben und ihre Ziele verdeckt, scheibchenweise, schrittweise, zu erreichen. Man könnte sie beschreiben mit Salamitaktik. Ein wiederum anderer Ansatz wäre der der Multi-Vektor-Angriff, also die Nutzung unterschiedlichster Angriffsvektoren gleichzeitig unter anderem militärisch, vielleicht politisch-diplomatisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich. Ähnlich der Wirkung einer Schrotgarbe, wo nicht das einzelne Schrotkorn gewissermaßen die tödliche Wirkung erzielt, sondern die Schockwirkung der gesamten Garbe. Das wären drei Beispiele. Man könnte noch ein weiteres Beispiel hinzufügen, das Beispiel, den Gegner aus einer Richtung anzugreifen, aus der er auf eine Verteidigung nicht vorbereitet ist. Stichwort “Weaponized Migration”. Das ist der englische Begriff für Migrationsangriffe zur Destabilisierung der Gesellschaften des Gegners, wie wir es jüngst gegen Polen und Litauen erlebt haben. Auch hier wird noch einmal deutlich: Hybride Kriegsführung ist ziemlich viel und finden wir an sehr vielen Stellen. Wenn ich jetzt das Beispiel Ukraine noch einmal aufgreife, hier wurde ja auch immer wieder von hybrider Kriegsführung gesprochen, wo sehen wir das denn da? Welche Beispiele zeigen sich da? Das Hybride erkennen wir dann, wenn wir den Krieg in seiner Gesamtheit betrachten, wenn wir das große Bild aufmachen, wenn wir ihn nicht nur militärisch, sondern auf allen Domänen betrachten, auf denen er geführt wird. Und wenn wir vor allem auch den gesamten zeitlichen Verlauf in den Blick nehmen. Der Krieg hat ja nicht erst 2022 begonnen, sondern bereits 2014. Der Krieg geht in Kürze ins zehnte Kriegsjahr, und er hat auf diesem Weg unterschiedliche Phasen durchlaufen. Im Augenblick sehen wir die militärische Eskalation, aber die anderen Felder werden weiter bedient. Die Propaganda schläft nicht, nur weil jetzt mehr geschossen wird. Auch der Wirtschaftskrieg geht weiter. Und wir können im Augenblick nicht sagen, auf welchem Feld er irgendwann vielleicht einmal entschieden werden wird. Wenn ich das noch mal aufgreifen darf: Im Vergleich zum militärischen Mittel sind doch bestimmt hybride Mittel auch kostengünstiger und vielleicht auch einfacher anzuwenden? Es gibt natürlich viele Mittel, die viel einfacher einzusetzen sind als das militärische Mittel, die auch viel billiger sind. Denken wir an Desinformation, denken wir an Cyberoperationen. Hier müssen wir aber berücksichtigen, dass die Wirkung natürlich auch eine begrenzte ist. Nehmen wir die Angriffe auf die ukrainische kritische Infrastruktur, der Strom- und der Gasversorgung. Diese Angriffe erfolgen ja überwiegend mit kinetischen militärischen Mitteln, mit Bomben, Raketen, insbesondere mit Drohnen, Marschflugkörpern. Das ist mit Cyberangriffen beispielsweise so nicht zu bewerkstelligen, insbesondere nicht gegen einen Gegner, der wie die Ukraine auch über eine veritable Cyberabwehr verfügt. Wie kann dann hybride Kriegsführung abgewehrt werden und wer ist dazu überhaupt befähigt? Hier geht es natürlich darum, letztendlich einen gesamtstaatlichen und gesamtgesellschaftlichen Verbund aufzubauen. Gesamtstaatlich, dazu gehören zum Beispiel die relevanten Ministerien: das Verteidigungsministerium, das Innenministerium, das Auswärtige Amt, als vielleicht die drei Kernministerien, aber viele andere eben mit dazu. Es gehört dazu natürlich die Bundeswehr, es gehört dazu die Polizei, die Kräfte, die für die Grenzsicherung zuständig sind. Und es gehören natürlich auch dazu Firmen, die Expertise beispielsweise im Bereich von Technologien mit einbringen können oder die die Waffensysteme, die man benötigt, produzieren können. Also letztendlich ist ein gesamtgesellschaftlicher und gesamtstaatlicher Verbund angezeigt, um aus diesem Verbund dann auch ein entsprechendes Lagebild als Ausgangslage aufzubauen, um hybride Strategieansätze, die sich über verschiedene Domänen und Dimensionen erstrecken können, rechtzeitig und frühzeitig erkennen zu können, bevor sich gewissermaßen die Eskalation in den militärischen Bereich hinein erstreckt. Wir hatten jetzt den gesamtstaatlichen Ansatz. Aus der Community hat uns vor diesem Hintergrund aber auch die Frage erreicht, was denn die Bundeswehr tun kann oder welche Fähigkeiten sie hat, um hybrider Kriegsführung entgegenzuwirken? Da wird Sie meine Antwort vielleicht überraschen. Die Bundeswehr begegnet den Herausforderungen hybrider Kriegsführung am besten dadurch, dass sie ihren Hauptauftrag beherrscht, den Hauptauftrag zur Landesverteidigung, zur Bündnisverteidigung. Je stärker wir auf diesem Feld sind, desto unwahrscheinlicher werden wir auf diesem Feld auch herausgefordert werden. Denn hybride Akteure wollen ja in der Regel nicht kämpfen. Sie wollen den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Was man aus diesem Beispiel auch schon rausgehört hat: Landesverteidigung in den Fokus rücken. Wenn ich das auf die Ukraine übertrage, wie erfolgreich ist denn hybride Kriegsführung, wenn wir bedenken, dass auch Russland sich hier verschiedener Methoden versucht hat oder bedient hat, aber trotzdem den Verteidigungswillen der Ukraine nicht untergraben konnte? Man kann mit Blick auf die Ukraine schon davon sprechen, dass zumindest von 2014 bis 2022 eine vergleichsweise erfolgreiche hybride Kriegführung gegen die Ukraine betrieben wurde, die ja auch auf der Spaltung der Gesellschaft beruhte, indem man separatistische Bestrebungen genutzt hatte, um dort politische Macht zu implementieren. Wenn Sie sich den Überfall vom 24. Februar vergangenen Jahres anschauen, auch dieser Überfall, der ja als sogenannte “Spezialoperation” bezeichnet wurde, war im Grunde genommen hybrid angelegt. Er war nicht unbedingt auf Krieg oder Kampf ausgerichtet, sondern es war wohl tatsächlich die Absicht, innerhalb von zwei, drei Tagen in Form eines Coup d´états gewissermaßen das politische Ruder zu übernehmen. Und hier kann man vielleicht sagen, ja, es gibt in jedem Krieg Schicksalsmomente. Und wenn beispielsweise der ukrainische Präsident am 26. Februar das amerikanische Evakuierungsangebot angenommen hätte, dann hätte das tatsächlich die Spaltung der ukrainischen Gesellschaft vorantreiben können. Und dann hätten wir heute im Land vielleicht eine andere Situation. Hybride Kriegsführung finden wir jetzt aber aktuell nicht nur in der Ukraine, sondern auch mit Blick auf den Nahen Osten. Wie zeigt sich denn dieses Themengebiet dort? Man kann vielleicht grundsätzlich eine Tendenz ausmachen: Je weiter man gewissermaßen in den Osten geht, also auch philosophisch betrachtet, desto natürlicher und selbstverständlich erscheint ein hybrides Grundverständnis von Krieg vorzuliegen. Das findet man bereits bei den Klassikern Sun Tzu oder dem Perserkönig Kyros. Wenn wir uns die Situation im Nahen Osten heute anschauen, fallen insbesondere Akteure auf, die als pseudostaatliche Akteure auftreten, die Hisbollah, die Hamas, der sogenannte Islamische Staat, die Taliban. Sie agieren im Grunde genommen im engen Schulterschluss mit mächtigen staatlichen Akteuren als Stellvertreter, als sogenannte Proxies, man unterstützt sich wechselseitig. Die Methodik, die hierbei zum Einsatz kommt, ist auch immer wieder ähnlich: Infiltration, Beeinflussung, Radikalisierung, die Anwendung von Gewalt, häufig in Form von Terror oder Terrorismus. In dieser Form können wir auch die jüngsten Angriffe der Hamas auf Israel einordnen, also im Grunde genommen ein paramilitärisch organisierter Terrorangriff, gezielt auf die Zivilbevölkerung Israels, um möglichst blutige Bilder zu generieren, die man dann wiederum propagandistisch und für die strategische Kommunikation und politisch nutzen kann. Und welche Resonanz das insgesamt hervorgerufen hat, weltweit, in Europa, aber auch in Deutschland, konnten wir ja jüngst anschaulich beobachten, das Ganze eine große Gefahr für Europa, weil es mit politischer Radikalisierung islamistischer Prägung einhergeht und hier eine Reichweite in die europäischen Gesellschaften besteht, über Migration, über die Diasporas in unseren Gesellschaften und natürlich über grenzüberschreitende Radikalisierungsprozesse. Die Beispiele aus der Ukraine, aber auch aus dem Nahen Osten haben uns gezeigt, wie komplex hybride Kriegsführung sein kann, wie einfach teilweise aber auch mit einer enormen Wirkung. Welche Lehren ziehen wir denn jetzt in Mitteleuropa daraus? Der Punkt ist: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass auch Deutschland, auch Mitteleuropa, im Fadenkreuz hybrider Akteure steht und es kommt darauf an, unser Bewusstsein, gesamtstaatlich, gesamtgesellschaftlich, mit allen Teilakteuren, für diese Art der Herausforderung, für diese Art der Bedrohung zu schärfen. Und das können wir tun, indem wir einerseits unsere Analysefähigkeit verbessern und indem wir uns gewissermaßen ein Lagebild zusammen führen, das militärische, aber auch eine Vielzahl nichtmilitärischer Domänen beinhaltet. Wir müssen schauen auf die Wirtschaft, wir müssen schauen, was im Finanzbereich geschieht. Wir müssen uns die Gesellschaft anschauen, Radikalisierungstendenzen. Wir müssen uns aber auch anschauen, welchen Cyberangriffen beispielsweise unsere Firmen ausgesetzt sind oder welche Übernahmeversuche es hier gegebenenfalls geben kann. Also wichtig wäre, das Bewusstsein zu schärfen, der staatlichen Akteure, aber auch der gesellschaftlichen Akteure, und wachsam zu bleiben. Vielen Dank für diesen Ausblick und auch danke für das Gespräch, heute zum Thema hybride Kriegsführung. Ich bedanke mich sehr, Frau Major Grosse, hat mich sehr gefreut. Danke schön. Und auch Ihnen vielen Dank, dass Sie heute wieder eingeschaltet haben zu “Nachgefragt”.