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Platos Höhlengleichnis und digitale Realität

Wenn von den Filterblasen und der systematischen Blindheit unserer Weltsicht in den sozialen Netzwerken gesprochen wird, von Bots, Manipulation, Blendung und Überwachung, dann scheint das alles völlig neu zu sein. Eben ein Phänomen des digitalen Zeitalters. Aber das ist es nicht. nicht, im Gegenteil. Die Sache selbst ist viel älter als Facebook und Co. Im Grunde handelt bereits Platos Höhlengleichnis davon. Wie kann das sein? Was trägt diese uralte Geschichte, dieses Gleichnis dazu bei, jetzt die Wirklichkeit zu erkennen? Platos Höhlengleichnis ist fast 2500 Jahre alt. Verkürzt gesagt behauptet Plato, dass wir in einer Höhle sitzen. Alles was wir sehen sind die Schatten an der Wand. Und glaubt mir, wenn Plato heute gelebt hätte, hätte er gesagt, die Höhle ist ein digitaler Bunker. Schatten, das sind die Muster und Bilder und Icons und Schriften auf den gläsernen, glatten Benutzeroberflächen, über die ihr streicht, um an die Wirklichkeit dahinter zu kommen oder sie endlich zu erkennen. Aber ihr könnt wie aller den so lange an der Oberfläche eurer digitalen Lampen wie ihr wollt, so kommt da kein Flaschengeist raus. Manche alten Texte aber, die können ihn freisetzen, denn sie enthalten das Zauberwort, das den Geist aus der Flasche lässt, das Passwort, um hinter die Benutzeroberfläche zu kommen. Dieses Zauberwort heißt Erkenntnis. Aber ihr müsst es selbst erlernen, sonst funktioniert es nicht. Das Beste daran ist, dass Plato und viele andere Texte, die dieses Zauberwort enthalten, umsonst und frei verfügbar sind. sind. Ihr findet sie überall in der digitalen Höhle. Und Plato wäre der Letzte gewesen, der etwas dagegen gehabt hätte, wenn ihr sein Höhlengleichnis benutzt. Denn Plato war der Überzeugung, dass die Dinge Realisation, also Verwirklichungen von Ideen sind. Und seit wann nutzen sich Ideen ab, wenn wir die Dinge benutzen? Kommen wir zum Höhlengleichnis, einem der berühmtesten dieser alten Texte der abendländischen Philosophie. Viele von ihnen führen zu extrem spannenden neuen Einsichten, häufig besser als die anderen. Besser und leichter als viele brandneue Texte von heute. Diese sind zwar leichter zu lesen und lösen mit großer Wahrscheinlichkeit bei euch ein Gefühl des Bekannten aus, sagen euch aber in Wahrheit häufig nur das, was gerade im Moment ohnehin aktuell ist und euch deshalb auch schon bekannt ist. Gerade der Kontrast zu etwas, das ungewohnt ist, kann äußerst erhellend sein. Die Idee zum heutigen Video verdanke ich übrigens Daniel Budiman. Er hat in unserem Gespräch über die neuen Schriften, Spielkonsolen und Virtualität auf Platos Höhlengleichnis Bezug genommen. Diesen Text gibt es inzwischen seit ziemlich genau 2429 Jahren, denn er dürfte um 408 vor Christus entstanden sein. Vermutlich haben ihn Hunderttausende, wenn nicht sogar Millionen von Menschen seitdem gelesen und über ihn nachgedacht. Wenn euch das Höhlengleichnis gefällt und ihr mehr haben wollt, mache ich gerne, schreibt einfach in die Kommentare, denn zu diesem Text haben sich extrem viele kluge Leute in dieser Zeit. viel einfallen lassen. Wenn man versuchen würde, das Höhlengleichnis zu verfilmen, käme in etwa Matrix dabei heraus. Tatsächlich beinhaltet der Text viele Matrix-Elemente, sieht man mal von den technologischen Details ab, die Plato natürlich nicht kennen konnte. Aber wenn Plato zum Beispiel davon spricht, dass wir Schatten auf der Höhlenwand sehen, kann man das natürlich übersetzen in, wir sehen im Kino Projektionen auf einer Leinwand. Man kann sogar sagen, wir sehen digitale Icons und Pixel auf einer spiegelglatten Smartphone oben. Wir sehen Bilder der Wirklichkeit, also Schatten, und viele sehen das in Windows, dem Fenster, das sich in die Wirklichkeit öffnet. Also was das angeht, war Plato konzeptionell seiner Zeit weit voraus. Kurz noch was zum Umfeld. Das gehört in der Philosophie einfach dazu, wenn man einen Text lesen und besser verstehen will. Plato lebte in etwa zwischen 428 und 348 vor Christus. Er war Schüler von Sokrates und vor allem daran interessiert, was wir überhaupt wissen können. und wie gut wir das wissen können. Aber es gab noch andere zentrale Themen für ihn, etwa das Gute, die Gerechtigkeit und das, was wir heute Theorie nennen. Plato war der Erfinder der Ideenlehre und das war unter anderem deshalb eine so geniale Erfindung, weil Plato damit auf einen Schlag klären konnte, also ein Problem lösen konnte, wieso viele unterschiedliche Dinge doch eins sein können. Es gibt tausende verschieden gemachte... Tische, wie diesen hier. Aber sie alle haben eines gemeinsam. Sie sind Tische. Und warum sind sie Tische? Weil sie alle Realisationen ein und derselben Idee eines Tisches sind, hätte Plato geantwortet. Plato gründete die erste Akademie, die älteste Philosophenschule Griechenlands. Seine Lehre und die seines Schülers Aristoteles gehören tatsächlich zur Welterbe des Denkens. Platos Einfälle, Argumente und Ideen prägen das Denken bis heute. Das Höhlengleichnis findet ihr gleich zu Beginn von Kapitel 7 des Buches Politea, genauer Politea 514a bis 515b. Platos Politea bleibt, falls Archäologen keine neuen Texte und damit andere Erkenntnisse zutage fördern, die erste Schrift des Westens überhaupt, in der eine ausgearbeitete politische Philosophie und eine richtige politikwissenschaftliche Theorie entwickelt worden sind. Von diesem Text Platos leiten sich fast alle späteren Ideen zur Naturrechtslehre oder zur Theorie der Gerechtigkeit ab. Gerechtigkeit ist auch das Hauptthema der Politea. Aber auch der Gedanke der Emanzipation, der Befreiung, letztlich auch der Aufklärung, verdankt sich wesentlich Platos Philosophie und insbesondere der Wirkung des Höhlengleichnisses. Man könnte sagen, dass das Höhlengleichnis der erste global wirkende Aufklärungstext überhaupt war, erkenntnistheoretisch ebenso wie politisch und auf indirekte Weise auch moralisch. Damit zählt die Politeia zu den wirkmächtigsten Werken der abendländischen Literatur überhaupt und sicher zu den einflussreichsten Werken der globalen Philosophiegeschichte. Das Höhlengleichnis als Teil der Politeia wird von Sokrates vorgetragen, dessen Schüler Plato war. Dabei ist keineswegs sicher, ob jetzt der historische Sokrates tatsächlich auch das gesagt hat, was Plato in diesem Text festhält. Tatsächlich spielt das aber auch ebenso wenig eine Rolle wie die Frage, ob es wirklich Hobbits gibt im Herrn der Ringe. Denn so oder so hat der Text eine enorme Wirkungsgeschichte gehabt und hat sie immer noch bis heute. Wenn man es in einem Satz zusammenfassen sollte, geht es darum, wie wir wirklich die Wahrheit sehen und die Wirklichkeit, unsere Lebenswirklichkeit. und sie klar erkennen können. Es geht darum, sich aus seiner Welt der Illusionen zu befreien. Obwohl Plato an keiner Stelle von Gott spricht, hat sein Text doch mit der Erlösung des Menschen durch Erkenntnis zu tun. Das Bild der Erleuchtung, des Lichts, der sich ja im englischen Wort für Aufklärung wiederfindet, Enlightenment, spielt bei Plato eine zentrale Rolle. Ohne Arbeit an sich, sagt Platos Text, ohne Arbeit an sich. An der Wirklichkeit und am Begriff der Wirklichkeit gibt es keine Erkenntnis, kein Licht, keine Einsicht, kein Wissen, keine Weisheit. Nur die Dunkelheit einer Höhle gibt es, nur Illusionen. Es ist, als würde man den ganzen Tag Fernsehen oder YouTube schauen und glauben, dass man dadurch die Wirklichkeit erkennt. Die Wirklichkeit ist räumlich zum Beispiel dreidimensional. Nimmt man die Zeit hinzu, ist sie sogar vierdimensional. Und wenn man bedenkt... Dass es Wirklichkeit immer nur im Zusammenhang mit unserem Leben und daher mit anderen Menschen, also in einer sozialen Dimension gibt, dann ist Wirklichkeit sogar fünfdimensional. YouTube und Fernsehen aber täuschen diese Tiefe vor. Sie sind flach wie ein Bildschirm, während die Wirklichkeit tief wie ein See ist. Ihr müsst nur richtig hineinschauen. Tief rein, hinter die Oberfläche, die glänzt. Hinter die Bedieneroberfläche. Wahrscheinlich hat Bill Gates deshalb die ganze Sache... Windows genannt. Das Digitale ist nur der Frame, der Rahmen, in dem die analoge Welt erscheinen kann. Es ist ein Fenster, Windows, in den Hof der Wirklichkeit. Was Plato sagen will, ist, dass diese Arbeit am Verstehen der Wirklichkeit und der Situation, in der man sich in Wahrheit befindet, alles andere als einfach ist. Sie ist leidvoll, schmerzhaft, gefährlich. Und sie existiert nie in einem isolierten Umfeld, sondern geschieht immer in der Gesellschaft. Stichwort Politik. Man scheint alleine zu sein. Ist es aber nicht. Die Bilder, die man selber sieht, sehen andere natürlich auch. Andere sind mit dabei, andere schauen zu, während die Informationen eure Mattscheibe erhellen. Die Wirklichkeit ist flüssig, fluide, nichts, was ihr greifen könnt, auch wenn die Oberfläche, auf der sie erscheint, so hart und klar und eindeutig zu sein scheint. Wenn ihr durch die Wirklichkeit seht, könnt ihr die Umrisse der Matrix erkennen. Das meinte Plato. Was die anderen und damit das System der sozialen Netzwerke angeht, schwierige Sache. Denn andere Menschen können einen ebenso daran hindern, die Wahrheit zu erkennen, wie sie einem helfen können, die Dinge tatsächlich endlich so zu sehen, wie sie wirklich sind. Worum es letztlich aber geht, ist, ins Licht zu sehen, wie Plato schreibt, in das klare Licht der Erkenntnis. Anders formuliert, es geht im Höhlengleisnis um nichts anderes als darum, endlich das, was un... unmittelbar vor uns, vor jedem Einzelnen ist, was scheinbar selbstverständlich da ist, als das zu erkennen, was es ist, nämlich als Wirklichkeit. Aber was ist diese Wirklichkeit? Existieren die Bilder, die ihr jetzt seht, wirklich? Die Geräusche? Eure Gedanken? Ich hier als Geist in der YouTube-Flasche? Ihr seht, von Platos Höhlengleichnis ist es nur ein Katzensprung hin zu Descartes'Zweifel, obwohl beide wie auf anderen Planeten gelebt und auch gedacht haben. Noch ein letzter Gedanke, bevor ich euch das Höhlengleichnis vorstelle. Wenn man Platos Absicht heute mit einem Modewort umschreiben würde, kann man sagen, dass es Plato darum geht, dass sie ein echtes Transformationserlebnis hat. Plato will, dass wir alle durch das Licht zu einer besseren, anderen, heute würden wir sagen, nachhaltig transformierten Lebensweise gelangen. Auch dieser Gedanke der Nachhaltigkeit kommt im Höhlengleichnis vor. Der Sinn und die Notwendigkeit dieses Transformationsprozesses ist das, was Philosophie in seinen Augen ausmacht. Philosophie als ein Bildungsweg und damit als realer Befreiungsprozess. Im Grunde findet man bei Plato also auch die Idee der Schulen, Hochschulen und Universitäten im Keim. Und ich erwähnte ja schon, dass er die erste Akademie gegründet hat, soweit wir das wissen. Allerdings weiß Plato, dass man auch an der besten Akademie der Welt bestimmte Dinge nicht einfach in einer mathematischen Formel als pure Information oder als ein Wahrscheinlichkeitskalkül erfassen kann. Man braucht Metaphern. Und deshalb spricht er auch von Licht und nicht von Daten. Wenn euch das Höhlengleichnis Spaß macht, werde ich mich in Episode 2 gerne mit diesem Thema der Metaphern befassen. Wir kommen um sie nicht herum, weder im Leben noch in der Philosophie und auch nicht in der Wissenschaft. Es war der Philosoph Hans Blumenberg, der nicht zuletzt, ausgehend vom Höhlengleichnis, eine Theorie der Metapher und der Unbegrifflichkeit entwickelte. Denn es gibt etwas, das sich dem klaren Begriff, auch der Formel, entzieht, aber dennoch präzise gesagt werden kann, und zwar in einer Metapher. Platos Höhlengleichnis jedenfalls will Dinge erhellend klar machen, die bislang im Dunkeln lagen. Er will, dass ihr, wenn ihr schon in der Matrix seid, wenigstens die richtige Pille nehmt. Wenn ihr das tut, werdet ihr zwar nicht Neo, dafür aber Sokrates sehen. Und der beschreibt folgende Situation. In einer unterirdischen, höhlenartigen Wohnung, die einen gegen das Licht geöffneten Zugang hat, leben Menschen. Sie sind von Kindheit an gefesselt an Hals und Schenkeln, sodass sie immer an Ort und Stelle bleiben müssen. Sie können auch nur nach vorne sehen und den Kopf nicht drehen. Das einzige Licht, das sie haben, kommt von einem Feuer. welches von Ferne hinter ihnen brennt. Zwischen diesem Feuer und den Gefangenen hier gibt es nun einen Weg. Wenn andere Menschen dort diesen Weg entlang gehen, beispielsweise Dinge mit sich tragen, dann sehen die gefangenen Menschen die Schatten dieses Geschehens vor sich an der Höhlenwand. Im Grunde ist das Feuer und die Höhlenwand also so etwas Ähnliches wie ein Projektor und die Leinwand, nur dass das richtige Leben eben nicht gefilmt wird. ist, sondern sich als Schatten abspielt. Wenn die Menschen nun miteinander reden, unterhalten sie sich natürlich auch über das, was sie da sehen, also über die Schatten. Und sie halten die Schatten für das Wahre, wie Plato sagt. Was aber passiert nun, wenn man jemandem die Fesseln abnimmt und ihn zwingt aufzustehen, den Hals rumzudrehen, ein Stück zu gehen und gegen das Licht zu sehen? Indem jemand das täte, schreibt Plato wörtlich, hätte er immer Schmerzen, und könnte wegen des flimmernden Glanzes jene Dinge nicht richtig erkennen, wovon er vorher ja die Schatten gesehen hat. Und was würde so ein Mensch sagen, schreibt Plato weiter, wenn ihm einer versicherte, damals, als er gefesselt war, hätte er lauter Nichtiges gesehen. Jetzt aber, dem Seilenden näher und zudem mehr dem Seilenden zugewendet, sähe er richtig. Meinst du nicht, fragte er, könnte so ein Zuhörer, ein solcher Mensch, ganz verwirrt sein, und glauben, was er damals gesehen habe, sei doch wirklicher als das, was ihm jetzt gezeigt werde. Plato macht damit deutlich, wie schwer es ist, seine eigenen Vorstellungen oder besser gesagt, ...gesagt, seine eigenen Voreinstellungen hinter sich zu lassen. Ins Licht zu sehen, wieder eine Metapher, die für die Erkenntnis steht, ins Licht zu sehen ist schmerzhaft, das Licht ist grell. Es ist vor allem auch deshalb schmerzhaft, weil man mit einem Schlag ja erkennen muss, dass all das, was man vorher für die wahre Wirklichkeit gehalten hat, nur ein Abbild, ein Abklatsch, ein Avatar, eine billige Kopie, ein Schatten war. Kann das nicht sein? sein, dass man sich so lange geirrt hat? Und nicht nur man selber, sondern die ganzen anderen Mitgefangenen auch. Über diesen Aspekt des Sozialen lässt sich lange nachdenken. Stichwort Politik. Plato schreibt jedenfalls, dass wenn man ins Licht sieht, direkt die Augen schmerzen. Also würde ein solcher Mensch zu fliehen versuchen, um dann zurückzukehren, fest davon überzeugt, dass das, was er vorher ja gesehen hat, deutlicher ist, klarer und vor allem wahrer und weniger schmerzhaft. Und wenn man diesen Menschen nun, sagt Plato, mit Gewalt den Weg hochschleppen würde und ihn nicht losließe, bis er das Licht an der Sonne draußen gesehen hat, wird er nicht viel mehr sehen. Schmerzen haben und sich ungern schleppen lassen? Und wenn er nun an das Licht kommt und die Augen voller Strahlen hat, würde nicht das Geringste zu sehen sein von dem, was ihm nun für das Wahre gegeben wird. Gewöhnung ist also nötig, sagt Sokrates, Gewöhnung, um das Obere, also Licht, draußen Sonne, zu sehen. Die Schatten sind leichter zu erkennen als die tatsächlichen Dinge da draußen. Aber wer die Schatten vorzieht, er ist nicht derjenige, der die Schatten vorzieht. ähnelt einem Menschen, der die Welt nur betrachten will, wenn es dunkel ist und einzig der Mond und die Sterne scheinen. Er ist also so eine Art Vampir, der die Sonne scheut. Im Laufe der Zeiten und Jahre wird sich all das ordnen, schreibt Plato, also wir werden uns daran gewöhnen, auch wenn ihr zunächst geblendet seid und Erkenntnis schmerzhaft ist. Plato weiß also sehr genau, wie mühselig Bildung ist, wie lange Bildungsprozesse dauern und wie schwer uns Selbsterkenntnis fällt. Dieser Mensch erinnert und seiner ersten Wohnung in der Höhle gedenkt und der dortigen Weisheit und der damaligen Mitgefangenen. Meinst du nicht, fragt Sokrates, werde er sich selbst glücklich preisen über die Veränderung und seine einstigen Mitgefangenen beklagen, die immer noch in der Höhle sind? Für diese einstigen Mitgefangenen hängen Ehre, Belohnung, Ansehen und alles weitere einzig und alleine davon ab, wer das, was er da vor sich sieht, am besten erkennt. erkennen und am besten voraussagen kann. Also die Schatten. Im Grunde könnte man sagen, dass Platos Höhlenmenschen ehrgeizige WissenschaftlerInnen sind mit einem Hang zu Predictive Analytics, also zur Vorhersage, aufgrund der Daten, die sie haben. Der oder diejenige erhält am meisten Anerkennung, der oder die den besten Algorithmus erfunden hat, um das nächste Ding, das da als Schatten auf der Leinwand erscheint, die nächste Veränderung der Pixel vorauszusagen. Wenn man aber erst einmal ins richtige Licht... gekommen ist, wird man selbst die Menschen, die in der Schattenwelt groß und anerkannt waren, die Macht und einen Namen hatten, nicht mehr beneiden, sagt Plato. Man lebt lieber als Tagelöhner in der richtigen Welt mit Sonne da draußen, denn als machtvoller Mensch in der falschen Welt inmitten der Schatten, die nur Abbilder der Dinge sind. Übrigens ist das auch das zentrale Motiv des Films Welt am Draht von Rainer Werner Fassbinder, von dem es auch ein unsagbar schlechtes Hollywood Remake gibt. Wenn der Mensch, der in der Sonne ist, inmitten der wirklichen Dinge lebt, nun auf die Idee käme, wieder in die Höhle zurückzugehen, hätten seine Augen natürlich zunächst Probleme, sich an die Dunkelheit wieder zu gewöhnen, weil er ja aus der Sonne kommt, wie Plato schreibt. Wenn dieser Mann wieder in der Begutachtung der Schatten mit den anderen, den Mitgefangenen, wetteifern sollte, die die ganze Zeit über dort gefangen gewesen sind, also gut adaptiert sind, dann würde es ihm zunächst noch einige Zeit vor den Augen flimmern. Würde man ihn dann nicht also auslachen, weil er ja anscheinend mit verdorbenen Augen von da oben zurückgekommen ist und sich folglich auch in keiner Weise lohnt, überhaupt versuchen zu wollen, dort hinaufzukommen. Man kriegt ja schlechte Augen davon. Im Grunde müsste man also jeden, der versucht, die Fesseln zu lösen, um andere hinaufzubringen ans Licht, schreibt Plato, umbringen. Das ist die Welt der Schattenvampire. Derjenigen, die in ihrer Höhle des Fakes leben wollen, statt in der Wirklichkeit. Plato diskutiert auch, was es heißt, sich in der Welt der Schatten über Schatten zu streiten. Hat nicht auch unser Leben... im digitalen Film mit einem Streit um Schatten, um Abbilder von Abbildungen von Informationen, also Daten zu tun, die wir bereits für die echte Wirklichkeit halten und sie verwechseln damit, sind nicht in gewisser Weise auch Daten. Schatten. Und was wäre in dieser Welt der Daten die Sonne? Ist nicht alles, um es mit einem Romantitel von William Gibson zu formulieren, virtuelles Licht? Ich glaube, man muss keine Philosophin oder kein Philosoph sein, um zu erkennen, wie viele Möglichkeiten das Spiel mit Platos Höhlengleichnis eröffnet. Es ist nicht nur ein Spiel mit Worten, sondern mit den Möglichkeiten der Erkenntnis. Und dabei geht es nicht um etwas, das rein fiktiv wäre, erfunden, sondern im Gegenteil. Es geht um das, was wirklich ist. Und zwar hier und jetzt. Tische und uns. Wie kann man aber, wenn man es mit Daten, Theorien und Metaphern zu tun hat, zu diesem Wirklichen vorstoßen? Was bedeutet in einer Welt mit Schatten und virtuellem Licht überhaupt Wahrheit oder Erkenntnis? Und was bedeutet soziale Zusammenarbeit, sozialer Zusammenhalt, wenn die Menschen, die starr geradeaus auf ihre Bildschirme schauen, manchmal haben sie sie auch in der Hand, noch nicht einmal merken, dass sie ihren Kopf nicht drücken? drehen können und in die andere Richtung schauen, weil sie es nie anders gewohnt waren, weil sie abgerichtet wurden und weil sie das für Freiheit hielten. Okay, ihr seht, da ist noch viel Raum für mehr, viel Raum für Einsichten, Assoziationen und Vorstellungen darüber, was man machen muss, die Dinge endlich so zu sehen, wie sie sind. Denn auch das ist Platos Höhlengleichnis, ein Bild über die Bilder, die die Wissenschaften erschaffen, um mithilfe der Schatten, die sie selber in Theorien und Formeln festhalten, die wir in der Welt haben. Wirklichkeit zu erkennen. Was aber erkennen wir in diesen Schatten, den Daten, Abbildern der Dinge? Und wie erkennen wir, dass wir jetzt die Wirklichkeit erkennen? Kein Wunder, dass dieser Text einer der meistdiskutierten der abendländischen Philosophiegeschichte ist und in immer neuen Variationen immer neu auftaucht, auch dann, wenn das Höhlengleichnis gar nicht explizit angesprochen wird. Es reicht, um eine andere Metapher zu verwenden, wenn die Spitze des Eisberges sichtbar wird, um zu ahnen, dass man mit der Titanic untergeht, wenn man weiterhin direkt auf den Eisberg zuhält, weil man denkt, unter der Oberfläche ist ja nichts. Wenn es euch gefallen hat und ihr mehr wollt, Schreibtische findet ihr unten. Denn dann gibt es demnächst auch Höhlengleichnis Episode 2. Und tschüss.