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Kinderarbeit in der Schokoladenindustrie

Bald ist Ostern. Der Frühling steht vor der Tür. Und in den Geschäften... ...die Schokoladenosterhasen. * Musik * Einige von ihnen haben nahezu einen Kultstatus erreicht. Letztes Jahr wurden in Deutschland 230 Mio. Stück produziert. Es gibt Osterhasen in Vollmilch, Zartbitter, in weißer und veganer Schokolade. Von allen bekannten und nicht so bekannten Firmen. Doch können wir unbekümmert genießen? 2001 haben sich die weltweit führenden Schokoladenhersteller verpflichtet, Kinderarbeit bis 2008 deutlich zu verringern. Doch viele Hilfsorganisationen prangern an, dass dieses Ziel nie erreicht wurde und bis heute viel Kinderarbeit in Schokolade steckt. Uns alarmiert eine Studie aus den USA, die in Westafrika durchgeführt wurde. Das Institut spricht davon, dass die Kinderarbeit auf den Kakaoplantagen sogar noch zugenommen hat. Untertitel: WDR mediagroup GmbH im Auftrag des WDR * Musik * Wir fahren in die Schokoladenfabrik, in den Landkreis Tübingen zur Firma Klett. Seit 1953 wird hier produziert. Ihr Markenzeichen: Hohlfiguren wie Weihnachtsmänner und Osterhasen. Christopher Klett ist Geschäftsführer des Familienunternehmens. Rund 70 Mio. Figuren werden hier im Jahr gegossen. Das sind bis zu 400.000 täglich. Aber wo kommt der Kakao für seine Schokolade her? Zu 100% genau kann ich es nicht sagen. Wir wissen, dass es aus Westafrika kommt, der Großteil. Das liegt daran, dass der Rohstoff an der Börse gehandelt wird. Deshalb können wir nicht zu 100% genau sagen, diese Schokolade kommt exakt von diesem Farmer. Über 2.000 t Schokolade verarbeitet die Firma pro Jahr, und Klett ist eine kleine Schokoladenfabrik. Weltweit werden rund 5 Mio. t Kakao geerntet. Christopher Klett hat sich die Anbaubedingungen in Westafrika selbst angeschaut. Ich persönlich, wo ich dort war, das hat meine Einstellung geändert. Das nimmt einen mit. Es ist toll zu sehen, was die Leute da leisten. Das muss honoriert werden. Und es soll dort ankommen. Ohne die Kakaobauern funktioniert die Kette nicht. Das ist ein Kreislauf. Da sind wir verpflichtet, als Hersteller und als Kunden, dass man da was zurückgibt. Klingt gut. Aber ist das in der Schokoladenindustrie auch so? Wir fliegen nach Westafrika. Das Ziel, die Elfenbeinküste oder der Staat Republik Côte d'Ivoire, wie er offiziell heißt. * Musik * Die Kakaoproduktion des Landes ist in den letzten Jahrzehnten explodiert. Die Côte d'Ivoire ist fast für die Hälfte der weltweiten Ernte zuständig. Wenn man sich die bunten Internetseiten der Schokoladenfirmen anschaut, scheint auf den Plantagen Westafrikas die Welt in Ordnung zu sein. So gut wie jede Firma verspricht, nachhaltig zu sein. San-Pédro, im Westen des Landes, ist das Zentrum der Kakaoindustrie. * Musik * Hier sind wir verabredet mit Abelle Galo. Er ist Vorstand der Hilfsorganisation ID-Cocoa, die sich mit den Problemen in der Kakaoindustrie beschäftigt. * Musik * Die Produktion von Kakao steigt immer weiter an. Und man braucht immer mehr Arbeiter dafür. Und wenn ich sage Arbeiter, meine ich Kinder, denn die arbeiten bis heute auf den Feldern. Kann man hier wirklich Kinderarbeit finden? Früh am nächsten Morgen sind wir im Anbaugebiet. Es ist ganz einfach, Kinderarbeit zu finden, erzählt Abelle. Sein Plan: Wir warten einfach am Rande eines Dorfes und beobachten die Arbeiter, die aufs Feld gehen. * Musik * Es ist kurz vor 7, und wir sehen das 1. Kind mit einer Machete in der Hand. Zur Schule wird es wohl nicht gehen. Dann ein Mann, der 2 Jungs bei sich hat. Galo stellt ihn zur Rede. Hey, wie alt sind die beiden Jungs? Sie sind 20. Er lügt, weil ihr ihn filmt. Jemand hat sie zu mir gebracht und gesagt, sie sind 20. Ich kenne sie kaum. Abelle ist ärgerlich. Seit Jahren hört er immer wieder die gleichen Ausreden. Egal wie jung die Arbeiter aussehen, immer sagen die Bewacher, sie sind 20 Jahre alt. Wir wollen sehen, wer auf den Kakaofeldern arbeitet. Und als Erstes sehen wir Kinder. Nach internationalem Recht ist das verboten. Sie säubern den Boden für die Ernte, denn die Kakaofrüchte sind reif. * Musik * Wir wollen wissen, ob die Jungs zur Schule gehen. Meine Eltern haben nicht genug Geld für die Schule, deshalb muss ich auf dem Feld arbeiten. Hast du auch mal frei? Sonntags. Und wann fängst du an zu arbeiten? Um 8 Uhr morgens. Und wann gehst du wieder nach Hause?

  • Um 4. Beide Jungs sind 14 Jahre alt, erzählen sie, und arbeiten 6 Tage die Woche 8 h lang. Sie können weder lesen noch schreiben. Dann entdeckt Abelle ihre Wunden. Machetenhiebe. Warst du damit in einer Klinik?
  • Nein. Beide haben eitrige Wunden am Bein, immer wieder rutscht ihnen die Machete bei der Arbeit aus. Der Mann, der die Kinder bewacht, möchte nicht, dass wir mit ihnen sprechen. Abelle fordert uns auf zu gehen, bevor der Wachmann Unterstützung holt. Die Kinder müssen weiterarbeiten. Abelle Galo möchte uns ein weiteres Problem im Kakaoanbau zeigen. Das Gebiet hier bestand noch vor wenigen Jahrzehnten aus Dschungel. Obwohl der Wald offiziell geschützt ist, sind die meisten Bäume den Kakaopflanzen zum Opfer gefallen. Am Straßenrand stehen meist noch ein paar Bäume. Dahinter nichts als Kakao. * Musik * Doch hier wird nicht nur die Natur ausgebeutet. * Musik * Wir stehen auf einer Kakaoplantage, die sich mitten im Naturschutzgebiet befindet. Schon lange prangern wir diese Praktik an, doch es entstehen immer neue Plantagen. Dazu kommt noch, dass hier auch wieder Kinder benutzt werden, um den Kakao zu ernten. Wir erfahren, dass die Jungs 13 Jahre alt sind und aus dem armen Nachbarland Burkina Faso stammen. Wir fragen sie, ob sie schon mal zur Schule gegangen sind. Ja, bis ich 10 Jahre alt war. Ich auch, bis 10. Ich bin noch nie zur Schule gegangen. Als ich 10 war, wurde ich hierhergebracht. Auch hier haben die Kinder einen Wachmann dabei. Die Regel ist einfach: Er gibt die Anweisungen, und die Kinder arbeiten. Für die Jungs ist es immerhin besser, hier zu arbeiten, als in die Stadt zu gehen und kriminell zu werden. Hier können wir ihnen wenigstens helfen. Mittags dürfen die Kinder eine Pause machen. * Musik * Ihre Nahrung müssen sie selbst anpflanzen. Das Einzige, was sie haben: Cassava-Wurzeln. Wir wollen wissen, ob sie auch manchmal Fleisch zu essen bekommen. Hühnchen- oder Rindfleisch habe ich noch nie gegessen. Wenn wir Fleisch essen wollen, dann müssen wir Ratten oder Füchse jagen. Ihre Eltern in Burkina Faso hätten sie nicht mehr ernähren können, erzählen die Kinder, und hätten sie deshalb in die Elfenbeinküste verkauft. Wenn sie 17 oder 18 Jahre sind, dürfen sie ihrer Wege gehen. Hilfsorganisationen schätzen, dass Tausende Kinder und Jugendliche genau so auf die Kakaoplantagen kommen. 22 Jahre, nachdem alle großen Kakaoproduzenten das Protokoll zur Beseitigung von Kinderarbeit unterschrieben haben, können wir diese Bilder filmen. Ohne große Suche. * Musik * Obwohl sie schon seit Jahren auf Kakaoplantagen arbeiten, haben sie noch niemals in ihrem Leben Schokolade probiert, erzählen sie uns. Wir haben welche dabei. Du kannst das Papier abmachen. * Musik * You can open it here. * Musik * Das ist süß, oder? Beiß einfach ab. * Musik * Es ist wahnsinnig süß. Wir erfahren, in welchem Dorf die Kinder leben. Überall vor den Hütten trocknet Kakao. Einer der größten Farmer ist Alexandre Krah Yao. Wir trauen unseren Ohren kaum, als er erzählt, dass er schon seit Jahren Kinder aus anderen Ländern als Arbeitskraft kaufe. Wenn ich mir ein Kind z.B. aus Benin besorge, muss ich den Vermittler bezahlen. Das restliche Geld kriegt dann der Vater in Benin. Das Kind selbst bekommt von mir für die Arbeit nichts. Vermittler kaufen den Eltern die Kinder ab, bezahlen den Transport und verkaufen sie teuer an Bauern weiter. Offiziell erlaubt ist das nicht. Die Familien im Dorf schicken ihre Kinder nun vermehrt in die Schule. Aus diesem Grund brauchen die Bauern neue Arbeitskräfte für den Kakaoanbau. * Musik * Nach einem langen Arbeitstag sind auch die 3 Jungs vom Feld zurückgekehrt. Wir erfahren, dass sie Youssouf, Marcelin und Kouassi heißen. Sie leben gemeinsam in einem Raum. Einziger Schmuck, ein alter Kalender. * Musik * Ich besitze nicht viel. Genauso wie meine Freunde. Nur eine Machete und das weiße Tuch da oben gehören mir. Oft sitze ich hier einfach und denke an meine Mutter. Der Besitzer der Jungs stellt ihnen den Schlafraum zur Verfügung. Er war nicht bereit, sich filmen zu lassen. * Musik * Die meisten Felder im Land gehören den Bauern, aber gekauft wird die Ernte von großen Händlern. In San-Pédro betreiben die größten Schokoladenhersteller der Welt Fabriken, in denen die Bohnen gereinigt und verarbeitet werden. Wie etwa das Unternehmen Cargill. Oder die Nr 1. in der Branche, Barry Callebaut. Wir wollen wissen, ob sie von der Kinderarbeit auf den Plantagen wissen und was sie dazu sagen. Ich rufe vom deutschen Fernsehen an. Wir sind in der Stadt und würden gerne ein Interview mit Ihnen führen. Egal, wo wir anfragen, niemand ist bereit, mit uns zu sprechen. Weder Cargill noch der Großproduzent Barry Callebaut. Nicht nur wir haben bei unseren Stichproben Kinder auf den Feldern gefunden. Eine US-amerikanische Studie zeigt, dass ungefähr 1,56 Mio. Kinder in Westafrika in der Kakaoproduktion arbeiten. Das sind mehr als vor 20 Jahren. Viele Firmen behaupten im Netz, sie würden Kakao aus der Elfenbeinküste beziehen, in der keine Kinderarbeit steckt. Ist das überhaupt möglich? Wir sind verabredet mit dem Koordinator der Hilfsorganisation RAIDH, Bakayoko Falikou. Es ist sehr, sehr schwierig zu sagen, ob es überhaupt möglich ist, irgendwo in der Elfenbeinküste Kakao zu bekommen, in der keine Kinderarbeit steckt. Die Industrie im Land hat auch überhaupt kein Interesse, die Kinderarbeit zu beenden. Sie versuchen, sie lieber zu verstecken. Schwere Vorwürfe, die sich nicht überprüfen lassen. Wir haben ein Treffen mit einem Mitarbeiter der Firma SACO, die Barry Callebaut gehört, und befragen ihn zu den Anschuldigungen. Er möchte unerkannt bleiben. * Musik * Wir sind in Afrika. Sie wissen doch, wie es hier funktioniert. Kinder gehen nicht zur Schule, denn wenn sie in der Schule sind, sind sie nicht auf den Feldern. Und selbst die ganz jungen Kinder werden von ihren Eltern aufs Feld geschickt. Kann es wirklich sein, dass sich an den Zuständen auf den Plantagen so wenig verbessert hat in den letzten Jahren? Wir fahren in die größte Stadt des Landes, Abidjan. Hier sitzt die International Cocoa Initiative. Die Organisation wurde von der Kakao-Industrie gegründet und soll gegen Kinderarbeit kämpfen. Die Direktorin für Westafrika, Euphrasie Aka, ist bereit, uns ein Interview zu geben. * Musik * Wie sehr hat sich die Situation in den letzten 20 Jahren hier im Land verändert? Auch wenn es immer noch sehr viel Kinderarbeit gibt, hat doch eine deutliche Verbesserung in der Härte der Kinderarbeit stattgefunden. Die ganz jungen Kinder müssen nicht mehr die schwerste Arbeit verrichten. Wie z.B. schwere Lasten tragen, Chemikalien versprühen oder mit scharfem Werkzeug hantieren. Wir haben 13 Jahre alte Kinder mit Macheten gesehen, ohne jeglichen Schutz. So sieht doch die Realität auf den Feldern aus. Ich sage auch nicht, dass es keine Kinderarbeit gibt, aber wir haben noch viel zu tun. Der karge Erfolg nach 23 Jahren Kampf gegen Kinderarbeit: 12-Jährige müssen angeblich nicht mehr die schwerste Arbeit leisten. Zurück auf den Plantagen will uns unser Begleiter Abelle ein weiteres Problem in der Kakao-Industrie zeigen. Den starken Pestizideinsatz. * Musik * Bonjour. Was tut ihr hier?
  • Wir müssen spritzen. Warum? Insekten haben die Kakaofrüchte befallen. Ist es das?
  • Ja, genau. * Musik * Hier kommt ein Pestizid zum Einsatz. Ohne jeglichen Schutz hantieren die Jungs mit dem Gift. * Musik * Hat niemand mit euch über Schutzausrüstungen gesprochen, wie Handschuhe und Masken? Ich habe gehört, dass es gefährlich ist, aber wir müssen es aufs Feld bringen. Die Chefin der International Cocoa Initiative hatte recht. Die Jungs sind nicht 12 Jahre alt, sondern 16. Wie die anderen Kinder stammen sie aus Burkina Faso. * Musik * Nachdem das Pestizid versprüht ist, kommt das Breitbandherbizid Glyphosat zum Einsatz. Glyphosat tötet alle Gräser um den Kakaobaum ab, damit sich der Kakao später leichter ernten lässt. Nicht einmal Gummistiefel hat der Junge. Das Pflanzengift geht auf seine Haut, was laut Hersteller unbedingt vermieden werden sollte. Durch Insekten- und Pilzbefall fällt die Ernte in ganz Westafrika in diesem Jahr schlecht aus. Das lässt den Kakaopreis an den Börsen zwar steigen. Doch die Bauern hier haben nichts davon, denn sie bekommen einen Festpreis. Und wenn sie weniger ernten, bekommen sie weniger Geld. Durch die Kakaoplantagen schlängelt sich ein Fluss. Und der Fluss fließt durchs nächste Dorf. Hat der Pestizideinsatz gesundheitliche Auswirkungen auf die Menschen? * Musik * Die Krankenstation des Dorfes ist immer voll. * Musik * Souleyman Koala arbeitet hier als Sanitäter. Und es fehlt ihm hier an allem, erzählt er. * Musik * Wie alt bist du?
  • Ich bin 10 Jahre alt. Gehst du zur Schule? - Nein, ich arbeite auf dem Kakaofeld. Welche Arbeit machst du gerade?
  • Ich säubere den Boden. Ivane kommt nicht aus einem Nachbarland, er ist im Dorf aufgewachsen. Er arbeitet jeden Tag von morgens bis abends auf dem Kakaofeld. Er hat Fieber, Schwindel und Kopfschmerzen. Möglich, dass die vielen Chemikalien, die sie auf den Kakaofeldern benutzen, schuld sind. Viele Kinder verletzen sich auch mit ihren Macheten, haben Typhus oder Malaria. Nur ein paar Schritte von der Klinik entfernt gibt es die Chemikalien zu kaufen. * Musik * Die Plantagenbesitzer kaufen die Chemikalien, und die Kinder holen sie ab. Viele der Produkte sind aufgrund ihrer Toxizität in Europa längst verboten. Die Verkäuferin hat einen Rat für ihre Kunden. Nach dem Spritzen muss man einfach viel Milch trinken. Das spült das Gift wieder aus dem Körper. Ein gefährlicher Irrglaube, der zeigt, wie wenig die Menschen hier wissen. * Musik * Wir nehmen eine Wasserprobe aus dem Fluss, der durch das Dorf fließt, und wollen diese in Deutschland untersuchen lassen. Das Ergebnis wird eindeutig ausfallen. * Musik * Zurück in San-Pédro. Die Stadt hat einen der größten Häfen für Kakao in Westafrika. Tag und Nacht werden hier die Containerschiffe mit dem Rohkakao beladen. Vieles passiert hier noch von Hand. Kein leichter Job für die Hafenarbeiter. Wenn der Kakao die Felder verlässt, haben die Kinder gelitten. Wenn der Kakao hier ankommt, leiden die Hafenarbeiter unter schlechter Bezahlung und schlechten Arbeitsbedingungen. Gegenüber vom Hafen liegen die Slums von San-Pédro. Hier leben die Arbeiter. Rund 150 Euro verdienen die Männer hier im Monat. Das ist zwar knapp über dem sehr kärglichen Mindestlohn, aber zu wenig zum Leben. Der Sprecher der Hafenarbeiter, Aina Youkou, ist bereit, mit uns zu reden. Da, wo der Kakao hingeht, verdienen alle. Und wir hier verdienen nichts. Der Kakao geht in verschiedene Häfen. V.a. aber nach Amsterdam und Hamburg. Am Ende des Monats hat Youkou meist kein Geld mehr, um seiner Familie Essen zu kaufen, erzählt er. Dann muss er sich beim Geldverleiher etwas besorgen. Ein Teufelskreis, aus dem es kaum ein Entrinnen gibt. Hier in Afrika ist das Überleben sehr, sehr schwierig. Wenn Gott mir die Gelegenheit gibt, Afrika zu verlassen, dann würde ich sofort abhauen. Das Ziel vieler Hafenarbeiter ist das gleiche wie das der Container: Europa. Der Hamburger Hafen. Hier haben auch die großen Kakaoproduzenten Fabriken. * Musik * Wir möchten die Schokoladenindustrie gerne mit unseren Recherchen konfrontieren. Doch niemand möchte mit uns sprechen. Ferrero möchte kein Interview geben. Genauso wenig wie Milka, Storck, Nestlé und Lindt. Lindt schreibt uns u.a.: Weiter heißt es: Auch die anderen Firmen verweisen darauf, dass man daran arbeite, Bedingungen zu verbessern und Kinderarbeit zu verhindern. Ferrero schreibt: Nestlé meint: Cargill gibt kein Interview und verweist auf den Verband. Auch Barry Callebaut geht nicht konkret auf unsere Fragen ein. Auf YouTube entdecken wir eine Ansprache des ehemaligen CEOs. Die Schönheit des Kakaos bringt so viel Freude. Es ist ein Produkt zum Genießen. Ein Produkt, was Abermillionen jeden Tag genießen. Diese Freude, die wir zu unseren Konsumenten bringen, sollten wir, so glaube ich, auch zu den Menschen in unserer Produktionskette bringen. Deshalb wollen wir uns um die Familien kümmern, die uns den Kakao liefern. Kinderarbeit, die müssen wir benennen. Wir wollen sie beenden, aber das ist schwierig. Wie also sollen wir damit umgehen? Jeden Tag zerbrechen wir uns darüber die Köpfe. Barry Callebaut schickt uns noch den Link zu einem 11-seitigen Papier über Kinderarbeit vom August 2023. Zitat: Und eine Strategie hat die Firma laut ihres Papiers auch. Sie schreibt: Doch was haben die Strategien bis heute konkret bewirkt? Wir versuchen, ein Interview mit dem Geschäftsführer des Vereins der am Rohkakaohandel beteiligten Firmen zu bekommen. Hier sind auch Cargill und Barry Callebaut Mitglied. Der Verband gibt uns eine Zusage. Wir haben die Wasserprobe, die wir in dem Dorf in der Elfenbeinküste aus dem Fluss entnommen haben, von einem unabhängigen Labor untersuchen lassen. * Musik * Die Ergebnisse wollen wir uns von Julius Kontchou erklären lassen. Er ist Giftstoffexperte bei Greenpeace Hamburg. Die Glyphosatwerte stechen für ihn heraus. Wir sitzen hier direkt an der Elbe. Und hätten wir solch hohe Werte hier im Fluss, wäre das wirklich alarmierend. Die Werte, die ich hier sehe, zeigen, dass es in dem Fluss ein echtes Pestizidproblem gibt. Die Werte von Glyphosat sind deutlich höher, als man erwarten würde. Konzentrationen in dieser Höhe haben toxische Auswirkungen auf alle Wasserorganismen. Studien haben auch gezeigt, dass hohe Konzentrationen von Glyphosat zu Krebs bei Menschen führen können. Das Abbauprodukt von Glyphosat überschreitet den vorgeschlagenen EU-Grenzwert um mehr als das 100-Fache. Einen Tag vor dem Interview mit dem Geschäftsführer des Vereins der am Rohkakaohandel beteiligten Firmen bekommen wir eine E-Mail. Darin heißt es: "Mit großem Bedauern muss ich leider aufgrund starker zeitlicher Belastung unseren morgigen Termin absagen." Geht es auch anders? Gibt es bessere Bedingungen in der Kakao-Industrie als die in der Côte d'Ivoire? In der Dominikanischen Republik soll Kakaoanbau auch ohne Kinderarbeit gehen. Aus dem Karibikstaat stammten 2020 nur rund 1,2% der Welternte. Trotzdem ist Kakao für das Land ein großer Wirtschaftsfaktor. Zentrum des Kakaoanbaus ist die Stadt San Francisco de Macorís im Norden des Landes. Hier sind wir verabredet mit der Journalistin Marie Benzo, die sich in der Kakao-Industrie auskennt. In der Landwirtschaft ist Kakao unsere wichtigste Nutzpflanze. Für unsere Wirtschaft ist Kakao extrem wichtig, denn er bietet viele Arbeitsplätze. Unser Kakao hat schon viele Preise gewonnen. Wir exportieren ihn zu den führenden Schokoladenproduzenten, nach Europa und in die USA. Wir fahren zu den Kakaoplantagen. Wie in Afrika wollen wir einfach zufällig ausgewählte Plantagen besuchen, um zu sehen, ob Kinder auf ihnen arbeiten. Plantage Nr. 1. Hier sehen wir erst einmal nur erwachsene Männer bei der Ernte. * Musik * Wie viel verdienst du hier am Tag? So 1.000 Pesos. Und was verdienst du in der Haupterntesaison pro Woche? Manchmal bis zu 6.000, 7.000 Pesos in der Woche. Im Durchschnitt verdienen sie umgerechnet rund 400 Euro im Monat, was ungefähr dem Mindestlohn entspricht. Viel ist das nicht. Wir fahren weiter, wollen noch andere Plantagen besuchen. * Musik * Auch hier finden wir keine Kinder. Ist das nur ein Zufall oder gibt es wirklich keine Kinderarbeit auf den Kakaoplantagen der Dominikanischen Republik? Jose Ortiz ist der Besitzer der kleinen Plantage und hat sein ganzes Leben mit dem Kakaoanbau verbracht. Wir fragen ihn nach Kinderarbeit. Früher haben sehr, sehr viele Kinder auf den Feldern gearbeitet. Aber heute gibt es das kaum noch. Wie lange schon nicht mehr? Schon seit 6 oder 7 Jahren. Anders als in Afrika trocknen die Farmer den Kakao hier nicht selbst, sondern müssen ihn möglichst schnell zur Weiterverarbeitung bringen. Jose Ortiz ist seit einigen Jahren Mitglied in der Kooperative COOPROAGRO, die ihm den Kakao abnimmt. Täglich liefert der 73-Jährige seine Ernte bei der Kooperative ab. Egal ob viel oder wenig. Die Plantage muss 5 Leute ernähren, erzählt er, ihn selbst und seinen Sohn mit Frau und 2 Kindern. Da ist ein Tag mit einer schlechten Ernte wie heute nicht gut. Am Ende jeden Jahres zahlt die Kooperative noch einmal spezielle Prämien aus. Mit denen kann die Familie ihr Leben einigermaßen finanzieren, ohne ihre Kinder aufs Feld schicken zu müssen. Wir fragen den Manager der Kooperative, Francisco Soto, nach Kinderarbeit. Kinderarbeit ist in der Dominikanischen Republik nicht sehr verbreitet. Da die Regierung 4% des Bruttoinlandsprodukts in Bildung investiert, gehen die Kinder zur Schule. Im Falle unserer Kooperative kommt noch dazu, dass unsere Mitglieder wissen, wie wichtig die Bildung für das zukünftige Wohlergehen der Familie ist. Rund 4% wird in Bildung investiert. Das ist nicht viel mehr als in der Elfenbeinküste. Davon profitieren v.a. Familien wie die von Jose Ortiz, der uns heute Morgen eingeladen hat. Er wohnt mit seinem Sohn und dessen Familie zusammen. Ich kann nicht genau sagen, was wir verdienen. Aber es reicht, um die Familie zu ernähren. Wir müssen viel arbeiten. Rund 1.000 Pesos verdienen wir am Tag. Nur am Sonntag arbeiten wir nicht. Am Ende des Jahres bekommen wir noch die Prämie von der Kooperative. Auch wenn das nicht viel ist, mit den Lebensbedingungen der Bauern in Afrika hat das hier nichts zu tun. Und Tochter Amerlin kann jeden Tag zur Schule gehen. Als ich klein war, war es sehr schlimm. Heute aber kann man mit Kakao ein paar Pesos mehr verdienen. So viel, dass man über die Runden kommt. Die Dominikanische Republik ist immer noch arm, hat aber die am schnellsten wachsende Wirtschaft in Süd- und Nordamerika. Sie hat es geschafft, mehr Kinder in die Schulen zu holen. Auch die Kakaokooperative leistet ihren Anteil. Ein gewisser Prozentsatz ihrer Einnahmen geht in gemeinnützige Projekte. Z.B. in eine Klinik, in der sich alle Mitglieder kostenfrei behandeln lassen können. Dr. Rayden Almanzar leitet diese Klinik. * Musik * Hier werden Menschen mit Fieber behandelt und auch kleine Eingriffe durchgeführt. Wir nähen z.B. Wunden und so was. Wir behandeln aber auch zu hohen Blutdruck und Menschen mit psychischen Problemen. Die Gemeinnützigkeit der Kooperative ist festgeschrieben. Die ist Teil des Fair-Trade-Handels, zu dem sie sich verpflichtet hat. COOPROAGRO hat auch deutsche Kunden. Einer von ihnen ist die Firma GEPA. Die Einkäuferin des Wuppertaler Unternehmens ist gerade im Land und prüft die Qualität der Ernte. Wir möchten von Silvia Kurte wissen, was der Unterschied zwischen GEPA und einem konventionellen Schokoladenproduzenten ist. Der größte Unterschied ist, dass wir direkte Handelspartnerschaften haben zu unseren Kooperativen. Dass wir mit den Kooperativen direkt Handel betreiben, dass wir sie kennen. Dass wir zu fairen Handelsbeziehungen auch einkaufen, d.h. faire Preise zahlen. Das Unternehmen gehört der evangelischen und katholischen Kirche. Ihr Ziel, der Wirtschaft zeigen, wie fairer Handel mit Entwicklungsländern möglich sein kann. Wir sind in der Elfenbeinküste momentan nicht aktiv. Wir können dort nicht sicherstellen, dass wir Kakao beziehen können, an dem keine Kinderarbeit stattfindet. Von Bio ganz zu schweigen, das ist auch schwer. Warum aber kann offenbar der Kakaoanbau in der Karibik ohne Kinderarbeit funktionieren und in Afrika nicht? Wo bleibt das Geld, das für den Kakao in Afrika gezahlt wird? Bei den Bauern scheinbar nicht. Der Manager der Kooperative Francisco Soto hat einen Verdacht. Ich denke, der größte Unterschied zwischen uns und der Elfenbeinküste oder anderen westafrikanischen Staaten ist, dass dort multinationale Kakaohändler das Geschäft bestimmen. D.h. die Kakaofarmer in der Elfenbeinküste können den Preis nicht bestimmen. Diese Probleme haben wir hier nicht. Alle Unternehmen, die am Kakaohandel beteiligt sind, werden von Dominikanern geführt und gehören auch Dominikanern. Deshalb haben wir selbst die Möglichkeit, den Preis zu bestimmen. Und das ist natürlich besser für uns. Die Dominikanische Republik ist ein Beispiel, das Hoffnung macht. Es zeigt einen Weg, wie es in Zukunft besser laufen könnte. Über 20 Jahre nach dem 1. Abkommen in der Schokoladenindustrie haben Unternehmen und Politik noch viel zu tun, um die Kinderarbeit wirklich zu beenden. Copyright WDR 2024