Musik Mumbai, die größte Stadt Indiens. Seit neun Monaten hat es nicht mehr geregnet. Die Temperaturen liegen bei über 40 Grad im Schatten.
Die Menschen sehnen den Monsun herbei, der den Regen bringen wird. Dann wird es drei Monate lang regnen. Doch noch brennt die Sonne unerbärmlich.
15 Millionen Menschen leben in der westindischen Metropole Mumbai, fast zwei Drittel davon in Slums. Auch Bolliram Haldar wohnt mit seiner Frau und fünf Kindern in einer baufälligen Hütte. Die Monsun sieht er mit gemischten Gefühlen entgegen. Der Regen muss ja kommen. Wir sind zwar arm, leben hier aber an einem recht guten Platz.
Und weil wir hart arbeiten, haben wir auch zu essen und zu trinken. Was mir Sorgen macht, ist, dass bei Hochwasser der ganze Dreck hereingespült wird. Hinter dem Slum beginnt das Meer. Steigt es an, wird dieses Viertel als erstes überschwemmt.
Deshalb stehen die Hütten auf Pfählen. Einige Nachbarn der Haldars sind dabei, ihre Hütten regenfest zu machen. Meist sind es einfache Konstruktionen aus Bambusrohr, bedeckt mit Sackleinen, über die Plastikplanen gespannt werden. Jeden Tag gehen Bolleram Haldar und seine Frau Angur mit Kanistern los, um Wasser zu holen.
Obwohl sie mitten in der Stadt wohnen, haben sie keinen eigenen Anschluss. Deshalb gibt es auch keine Toiletten. Das Einzige, was in den Hütten aus Holz und Wellblech funktioniert, ist die Stromversorgung.
Wasser gibt es an dafür ausgezeichneten Verkaufsstellen. 20 Liter benötigen die Haldas pro Tag. Der Liter kostet nur wenige Rupien, aber für die Menschen in den Slums ist auch das noch sehr viel.
Wenn der Monsun kommt, so hoffen sie, wird das Wasser billiger werden. Außerdem können sie dann selbst das Regenwasser auffangen. Doch dann werden auch die Lehmwege überflutet.
Die Kanäle müssen vorher geleert werden, damit das Wasser ablaufen kann. Die Abflüsse sind voller Erde, Dreck und Plastik. Das muss alles raus, weil der Abfluss sonst verstopft.
Die Kanalarbeiter müssen sich beeilen. In vier Tagen wird der Monsun erwartet. Als Monsun wird jener Wind bezeichnet, der den Regen bringt.
Er entsteht über dem arabischen Meer und von der Südspitze aus überzieht er ganz Indien einmal im Jahr mit gewaltigen Regenmassen. Der feuchte Wind kommt aus der Indien. aus südwestlicher Richtung.
Es ist ein jahreszeitliches Phänomen, eine wärmebedingte Erscheinung, die das Wetter in den Sommermonaten von Juni bis September bestimmt, nachdem die Hitzemonate März, April und Mai vorbei sind. Vor einigen Tagen hat der Monsun Südindien erreicht, jetzt ist er unterwegs nach Mumbai. Die Wissenschaftler im Meteorologischen Institut haben berechnet, wann der Regen die Stadt erreichen wird.
In der ersten Juni-Woche ist der Monsoon schon sehr gut vorangekommen. Er hat bereits unseren südlichen Nachbarstadt Karnataka erreicht. Das ist aber normal.
Wir erwarten seine Ankunft hier zum üblichen Termin um den 1. Juni. 10. Juni herum. Neun Monate im Jahr interessiert sich niemand für die Wettervorhersage.
Im Juni gibt es dagegen kaum etwas Wichtigeres. Dass der Regen kommen wird, darüber sind sich alle einig, nur nicht, wann genau das sein wird. Bis der Regen kommt, dauert es bestimmt noch einen Monat.
Am 8. Juni. Am 10. Juni. Trotz Hitze und Staub geht das Leben in der Innenstadt seinen normalen Gang. Weil es fließendes Wasser nur noch stundenweise gibt, versorgt der Panivala der Wassermann die Mitarbeiter der Läden und Büros mit kühlem Nass. Die meisten Menschen freuen sich auf den Monsun, weil die Landschaft dann endlich wieder aufblüht.
Überall sieht man frisches Grün. Für mein Geschäft ist es nicht gut, aber für die Umwelt. Und deshalb freue ich mich darauf. Die Wasserversorgung Mumbais hängt von den Seen ab. Wenn die sich nicht bald füllen, gibt es einen Wassernotstand.
Der Monsun muss also kommen. Noch gibt es Wasser in der Stadt. Außer von den öffentlichen Verkaufsstellen und dem Wassermann kann man es aus dem Tankwagen bekommen.
Am Abend künden dunkle Wolken vom Nahen des Monsuns. Trotz der leichten Brise, die vom Meer weht, sind es noch immer über 35 Grad Celsius. In der kleinen Hütte von Boleram Haldar und seiner Familie staut sich die Luft. Unter dem Dach gibt es nur einen Raum. Kinderzimmer, Küche, Wohnzimmer und Schlafzimmer, alles ist auf den neun Quadratmetern untergebracht.
Aber im Gegensatz zu vielen Mitmenschen hat die Familie zumindest ein Dach über dem Kopf, auch wenn dieses kaputt und löchrig ist. Der Nachbar befestigt inzwischen die Plastikplane auf seiner Hütte. Der Slum ist beim Bau des World Trade Centers.
vom Mumbai entstanden, welches ganz in der Nähe steht. Die damaligen Wanderarbeiter errichteten die ersten Hütten für sich selbst. Später kamen weitere Menschen dazu, bauten noch mehr Hütten. Heute leben und arbeiten hier tausende Menschen.
Sie kommen aus allen Teilen Indiens. Geflohen vor der Armut auf dem Land suchen sie hier ihr kleines Stückchen Glück. Angur und Bolleram Halda kamen vor acht Jahren aus Kalkutta hierher. Jeden Tag gehen sie zum Tempel und beten zum Sai Baba, einem Heiligen, der besonders von den Armen verehrt wird. Die Flamme, die Räucherstäbchen, Blumen und Früchte gaben für die Götter.
Und die Götter sollen großzügig zurückgeben. Gesundheit, Arbeit, Reichtum und in diesen Tagen natürlich Regen. Normalerweise bete ich dafür, dass es meinen Kindern gut geht, denn das ist das Wichtigste.
Wir bringen unserem Gott Blumen, damit es unserer Familie gut geht. Ob die Gebete der Menschen helfen, wird sich in den nächsten Tagen herausstellen. Am 10. Juni, wie viele glauben. Die Leute glauben zu wissen, dass der Monsun jedes Jahr am 10. Juni kommt. Das ist aber nicht immer so.
In manchen Jahren kam er schon früher, etwa am 29. Mai. Ein anderes Mal kam er erst am 24. Juni. Am Abend hängen wieder dunkle Wolken über der Stadt. Die Wasserwagen sind weiter im Einsatz.
Auch die Dunkelheit wird keine Abkühlung. und bringen. Wenn der Monsun kommt, ziehen die Fischer ihre Boote an Land. Regenzeit bedeutet für sie Schlechtwetterzeit. Ihre kleinen Fischerboote könnten es mit den hohen Wellen nicht aufnehmen.
Also holen sie die Netze an Land und die Boote werden zu provisorischen Häusern umgebaut. Heute ist der 10. Juni, der Tag, von dem viele glaubten, dass der Regen einsetzen würde. Zügig werden die Boote regenfest gemacht. Zwei oder drei Monate werden die Fischer jetzt an Land verbringen müssen. Wegen des starken Windes und der hohen Wellen wäre es viel zu gefährlich, hinauszufahren.
Die Wellen werden jetzt von Tag zu Tag höher. Was wie ein Abwassertümpel aussieht, ist Teil des Kanalsystems, welches Mumbai durchzieht. Die Kanäle sollen eigentlich Überschwemmungen bei starkem Regen verhindern.
Voraussetzung dafür aber ist, dass die Kanäle sauber sind. Tonnenweise holt der Bagger Schlick und Abfall aus dem Wasser. Dennoch seien dies nur reine Vorsichtsmaßnahmen, versichert die Stadtverwaltung.
Überflutungen drohen nur, wenn die Regenfälle zu stark werden. Aber das passiert selten. Trotzdem müssen wir uns darauf vorbereiten.
Zweimal am Tag kommt die Flut. Wenn dann noch die Regenmassen des Monsuns dazukommen, sind Überflutungen durchaus möglich. Sieben Inseln sind der Siedlungskern von Mumbai. Der größte Teil der Stadt ist im Meer abgewonnen.
In der Regenzeit wirkt es manchmal so, als ob das Meer sich seinen Anteil zurückholen wolle. Der Tag geht zu Ende, ohne dass der Regen gekommen ist. Ablenkung am Chowpatty Beach.
Gegen halb zehn geht Bolleram Haldar zur Arbeit. Er putzt im Hotel Diplomat. Das Haus liegt im Touristenviertel, 30 Minuten von seiner Hütte entfernt.
Die Arbeit sei kein Vergnügen, meint er, aber ohne Ausbildung müsse er froh sein, überhaupt einen Job zu haben. Um vier Uhr morgens setzt Regen ein. Kein Gewitter, kein Glitz und Donner, nicht der große Knall, mit dem der Monsun so oft beginnt. Es ist einfach nur Regen. Der erste seit neun Monaten.
Am nächsten Morgen ist es diesig, aber wieder trocken. Die Zeitung berichtet vom Regen in der Nacht, wächst neue Erwartungen. Vorortzüge bringen hunderttausende Pendler ins Zentrum. An der Bahnlinie liegt das Stadtviertel der Wäscher.
Hier wird ein Großteil der Wäscher aus ganz Mumbai gereinigt. Waschmaschinen sind selbst in der wohlhabendsten Stadt Indiens ein Luxus. Die Wäscher sind billige Arbeitskräfte. Private Kleidung, Bettlaken aus den Hotels und Tischdecken von den Restaurants, hier wird alles gewaschen und getrocknet, auch in der Regenzeit.
In Mumbai gibt es manchmal 15, 20 Tage Dauerregen. Dann müssen wir eben alles drin mit Ventilatoren trocknen. Der Regen ist zwar gut, aber wir Wäscher haben dann Probleme. Oft bekommen wir die Wäsche nicht termingerecht fertig. Am Abend zieht ein Gewitter auf.
Es regnet wieder, diesmal heftiger als in der Nacht zuvor. Ist das jetzt der Monsunregen? Wird er andauern?
Oder ist auch dieser Regen nur ein Vorausschauer? Schon nach 20 Minuten lässt er nach. Es nieselt nur noch. Dennoch sind viele hoffnungsfroh. Ich glaube, der Monsun ist gerade gekommen.
Was macht ihn so sicher? Die letzte Zeit war es wirklich sehr heiß. Deshalb glaube ich, dass das jetzt der Monsun ist. Noch mehr Hitze können wir in Mumbai nämlich nicht mehr aushalten. Nein, ich glaube, auch das ist nur ein Vormonsun-Schauer.
Aber der Monsun kommt bald, er ist auf dem Sprung. Was ist der Unterschied zwischen Monsun und Vormonsun? Während des Monsuns regnet es 24 Stunden am Tag und wir können kaum noch raus. Es ist doch jedes Jahr so. In der Vormonsun-Zeit regnet es einmal am Tag für 10 oder 15 Minuten.
Schließlich hört der Regen ganz auf. Am nächsten Tag regnet es nur in den Vororten ein wenig. Die Pendler immerhin bekommen das zu spüren.
Verspätungen, überfüllte Züge sind die Folge. Es ist bereits der 13. Juni. Im Meteorologischen Institut gehen die Niederschlagsdaten aus Mumbai und ganz Westindien ein. Viel Regen ist noch nicht gefallen, aber der Monsun hat trotzdem begonnen, sagen die Wissenschaftler. Meist kommt der Monsun mit einem Knall, mit heftigem Regen, mit Blitz und Donner.
Aber in diesem Jahr ist er eher als leichte Strömung gekommen. Deshalb gab es noch keine schweren Regenfälle. Trotz der Startschwierigkeiten rechnen die Meteorologen mit kräftigen Niederschlagsmengen. Die Wellen schlagen immer höher.
Das sorgt auf der Strandpromenade in Wörli für Freude und Aufregung. Auch die Arbeiter in der Schirmfabrik freuen sich über den Regen. Schließlich bekommt ihre Arbeit jetzt einen Sinn. 70 Mitarbeiter produzieren 1500 Regenschirme am Tag.
Handarbeit im Akkord. In den trockenen Monaten stellen sie Sonnenschirme her oder produzieren für den Export. Aber das Hauptgeschäft macht die Firma in der Monsoonzeit. Der Regen gefällt mir.
Wir brauchen den Regen. Ohne Regen ist es so heiß. Mit dem Regen wird es kühler. Und jetzt läuft auch das Geschäft. Er ist also da, der Regen.
Und diesmal ist er wirklich ergiebig. Während der drei Monsun-Monate wird die Niederschlagsmenge pro Quadratmeter in Mumbai größer sein als in Deutschland im ganzen Jahr. Allerdings ist dies eine Ausnahme. In vielen anderen Distrikten Indiens fällt der Monsun in diesem Jahr eher schwach aus. Die Temperatur kühlt sich dabei nur langsam ab.
Noch herrschen weit über 30 Grad. Dafür ist die Luftfeuchtigkeit auf 90 Prozent gestiegen. In den Slums steht das Wasser schon in den Gassen.
Die Menschen fangen das Regenwasser in Eimern und Schüsseln auf. Vor der Haustür von Familie Haldar hat sich bereits ein kleiner See gebildet. In der Hütte haben Bolleram und Angur fast alle ihre Habseligkeiten in Plastiktüten verpackt. Was einmal nass geworden ist, trocknet bei der hohen Luftfeuchtigkeit nicht mehr. Das Regenwasser kommt von oben durch das Dach und das Meerwasser von unten.
Besonders schlimm wird es, wenn unsere Matten und Decken nass werden. Wirklich regenfest lassen sich die Hütten nicht machen. Die übergespannten Plastikplanen haben überall Löcher und Risse. Andere können sich gar nicht genug über dieses Wetter freuen.
Es macht Spaß bei diesem Wetter. Wir spielen immer im Regen. Fußball muss man dann einfach spielen.
Die Menschen haben sich auf die veränderten Gegebenheiten eingerichtet. Die Straßenhändler decken ihre Waren mit Planen ab. Überall werden Schirme verkauft. Die letzten Fischer holen ihre Netze an Land. Jetzt haben sie Zeit, ihre Boote zu überholen und die Motoren zu warten.
Ich habe ein Dach über mein Boot gebaut und streiche es neu an. Ein Monat brauche ich, um mein Boot wieder in Ordnung zu bringen. Wenn ich damit fertig bin, werde ich mein Heimatdorf besuchen.
In zwei Monaten wird der Mann wieder arbeiten können. Dann wird es noch immer regnen, aber das Meer wird sich etwas beruhigt haben. Obwohl es erst seit zehn Tagen regnet und im Vergleich zu anderen Jahren sogar wenig Niederschlag fällt, kann das Regenwasser mancherorts schon nicht mehr ablaufen.
In Mumbai gibt es die meisten privaten und gewerblichen Fahrzeuge Indiens. Da jetzt ganze Straßen unter Wasser stehen, hilft das Straßenbauamt mit provisorischen Brücken aus. Besonders anfällig sind die dreirädrigen Autorexchas.
Gerade in den Vororten sind sie das Hauptverkehrsmittel für Menschen und Waren. Der Verkehrskollaps wurde erwartet und trifft die Millionenmetropole dennoch schwer. Ebenso wie die Aufnahmefähigkeit der Kanalisation. Die Arbeiter sind im Dauereinsatz.
Was mit dem Regen in die Abwasserkanäle hineingespült wird, müssen sie wieder herausholen. Da die Kanalisation veraltet ist, kann modernes Gerät oft gar nicht eingesetzt werden. Den Dreck müssen Arbeiter mit einer Schaufel nach oben holen.
Meine Haare sind voller Erde und Schlamm. Der ganze Dreck wird im Wasser aufgewirbelt. Ich muss die verstopften Rohre reinigen und dafür muss ich da unten rein. Das ist keine leichte Arbeit.
Aber eine lebenswichtige. Wenn die Kanalisation zusammenbrechen würde, drohten der Stadt Seuchen. Schon jetzt kommt es leicht zu Krankheiten. Angor Haldar fürchtet um die Gesundheit ihrer Kinder.
Die Kleinen haben zwar Spaß im Regen, aber dabei werden sie auch krank, bekommen Fieber, Erbrechen und Durchfall. Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, wenn sie Malaria bekämen. Seit zwölf Tagen wütet der Monsun in Mumbai. In den nächsten zehn Wochen wird es so weitergehen. 15 Millionen Menschen müssen damit leben, sich arrangieren und behelfen.
Keiner klagt. Die Menschen wissen, dass dieser Regen ihre Stadt am Leben hält. Würde er nachlassen oder gar ausbleiben, dann würde das Trinkwasser nicht bis zum nächsten Jahr ausreichen. Und das wäre eine wirkliche Katastrophe. Musik Vielen Dank.