worum es in Goethes "Faust", seinem bekanntesten Werk eigentlich geht? Dann los. Leute, ganz ehrlich, eine allgemeingültige Interpretation von Faust ist fast unmöglich. Die Tragödie bietet so viele Interpretationsansätze und immer wieder kommen neue dazu. Deshalb nehme ich mir heute mal die drei Hauptpersonen, die Schlüsselfiguren vor. Mephisto, Faust und Margarete. Wer "Faust" noch nicht gelesen hat, hier geht es zur Inhaltsangabe. Mephisto. Mephisto oder Mephistopheles ist ein unglaublich wandelbarer Charakter. Es ist eine Teufelsfigur und der Gegenspieler Gottes. Er bekommt gleich zu Beginn im Prolog des Himmels seine Rolle zugewiesen. Er bietet Gott eine Wette an. Mephisto wettet, er könne den gelehrten Faust vom rechten Weg abbringen. Gott erlaubt ihm den Versuch. Doch von Anfang an ist klar, dass er scheitern wird. Mephisto ist Gott unterlegen und der weiß, dass Faust sich des rechten Wegs wohl bewusst ist. Mephisto ist überzeugt, dass der Mensch ein Triebwesen und tierischer als jedes Tier ist. Das will er beweisen, indem er Faust in Versuchung bringt. Wer weiß, wie die Geschichte ausgeht, der weiß auch, dass er damit nicht ganz daneben liegt. Trotzdem schätzt er Faust und damit den Menschen an sich falsch ein. Mephisto irrt sich z.B. in Faust, als er ihn zum Saufgelage in Auerbachs Keller bringt. Statt mitzusaufen, ist Faust davon angewidert. Und dann verknallt sich Faust auch noch in Margarete. In das brave, reine Mädchen. Bei der Walpurgisnacht, dem rauschende Fest auf dem Blocksberg, setzt Mephisto dann noch einmal alles auf eine Karte und will Faust mit einer erotischen Orgie verführen. Aber auch damit scheitert er, denn Faust denkt nur an Margarete. Daran sieht man, dass Faust kein schlechter Charakter ist. Er wendet alles, was der Teufel einfädelt zum besseren. Aber der Antreiber und Unruhestifter Mephisto hat in dem Drama nicht nur die Aufgabe, Faust herauszufordern, sondern er verkörpert auch einen Teil von Faust selbst. Und zwar den dunklen Teil der Seele. Den jeder Mensch in sich trägt. Man könnte sagen, seine schlechten Anteile. Erst als Faust und Gretchen sich schon näher kommen, sorgt er dafür, dass die Verführung vollendet wird. Er stößt das Mädchen in den Strudel der Ereignisse. Und Mephisto entlarvte Faust als Lügner. Bestärkt ihn in seinem dunklen Vorhaben, Stachelt seine Begierde an. Aber Mephisto stachelt Faust nicht nur aus bösen Motiven an, er ist zugleich Fausts Berater und Komplize. Mephisto spottet gerne, macht zum Beispiel Scherze auf Kosten der Studenten in der Kneipe, der Menschen an sich und der ganzen Welt. Goethe macht den Teufel zum Nihilisten. Ein Nihilist, das ist jemand, der immer alles verneint. Kommen wir jetzt zu Faust. Die erste Hälfte der Tragödie Faust I bezeichnen Literaturwissenschaftler als eine Gelehrtentragödie. Denn es geht ja darum, dass der Wissenschaftler, der Gelehrte, daran verzweifelt, dass er so viel weiß und eigentlich nichts versteht. Faust, der Gelehrte ist mit der reinen Wissenschaft in eine Sackgasse geraten. D.h., er kommt nicht weiter. Und weil er mit der Wissenschaft nicht weiter weiß, beschäftigt er sich mit der Magie. So versucht er, über die Grenzen, die im Gesetz sind, hinwegzukommen. Er will unbeschränkt sein. Aber, er schafft es nicht. Und darum lässt er sich schließlich auf einen Pakt mit dem Teufel ein. Im Verlauf der Geschichte wird klar, es wohnen zwei Seelen in Fausts Brust Die Wissenschaft, der reine Geist und das Körperliche, das Sexuelle. Zwischen diesen beiden ist er hin und hergerissen. Als er verjüngt ist und auf Grete trifft, ist Faust wie verwandelt. Schaff mir die Dirne, sagt er zu Mephisto. Damit ist eine bürgerliche Frau gemeint, die Mephisto ihm klarmachen soll. Später, als Faust Grete näher kommt, hat er selbst so eine Ahnung, dass er schlecht für das Mädchen sein könnte. Trotzdem lässt sich Faust nicht davon abhalten. Zum einen, weil Mephisto ihn antreibt, und zum anderen, weil er sie auch selbst gerne will. Faust zögert, seinen erotischen Gelüsten und Trieben nachzugeben, weil er weiß, dass er Margarete damit schaden wird. Doch er kommt nicht so ganz gegen sein Verlangen an. Er entscheidet sich, Margarete zu opfern. Nachdem er in der Liebesnacht bekommen hat was er wollte, kümmert er sich nicht mehr um Gretchen. Sie bricht zusammen. Doch statt ihr beizustehen, tanzt Faust auf der Walpurgisnacht. Aber hier kommt die andere Seite seiner Seele wieder durch. Faust denkt plötzlich an Gretchen und erkennt, was er angerichtet hat. Aber, er unternimmt nichts. Erst nach der Party kommt das schlimme Erwachen. Faust ringt sich zu einem halbherzigen Befreiungsversuch durch. Er hat Mitleid mit Gretchen. Doch er liebt sie nicht mehr. Sie tut ihm nur noch leid. Als Leser merkt man an den Versen, wie sehr Faust aus der Bahn geworfen wird. Die sonst schönen Verse werden vor dem Kerker unregelmäßig und unsauber. Faust steht für den modernen Menschen. Wissenschaftlich und methodisch. Er weiß ganz viel, aber er schafft es nicht, dieses Wissen zu einem Gesamtbild zu verbinden. Gleichzeitig zieht ihn das Animalische, das Triebhafte an, das er dauernd verdrängt. Er handelt überlegt und hat doch auch etwas Boshaftes, Rücksichtsloses und Egoistisches. Ganz klar, Faust schafft es nicht, Verantwortung zu übernehmen. Er lässt Margarete ins Unglück stürzen und überlässt das arme Mädchen sich selbst. Am Schluss hilft er ihr nicht, sondern bedauert sie nur. Und so ist Faust mit schuld am Tod von vier Menschen. Zusammengefasst: Faust hat eine helle und eine dunkle Seite. Er ist kein Held, aber irgendwie auch kein Bösewicht. In seinem Bemühen, die Liebe zu finden, ist er ehrlich. Er legt es nicht von vornherein darauf an, Gretchen zu schaden. Mephisto ist ein Teil von ihm. Die dunkle Seite. Im Grunde, so wie in Harry Potter. Falls ihr das zufällig gelesen habt. Der hat auch einen dunklen Teil, den dunklen Lord Voldemort in sich. Aber Harrys Pate sagt einmal zu ihm: "Wir können uns für die gute Seite entscheiden." Faust schafft das nicht. Das Gretchen. Margarete ist im Gegensatz zu Faust eine gute und positive Figur. Doch auch sie lädt fürchterliche Schuld auf sich. Denn sie tötet ihr neugeborenes Kind. Und ihre Mutter. In ihrem ersten Auftreten im Drama beginnt das, was man die Gretchentragödie nennt. Margarete geht so konsequent unter und wird so ganz und gar vernichtet. Mutter getötet, geliebter Weg, Bruder ermordet und dann das eigene Kind. Am Ende wird sie selbst wahnsinnig. Also schlimmer geht es eigentlich nicht. Dabei ist sie eigentlich ein reines Geschöpf. Als sie zum ersten Mal auftritt, kommt sie gerade vom Beichten. Der Teufel hat keine Gewalt über sie. Dass sich ein gesellschaftlich höhergestellter, gebildeter Mann für sie interessiert, gefällt ihr. Das Faust und sie sich näher kommen, merkt man auch an den Versen. Grete spricht auf einmal nicht mehr in Knittelversen, sondern Madrigalversen. Also genauso wie Faust. Goethe arbeitet im Faust immer wieder mit solchen sprachlichen Signalen. Gretchen verliebt sich wirklich in Faust. Sie merkt nicht, dass Faust ihre Liebe nicht im gleichen Sinne erwidert, sondern mehr auf Sex aus ist. Und sie eigentlich nur ins Bett kriegen will. Margarete merkt direkt, dass Fausts Begleiter, Mephisto, eine Bedrohung für die beiden ist. Doch sie kann Faust nicht davon überzeugen, sich von ihm abzuwenden. Das ist dann der Anfang vom Ende der schönen reinen Figur Grete. Sie wird schwanger und ihr Geliebter Haut. Als sie Hilfe sucht in der Kirche und bei anderen Menschen wird sie abgewiesen. Die Gesellschaft grenzt sie aus und verurteilt sie. Gretchen bricht körperlich und psychisch zusammen. Erst ganz am Schluss, als sie kurz vor ihrer Hinrichtung steht, kann sie wieder klar sehen und erkennt ihr Schicksal. Sie schickt Faust fort. "Heinrich, mir graut vor dir." Und übernimmt Verantwortung. Sie nimmt die Schuld für ihre Taten auf sich. Und ihre Seele wird immerhin von Gott erlöst. Gar nicht so einfach das Stück, oder? Faust ist ein wahnsinnig vielschichtiges Werk. Schon das erste Vorwort, die Zueignung, setzt einen persönlichen Rahmen. Nämlich das Leben des Dichters. Dann kommen Theaterleute zu Wort, die das Stück professionell einordnen. Und danach tauchen Gott und der Teufel auf. Der ganz große Rahmen des Weltzusammenhangs. Und dann geht es erst los. Faust steht für den modernen Menschen. Gretchen für die mittelalterliche Welt. Ihr bedeuten die Familie, die Kirche viel, weil sie gehorcht eben den Institutionen und den alten Regeln. Jetzt noch zwei Fakten, die euch helfen, wenn ihr zur Struktur oder Sprache was sagen sollt. Fast I ist ein offenes Drama, das sich nicht an die Einheit von Ort und Zeit hält. Die Handlung geht über Monate hinweg und die Orte wechseln sich munter ab. So wird die Handlung auch immer wieder unterbrochen und wird nicht durchgehend erzählt. Jetzt etwas zur Sprache. Die Sprache ist wahnsinnig kraftvoll. Von der Umgangssprache der damaligen Zeit bis hin zu mega kompliziert gebauten Versen ist alles dabei. Es heißt, dass Goethe im Faust die Gesamtheit der deutschen Sprache abbildet, wie sie zwischen 1770 und 1830 war. Er greift alte Geschichten auf und verbindet das Ganze mit wichtigen philosophischen Fragen. Sicher ist das Werk auch deshalb so erfolgreich, weil es für jeden etwas bietet und sich jeder darin wiederfindet. Also Leute, das war ja echt mal ne halbe Klausur hier. Da stehe ich nun, ich Lisa Thor und weiß viel mehr als wie zuvor. Ich hoffe, ihr auch. Wenn trotzdem noch Fragen bleiben, schreibt sie in die Kommentare. Bis zum nächsten Mal. Tschüss. Untertitel: ARD Text im Auftrag von Funk, 2018