Im Augenblick werden literarische Texte aus den letzten fünf Jahrzehnten, also aus der unmittelbaren Gegenwart, gerne als Texte der Postmoderne beschrieben. Nur was bedeutet Postmoderne? Darauf soll dieses kleine Video eine Antwort geben. Das Wort Postmoderne signalisiert eine Zeit nach der Moderne. Das erklärt natürlich noch nichts.
Ihre Anfänge fand die Postmoderne in Frankreich und hier vor allem in drei Köpfen. Die Musketiere im Geiste hießen Jean-Francois Lyotard, Michel Foucault und Jacques Derrida. Jeder von den dreien trug eine entscheidende Idee zur Postmoderne bei.
Zunächst Jean-Francois Lyotard. Er veröffentlichte 1979 die Studie »Das postmoderne Wissen«. Hier erklärte er den Begriff der Postmoderne.
Lyotard behauptete, dass in unserer Welt die großen Gesellschaftstheorien, er nannte diese Theorien die großen Erzählungen, überwunden werden müssen, denn sie seien zuallererst eines Konstruktionen. Zu diesen Gesellschaftsmodellen, die die Menschen hinter sich lassen sollten, zählen zum Beispiel die Religionen, der Faschismus, besonders aber auch der Marxismus. Lyotard verkündete also das Ende der großen Theorien.
An ihre Stelle sollten zwei Dinge treten. Zum einen die Vielfalt aufgeklärter Diskurse, zum anderen das Recht des tätigen Individuums. Im Grunde genommen versuchte Lyotard also die Welt von der Absolutheit einzelner Denkmodelle zu befreien.
Eine Befreiung ganz anderer Art kam dem zweiten Denker zu. Michel Foucault griff in seinem Buch »Die Archäologie des Wissens« 1969 die traditionellen Vorstellungen von Kommunikation an. Das übliche Modell kennt ihr vielleicht aus dem Unterricht. Ein Autor, der Sender, verfasst ein Zeichen, zum Beispiel einen Text, für einen Leser, den sogenannten Empfänger. Nach Foucault können aber der Autor eines Textes und sein Leser vernachlässigt werden.
Man kann schlicht nicht genau sagen, was der Verfasser eines Textes wirklich sagen wollte. Und man kann auch nicht verallgemeinern, wie der einzelne Leser einen Text wahrnehmen und finden muss. Aber damit nicht genug. Foucault bestritt, und das war neu, dass Texte Grenzen haben.
Er unterstellte, dass Texte keine geschlossenen Einheiten sind, sondern sich aus verschiedenen Bausteinen zusammensetzen, die unsichtbar mit Bausteinen anderer Texte verbunden sind. Es geht in dieser Theorie also nicht darum, dass der Mensch mit anderen kommuniziert. Nach Foucaults Vorstellung wandelt der Mensch in seinem Leben auf verschiedenen unsichtbaren Bedeutungsbahnen. Und diese entstehen durch das Zusammenspiel von Wörtern, Sätzen, Absätzen, Zitaten verschiedener Zeichen. Diese einzelnen Umlaufbahnen bezeichnete Foucault dann als Diskurse.
Und ich hoffe, ihr ahnt, wohin das führt. Mit Foucaults Ansatz wird die Analyse und Interpretation von einzelnen Texten schlicht unnötig. Damit kommen wir zum dritten postmodernen Denker.
Jacques Derrida. Er bezweifelte in seiner Grammatologie 1968, das Text eine absichtsvolle... eine bewusst verfasste Bedeutung wiedergeben können. Nach seiner Vorstellung sind Texte schriftliche Spuren, die erst zeitlich verzögert gemeinten Sinn vermitteln. Der ursprünglich gedachte Sinn einer Äußerung erscheint in einem Text also später, verblasst, erst nicht mehr wirklich zu greifen, und deshalb muss dann auch mit Texten ganz neu und anders umgegangen werden.
Dafür stellte Derrida zwei Verfahren gegenüber. Nun, mit der einfachen Hermeneutik in der Schule wird ein ein dialogisches Verhältnis zwischen Text und Leser unterstellt. Der Leser, zum Beispiel der Schüler, sucht als Interpret die im Text enthaltene Botschaft, den versteckten Schlüssel. Nach Derrida ist aber ein anderes Verfahren leistungsfähiger und das nannte er Dekonstruktion.
In diesem Verfahren soll gezeigt werden, wie sich der Text gegen eine eindeutige Bedeutung stellt, diese sogar durchkreuzt. Man versucht in der Dekonstruktion also Widersprüche im Text aufzuzeigen und damit die Idee einer klaren Textbedeutung aufzulösen. An dieser Stelle eine kleine Zusammenfassung zugespitzt. Das neue postmoderne Zeitalter strebte nach einer Befreiung vom Anspruch absoluter Theorien, vom Glauben an geschlossene Texte und von der Idee eines eindeutigen Sinnes.
Und damit veränderte sich nun auch die Literatur. Postmoderne Literatur war offen verspielter und hatte folgende fünf Merkmale. Erstens, postmoderne Literatur experimentierte mit Sprache.
Zweitens, Diese Literatur löschte das tätige Subjekt und Individuum aus. Postmoderne Literatur spielt aber auch mit dem Leser. Und postmoderne Literatur jonglierte mit verschiedenen Genres, Gattungen und Zitaten und präferierte vor allem Mehrdeutigkeiten.
Nun, diese fünf Merkmale postmoderner Literatur sollen nun wenigstens jeweils an einem konkreten Beispiel angedeutet werden. ein textbeispiel welches ein sprach experiment zeigt stammt von dem schriftsteller hans manz es ist das gedicht zahlenreviere der titel ist eigentlich eine sensation der leser hat so etwas bestimmt noch nicht gesehen er vermutet zunächst einen tippfehler denn die vier Könnte ja fälschlicherweise für den Buchstaben D in das Wort Zahlenrede gelangt sein. Ein Blick auf den folgenden Text mahnt dann aber zu Vorsicht, denn das gesamte Gedicht zitiert Elemente aus der Arithmetik als Ersatz für Buchstaben und Silben und zeigt dabei einen Streit über die Mengenlehre. Schaut nur auf die erste Strophe, vielleicht wollt ihr an dieser Stelle ja das Video kurz anhalten. Hans Manns Zahlenreviere, kleiner Streit.
Ich bin zweifellos größer als du, sprach zum Einer der Zweier. In diesem winzigen Ausschnitt kommt die Zahl 2 im Sinne einer männlichen Personifikation zu Wort und sie betont ihre Bedeutung. Sie leitet ihr Gewicht aus ihrer Stellung auf dem Zahlenstrahl ab. In diesem Streit kommen nebenbei alle Erscheinungen einer Zahl vor, als mathematische Größe, als Wort, als Silbe, aber eben auch als rhetorische Figur.
Ein anderes Merkmal postmoderner Literatur betrifft die Auslöschung des Subjektes. Es geht darum, dass den Menschen der Gegenwart die Identität als menschliches Wesen entgleitet. Aus postmoderner Sicht sind die Menschen nicht mehr selbstbestimmt, im Gegenteil, sie werden fremdbestimmt, sie werden gemacht, sie werden produziert. Ein Beispiel, das dieses Muster veranschaulicht, stammt von Hans Magnus Enzensberger. Die erste Strophe zu dem Gedicht Geburtsanzeige sieht so aus.
Wenn dieses Bündel auf die Welt geworfen wird, die Windeln sind noch nicht einmal gesäumt, der Pfarrer nimmt das Trinkgeld, ehe er es tauft. Doch seine Träume sind längst ausgeträumt, es ist verraten und verkauft. Der Textauszug spricht dem Neugeborenen, dem Baby, die künftige Möglichkeit ab, selbstbestimmt zu leben.
Der Mensch ist von Geburt fremdgesteuert, er ist so etwas wie eine Marionette. Er ist nur noch ein aussortiertes Knäuel, kontrolliert durch Institutionen hier die Kirche und Korruption. Und damit nicht genug.
Zu den Merkmalen postmoderner Literatur zählt auch der verspielte Umgang mit dem Leser. Ein tolles Beispiel liefert hier das Buch »Die Insel des vorigen Tages« von Umberto Eco. Der Roman von 1994 erzählt die angeblich wahre Geschichte von Roberto de la Griffe, der sich im 17. Jahrhundert auf die Suche nach jenem Längengrad macht, an dem jeder neue Tag beginnt.
Das Besondere dieses Romans ist, dass dem Leser am Ende zwei völlig unterschiedliche Handlungsentwicklungen vorgeschlagen werden. Der Erzähler bietet dem Leser zwei Romanausgänge an. Wirklich. Das letzte Kapitel beginnt folgendermaßen.
Wie lange mag das Schiff in jener Bucht gelegen haben, bis jemand es fand und die Schriften Robertus entdeckte, ich erwäge zwei Hypothesen, beide reichlich fantastisch. Der Leser muss auf einmal entscheiden, welches Ende er für wahrscheinlich erhält. Damit wird er quasi zum Miterzähler.
Der eigentliche Erzähler verweigert für die Geschichte ein klares Ende. Er bietet nur noch Varianten an. Und damit zum bekanntesten Merkmal postmoderner Literatur.
Es geht um die Jonglage mit verschiedenen Genres und Zitaten. Der Verweis auf bekannte Inhalte und Formen wird als Intertextualität bezeichnet. Ein tolles Beispiel liefert das Hip-Hop-Stück »Adriano, letzte Warnung« von dem Musikprojekt Brothers Keepers.
Die Idee zu diesem Stück kam nach dem Tod des aus Mosambik stammenden Alberto Adriano, der 2000 nach einem brutalen Angriff dreier Nazis im Dessauer Stadtpark verstarb. Das Stück ist ein Zeichen, gegen Rassismus und Gewalt. Die erste Strophe präsentierte der Rapper Torchman.
Sie ist ein wundervolles Exempel für Intertextualität und geht so. Denke ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um einen Schlaf gebracht. Das ist ein Zitat von Heinrich Heines Versen aus dem Zyklus Zeitgedichte von 1844. Mein Bruder Adriano wurde umgebracht, ist eine Referenz auf das Verbrechen, das ich bereits oben geschildert habe.
Hautfarbe schwarz, Blutrot, Schweigen ist Gold. An dieser Stelle gibt es einen Verweis auf die Farben der deutschen Fahne, verknüpft mit dem zweiten Teil des Sprichwortes Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Dann springen wir ein bisschen. Ein Wintermärchen aus Deutschland ist noch einmal ein Vers von Heinrich Heine. Es folgt Blauer Samt.
Das können die Kenner der deutschen Hip-Hop-Szene erkennen als Referenz. Torchmans erstes Album von 2000 hieß nämlich Blauer Samt. Dann zu dem Vers Operation Artikel 3, da habt ihr gelacht.
Hier wird das Grundgesetz zitiert, Artikel 3 besagt, alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Diese Strophe spielt also mit verschiedensten prominenten Schnipseln und Zitaten aus verschiedenen Diskursen. Und damit zum fünften Merkmal postmoderner Literatur.
Sehr beliebt ist der Umgang mit Mehrdeutigkeiten. Das Phänomen heißt in der Fachsprache Polysemie. Es geht darum, dass Formulierungen genutzt werden, die mehrdeutig sind.
Ein Beispiel zeigt das kleine Gedicht. Unterwegs nach Utopia 2 von Günther Kunert aus dem Jahre 1977 schauen wir einmal auf die erste Strophe. Auf der Flucht vor dem Beton geht es zu wie im Märchen, wo du auch ankommst, er erwartet dich grau und gründlich.
Nun, das Wort Utopie, Utopia, kommt aus dem Griechischen und bedeutet kein Ort nirgends und meint eigentlich eine Zukunftsvision. Wenn ihr den Auszug genau studiert, seht ihr, dass der Titel des Gedichtes zwei Bedeutungen einräumt. Denn sieht die Welt so künstlich und zubetoniert aus, wie es die Strophe zeigt, ist sie unsere Utopie?
Oder ist die Utopie jener Ort, zu dem wir fliehen müssen, um nicht so zu enden, wie es hier beschrieben wird? Geht es also um die Natur als Utopie? So weit, so gut. Am Ende möchte ich doch noch mal einen zeitgenossen und profunden Kenner der postmodernen Szene zu Wort kommen lassen. Die Rede ist noch einmal von Jean-François Lyotard.
Der nämlich wurde gefragt, was ist denn nun die Postmoderne? Und da der Prozess dieser Epoche nicht beendet wurde, antwortete er offen, ich versuche zwar zu verstehen, was sie ist, aber ich weiß es nicht. In diesem Sinne, alles Gute und danke für die Aufmerksamkeit.
Bis zum nächsten Mal.