Musik Wann haben Sie das letzte Mal gelogen? Naja, es ist schwierig zu vermeiden, jetzt zu lügen, aber ich vermute gestern Abend. Warum haben Sie nicht die Wahrheit gesagt?
Naja, wir wissen natürlich alle, dass wir manchmal etwas, was wir für Wahrheit... was vielleicht auch die Wahrheit ist, aus strategischen Gründen unterdrücken. Aus sozialen Gründen zum Beispiel, um andere nicht zu schockieren.
Es gibt natürlich auch gute Lügen. Ist der Mensch also per Definition ein Lügner, um zu überleben? Also klarerweise lügen wir fast alltäglich, indem wir uns selber ja etwas vormachen.
Also es gibt viele Situationen, in denen wir uns selber belügen. Wir lassen uns uns selbst gegenüber selbstverständlich immer besser aussehen, als wir sind. Warum belügen wir aber nichtsdestotrotz andere? Dafür gibt es...
Würden wir uns selbst belogen haben und andere damit konfrontieren, würden sie ja kein Bewusstsein von Lüge haben. Wir belügen andere fundamental immer aus strategischen Gründen. Die Lüge nimmt aber meistens nicht die Form an ihrer eigenen Definition, also absichtsvoll und in vollem Bewusstsein das Falsche sagen, sondern eher nimmt die Lüge die Form an...
dass man bestimmte Informationen unterdrückt oder dass man etwas sagt und den Kontext, in dem man es sagt, gleichzeitig verdunkelt. Aber Lügen können ja auch was mit Überleben zu tun haben. Die Autorin Ruth Klüger sagt, die Wahrheit kann tödlich sein.
Im Bundestag anlässlich des Gedenkens der Befreiung von Auschwitz erzählte sie, dass sie überlebte, weil sie bei der Selektion gelogen hat, obwohl sie zwölf Jahre war, hat sie ganz bewusst gesagt 15 Jahre. Ist Lügen elementar? Lügen ist natürlich ein elementares menschliches Vermögen, weil indem wir Lügen lernen, lernen wir mit der Wahrheit umgehen.
Als meine Tochter zum ersten Mal gelogen hat, war ich wahnsinnig stolz. Sie kam zu mir und hat behauptet, ihre Mutter hätte gesagt. ich soll ihr Schokolade geben. Es war völlig klar, dass es eine Lüge ist. Das heißt, in dem Augenblick war es deutlich, dass sie imstande ist, mein Bewusstsein, das Bewusstsein ihrer Mutter und ihr eigenes Bewusstsein miteinander zu vergleichen.
Und das ist natürlich ein hohes Vermögen. Trotzdem macht man dann als Erwachsene, als Eltern etwas, was die Kinder verändert. Man konfrontiert sie mit der Lüge.
Man macht ihnen deutlich, dass man sowas nicht macht. Lüge und Wahrheit sind moralisch sehr maktlos. Die Lüge ist böse, ist teuflisch. Die Wahrheit ist gut.
Auch in den Religionen ist Lüge eine Sünde. Warum? Der Grund dafür ist natürlich der folgende.
Wenn wir die Wahrheit insgesamt in den Hintergrund stellten, in allen sozialen und politischen Verhältnissen und insbesondere natürlich damit auch in wissenschaftlichen Kontexten, dann würde der Wohlstand der Gesellschaft gegen Null sinken. Das heißt, wir müssen... Die Wahrheit anerkennen und auch manchmal sagen und verwalten, weil wir ansonsten auch fundamental nicht überlebensfähig wären.
Deswegen vermeiden wir die Lüge. Gibt es einen moralisch-kategorischen Imperativ, wenn wir an Kant denken, die Wahrheit zu sagen? Mit anderen Worten, gibt es Situationen, wo es unentschuldbar wäre, aus welchen Gründen auch immer, zu lügen? Es gibt solche Situationen, sicher. Kant übertreibt in seinem berühmten...
Text, in dem er behauptet, dass es moralisch immer geboten ist, die Wahrheit zu sagen. Da täuscht er sich einfach und interpretiert sich auch selber ganz schlecht. Weil also die Situation, die er inszeniert, die Bekannte, also man stelle sich vor zum Beispiel, man beherbergt jemanden, den man versteckt, zum Beispiel im Dritten Reich, man hat eine jüdische Familie im Keller und nun klingeln die Nazis. Und Kant sagt, wenn die SS klingelt, soll man sagen, die Familie ist im Keller.
Warum? Weil es ja auch sein könnte, so Kant, dass die, weil oben die SS klingelt, geflohen sind und indem man die Wahrheit sagt, die Familie rettet. Das heißt, die kantische Idee lautet, dass ob ich die Wahrheit sage oder lüge, nie eine strategische Frage sein darf.
Da täuscht er sich aber, weil wir eben in der Tat manchmal berechtigt sind zu lügen. Aber das ist doch eine Frage der Subjektivität. Empfängerhorizont, Absenderhorizont und der Kontext, in dem etwas stattfindet.
In Ihrer Begründung heißt es, es war richtig. zu lügen, weil es letztendlich einen Schutz gegeben hat. Wenn man nicht gelogen hätte, wäre Gefahr entstanden. Das ist aber eine sehr subjektive und wiederum moralisch exkulpierende Begründung, dass man moralisch das Falsche getan hat.
Wie lebt man mit diesem Dilemma? Das ist natürlich ein fundamentaler Punkt. Moralisch, also wenn wir lediglich uns fragen, was ist moralisch, ist Lügen in der Tat immer unmoralisch. Aber wir sind berechtigt, nicht immer das Moralische zu tun. Das heißt, es gehört zu den...
Anwendungsbedingungen der Moralität im menschlichen Leben, dass es Räume gibt, in denen die Moralität suspendiert ist. Das ist ganz wichtig. Das sieht man ja schon daran, dass man keine gelungene zwischenmenschliche Partnerschaft zum Beispiel führen könnte, ohne regelmäßig zu lügen oder Informationen zu unterdrücken.
Gleichzeitig würde man in der Partnerschaft von Zeit zu Zeit, wenn eine solche Lüge herauskommt, sagen, dass du mich belogen hast, ist ein Ausdruck von mangelndem Respekt. Das ist etwas, was man unter Menschen nicht tut. Sie haben das mit Ihrem Kind erzählt.
Genau das bringt man ihm ja oder ihr bei. Lügen tut man nicht, erst recht nicht, wenn man in einer Beziehung steht. Noch einmal, können wir ein bisschen so eine Denkreise über dieses Dilemma machen, was ja eine hohe Konfliktsituation darstellt und gleichzeitig immer im subjektiven Bereich der Zeit und des Kontextes bleibt.
Das Dilemma rührt daher, dass wir als Menschen... immer zwei Ansprüche an uns selber haben. Der eine Anspruch an uns ist die universelle Menschenvernunft.
Die universelle Menschenvernunft bedeutet lediglich, dass wir zu Perspektivwechsel imstande sind. Das heißt, ich bin ja imstande, hoffentlich sind das die meisten, zu verstehen, dass nicht jede Situation, an der Menschen beteiligt sind, so ist, dass ich im Zentrum stehe. Es geschieht gerade sehr, sehr viel, das mit mir nichts zu tun hat. Das heißt, ich weiß außerdem, dass ich einmal in dieses Leben gekommen bin und verschwinden werde und dass, egal wie wichtig ich sein werde, ich natürlich nicht sehr, sehr wichtig sein werde, weil niemand sehr, sehr wichtig ist in einem bestimmten Sinn. Das ist die universelle Vernunft.
Ich kann davon abstrahieren, dass es mich gibt. Ein wichtiges Vermögen. US-Präsidenten haben damit Schwierigkeiten, aber im Allgemeinen haben wir dieses Vermögen.
Auf der anderen Seite sind wir aber natürlich auch berechtigt, unsere Situation als sterbliche Lebewesen, also als das Tier, das wir sind. in dieser Situation Züge auszuführen. Und diese beiden, die stehen in Spannung.
Das heißt, unser subjektiver Standpunkt und unser Vermögen von diesen im Namen der Objektivität sogar maximal zu abstrahieren. Das ist, glaube ich, die Spannung, in der Lüge und Wahrheit eine Rolle spielen. Wir glauben, dass es die Wahrheit gibt.
Die Wahrheit, unterstellen wir, wäre Wissen. Was ist es nun? Gibt es diese Wahrheit oder glauben wir nur an die jeweilige Wahrheit, in der wir leben?
Ich glaube, dass es natürlich die Wahrheit gibt. Sie glauben, Sie sagen auch, ich glaube, dass es natürlich die Wahrheit gibt. Genau, ich bin auch immer der Meinung, dass ich das philosophisch relativ leicht beweisen kann. Also es ist etwas mehr, es ist ein in philosophischen Beweisen begründeter Glaube. Unter Glaube sollte man ja verstehen.
Also Glaube kann ja im Deutschen auch etwas Religiöses bedeuten. Im Englischen, wenn man sagt Believe. kann man das ja sofort von Faith zum Beispiel unterscheiden.
Deswegen sage ich anstatt Glaube im philosophischen Kontext auch lieber einfach für wahr halten. Das heißt, ich halte es für wahr, dass manche Gedanken wahr sind und andere falsch sind. Das ist aber jetzt sehr sprachlich. Sie ersetzen Glauben, indem Sie sagen, ich halte es für wahr, dass es die Wahrheit gibt.
Das macht es noch immer nicht ergreifbarer. Der Biophysiker Hans von Förster behauptet,... Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Hat er recht? Nein, überhaupt nicht.
Er täuscht sich. Er sagt das Falsche. Ich glaube nicht, dass er lügt, sondern ich glaube, das ist einfach eine genuine Täuschung, der dort unterlegen ist. Wahrheit, also was wir heute darunter verstehen, wurde kanonisch, wenn man so will, zum ersten Mal thematisiert.
Ich würde ja sagen, entdeckt und nicht erfunden von den altgriechischen Philosophen. Paradigmatisch hat Aristoteles als erster. sehr viel über Wahrheit gesagt und damit auch gleich die Logik erfunden.
Also Aristoteles entdeckt die Wahrheit und zugleich das, was wir heute als Logik und Mathematik kennen. Das nimmt dort seinen Ausgangspunkt. Und was wir bei Aristoteles lesen, ist das Folgende.
Wahrheit ist dies, zu sagen, wie es ist. Irrtum ist das andere, nicht zu sagen, wie es ist. Das Problem ist aber, wie es ist. Denn wie es ist, ist eine Wahrnehmungsfrage.
Und wir wissen, dass beispielsweise unser Gehirn, unser Gedächtnis uns immer wieder... Also die Prämisse zu sagen, wie es ist, setzt voraus, dass es erstens dieses Ist gibt und zweitens, dass ein Mensch dieses Ist als etwas Objektives, Empfinden, Denken, Spüren besprechen kann. Ist das so oder ist das eine Hoffnung des narzisstischen Menschen, dass er denn doch weiter ist als alle andere Lebewesen?
Ich glaube, es ist so. Sie glauben, Sie glauben, Sie glauben. Ich will es immer nur betonen, wie die Sprache ist.
Ich kann auch einfach sagen, es ist so. Ich sage, ich glaube aus Höflichkeit. Das ist noch schlimmer.
Wenn Sie sagen würden, es ist so, würden Sie sich ja, was bei der Wahrheit ja sehr oft stattfindet, wenn Menschen sagen, das ist die Wahrheit. Das sind in der Regel Diktatoren, das sind Religionsvertreter. Wie ist das denn, wenn man so glaubt, es ist so?
Weil ich es glaube, im Sinne von es ist so, weil es so ist, weil ich es so denke. Naja, 2 plus 2 ist 4 und das ist wahr. Daran ist ja nichts subjektiv.
Zwar ist das nur wahr relativ zu bestimmten mathematischen Aktionen in unserer Arithmetik und so weiter, aber deswegen dennoch absolut wahr. In unserer basalen Arithmetik ist es absolut wahr, dass 2 plus 2 gleich 4 ist. Sie brauchen jetzt das Wort absolut wahr.
Wahr reicht anscheinend. nicht mehr. Ich versuche nur Sprache zu hören. Jaja, mit absolut wahr möchte ich nur sagen, alles was wahr ist, ist absolut wahr.
Es gibt nichts, was relativ wahr ist. Man könnte auch einfach sagen wahr, aber es ist wichtig, das zu betonen, weil viele Menschen denken, dass Wahrheit gerade hat oder dass es sogar relative Wahrheit gibt. Wahrheit für mich und Wahrheit für andere.
Wahrheit ist eine absolute Kategorie, weil Wahrheit uns in Verbindung setzt mit Tatsachen. Wichtig ist aber, dass ich wohl auch glaube, dass andere Lebewesen auch wahrheitsfähig sind. Mein Hund kann wahrnehmen, dass es Futter gibt.
Mein Hund kann wahrnehmen, dass ich da bin und damit auch Wissen erlangen, dass es nicht auf Menschen beschränkt, die Wahrheitsfähigkeit. Nun gibt es sehr interessante Zweifel und dialektische Versuche mit der Wahrheit. Isaac Bashevik Singer sagt zum Beispiel, die Wahrheit ist, dass es keine Wahrheit gibt.
Ist das jetzt nur ein tolles Wortspiel? Naja, das ist jetzt einfach nur ein Widerspruch in sich. Das klingt ganz hübsch, aber das ist ja einfach nur widersprüchlich. Jetzt könnte man versuchen zu verteidigen, dass Widersprüche akzeptabel sind. Davon würde ich allerdings dringend abraten.
Wenn Sie aber einen Schritt weiter gehen mit, die Wahrheit ist, dass es keine Wahrheit gibt. Menschen können ja nur in ihrer jeweiligen Zeit, mit ihrer jeweiligen Bildung, mit ihrem jeweiligen Wissen. Sie sprachen das Stichwort Tatsachen an, Dinge wahrnehmen, Dinge reflektieren, in einen Zusammenhang bringen.
Nehmen wir das klassische Beispiel der menschlichen narzisstischen Frustration. Also nicht alles dreht sich um die Erde, sondern die Erde dreht sich um viele andere Planeten. Zu der Zeit allerdings, als man das als Wahrheit dachte, hätte ein Wissenschaftler, wie Sie auch gesagt, das ist die absolute Wahrheit. Ja, und dann hätte sich dieser Wissenschaftler getäuscht. Das ist es ja.
Wir würden ja nicht sagen, wir sind auf gleicher Ebene. Also wenn ich jetzt zum Beispiel mit einem voraristotelischen Wissenschaftler spreche, also in einer Zeitmaschine reise ich zurück oder ich reise einfach woanders hin, zu Menschen, die nicht informiert darüber sind, wie das Universum aufgebaut ist. Und die sagen mir, in der Mitte des Universums, das übrigens sehr klein ist, ist die Erde und das andere dreht sich da drumherum. Dann würde ich sagen, ihr täuscht euch.
Aber man könnte ihn doch in 200 Jahre, weil sie jetzt so... kategorisch gesagt haben, es gibt die absolute Wahrheit, dann auch, wenn wir in die Zeitmaschinen gehen, sagen, was du, was wir in dieser Zeit gedacht haben, das ist nicht die Wahrheit. So wie Sie das jetzt heute in der Rückzeit sagen würden. Was sagt das über die Wahrheit aus? Und die Beziehung des Menschen, der postuliert, es gibt sie.
Das sagt genau aus, erstens, dass es sie gibt und zweitens, dass es nicht unbedingt immer leicht ist, sie zu finden. Das heißt, weil die Menschheit sich täuschen kann, Sogar so weit gehend, dass ganze Zivilisationen fundamental falsche Meinungen haben können. Also ganze Zivilisationen können auf Irrtum aufgebaut sein.
Aber in ihrer jeweiligen Zeit nehmen sie das als Wahrheit wahr. So wie sie heute Dinge sagen, wo man in 200 Jahren nicht mit rein sagt, das hat er gedacht, das ist die Wahrheit, wie lächerlich ist das. Also der Irrtum, ist er nicht systemimmanent, wenn man Wahrheit als etwas Absolutes denkt? Genauso ist es, wenn man Wahrheit als etwas Absolutes denkt, erlangt man dadurch ein Verständnis seiner eigenen Fallibilität, seiner eigenen Irrtumsanfälligkeit.
Der Begriff der Wahrheit ist ein Begriff, mittels dessen wir lernen, dass wir endlich sind. Das heißt, der Begriff der Wahrheit selber ist ein Begriff von etwas Absolutem. Aber wir sind ja nichts Absolutes. Als Wesen, die Urteile fällen, also die herausfinden wollen, was wahr ist im Unterschied zu dem, was falsch ist, das ist uns ja...
In vielen Kontexten, wenn auch nicht in allen wichtig. Das heißt, uns liegt vieles an der Wahrheit. Und genau deswegen können wir uns täuschen. Ich möchte nochmal zurückkommen, weil Sie das als Begründung angewandt haben.
Zwei plus zwei ist vier. Naturwissenschaftler haben es da ein bisschen leichter. Und deswegen zitieren vielleicht Geisteswissenschaftler dieses naturwissenschaftliche Beispiel. Zwei plus zwei ist vier. Das ist ein Postulat.
Darauf baut sich logisch ein ganzes mathematisches Konstrukt auf. Aber wie ist das denn, wenn wir über Fragen des Rechtes, der Gerechtigkeit, der Freiheit reden? Wie versucht man da der Wahrheit über diese Begriffe und damit ihrer Anwendung in der jeweiligen Zeit näher zu kommen? Da ist es ganz wichtig, dass man auch sich zunächst einmal ein Bild davon macht, dass manche Urteile, die wir fällen, so sind, dass wir berechtigt sind zu glauben, die sind absolut wahr.
Einfaches Beispiel. Man möchte ja jetzt nicht in Frage stellen zum Beispiel, dass der deutsche Rechtsstaat bessere Umstände zur Realisierung des menschlichen Lebens bietet als zum Beispiel der nordkoreanische Unrechtsstaat. Man wüsste nicht, wie man das in Frage stellen soll. Wir vergleichen sie Unrecht mit Rechtsstaaten.
Wir müssen, wenn wir vergleichen, in derselben Kategorie bleiben. Natürlich, wenn wir jetzt in eine, das ist der nächste Punkt. Das heißt, das soll nur zeigen, es gibt... Es gibt absolute Wahrheiten, auch im Bereich des Moralischen.
Haben Sie es nicht gerade relativ versucht? Sie vergleichen Unrechtsstaat mit einem Rechtsstaat. Das ist nicht absolut, sondern es ist vergleichend und damit relativ. Ich behaupte ja, dass eine Relation besteht zwischen Nordkorea und der Bundesrepublik Deutschland.
Die Relation des Besserseins als. Also wir sind besser, jedenfalls als Staat, als Nordkorea als Staat. Wenn wir das nebeneinander halten, das ist eine absolute Tatsache.
Jetzt schauen wir aber natürlich mal. zu uns hin und stellen uns zum Beispiel eine derzeit aktuelle Frage in diesen Tagen, ist zum Beispiel die gleichgeschlechtliche Ehe etwas, was wir für wünschenswert halten. Gibt es da eine absolute Tatsache? Wahrheit, warum sagen Sie jetzt Tatsache?
Weil Wahrheit und Tatsache zusammenhängen. Also wo es keine Tatsache gibt, gibt es auch keine Wahrheit. Welche Tatsache gibt es bei Ihrem Beispiel der gleichgeschlechtlichen Ehe, die dann zu einer Wahrheit führen würde?
Genau, das ist ein spannender Fall, weil die einzige Tatsache, die wir dort haben, ist... die ist wichtig, die ist schon mal in Betracht zu ziehen, dass es Menschen gibt, die gleichgeschlechtliche Sexualität leben und dass das sie nicht zu schlechteren Menschen macht, dass das kein Defekt ist in einem Menschen. Das ist eine wichtige Tatsache und es hat lange gedauert, bis Menschen die herausgefunden haben. Wir heute glauben daran, nicht alle Menschen, und viele würden Ihnen widersprechen, auch mit der Konnotation, dass es eben keine Tatsache ist, die Sie gerade erzählen. Das muss man nur der Wahrheit halber...
Genau. Und da würde ich aber sagen, da menschliche Sexualität unter anderem Teil des Tierreichs ist und im Tierreich überall gleichgeschlechtliche Sexualität verbreitet ist, möchte ich gerne ein Argument hören auch von der anderen Seite, das ernsthaft zur Konsequenz hat, dass wir zum Beispiel Homosexualität entweder sogar unter Strafe stellen sollten, was wir in der Bundesrepublik ja leider getan haben bis vor kurzem. Naja, zum Glück haben wir es schon etwas länger hinter uns.
Und das Gegenargument möchte ich erst einmal sehen. Mir ist bewusst, dass es viele Menschen gibt, die der Meinung sind, Homosexualität sei ein Defekt in Menschen. Aber ich habe noch nie etwas gesehen, was ein überzeugendes Argument ist, während auf der anderen Seite, also auf der Seite, die sagt, Homosexualität ist kein Defekt in Menschen, eine ganze Reihe wissenschaftlicher Entdeckungen steht. Soweit die Tatsache. Wie wird daraus jetzt aus Ihrer Perspektive eine Wahrheit?
Ja, die Wahrheit besteht nur darin, dass... Wenn ich sage, dass etwas so und so ist, also zum Beispiel, dass Homosexualität kein Defekt in Menschen ist, dann ist dieser Satz wahr. Warum?
Weil er der Tatsache, dass es so ist, entspricht. Das heißt, wenn ein Satz sagt, wie die Dinge sind, also wenn ein Satz einer Tatsache entspricht, ist der Satz wahr. Jetzt kommt aber die Schwierigkeit, dass wir diese Tatsache, die wir in einer Wahrheit formulieren können, in einem wahren Satz oder auch in einem System wahrer Sätze über den Menschen, in einer Humanwissenschaft zum Beispiel. Daraus folgt jetzt erstmal noch nicht zum Beispiel, dass die gleichgeschlechtliche Ehe etwas ist, worauf deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger ein Recht haben.
Lassen Sie uns nochmal auf den Konflikt, den wir Menschen haben, zurückkommen. Also Wahrheit hat etwas mit Wissen zu tun, mit der Fähigkeit zu interpretieren, mit der Markierung einer These, das sei eine Tatsache und daraus könne man Wahrheiten schließen. Nun sind wir uns dessen bewusst, dass es ganz unterschiedliche Tatsachen, Interpretationen gibt. Sie sind abhängig von der Zeit, sie sind abhängig von kulturellen und sozialen Erfahrungen. Ist das eigentlich das Problem des Menschen, dass wir konfrontiert werden mit diesen Zeitschienen und müssten wir beide nicht heute sagen, alles was wir für Tatsache und Wahrheit sehen, empfinden, glauben?
als Wahrhalten, um sie zu zitieren, ist nichts anderes als eine Beschreibung des Momentum, in dem wir sind. Auf jeden Fall. Und dieser Moment, in dem wir als Gesamtmenschheit sind oder als lokalere Gruppen, der ist ja selber auch widersprüchlich. Es ist ja gar nicht so, als würden wir alle dasselbe für wahrhalten.
Das heißt, wenn ich aufschreiben würde, damit würde ich gar nicht fertig werden natürlich, was ich alles glaube, also was ich für wahrhalte. Wenn ich eine Liste mache und eine Liste, was andere Menschen für wahrhalten, werde ich wahrscheinlich schon in meiner eigenen Liste irgendwann feststellen, dass ich widersprüchliche Überzeugungen habe. Und spätestens schon, wenn ich, was weiß ich, mit meinem Nachbarn rede. Das heißt, es ist auch nicht so. Deswegen, ganz wichtig, gibt es, glaube ich, nicht so etwas wie Kulturen.
Wenn man unter einer Kultur versteht, sozusagen eine Gruppe, eine sehr große Gruppe, die irgendwie im Wesentlichen dieselben Meinungen hat. Sowas gibt es gar nicht. Es haben nicht mal zwei Menschen hinreichend ähnliche Meinungen, um auf diese Weise ihr Gruppenverhalten zu erklären. Ich habe nicht mal hinreichend ähnliche Meinungen mit mir selber, um in einer Gruppe zu sein mit meinem neunjährigen Selbst und meinem heutigen Selbst.
Das heißt, es ist ganz wichtig, dass wir in der Tat sehr, sehr viele Meinungen haben. von denen einige wahr und andere falsch sind. Und wir versuchen dauernd herauszufinden. Wer beurteilt das? In autoritären Systemen, in Religionen?
Ist es die Macht? Welches Verhältnis hat Definitionsmacht und die Wahrnehmung, es sei die Wahrheit? Es ist so, die Macht, es gibt immer eine Rolle der Macht, die sagt, dieses Urteil wird jetzt akzeptiert. Das heißt, es muss irgendwann eine Art Richterspruch kommen oder eben auch ein buchstäblicher. Richterspruch.
Das machen Experten und Autoritäten in unserem System. Das heißt, wir haben zum Beispiel das Wissenschaftssystem, das sagt irgendwann das und das ist wahr. Wir haben das Rechtssystem, das sagt irgendwann das und das ist wahr.
Wir haben die Politik und so weiter. Wir haben also verschiedene lokale und globale Autoritäten, die jeweils nach langen Verhandlungsprozessen etwas auf der Wahr-oder auf der Falschseite verbuchen. Die können das aber nicht einfach nur per Dekret.
Sondern was auf der Wahr-und der Falschseite zu stehen kommt, ist, weil komplexe Verhandlungsprozesse der Angelegenheit zugrunde liegen, meistens so, und das ist überraschend, aber es ist so, dass wir uns doch der Wahrheit nähern, sofern die sozialen Systeme gut eingerichtet sind. Deswegen macht unsere Wissenschaft Fortschritte. Ich muss da nochmal einen Stachel reintun.
Nehmen wir Begriffe wie Gerechtigkeit, Freiheit. Man würde... In der Sprache, in der Welt, in der wir leben, sagen, Gerechtigkeit ist ein wahrhaftiger Anspruch.
Freiheit ist die Wahrheit der Selbstbestimmung eines Menschen in seiner Pluralität. Trotzdem erleben wir, dass mit diesen Begriffen ganz unterschiedliche Inhalte in diese Hülle reingepumpt werden, von denen die jeweiligen, die es so bestimmen, sagen, das ist die Interpretation. Das wird zur Tatsache, die Wahrheit ist.
Betrügen wir uns ein Stück selbst, wenn wir glauben, das, was wir sagen, was wir vertreten, Sie nennen das dann wissenschaftlich erarbeitet oder kulturell erarbeitet, betrügen wir uns nicht ein Stück selbst, wenn wir dann sagen, dieses Ergebnis verhandelt ist das, um was es geht? Ich glaube nicht, weil die Pointe ist, dass viele dieser Verhandlungsprozesse ein von diesen Prozessen unabhängiges Erfolgskriterium haben. Also die Frage ist zum Beispiel, machen wir wissenschaftliche Fortschritte in der Physik? Natürlich, sonst könnten wir gerade uns nicht in HD sehen, wir könnten in keinem Flugzeug sitzen, niemanden anrufen. Das heißt, der schiere Umstand, dass die Verhandlungsprozesse die Konsequenz haben, dass etwas funktioniert, belegt ja, dass wir uns den Tatsachen genähert haben.
Und das gilt nicht nur für die Naturwissenschaften, das gilt sogar für die Politik. Wir leben klarerweise heute in einer gerechteren Gesellschaft in der Bundesrepublik als zum Beispiel 1954. Das heißt nicht, dass es immer gerechter wird oder dass jemand weiß, was die Gerechtigkeit gibt, sondern ein Superexperte, die Kanzlerin oder so, und der Superexperte steuert uns. Den Superexperten gibt es nicht, sondern nur diese komplexen Verhandlungsprozesse.
Die haben aber zum Glück, nicht notwendig, das kann sich jederzeit ändern, aber die haben zum Glück einen gewissen Aufwärtstrend. diese Verhandlungsprozesse, so wie sie im Moment funktionieren. Mehr kann man darüber nicht sagen. Wir könnten jederzeit in die vollständige Barbarei singen.
Ist Wahrheit eine Konstruktion, eine Illusion oder etwas Reales? Ich würde sagen, dass die Wahrheit etwas Reales ist. Die Wahrheit ist eine Eigenschaft unserer, also so kommt sie ins menschliche Leben, ist eine Eigenschaft unserer Gedanken, Sätze, Äußerungen und Theorien. Das heißt, die Wahrheit ist weitgehend unabhängig davon, was wir für wahr halten.
Also die Wahrheit kommt zu unseren Gedanken hinzu, die wir haben. Also ich kann zum Beispiel denken, raten, dass Angela Merkel gerade in Berlin ist. Ich weiß es nicht, ich habe es nicht überprüft, ich rate das jetzt mal. Und dieser Gedanke, dass sie in Berlin ist, ist jetzt wahr oder falsch.
Ich weiß gerade nicht, ob er wahr oder falsch ist. Ich erhebe auch keinen großen Wissensanspruch. Ich mache nur eine Vermutung.
Aber der Gedanke ist unabhängig von mir. Wahr oder falsch? Aber wenn Sie das so konstruieren, dann erzählen Sie, wie übrigens andere, die die Wahrheit versuchen zu konstruieren.
Die Tatsache, dass ich etwas gedacht habe, ist a priori der Beweis, dass es wahr ist. Unabhängig des Wahrheitsgehaltes. Also doch eine Form wieder der Konstruktion, um diesen Begriff in diese Welt zu retten.
Die Konstruktion besteht nur darin, es gibt ein konstruktives Element in unseren Wissens-oder Wahrheitsansprüchen. Ich kann natürlich keinen Wahrheitsanspruch erheben, ohne konstruktiv tätig zu sein. Ich muss buchstäblich Sätze konstruieren, ich muss mir überlegen, was unsere Zuschauerinnen und Zuschauer oder sie dazu bewegen könnte, mir weiter zu folgen und so weiter. Es gibt ein strategisches Element in jeder Kommunikation. Das ist alles die Seite, die der Konstruktivismus, also die Freunde der Konstruktion betonen.
Sie handeln aber auch danach, wie Sie es gerade erzählt haben. Ja, aber diese Seite hat nichts mit der Wahrheit zu tun. Die ist der Weg zur Wahrheit. Also, wie ich nach Rom komme, ist vielleicht für mich sehr wichtig.
Habe ich das Flugzeug genommen? Bin ich mit dem Fahrrad gefahren? Bin ich gepilgert oder was weiß ich?
Aber Rom selber hat ja nichts damit zu tun, wie ich nach Rom komme. Also Rom ist eben da. Wie ich nach Rom komme, ist eine andere Frage.
Vielleicht führen alle Wege nach Rom, vielleicht führen auch alle Wege zur Wahrheit, das ist wohl leider nicht so. Aber wie wir zur Wahrheit kommen, sollte man immer unterscheiden, außer in besonderen Fällen, von was die Wahrheit ist. Nichtsdestotrotz zeigt uns die Gehirnwissenschaft, die Hirnbiologie, dass das Gehirn permanent konstruiert.
Und dass wir in diesen Konstruktionen jedenfalls bei dem nicht zu unterschätzenden Unterbewusstsein... gesteuert sind, auch wenn wir dann versuchen, dies durch Reflexion wieder hinzukriegen. Deswegen noch einmal, ist Konstruktion nicht immer Voraussetzung, um auch nicht nur auf den Weg, sondern zu einer These, die Sie dann Tatsache nennen, Wahrheitsansprüche zu formulieren?
Ja, ich würde schon mal sagen, dass die Hirnbiologie nichts von dem beweist, was sie behauptet. Also ich würde an der Stelle sagen, das sind falsche Wahrheitsansprüche. Ihre Beweise sind auch schwerer zu...
beweisen. Sie glauben. Als Logiker ist man sicher besser aufgestellt in der Beantwortung der Frage, was Wahrheit ist, als der Hirnbiologe.
Der Hirnbiologe, der Neurowissenschaftler, sind viele zuständig für das Gehirn natürlich. Aber wer auch immer... Auch Geisteswissenschaften wie die Psychologie.
Eben. Das heißt, was auch immer man über das Gehirn herausfindet, man wird bestenfalls herausfinden, bestenfalls... unter welchen Bedingungen zum Beispiel, unter welchen physiologischen Bedingungen, Wahrnehmungen in Menschen zustande kommt. Das werden sowieso nur Teilbedingungen sein, weil der Mensch ein ökologisches System ist. Das heißt, der Gesamtorganismus nimmt wahr, nicht das Gehirn.
Aber das Gehirn spielt eine Rolle. Das wissen wir. Wenn ich keins habe, nehme ich nichts wahr. Das heißt, ohne Gehirn kann ich nichts wahrnehmen. Und das Gehirn stellt notwendige Voraussetzungen zur Verfügung, von denen die meisten auf unbewussten Prozessen oder viele auf unbewussten Prozessen aufruhen.
Ich sehe ja gerade nicht... buchstäblich, was mein Gehirn alles tut, damit ich in der Position bin, sie überhaupt bewusst wahrzunehmen. Völlig klar.
Das heißt aber nicht, dass mein Gehirn es unmöglich macht, sie wahrzunehmen. Im Gegenteil. Dank der im Hintergrund ablaufenden physiologischen Prozesse in meinem Organismus, die antrainiert sind und so weiter, auf die ich natürlich auch durch Übung einen gewissen Zugriff habe, außer ich werde dement, aber solange mein Gehirn mehr oder weniger intakt ist, erlaubt es mir ja gerade die Wahrheit zu erkennen.
Und zwar so, wie sie ist. Da komme ich dann doch in diesem Zusammenhang dringend nochmal zurück auf Emotionen, auf Gefühle. Sind Wahrheitsansprüche kognitiv oder nicht durchtränkt durch emotionale Wahrnehmungen, Bedürfnisse und eben auch dominiert durch Gefühle, die dann in Sprache rationalisiert wird? Auf jeden Fall. Jeder Satz oder jeder Gedanke, der uns...
einleuchtet. Leuchtet uns Menschen, jeder einzelnen Person, zu verschiedenen Zeitpunkten im Leben auf eine bestimmte Weise ein. Bei Einleuchten haben wir schon die Metapher des Lichtes.
Das heißt, wir sehen alles immer in einem bestimmten Licht. Und dieses Licht hat sehr, sehr viel mit dem zu tun, was wir unsere Personalität nennen. Das heißt, ohne Emotionen haben Menschen gar keine Kognition.
Das heißt, ich würde es aber wieder so drehen, dass unsere Emotionen, wenn die gut kalibriert sind, uns in Kontakt mit der Wahrheit setzen. Die helfen uns nämlich. Weil wiederum dank unserer Emotionen sind wir ja imstande, intuitiv zu handeln.
Hätten wir das nicht, also hätten wir keinen biologischen Hintergrundapparat, der uns teilweise ohne unsere Kontrolle mitsteuert, wären wir gar nicht handlungsfähig. Wir könnten gar nichts tun ohne Emotionen. Kommt die Wahrheit zu Menschen? Kommt der Mensch zur Wahrheit? Oder ist der Mensch an sich immer die Wahrheit.
Ich glaube, dass der Mensch zur Wahrheit kommt. Die Wahrheit kommt tendenziell nicht zum Menschen. Wo ist diese Wahrheit, wenn der Mensch zur Wahrheit kommt? Die ist ewig schon da.
Das heißt, es gibt ewige Wahrheiten. Aber das ist ein bisschen wie die Leib-Seele-Theorie. Es gibt etwas außerhalb meines Seins, das in einer Ewigkeit ist. Dann sind wir sehr schnell auch wieder bei der Religion und Theologie.
Nicht unbedingt, weil die Philosophie lehrt das auch seit 2500 Jahren. Natürlich haben einige geglaubt. Zum Beispiel der Begründer der Philosophie, Platon, hat gedacht, dass aus den ewigen Wahrheiten folgt, dass wir eine unsterbliche Seele haben.
Das ist allerdings eine Zusatzannahme Platons. Also wenn es ewig wahr sein sollte, dass 2 plus 2 gleich 4 ist. Also es ist ja zum Beispiel ewig wahr, ab jetzt ist es ewig wahr, dass ich meine linke Hand gehoben habe zu diesem Zeitpunkt. So ist eine ewige Wahrheit.
Das war eben noch nicht wahr. Jetzt ist es aber eine ewige Wahrheit. Dafür brauche ich keine unsterbliche Seele.
Das heißt, es ist in der Tat so, dass in der Geschichte des menschlichen Nachdenkens über Wahrheit, seit Jahrtausende in den verschiedensten Hochkulturen, aus der Idee der ewigen Wahrheit auf die unsterbliche Seele geschlossen wurde. Die Ägypter waren nicht zufällig gut in Mathematik und haben an eine unsterbliche Seele geglaubt. Das hängt zusammen. Also wenn man Pyramiden baut, dann ist man relativ schnell dazu verführt zu glauben, man hätte auch eine unsterbliche Seele.
Da ist aber eine Lücke im Argument. Deswegen ist die Religion immer noch eine Zusatzannahme zur ewigen Wahrheit. Ist das Bedürfnis, dass man unsterblich ist?
Wir Menschen sind ja das einzige Lebewesen, das überhaupt Zeit, Traum, Sterblichkeit erfährt. Ist das Bedürfnis, dies tröstend hinwegzudenken, die Hoffnung, dass wir auch das einzige Wesen sind, das durch Erkenntnis sogar zur Wahrheit, wie Sie immer sagen, zur Absoluten kommt? Das hängt sicherlich zusammen. Es kann tröstlich sein. Ich sehe es nicht als besonders tröstlich an, aber es kann tröstlich sein für einige zu sagen, naja, wenigstens bin ich in Kontakt mit absoluten Wahrheiten.
Ich vermute ja... als Platon über die unsterbliche Seele gesprochen hat, meinte er eigentlich nur das Folgende. Mich werdet ihr für immer lesen.
Das heißt, Platons Gedanken und seine Dialoge sind weitgehend unsterblich. Jedenfalls, solange es Menschen gibt, wird vermutlich irgendwer Platon lesen. Das ist schon sehr beeindruckend.
Da kann man schon mal sich für unsterblich halten, wenn man solche Texte schreibt. Aber mehr gibt es da nicht. Insofern halte ich das nicht für sonderlich tröstlich.
Woody Allen hat einmal gesagt, und das finde ich ganz passend in diesem Zusammenhang, Es kann ja sein, dass ich in meinen Filmen unsterblich bin, aber ich möchte lieber in meiner Wohnung unsterblich sein. Insofern halte ich persönlich die ewigen Wahrheiten nicht für tröstlich. Welche entscheidenden Entwicklungsprozesse haben wir in der Menschheits-und Denkgeschichte im Verhältnis zum Begriff Wahrheit und Lüge hinter uns gebracht? Ich glaube, die großen Stationen kann man folgendermaßen auffassen.
Zunächst, als der Mensch die Idee der Wahrheit entdeckt hat, in der sogenannten Achsenzeit, in verschiedenen Hochkulturen. Es gab eben... hochkulturelle Sprünge, wir wissen nicht genau, wo die herkommen, aber sagen wir mal Pi mal Daumen, irgendwo um 1000 vor Christus gibt es verschiedene gleichzeitige hochkulturelle Explosionen.
Und in dem Augenblick leuchtet es plötzlich den Menschen ein. Die können auf einmal so viel. Mathematik, Staaten bauen und so weiter. Es gibt sicher eine längere Vorgeschichte der Ägypten und so, also es ist komplex. Auch die chinesische Welt.
Genau, deswegen meinte ich ganz verschiedene Hochkulturen mit langen Vorgeschichten. Aber vermutlich in dem Augenblick, wo die ersten großen Einsichten kommen, die Konsequenzen für die Menschen haben, sehr, sehr weitgehende Konsequenzen, haben die Menschen den Eindruck gehabt, dass das Göttliche sich offenbart hat. Das war so eine Art Gottesschock, wie das ein Kollege von mir nennt. Da war ein neues Modul im menschlichen Geist da.
Und das wurde natürlich erstmal gefeiert. Dann kommen Zweifel daran auf. Zum ersten Mal massiv bei den griechischen Philosophen durch die sogenannten Sophisten kommt es zu einem Aufklärungsschub.
Und dieses Vermögen des Menschen wird plötzlich infrage gestellt. Vielleicht ist das gar keine Wahrheit, sondern nur eine Lüge. Dann gibt es wieder eine Gegenbewegung, die versucht subtil darauf zu antworten.
Und so geht das eigentlich immer hin und her zwischen einer Einsicht, dass es doch irgendwie absolute Wahrheit zu geben scheint, einer heftigen Kritik daran und dann wieder einem neuen Schub. Und meines Erachtens werden beide Parteien immer besser in diesem Gespräch. Ist die Voraussetzung der Wahrheit, dass man sie beweisen kann? Nicht unbedingt.
Das gilt für mathematische Wahrheiten. Da hängt Beweisbarkeit und Wahrheit zusammen. Bei moralischen Wahrheiten ist es vermutlich schon mal gar nicht so. Da ist die Frage, was würde es eigentlich heißen, eine moralische Wahrheit zu beweisen.
Das ist sehr, sehr schwer. Bei anderen Wahrheiten sind nicht. Das erholt aber die moralische Wahrheit, welche auch immer sie zu welcher Zeit auch zwischen uns beiden wäre, ihre Legitimation, den Anspruch zu dieser Formulierung als Wahrheit zu erheben. Ich glaube, die moralische Wahrheit rührt daher... dass wir uns gegenseitig anerkennen als Wesen, die imstande sind, die Wahrheit zu erkennen.
Das ist die Quelle aller Moral. Würde aber bedeuten, dass die Unterschiedlichkeit der Interpretationen der Moral jeweilige Wahrheiten wären? Nein, das eben nicht.
Das bedeutet nur, dass eben, wenn zwei Parteien verschiedene moralische Überzeugungen haben, dann bedeutet das, dass sie davon ausgehen können, dass entweder sie selber, die Partei selber oder die andere Partei oder eine dritte oder vierte Partei recht hat. Nur dazu sind wir berechtigt. Aber was ist es denn dann in der moralischen Kategorie und wer ist es und welcher Gedanke ist es, der sich oder die sich dann die Etikette, das sei die Wahrheit, anziehen dürfe?
Ist es nicht so, gerade in der moralischen Interpretation, dass es den Begriff der Wahrheit... schwer geben kann über das hinaus, was sie gerade gesagt haben. Wir respektieren uns so gegenseitig, dass wir respektieren, dass beide die Wahrheit haben können oder keine sie jeweils hatte.
Genau. Das ist die Grundlage und jetzt ist die Frage, wenn ein moralischer Widerstreit aufgetreten ist und beide aber dieses Prinzip akzeptieren, dass Hans-Georg Gadamer einfach so zusammengefasst hat, der andere könnte recht haben. Wenn beide unter dieser Prämisse jetzt in ein Gespräch miteinander treten, dann, und das ist die einzige Chance, dann kann moralische Wahrheit zutage treten.
Moralische Wahrheit kann nicht zutage treten, indem nur einer alleine versucht, sie zu haben. Deswegen ist moralische Wahrheit ja auch immer an Sozialität gebunden. Jeder kennt ja diese Verhandlungsprozesse aus zwischenmenschlichen Beziehungen und die können dann gelingen oder nicht gelingen. Aber die gelingen auch immer nur dann, wenn man in moralischem Dissens irgendwann den gemeinsamen Boden findet. Und dieser gemeinsame Boden, der ist wahrscheinlich in Kontakt mit moralischen Wahrheiten.
Mehr können wir darüber nicht sagen. Es gibt ja noch zum Begriff der Wahrheit, um es noch ein bisschen sprachlich komplexer zu machen, die Wahrhaftigkeit. Da ist das Wort wahr auch wieder drin.
In welchem Verhältnis steht Wahrheit zur Wahrhaftigkeit? Also die traditionelle Idee in diesem Zusammenhang lautet, kanonisiert in Deutschland von Jürgen Habermas. Aber die traditionelle Idee sieht so aus.
Wahrhaftigkeit ist der Anspruch, dass man das Wahre äußert. Das heißt, Wahrhaftigkeit ist eine Tugend. Man schätzt die Wahrheit, man findet die gut aus bestimmten Gründen, während die Wahrheit selber natürlich nicht unbedingt was mit Wahrhaftigkeit zu tun hat. Auch derjenige oder diejenige, die nicht wahrhaftig ist, der Verbrecher zum Beispiel, der Menschheitsverbrecher vielleicht sogar, muss die Wahrheit kennen, um zum Beispiel geschickt zu lügen. Das heißt, Wahrhaftigkeit ist eben noch mehr.
Es ist eine Tugend, die mit der Wahrheit zusammenhängt. Muss man, wie Sie es eben sagen, die Wahrheit kennen, um es nochmal herauszuarbeiten, eine Lüge zu denken und zu formulieren? Ja, auf jeden Fall.
Wenn unter Lüge zu verstehen ist, das absichtsvolle Sagen des Falschen, dann muss derjenige, der lügt, die Wahrheit kennen. Und wenn es nicht absichtsvoll ist, also nehmen wir wieder an Kinder, die gar nicht lügen. bewusst handelnd Dinge erzählen, um sich zu schützen, beispielsweise vor Strafe sich zu schützen oder vor anderen Situationen.
Ist das dann auch Lüge? Nein, das glaube ich ist nicht Lüge. Ich glaube, das ist Fiktion. Das ist ein ganz wichtiger Begriff. Das ist die Quelle unserer Einbildungskraft.
Das heißt, wenn Kinder das tun, also wenn sie fingieren oder imaginieren, dann steigen sie sogar zu besonders hohen Sphären der Menschheit auf. Das ist der Weg. zu einem Erwachsenenleben. Deswegen erzählen wir unseren Kindern ja Geschichten. Das heißt, dass Erwachsene dauernd fingieren, das ist die Eigenschaft des Erwachsenseins?
Ja. Dass Erwachsene in Fiktion leben? Genau. Was hat das dann noch mit Wahrheit zu tun?
Fiktionen haben das Folgende mit Wahrheit zu tun. Fiktionen sind das Erproben dessen, was wir für wahr oder für falsch halten sollten, unter der Bedingung, dass wir für einen Moment von der Frage absehen können. Also wenn ich zum Beispiel einen Oliver-Stone-Film sehe oder die Putin-Interviews, dann muss ich das erstmal als Fiktion behandeln.
Und dann wird man sich ja zum Beispiel nach dem Genre fragen. Ist das jetzt Propaganda? Ist das ein Versuch von Oliver Stone?
Aber Propaganda ist ein bewusster Prozess. Putin arbeitet bewusst damit, also wäre es eine Lüge. Das kann nicht das Beispiel der Fiktion sein.
Nehmen wir ein anderes, nehmen wir Oliver Stones Film W. Man könnte ja meinen, es geht dort um George W. Bush. Das ist gar nicht so klar. Aber dort wird eben das erprobt.
Es wird erprobt, was man für wahr oder für falsch halten könnte, ohne dass man es muss. Das heißt, das Kind zum Beispiel, das ein Stück Sand als Kuchen anbietet, erprobt, wie es ist, mit Kuchen umzugehen. Das heißt, das Kind ist ja nicht blöd, das denkt nicht, das ist ein Kuchen. Deswegen essen die Kinder meist nicht diesen Sandkuchen. Wie oft haben Sie während dieses Gesprächs gelogen oder versucht, in Fiktionen aus-und abzuweichen, damit der Eindruck ein positiver bleibt?
Der Rahmen, in dem unser ganzes Gespräch stattfindet, ist selbstverständlich der der Fiktion. Schon alleine, weil wir in einem medialen Kontext sind. Das heißt, und erproben in einem Gespräch, was über das Wahre und das Falsche zu sagen ist.
Bei alledem habe ich versucht, nur das Wahre zu sagen. Wie weit beeinträchtigt ein Phänomen der Kommunikation, das es erst seit über einem kleinen Jahrzehnt gibt, die Wahrheit, nämlich das Internet? Ja, das ist eine ganz fundamentale Frage.
Ich glaube, das Internet ist eine Fiktion, die wir als solche nicht durchschauen. Deswegen halten wir alle das Internet für ein Wahrheitsmedium. Das Internet ist aber paradigmatisch eine bestimmte Form der Einbildung.
Das Internet ist so eine Art, wir sollten uns eher nach dem literarischen Genre des Internets einmal zu beginnen zu erkunden. Ist das Internet eine Gefahr der Wahrheit? ist eine ganz große Gefahr der Wahrheit, wenn wir nicht seinen fiktionalen Charakter durchschauen.
Wenn wir das Internet für eine Darstellung, für eine unmittelbare Darstellung der Wahrheit halten, dann ist es eine Gefahr. Genauso wie wenn ich zum Beispiel ein Theaterstück sehe und denke, es sei Es sei wirklich jemand umgebracht worden und ich zeige zum Beispiel diese Person an. So ist es mit dem Internet.
Ist das Internet beherrschbar? Ich glaube, dass das Internet beherrschbar ist und dass wir jetzt im Moment ja in Prozesse eintreten, in denen wir genau herausfinden wollen, wie wir das Internet beherrschen können. Herzlichen Dank. Wir haben uns intensiv über die Wahrheit unterhalten. Herzlichen Dank, Herr Gabriel.
Danke für die Einladung. Musik