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Gesellschaftliche Gewalt und individuelle Verunsicherung

Ja hallo, hier ist nochmal Thomas Blech und heute soll es um das Gewaltkonzept von Wilhelm Heidmeier gehen. Bevor ich damit beginne, wollte ich mich bei allen Zuhörern bedanken, die sich meine Videos angeschaut haben und auch kluge Kommentare geschrieben haben. Ich versuche diese dann auch tatsächlich zu berücksichtigen. Ihr könnt auch gerne Vorschläge machen zu Grundbegriffen, Konzepten der... Pädagogik. Ich versuche diese dann eben auch, soweit es die Zeit erlaubt, abzuarbeiten. Wilhelm Heidmayr also, ein Soziologe, 1945 geboren, hat sich eben auch mit der Gewaltfrage beschäftigt und als Soziologe hat er natürlich versucht, eben auch den Blick von der Gesellschaft her zu leisten. Soziologie, Wissenschaft von der Gesellschaft und den Zusammenhängen. Es gibt auch Aggressionstheorien, die sich von der psychologischen Seite her damit beschäftigen. Das werde ich an anderer Stelle thematisieren. Zuvor ein ganz wichtiger Begriff oder ein Merkmal, den Heidemeyer einführt, das ist die Individualisierung, eine große gesellschaftliche Veränderung seit den 60er Jahren. Und das bedeutet erstmal nichts anderes, als dass der Mensch jetzt zunehmend seine Biografie selber in die Hand nimmt, sein Lebensskript, so könnte man sagen, versucht selber zu schreiben und zu entscheiden, was er in beruflicher, beziehungsmäßiger Hinsicht tatsächlich leben möchte. Das war nicht immer so. Früher, noch Anfang des letzten Jahrhunderts, haben die Kirchen, die Eltern, die Schicht bestimmt, wohin der Weg eben auch geht. Es war unglaublich schwierig, dann einem Vater zu sagen, der gesagt hat, du wirst auf jeden Fall jetzt hier meine Firma übernehmen. Und er hätte gesagt, ich fahre jetzt erstmal nach Amerika und werde anschließend versuchen, Psychologie zu studieren. Und vielleicht mache ich aber auch ganz was anderes und werde... Krimineller, etwas übertrieben formuliert. Es war überhaupt gar kein Gedanke, dass sich die nächste Generation auflehnen könnte. Das passierte tatsächlich erst in den 60er Jahre mit den sogenannten Studentenumruhen. Lest da bitte mal nach, da gibt es sehr, sehr spannende Sachen und vor allen Dingen auch ziemlich coole Bilder und sehr gute Musik. Was ist da passiert? Die Studentenunruhen, gespeist eben auch aus vielen gesellschaftlichen Umgewälzungen und aber auch eben aus dem zum Beispiel Vietnamkrieg und auch anderen gesellschaftlichen Highlights dieser Zeit, die wehrten sich natürlich gegen die Autoritäten, gegen die autoritäre Erziehung, gegen die Verkrustungen in Universität und Schule und rebellierten dann tatsächlich eben gegen diese vorgegebenen Normen und Werte. Weitere Motoren für diese Entwicklung ist natürlich die enorme Steigerung des materiellen Lebensstandards. Ein Zitat von Heidmayer. Klar, dadurch kann ich natürlich auch viel mehr individuelle Lebensstile entfalten und entwickeln. Weiterhin, sagt Heidemeyer, steigt natürlich auch die Mobilität der Bevölkerung. Die ganze Technisierung und die Möglichkeiten, überall zu leben, zu wohnen, nahmen natürlich auch unglaublich zu. Und damit verbunden natürlich auch durch die Emanzipationsprozesse der Frau, die Berufstätigkeit der Frau. Da sind wir natürlich jetzt auch sehr viel weiter gekommen. Dann gibt es auch noch die sogenannte Bildungsexpansion. Das heißt nichts anderes, dass eben auch durch bestimmte politische Maßnahmen tatsächlich eben auch die sogenannte höhere Bildung, das heißt der Zugang zur Universität, jetzt eben auch mehr ermöglicht wurde. BAföG wurde eingeführt und so weiter. Also auch die Leute aus den unteren Schichten konnten jetzt zunehmend auch studieren. Das sind alles ganz, ganz wichtige Motoren der Individualisierung. Hört sich ja auch erstmal toll an. Ich kann selber entscheiden, was ich will, welche Schulausbildung ich mache, wo ich meinen Schulabschluss mache. Berufskolleg, Gymnasium, Gesamtschule, Prismaschule oder auf der Förderschule. Das spielt erstmal gar keine Rolle. Wichtig ist nur, ich darf mich entscheiden. Hört sich ja auch toll an. Auf der Hand. anderen Seite gibt es gerade nach dem Schulabschluss eine Vielzahl von Möglichkeiten und Universitäten, Fachhochschulen, hunderte von Studiengängen und ich weiß überhaupt gar nicht, was ich machen kann und soll. Und hier kann natürlich eben auch ein Entwicklungsdruck entstehen. Das ist die Ambivalenz der Individualisierung, sagt hier auch der Heidmayer. Und das ist natürlich ein großes Problem. So, nun könnte man natürlich sagen, wunderbar, durch die Bildungsexpansion und die ganze Entwicklung. Ganze Individualisierung wird die Gesellschaft ja auch gleicher. Das stimmt aber nicht. Die soziale Ungleichheit wird nicht aufgelöst, sondern letztendlich wird sie individualisiert. Es bleiben natürlich Ungleichheiten. Aber was jetzt noch wichtiger ist, ist der Punkt, dass diese Individualisierungsprozesse bestimmte Desintegrationsprozesse fördern. Das müssen wir natürlich erklären. Die Beziehung führt letztendlich dazu, dass sich eben die Familie, soziale Beziehungen zunehmend eben auch individualisieren. Das heißt, jeder gründet seine eigene Familie. Es gibt eine Vielzahl von Familien. Es gibt keine verbindlichen Ordnungsmuster mehr für eine Familie, sondern tatsächlich gibt es hier eben jetzt die Möglichkeit, selbst zu entscheiden. welche Art von Familienzusammenleben ich haben möchte. Weiterhin, damit verbunden natürlich auch, gibt es immer weniger gemeinsame soziale Normen und Werte. Eine unglaubliche Pluralisierung, wie wir gerade sagen, also eine Vielzahl von Lebensstilen werden entwickelt, die stoßen aufeinander und haben natürlich alle verschiedene Vorstellungen vom Leben. Das kann natürlich auch zu Problemen führen und kann auch eben tatsächlich eine gewisse Orientierungslosigkeit nach sich ziehen. Man könnte auch hier von kognitiven Irritationen sprechen. Weiterhin ist es auch ein Problem durch diese ganze Individualisierung und Unübersichtlichkeit, dass die Partizipation, also die Teilnahme an bestimmten Dingen immer mehr zurückgeht, weil tatsächlich das Leben sich zunehmend individualisiert. Jeder denkt erstmal primär daran, wie werde ich mein Leben entwickeln und entwerfen. Nun könnte man sagen, ja, damit kann man doch auch umgehen und lernen. Na sicher kann man das. Das Problem ist nur, dass wenn der Mensch tatsächlich aus diesen ganzen, man könnte auch sagen, Orientierungen hinausgeworfen und auf sich zurückgeworfen wird, kann das eben nicht so gut sein. Und jetzt sind wir bei dem Konzept von Heidemeyer, zu Verunsicherung führen. Verunsicherung tatsächlich eben auch darüber, dass ich nicht genau weiß, was ist richtig, was ist falsch. Ich kann plötzlich vor Problemen stehen, die für mich unlösbar erscheinen. Wie zum Beispiel die Vielzahl von Studienfächern und meine Eltern können mir nicht helfen. Und der Studienberater sagt auch letztendlich nur, jetzt musst du selber entscheiden. Werde tatsächlich eben auch nicht mit der Situation fertig. Völlige Unklarheit kann sich eben auch entwickeln. Wir denken jetzt hier auch natürlich auch wieder an Hurlmann und die Entwicklungsaufgaben, dass ich tatsächlich überhaupt noch nicht mal weiß, was ich eigentlich kann. Und bisher ist mir noch nicht irgendwie näher gebracht worden, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten ich habe, trotz zahlreicher Unterstützungsmaßnahmen in der Schule. Es führt natürlich eben auch durch diese Desintegration zu, man könnte sagen, Diskrepanzen. Ich sehe mich in irgendeiner gewissen Weise... So oder so und andere sehen mich anders. Also der Unterschied von Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung stimmt nicht mehr überein und verunsichert mich. Eine gewisse Ratlosigkeit kann sich auch breit machen, dass ich tatsächlich eben auch, ob der schieren Auswahl der Möglichkeiten einfach nicht genau weiß, wo ich langgehe, vielleicht auch aus Angst, wenn ich mich für einen Weg entscheide, viele andere Möglichkeiten zu verpassen. Nun sagt Heidmayer, Daraus entstehen oder können möglicherweise eben auch bestimmte Qualitäten entstehen, wie er das nennt. Und diese Qualitäten, so hat er das genannt, das wird eben auch von ihm so. formuliert sind einmal die stimulierende verunsicherung werde ich gleich erklären die paralysierende verunsicherung und die überwältigende verunsicherung nun gut die stimulierende verunsicherung natürlich bedeuten, dass sich tatsächlich diese Verunsicherung positiv auswirkt. Ich bin total neugierig auf Neues und versuche auch wirklich die Gewissheiten und Rituale in Frage zu stellen und habe eben auch Vertrauen in meine Fähigkeiten, trotz des sozialen Wandels, meine Existenz und mein Leben zu entwerfen. Klar, die Möglichkeit gibt es. Es kann aber auch sein, dass ich eben keine solide personale Basis habe. Also, dass ich die Entwicklungsaufgaben vorher, ihr erinnert euch, Hurelmann, vielleicht auch noch gar nicht angegangen oder gelöst habe oder eben nach Ericsson vielleicht auch kein Urvertrauen entwickelt habe. Ich bin paralysiert und kann eher nicht handeln. Ich verschiebe meine Handlungen. Ich warte ab. Das ist natürlich ein Problem. Andere überholen mich und es kann tatsächlich dann eben auch kommen, dass ich sozial scheitere in Anführungszeichen. Die überwältigende Verunsicherung, das kann natürlich dann eben passieren, dass ich geradezu überflutet werde von diesen ganzen Möglichkeiten. ich keine, man könnte sagen, Reaktionsschema entwickelt habe und für Außenstehende sinnlos agiere oder handle. Hier wären wir tatsächlich auch schon bei der Möglichkeit, eben auch gewalttätig zu sein. Und hier führte dann eben auch die drei Gewaltmöglichkeiten an, die ich ganz kurz nochmal nenne. Da wäre einmal die expressive Gewalt, also ich will um jeden Preis auffallen. Dazu eignet sich natürlich Gewalt wunderbar. Ich haue irgendeinen auf die Maske und die ganze Sache wird dann eben auf mich ausgerichtet. Und ich entwickle gewissermaßen eine negative Identität, könnte man sagen. Die instrumentelle Gewalt, ich benutze dann eben die Möglichkeiten, die mir zur Verfügung stehen. Das können auch soziale Positionen sein. Das kann aber auch wieder mein Handlungsrepertoire sein, um Gewalt auszuüben. Und die regressive Gewalt ist letztendlich die Unterdrückung von Minderheiten. Das wären so die drei Möglichkeiten, eben auch diese Verunsicherung zu bewältigen. Wir dürfen nicht vergessen, dass Gewalt und Aggression letztendlich auch ein Bewältigungsschemata ist. Wir hatten auch das bei den Entwicklungsaufgaben schon einmal erörtert, dass tatsächlich eben auch die Gewalt und die Aggression auch eine, man könnte sagen, Produktive Realitätsverarbeitung ist produktiv nicht im Sinne von positiv, sondern erstmal nur ich agiere. In irgendeiner Weise muss ich damit umgehen, mit meiner Ratlosigkeit, Orientierungslosigkeit, mit der überwältigenden Fülle von Möglichkeiten, mit den Ambivalenzen. Das wäre sozusagen jetzt in Kurzform der Heidemeyer. Also die Individualisierungsprozesse. erzeugen Desintegration, und zwar auf den Ebenen Familie, Normen und Werte und Teilnahme, Partizipation an gesellschaftlichen Prozessen, politischen Prozessen. Daraus folgt möglicherweise eine Verunsicherung, Unlösbarkeit, Unklarheit, Diskrepanz, Ratlosigkeit. Diese haben bestimmte Qualitäten, stimulierend, paralysierend, überwältigend. Daraus können sich dann bestimmte Gewaltformen entwickeln, die expressive, die instrumentelle oder die regressive Gewalt. Wir haben zwei Gewaltmöglichkeiten unterschieden, damit kommt man auch schon weit. Das ist die personelle und strukturelle Gewalt. Ich denke mir, da kann man jetzt auch ein bisschen kreativ mit umgehen und muss das eben von dem Fallbeispiel abhängig machen, was ich gerade bearbeite. Also, soweit erstmal der Heidmayer. Ich hoffe, das hilft euch ein bisschen weiter. Bleibt Gewalt. Bis bald, euer Thomas.