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Die Geschichte der Piraterie

Ahoi, ihr Landratten! Anker lichten und Segel setzen! Heute geht's um die Geschichte der Piraterie. Piraten kennen manche wahrscheinlich nur aus Karnevalskostümen oder von der Kinoleinwand. Ich würde sagen: Zeit, das historisch einzuordnen. Das wird nicht immer ganz so witzig. Es geht hierbei nämlich um mehr als um Schatztruhen, um Rum und das Aussehen von Captain Jack Sparrow. Es geht um die Rolle der Piraten in der Geschichte, um ihre Mythen, Klischees, Brutalität von der Antike bis heute. (Surren, Glöckchen) Bei Piraten denken viele sicherlich an die legendären Piraten der Karibik, also der frühen Neuzeit. Aber Piraterie ist so alt wie die Schifffahrt selbst. Menschen transportieren Waren. Andere Menschen rauben sie aus oder nehmen Geiseln. Die Piraterie gibt es also schon in der Antike. Damals treiben beispielsweise die sogenannten Kilikischen Seeräuber ab dem zweiten Jahrhundert vor Christus ihr Unwesen auf dem Meer. Die Kilikischen Piraten haben viele Rückzugsorte, und zahlreiche ausgediente Söldner schließen sich ihnen an. Dadurch sind sie ziemlich erfolgreich und können sich über Jahrzehnte an den Handelsschiffen bereichern. Bescheidenheit ist keine Piratentugend. Aber irgendwann wird es den Römern zu bunt. Rom steigt in der Zeit zur vorherrschenden Macht im Mittelmeer auf. Durch die Beutezüge der Piraten gerät die Getreideversorgung in Gefahr, viele Römer werden entführt. Bekannteste Geisel: Julius Cäsar. Haben wir euch schon mal in unserem Video zu Cäsar erzählt. Das findet ihr oben auf dem "I". '67 vor Christus erhält der römische Feldherr Gnaeus Pompeius Magnus schließlich den Auftrag, dem Treiben auf dem Meer ein Ende zu setzen. Pompeius besiegt die Piraten. Er lässt sie danach aber nicht hinrichten, sondern er siedelt sie um. Diejenigen, die vorher Küstenfelder plünderten, erhalten jetzt Land zugewiesen. Denn Pompeius hat etwas sehr Entscheidendes erkannt: Piraterie wird durch Armut und fehlende Perspektiven begünstigt. Dadurch zieht sich die Piraterie über alle Epochen und Weltmeere hinweg, seien es die Kilikische Seeräuber im Mittelmeer, die Wokou entlang der chinesischen Küste, die nordafrikanischen Barbaresken-Korsaren oder die Vitalienbrüder in der Nord- und Ostsee. Wirklich groß wird die Piraterie aber erst im 16. bis 18. Jahrhundert. Hier werden nicht nur die Schiffe gewaltiger und die Waffen gefährlicher, es geht auch um jede Menge Schätze und vor allem um die Vormachtstellung auf den Weltmeeren. Es ist die Zeit, die unser Bild von Piraten am meisten prägt. Ihr wisst schon, die Zeit der Piraten mit Papagei und Augenklappe, Totenkopfflagge und so. Zwei Jahre nachdem Kolumbus Amerika erreicht, also 1494, zieht Papst Alexander der VI. eine Linie von Norden nach Süden durch den Atlantik und bestimmt, alles, was östlich dieser Linie liegt, soll Portugal erhalten, alles, was westlich liegt, Spanien. Der Vertrag von Tordesillas lässt andere Seefahrernationen wie Frankreich oder England leer ausgehen. Die sind zu dieser Zeit aber auch noch kleine Player auf dem Meer im Vergleich zur Supermacht Spanien. Spanien schifft Anfang des 16. Jahrhunderts geraubtes Gold und andere Reichtümer in Massen aus der sogenannten Neuen Welt ins Mutterland, fast unbemerkt vom Rest Europas, aber eben nur fast. 1523 überfällt der französische Seemann und Freibeuter Jean Fleury kurz vor der portugiesischen Küste drei spanische Karavellen. Er vermutet auf den Schiffen Tabak oder Zucker. Was er tatsächlich vorfindet, ist Gold, und zwar in unermesslichen Mengen. Auf den Schiffen befindet sich nämlich der Schatz des Aztekenkönigs Montezuma, von Spanien geraubt unterwegs zum spanischen König Karl dem I. Über den Untergang der Azteken und andere Indigene in Südamerika haben wir ein Video gemacht. Das findet ihr oben auf dem "I". Die Nachricht von Gold auf spanischen Schiffen verbreitet sich rasant. Schon bald zieht die Atlantikroute Piraten an wie Fliegen. Und nicht nur sie. Auch die Machthabenden in England und Frankreich denken sich: Wenn Piraten den spanischen Handel stören und Schiffe ausrauben, kann es uns nur recht sein. Manch ein Herrscher geht sogar so weit und stattet die Piraten mit Kaperbriefen aus. Einem Dokument, das offiziell erlaubt, gegnerische Schiffe zu überfallen, staatlich lizensiert, Piraten als Handlanger. Dieser Aspekt zieht sich durch die ganze Geschichte der Piraterie. Aus Piraten werden Freibeuter, auch Kaperfahrer genannt. Und das eben ... na ja, so halb legal, sagen wir. Einer der bekanntesten Freibeuter ist Sir Francis Drake, so gut in seinem Job, dass Königin Elizabeth die I. ihn später in den Adelsstand erhebt. Drake wird das Handelsmonopol der Spanier durch Bestechung und Raub umgehen. Nachdem die Spanier ihn und seinen Cousin fast versenken, hasst er sie bis aufs Blut, und er will Rache. Er legt sich kleine Boote zu mit wenig Tiefgang. So kann er bis an die Küste heranfahren und sich in Buchten verstecken. In seine Dienste nimmer er Kleinkriminelle aber auch entlaufene Sklaven auf. Leute, die den gleichen Hass auf Spanier haben wie er. Um 1570 plündert er zahlreiche Kolonialhäfen in Amerika. Als reicher Mann kehrt er in seine englische Heimatstadt Plymouth zurück und lässt sich als Kaufmann ins Register eintragen. 1577 sticht er noch einmal zur See. Diesmal gesponsert von einigen Adligen und der Queen höchstpersönlich. Offiziell heißt es, er solle nach Ländern suchen, die als Absatzmärkte für die Erzeugnisse der Gebiete Ihrer Majestät geeignet sind. Die meisten Historiker sind sich einig, Elizabeth hat Drake ausdrücklich beauftragt, Gold und Silber der Spanier zu plündern. Kleiner Spoiler: Drakes Tour bringt allen Sponsoren einen Profit von sage und schreibe 5.000 Prozent. Er segelt um die Südspitze Südamerikas und überfällt die überraschten Spanier an der Westküste, dort wo heute Chile, Peru und Ecuador liegen. Er kapert die Frachten, brennt spanische Schiffe ab, plündert die Siedlungen, er tötet. Und für den Rückweg wählt er den Pazifik und umsegelt so als erst zweiter Mensch die Erde. Mit 26 Tonnen Silber, zahlreichen Kisten voller Juwelen und Gold ist sein Schiff eine schwimmende Schatzkammer, als es 1580 England erreicht. Rund 100 Jahre später befinden wir uns im Goldenen Zeitalter der Piraterie, also der Zeit um 1700. Vor allem in der Karibik. Hier sammeln sich landlose, desertierte Matrosen, entlaufene Sklaven und Knechte. Menschen, die nichts zu verlieren haben. Es treiben sie der Hunger und die Perspektivlosigkeit, frei nach dem Motto: Etwas Besseres als den Tod findest du überall. Sie siedeln sich an in den berüchtigten Piratennestern auf Jamaika. Henry Morgan ist einer von ihnen. Er ist ein Freibeuter, der seine englischen Kaperbriefe nach eigenem Gutdünken interpretiert. Er ist charismatisch und grausam. Attribute, die auf viele berühmte Piraten zutreffen. Vor seinen Beutefahrten ruft er eine Crew aus Freiwilligen zusammen und bestimmt die Articles of Agreement, eine Art Vertrag oder Piratenkodex, in dem die Regeln an Bord und die Aufteilung der Beute festgeschrieben wird. Dabei gilt: No prey, no pay. Kein Lohn ohne Beute. Morgan hat einige interessante Wendungen im Lebenslauf. Sein größter Coup ist nicht zu Wasser, sondern auf dem Land. 1671 plündert er Panama-Stadt. Er wird festgenommen, in England aber begnadigt und sogar geadelt, um dann als Vizegouverneur von Jamaika für Recht und Ordnung zu sorgen, sprich, Piraten zu vertreiben. Nicht durch Zufall ist er heute Namensgeber einer Rummarke. Als starker Trinker stirbt er an Leberversagen. Alkoholsucht ist eine Berufskrankheit der Piraten. An Bord wird das Trinkwasser in den Holzfässern schnell eine ungenießbare Plörre. Das Hauptgetränk ist tatsächlich Rum. Ein weiterer Kultpirat und wahrscheinlich ebenso Alkoholiker ist Edward Thatch. Aufgrund seines langen schwarzen Bartes bekannt als Blackbeard. Zweifellos hat er einen Hang zur Dramatik. Beim Entern bindet er sich brennende Lunten in seinen Bart. Allein sein Antlitz verbreitet Angst und Schrecken. Sein Ende ist zwar nicht der Alkohol, aber nicht weniger grausam: Die Royal Navy spürt ihn auf, erschießt und köpft ihn. Das Leben der meisten Piraten ist kurz, endet im Kampf oder durch Todesstrafe. Seeräuber rechnen nicht mit einem entspannten Ruhestand und verprassen ihr Raubgut daher lieber in den Spelunken und Bordellen der Karibik. An Bord sind Frauen in der Regel verboten. Aber es gibt auch sie: Piratinnen, die ihren Kollegen in krimineller Energie in nichts nachstehen. Anne Bonney zum Beispiel. Man muss aber sagen, die Quellenlage zu ihr ist sehr dünn. Nach allem, was bekannt ist, kämpft Anne Bonney als Mann verkleidet an der Seite ihres Geliebten Kapitän John "Calico" Rackham. Dazu soll sie eine Beziehung zu einer anderen Piratin gehabt haben: 1720 wird Anne Bonney geschnappt und zum Tode verurteilt, kann aber der Hinrichtung entgehen, weil sie schwanger ist. Sie verschwindet spurlos und wird nie wieder gesehen. Etwa zur gleichen Zeit verändert sich die politische Weltlage. Die Großmächte setzen auf Handel, nicht mehr auf Raub. Piraten haben ausgedient. Gut ausgerüstete Kriegsschiffe jagen die Seeräuber regelrecht durch die Meere. An Land bekommen es die Piraten dazu noch mit Kopfgeldjägern zu tun. Sie verlieren ihre Rückzugsorte. Gouverneure in der Karibik setzen auf Abschreckung. So manch eine Piratenleiche hängt gut sichtbar an der Hafeneinfahrt. Spätestens 1856 hat die Kaperei dann offiziell ein Ende. In der Pariser Seerechtsdeklaration erklären Frankreich, England und die USA den Seeraub im staatlichen Auftrag für abgeschafft. Bartholomew Roberts ist der letzte große Kapitän des Goldenen Zeitalters. Als einfacher Seemann zur Piraterie gezwungen blüht er in seinem neuen "Job" auf. In nur vier Jahren kapert er wohl mehr als 400 Schiffe. Seine Navigationskünste sind legendär. Er kann anhand von Sternen seine genaue Position bestimmen. Zur schillernden Figur macht ihn auch seine Art. Er ist immer bestens gekleidet. Auch im Kampf trägt er Samt und Seide. Er leistet sich ein Orchester an Bord. Sein Flaggschiff nennt er stets Royal Fortune, egal, welches es grade ist. Und sein liebstes Getränk ist Tee. Als ihn 1722 die britische Royal Navy fasst und im Kampf tötet, werfen ihn seine Männer gut gekleidet und mit Juwelen ins Meer. Mit seinem Tod und dem Prozess gegen seine Crew, das Orchester wird freigesprochen, endet das Goldene Zeitalter. Es beginnt aber etwas anderes: die Verklärung der Piraterie. Die berüchtigten historischen Piraten sind vor allem eins: Schurken oder auch Schurkinnen. Sie rauben, sie töten, sie brandschatzen, sie vergewaltigen und sie versklaven. Aber oft werden Piraten romantisiert, in Büchern oder in Filmen. Vielleicht habt ihr auch, genau wie ich, über die eine oder andere erzählte Anekdote geschmunzelt. 1724 erscheint das Buch: "A General History of the Robberies & Murders of the Most Notorious Pirates", eine allgemeine Geschichte der Räubereien und Morde der berüchtigsten Piraten. Geschrieben von einem gewissen Captain Charles Johnson, ein Pseudonym. Man weiß nicht, wer sich dahinter versteckt. Das Buch beansprucht, die Wahrheit über das Piratenleben im Goldenen Zeitalter zu berichten und ist die Grundlage für so manches Klischee. Was Fakt ist und was Fiktion ist, kann man heute nicht mehr klar sagen. Das Buch ist jedenfalls ein Bestseller. Schon im 18. Jahrhundert verkaufen sich True Crime Stories extrem gut, so wie heute. Geschichten von Antihelden faszinieren. Das macht die Piraten sehr populär. Bis heute. Aus Geschichten werden Legenden. Und aus Legenden gerne Hollywoodfilme. Oder Streaming-Produktionen. Mit diesem romantischen Hollywood-Bild von Piraten hatten die damaligen Seeräuber wohl wenig zu tun. Und die heutigen Seeräuber noch viel weniger. Denn Piraten gibt es immer noch. Aktuell ist etwa der Golf von Guinea ein gefährliches Pflaster. Genau dort, wo vor 300 Jahren Roberts sein Unwesen trieb. Und wie früher kommt es auch zu militärischen Operationen gegen Piraterie. Etwa vor der Küste Somalias mit der EU-Operation "Atalanta", bei der sich auch Deutschland beteiligt. Moderne Piraten sind mit kleinen wendigen Schnellbooten unterwegs und nicht mit Entersäbeln, sondern mit Sturmgewehren bewaffnet. Aber auch sie sind meist von der Not getriebene Menschen, die in Kriminalität abdriften, wegen der Armut. Nicht ohne Grund kommen viele Piraten aus einigen der ärmsten Ländern der Welt. Piraten finden sich, und das ist wichtig zu erkennen, damals wie heute vor allem dort, wo es keine klaren Machtstrukturen gibt, wo Krisen oder Kriege herrschen und es Menschen an Perspektiven fehlt. Genau das wusste schon Pompeius. Was denkt ihr denn: Werden Piraten eurer Meinung nach heute noch zu sehr verklärt, weil die Hintergründe selten thematisiert werden? Findet ihr's okay, wenn Kinder sich als Piraten verkleiden? Ist es daneben oder zu viel Political Correctness? Disclaimer: Ich hab mich früher auch oft als Pirat verkleidet. Hier gibt's ein Video von "Terra X" über die Korsaren. Und darunter ein Video von unserem Kanal, da geht es um die Eroberung Amerikas durch die Europäer. Ich sag: Vielen Dank fürs Zuschauen. Und bis zum nächsten Mal.