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Natürliche Selektion und ihre Formen

In diesem Video werden wir uns angucken, auf welche Weise die natürliche Selektion wirksam sein kann. Das Video ist eingebettet in eine Videoreihe zum Thema Evolution. Bereits aus dem ersten Video kennt ihr den Begriff der natürlichen Selektion, einen ganz zentralen Begriff im Kontext der Evolution. Unter natürlicher Selektion versteht man den unterschiedlichen Fortpflanzungserfolg verschiedener Phänotypen einer Population, der die Veränderung der genetischen Struktur dieser Population bewirkt. Populationen weisen eine genetische Variabilität auf. Das heißt, trotz großer Übereinstimmung im genetischen Material unterscheidet es sich zwischen den Individuen. Dadurch variieren auch ihre Phänotypen, das heißt ihr äußeres Erscheinungsbild. Und dadurch wiederum sind einige Individuen besser an ihre Umwelt angepasst als andere und haben entsprechend höhere Überlebens-und Vollpflanzungschancen. Natürliche Selektion ist der wichtigste Evolutionsmechanismus, der zu einer Veränderung der genetischen Struktur einer Population führt. Um ein Beispiel zu nennen. Die Fähigkeit zur Echo-Ortung erlaubt es Fledermäusen, auch in kompletter Dunkelheit fliegende Insekten auszumachen und zu erbeuten. Als Reaktion darauf haben viele Gruppen nachtaktiver Fluginsekten, wie zum Beispiel Nachtfalter, die Fähigkeit entwickelt, die Ultraschalllaute von Fledermäusen wahrzunehmen, um zu vermeiden, von ihnen erbeutet zu werden. Nachtfalter, denen es am besten gelingt, die Fledermäuse zu hören und zu meiden, haben einen Selektionsvorteil gegenüber ihren Artgenossen. Unter solchen Bedingungen nimmt die Häufigkeit einer vorteilhaften Erbanlage in der Population von Generation zu Generation zu. Die genetische Struktur der Population verändert sich also. Die natürliche Selektion geht auf den Naturforscher Charles Darwin zurück. Eng gekoppelt daran ist auch sein Satz Survival of the fittest. Das Überleben des am besten Angepassten. Aber was bedeutet am besten Angepassten? Häufig begünstigt die besondere Ausprägung eines Merkmals den Fortpflanzungserfolg. Je größer die Mähne eines Löwen, desto höher seine biologische Fitness. Die langen Hörner der Rinderrasse Texanisches Longhorn suggerieren es ebenfalls. Dieses Merkmal wird begünstigt, weil sich lange Hörner als vorteilhaft erweisen, um sich vor Angriffen von Prädatoren, also Fressfeinden, zu schützen. Je ausgeprägter das Merkmal zur Echo-Ortung bei Fledermäusen und ihren Beuteinsekten ist, desto höher sind ihre jeweiligen Fortpflanzungs-und Überlebenschancen. Wahrscheinlich ein Grund, warum immer wieder Survival of the Fitches mit Überleben, das am stärksten übersetzt wird. Ein Trugschluss. Es existiert eine Vielzahl von Beispielen in der Natur, die beweisen, dass auch Merkmale, die durchschnittlich ausgeprägt sind, einen Selektionsvorteil haben gegenüber einer extremen Ausprägung eines Merkmals. Die natürliche Selektion kann also auf unterschiedliche Weise wirksam sein. Es lassen sich drei Formen voneinander unterscheiden. Die stabilisierende Selektion, die gerichtete Selektion und die aufspaltende bzw. disruptive Selektion. Um die Wirkweise dieser Form nachzuvollziehen, eignet es sich, sich anzugucken, wie sich die biologische Fitness in Abhängigkeit zur phänotypischen Ausprägung des Merkmals verändert. Die Mitte dabei stellt den Durchschnitt des jeweiligen phänotypischen Merkmals dar. Beispielsweise geht es um das Merkmal Körpergröße. Links auf der x-Achse liegen Individuen mit einer weit unter dem Durchschnitt liegenden Körpergröße, weit rechts vergleichsweise sehr große Individuen. Bei der stabilisierenden Selektion weisen eher dem Durchschnitt entsprechende Individuen die höchste biologische Fitness auf. Die Folge ist, dass sich über Generationen hinweg die Variabilität verringert. Das heißt, extreme Abweichungen vom Durchschnitt werden nicht begünstigt. infolge der geringeren biologischen Fitness. Dennoch bleibt der Durchschnitt gleich. Wenn beispielsweise die kleinsten und die größten Individuen einer Population weniger nachkommen zur nächsten Generation beisteuern als eher durchschnittlich große Individuen, dann wirkt die Selektion stabilisierend auf das Merkmal Körpergröße ein. Die stabilisierende Selektion verringert also die Variabilität. Sie ist recht häufig in der Natur wirksam und trägt entscheidend dazu bei, die Variabilität, die in einer Population durch Mutationen, sexuelle Rekombinationen oder Genfluss entsteht, einzudämmen. Durch die eben genannten Evolutionsfaktoren, ausführlich besprochen in einem weiteren Video, wird die genetische Variabilität deutlich erhöht und auch die Entstehung sehr variabler Phänotypen begünstigt. Dennoch weisen viele Arten nur eine geringe Rate an phänotypischen Veränderungen auf. Eben weil die Selektion stabilisierend einwirkt. Um bei der Größe als Merkmal zu bleiben. Auf das menschliche Geburtsgewicht wirkt die Selektion stabilisierend. Trotz enormer medizinischer Fortschritte weisen Babys, die entweder schwerer oder leichter als das Durchschnitts-Babygewicht sind, eine deutlich erhöhte Sterberate auf. Der Perfs als Lehrbuchklassiker definiert die stabilisierende Selektion sehr gut. Sie erhält die durchschnittlichen Merkmale einer Population aufrecht, indem sie durchschnittliche Individuen begünstigt. Auch wenn diese Form der Selektion häufig vorkommt, es kann auch sein, dass Individuen mit einer extremen Ausprägung eines Merkmals die höchste biologische Fitness aufweisen, wie die Beispiele eingangs des Videos gezeigt haben. Was die Beispiele nicht gezeigt haben, extrem bedeutet nicht zwangsweise überdurchschnittlich ausgeprägt. Es kann auch Fälle geben, in denen ein weit unterdurchschnittlich ausgeprägtes Merkmal ein Selektionsvorteil für ein Individuum darstellt. Zum Beispiel gibt es bei den afrikanischen Elefanten im Serengeti-Nationalpark eine negative Korrelation zwischen der Länge der Stoßzähne und der biologischen Fitness. Ein negativer Zusammenhang dieser beiden Größen also. Je kleiner die Hörner, desto größer die biologische Fitness. Was erstmal wenig plausibel klingt, Stoßzähne sind schließlich überlebensnotwendig und ein wichtiges Mittel zur Verteidigung und auch als Werkzeug. Dieser Selektionsvorteil, also Stoßzähne zu haben, kehrte sich allerdings rasch in einen Selektionsnachteil um. Aufgrund massiver Wilderei und dem Handel von Elfenbeinen, aus dem die Stoßzähne bestehen, dezimierte sich in den 1970er und 80er und 90er Jahre nicht nur der Bestand an afrikanischen Elefanten stark, Vor allem bei den Elefantenkühen stieg der Anteil derer, die keine Stoßzähne besitzen, stark und liegt bei ca. 50%. Ein eindrucksvoller Beleg dafür, wie groß der Selektionsdruck auf Elefanten mit Stoßzähnen ist. Der ursprüngliche Selektionsnachteil für Elefanten, durch eine Mutation ohne Stoßzähne aufzuwachsen, wurde in einer von Wilderei geprägten Umwelt schnell zu einem Selektionsvorteil, sodass dieses Merkmal begünstigt wurde. Die Konsequenz einer derartigen, ein extrem begünstigende Selektion ist, dass es zu einem Evolutionstrend hin zu diesem Extrem kommt. Wie eben, dass solche Elefanten mit keinen oder sogar ganz fehlenden Stoßzähnen einen Selektionsvorteil und entsprechend die höchste biologische Fitness aufweisen. Deutlich seltener als die gerichtete und stabilisierende Selektion ist die sogenannte disruptive Selektion. Doch auch sie existiert. Bei einer disruptiven Selektion weisen Individuen beider Extreme eines phänotypischen Merkmals eine hohe biologische Fitness auf. Sie tragen mehr Nachkommen zur nächsten Generation bei als solche, die eher dem Durchschnitt entsprechen, wodurch sich die Variabilität in einer Population erhöht. Eine solch disruptive Selektion wirkt auf eine westafrikanische Prachtfinkenart ein. Hauptnahrungsquelle bilden zwei Sauergräserarten, wobei die Samen einer Art hart sind und die andere Art weiche Samen hervorbringt. Während Vögel mit großen Schnäbeln gut die harten Samen der einen Sauergrasart knacken können, können sich Vögel mit kleineren Schnäbeln gut von den weichen Samen der anderen Art ernähren. Vögel aber, deren Schnabel deutlich von den beiden vorherrschenden Schnabelgrößen abweicht, also mittelgroße Schnabel besitzen, können keine der beiden Samenformen effizient nutzen und haben entsprechend die geringste Überlebenschance. Während bei der gerichteten und stabilisierenden Selektion nur eine Merkmalsausprägung begünstigt wird und sich diese Merkmalsausprägung entsprechend häufig in der Population durchsetzt, führt die disruptive, aufspaltende Selektion zu einer sogenannten bimodalen, zweigipfligen Verteilung des jeweiligen Merkmals. Im Extremfall kann die disruptive Selektion dazu führen, dass aus einer Population zwei unterschiedliche Arten entstehen. Im Video zur Artbildung habe ich dies ausgeführt. Auch lege ich euch sehr ans Herz, ein weiteres Video zu konkreten Anwendungsaufgaben zu den Selektionsformen zu gucken. Ihr könnt euch sicher sein, dass in fast jeder Evolutionsklausur auch Anwendungsaufgaben zu den Selektionsformen drankommen. und ihr aus dem euch gegebenen Beispiel begründet ableiten müsst, um welche Form der Selektion es sich handelt.