Mein Name ist Barbara Fain. Ich bin Rektorin der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik. Im Roundtable nehmen wir aktuelle bildungspolitische Themen auf und diskutieren sie mit Wissenschaft, Politik und Praxis. Elisabeth Moser-Opitz, du bist Professorin für Sonderpädagogik an der Uni Zürich mit Fokus auf Bildung und Integration.
Du sagst, Zitat, In Kleinklassen schaukeln sich schwierige Kinder gegenseitig hoch. Kontraproduktiv für deren Entwicklung und eine riesige Belastung für die Lehrperson. Wenn ich jetzt die Forschungsergebnisse anschaue, dann zeigen die einfach sehr klar, dass Gruppen von Kindern mit denselben Schwierigkeiten, sei es jetzt massive Lernschwierigkeiten, sei es Verhaltensschwierigkeiten, dass das nicht dazu beiträgt, deren Probleme zu lösen. Das heisst, ich würde sagen, es ist einfach eine Problemverschiebung.
Dennis Hövel, du leitest hier an der HFH das Institut für Verhalten, Sozioemotionale und Psychomotorische Entwicklungsförderung. Du sagst, Kinder mit Verhaltensproblemen brauchen vor allem den Kontakt mit nicht belasteten Gleichaltrigen. Auch dazu. kann man aus der Forschung gerade eine aktuelle Studie angriffen, die polnische Kollegen gemacht haben. Sie haben die Frage gestellt, was kommt eigentlich oder was passiert mit den Kindern und Jugendlichen, die inklusiv beschult werden, zusammen mit Kindern mit Bedarfen, auch Kinder mit auffälligem Verhalten.
Und zwar, wie profitieren die davon im Lesen, Schreiben und Rechnen? Die Kinder ohne Förderbedarf profitieren sogar im Lesen, Schreiben und Rechnen. wenn sie gemeinsam mit Kindern mit Förderbedarfen unterrichtet werden.
Jasmin Bourgeois, du bist Zürcher Gemeinderätin und mit dem politischen Hut hier am Tisch. Du sagst, die schulische Integration geht häufig auf Kosten normal begabter Kinder. Soziales Lernen findet nicht primär in der Mathe-oder Deutschstunde statt.
Ich frage ganz knapp, ja wo dann? Soziales Lernen findet überall statt, in unserem Alltag, auf dem Pausenhof. Und natürlich auch in der Unterrichtsstunde, klar. Aber wo sie miteinander agieren, das ist vor allem auf dem Pausenplatz. Auch in der Regelklasse wiegen sich die verhaltensauffälligen Kinder gegenseitig auf.
Und vielleicht stecken sie sogar noch andere an. Christian Hugy, du bist Präsident des Zürcher Lehrerinnen-und Lehreraufwands und Unterstufenlehrer in der Stadt Zürich. Jede Schule braucht eine Schulinsel, um die Lehrpersonen niederschwellig entlasten zu können, sagst du. Warum?
Ja, das sage ja nicht nur ich, sondern ich vertrete den Zürcher Lehrerin-und Lehrverband. Wir haben uns intensiv auseinandergesetzt mit Rückmeldungen von Lehrerinnen und Lehrern, was sie als belastend empfinden im Schulalltag. Es sind vor allem Kinder, die mit dem Verhalten auffallen im Unterricht. Es sind aber auch die verschiedenen Ansprüche.
Der Integration und der Individualisierung. An der Integration, so wie es im Moment ist, wird vermutlich festgehalten und es macht auch Sinn, darauf deuten Forschungsergebnisse hin, wie also können wir die Schulen befähigen, tragfähiger zu werden oder Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler in solchen Situationen besser zu unterstützen. Und das ist der Lösungsvorschlag, der uns überzeugt hat. Jemand, der in der Praxis mit Schulinseln zu tun hat, ist Markus.
Reichlin, Markus, du hast auch einen breiten Rucksack, du bist Psychologe, warst Lehrer, bist schulischer Heilpädagoge und leitest eben die Schulinsel in Feldmeilen. Schulinseln allein sind nicht die Lösung. Es braucht ein gemeinsam verantwortetes Fallmanagement. Sagst du, kannst du mal in groben Zügen schildern, was du damit meinst?
Also wenn Kinder in der Regelklasse stören oder nicht gut funktionieren, dann können sie nicht auf der Schulinsel abgegeben werden, dann werden sie repariert und dann kommen sie dann wieder fit zurück. So einfach ist die Meccano natürlich. nicht, sondern es braucht hier eine gute Zusammenarbeit, auch die Bereitschaft, vielleicht Zeit für Besprechungen zu investieren, um dann den Weg zu finden, wie das Kind sich beruhigen kann, wie es sich wieder integrieren kann.
Pritzi, du bist Grossrätin im Kanton Aargau und du sagst, wir brauchen qualifizierte Lehrpersonen und heilpädagogisches Know-how in den Regelklassen. Ich frage mal ein bisschen frech, ist das nicht Standard bei euch im Aargau? Nein, also aktuell arbeiten sehr viele Lehrpersonen ohne entsprechende Qualifikation, so wie sehr viele schulische Heilpädagoginnen und Heilpädagogen ohne Ausbildung.
Ein Drittel der Heilpädagoginnen und Heilpädagogen sind im Aargau ausgebildet. Die anderen haben keine Ausbildung, arbeiten trotzdem als SHP. Es braucht qualifizierte Personen, weil die dann wirklich auch unterstützen können.
Was wir brauchen, sind Lehrpersonen und Heilpädagoginnen, die qualifiziert sind im Umgang mit Heterogenität. Und es braucht Zusammenarbeit, es braucht Zeitgefässe für den Austausch, für Fallbesprechungen. Und es braucht eine hervorragende Schulleitung, die das Ganze auch koordiniert. Was wir in einer unserer Studien herausgefunden haben, ist, dass das Klassenmanagement der Lehrperson eine Rolle spielt. Also je besser die Klassenführung der Lehrperson, desto höher ist die soziale Akzeptanz auf Klassenebene.
Es gibt ja nicht nur Schwarz und Weiss, schon gar nicht im Kanton Zürich. Wir haben bereits Kleinklassen und es gibt durchaus Situationen, wo eine Separation... nicht nur nötig ist, sondern auch sinnvoll sein kann für das betroffene Kind.
Und da sollten wir uns auch nichts vormachen. Es gibt Kinder, für die ist die Regelklasse nicht der richtige Ort. Ein typisches Beispiel.
Ja, weil dort einfach zum Beispiel zu viele andere Kinder sind. Also es gibt Kinder, die blühen in Kleingruppen besser auf und können dort auch sich so dem Lernen zuwenden, wie das sein soll. Also ich stehe mir bereit mit Christian, dass es irgendwo der Punkt ist, wo man sagt, man kann ein Kind nicht mehr integrieren.
Ich meiner Ansicht nach braucht es hier aber einen Vorlauf, eine gute Zusammenarbeit, dass man sagen kann, wir haben ausgeschöpft, was möglich ist. Und dann macht auch eine Separation Sinn, ob das eine Kleinklasse ist oder eine externe Lösung. kann man dann schauen, was das Beste ist. Die Gemeinden können selber entscheiden, welches Modell sie wollen. Es ist immer aber der Grundsatz Integration vor Separation.
Zum Teil sind das strukturell gewachsene Strukturen mit diesen Kleinklassen, die gibt man nicht auf. Wenn ein Platz frei wird, wird er wieder besetzt. Man hat genug Ressourcen, um Kleinklassen zu bilden.
Man hätte sie, man müsste sie einfach anders konzentrieren. Eben in solchen Kleinklassen oder Förderklassen oder Schulinseln oder wie man das dann nennt. Ich denke, man vermischt zu sehr diese Systeme.
Also im Moment, der Kanton Zürich setzt ja sehr auf diese Integration. Und das ist einfach in den Köpfen drin. Und dann noch zusätzlich eine Kleinklasse zu bilden, ja, das ist dann schwierig, wenn man noch mehr Ressourcen braucht.
Dann pumpt man noch mehr in dieses System rein. Aber ich denke, wenn man solche Kleinklassen oder Vierterklassen hat, dann entfällt ein grosser Teil an Koordinationsaufwand. Dieser Koordinationsaufwand...
der kann wieder in die Arbeit mit der Klasse, für die Klasse gesteckt werden. Dieses multiprofessionelle Zusammenarbeiten, was wir an vielen Stellen gerade schon stark gemacht haben. Elisabeth hat gesagt, wenn die SAPs dabei sind, haben wir positive Effekte. Aus dem Aargau, wo wir gehört haben, überall da, wo Zusammenarbeit geschaffen wird, das sind eigentlich die Punkte, wo dieses Multifaktorielle, also nicht nur Sachen des Kindes, sondern auch des Umfelds, der Eltern, der Lehrpersonen, der Mitschülerinnen und Mitschüler, die mit drin sind.
Was sind die Bedarfe, dass das adressiert werden kann? Es ist klar, also im ersten Moment, wir leisten hier Entlastung. Wir nehmen Kindern auch ohne grosse Diskussionen einmal entgegen, aber wir machen immer Nachbesprechungen, um zu schauen, was hat dazu geführt. Wir nehmen es ins interdisziplinäre Team.
Dann geht es darum, was war der Auslöser, was könnten wir am ganzen ändern, probieren das zu entschärfen. Ist es mal eine Zeit lang wirklich immer eben eine fixe Stunde, in der das Kind... nicht in der Klasse ist.
Und verblüffend ist einfach, dass sich oft auch so schwierige Situationen wieder auflösen. Das heisst nicht, dass sie für immer aufgelöst sind, da bin ich nicht blauäugig. dass das Intervall dazwischen länger wird, eine Therapie eingesetzt wird, mit den Eltern gesprochen wird, das löst schon etwas aus. Ein Problem ist ja häufig, dass man überall ein bisschen versucht, etwas zu verändern.
Und ich finde es wichtig, mal zu schauen, welches ist die schwierigste Situation. Und dann mal zu überlegen, was könnte ich jetzt hier machen? Ich kann mich an eine Klasse erinnern, irgendwie sieben verhaltensauffällige Jungen. Morgen Anfang im Schulzimmer war immer Chaos.
Und dann haben wir begonnen, dafür ein System zu machen. Die Kinder kommen rein, Aufgaben müssen sie nicht abgeben, sie gehen mal ans Pult und malen. Und dann ging das mit Ritualen so weiter.
Ein Punkt, der sehr entlastet bei den Kindern, ist die Stärkung der Kompetenzen der Kinder. Dann können sie sich auf unterschiedliche Situationen, Gruppen, Lehrpersonen einstellen. Es gibt ja gerade im Schulverlauf.
Jede Menge unterschiedliche Lehrpersonen, was denen wichtig ist, was für fachliche Anforderungen gestellt werden und die Stärkung ihrer sozial-emotionalen Kompetenzen. Gerade auf diesem Punkt, den ihr jetzt mit drin habt, aggressives Verhalten, ADHS, zeigt sich sehr in der Forschung, in den Meta-Analysen, die effektivsten Maßnahmen zur Förderung und Unterstützung dieser Kinder finden in der Klasse statt. Also gerade als Bildungspolitikerin ist es mir wichtig, dass man auch auf...
Kantonaler Ebene sich überlegt, was braucht das System? Nicht nur, was müssen jetzt die Lehrpersonen noch zusätzlich tun oder was müssen sie jetzt auch noch koordinieren. Und was braucht es?
Meiner Ansicht nach braucht es gerade auf kantonaler Ebene zum Beispiel verstärkte Unterstützung im Bereich Beratungsdienst, dass zum Beispiel der SPD mehr auch vor Ort ist, die Schulen bei der Bewältigung von herausfordernden Situationen unterstützt. Was wir aber nicht vergessen dürfen, die sind dann in dieser Lerninsel. Die Klassenlehrpersonen müssen dann trotzdem wieder darum bemüht sein, dass sie den Schulstoff, den verpassten, nachholen und, und, und.
Also es ist nicht so einfach. Es ist auch wieder Koordinationsarbeit, Absprache. Aber was wir dabei vergessen, sind eben die Kinder mit Lernschwierigkeiten.
Die vergessen wir in unserer Diskussion. Für die sind dann vielleicht eben diese Lerninseln nicht das Wahre. Also ich denke, es hat sich halt auch...
gesellschaftlich einiges verschoben in den letzten Jahren. Ich denke, die Frustrationsregulation oder die Inhibition, also rechtzeitig stoppen zu können, ist ein grosses Thema geworden. Unter anderem auch, weil Kinder heute in den Familien ganz eine andere Rolle spielen, oft im Zentrum stehen vom familiären Geschehen und dann aber in einer Klasse, in einer Gruppe kommen mit ganz vielen solchen Kindern und Wo es ja dann darum geht, einer von vielen zu sein und nicht immer gerade als Erste oder als Erster dran zu kommen.
Und das kann auch zu solchen Störungen im Verhalten führen, die dann für eine Klassensituation schwierig sind und manchmal eben auch zu einer Eskalation kommen kann, wo eine kleine Auszeit mit dem Ziel, möglichst schnell wieder in der Klasse zu sein, aber durchaus hilfreich sein kann. Wir wollen alle das Gleiche. Praxis.
Wissenschaft und auch die Politik, die Tragfähigkeit unserer Schulen ist ganz, ganz wichtig. Und ist das Wichtigste überhaupt für die Gesellschaft von heute und von morgen. Ich glaube, die Diskussion muss weitergeführt werden.
Sie ist nicht hier zu Ende. Es hat so viele Aspekte. Wir werden diese in irgendeiner Art und Weise auch weiterführen. Danke vielmals.
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