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Der Naturalismus in der Literatur

Du glaubst, als Künstler braucht man Talent und Kreativität? Falsch gedacht! Kunst ist ein Handwerk, das jeder lernen kann.

Das Geheimnis verbirgt sich in einer einfachen Formel. Kunst ist gleich Natur minus X. Dachten jedenfalls die Naturalisten.

Was diese Gleichung bedeutet, erfährst du im folgenden Video zur literarischen Epoche des Naturalismus. Die Literatur-Epoche des Naturalismus lässt sich auf die Jahre 1880 bis 1900 datieren. Das deutsche Kaiserreich befand sich damals im Umbruch. Zwei Kaiser verstarben in kurzer Zeit.

Dann bestieg Wilhelm II. den Kaiserthron. Der langjährige Reichskanzler Bismarck trat 1890 zurück. Der junge Kaiser wollte sein Reich durch eine neue, aggressive und imperialistische Außenpolitik zu einem Platz an der Sonne führen. Die damalige Lebenswelt der Menschen wandelte sich einerseits rasant, zum Beispiel durch technische, industrielle und wissenschaftliche Neuerungen.

Andererseits stagnierte die Gesellschaft auch. Viele Arbeiter schufteten in den neu entstandenen Fabriken, lebten aber mit ihren Familien aufgrund des niedrigen Lohnniveaus in elenden, prekären Verhältnissen. Die soziale Frage drängte sich auf.

Die Politik blieb konservativ und militaristisch. Die Menschen hatten zunehmend den Eindruck, in krisenhaften und unsicheren Zeiten zu leben. Das war der Beginn der Moderne.

Die naturalistischen Schriftsteller folgten den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ihrer Zeit und lehnten Religiosität ab. Sie waren überzeugt von der Determination, also der Fremdbestimmung des Menschen. Willensfreiheit existiere nicht. Der Mensch sei in seinem Handeln festgelegt durch Vererbung, Herkunft, Umfeld und Zeitumstände.

Es sei Aufgabe der Politik, für eine Verbesserung der Arbeits-und Lebensbedingungen zu sorgen. Die Naturalisten planten vor diesem Hintergrund eine Literaturrevolution. Die Kunst dürfe die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht beschönigen oder verzerren, sondern müsse diese eins zu eins abbilden. Daher die von Arno Holz erfundene Formel Kunst ist gleich Natur minus X.

Es sei unmöglich, die Realität in der Literatur vollkommen authentisch einzufangen, da der Autor als vermittelnder und gestaltender Faktor nötig sei. Seine künstlerischen Gestaltungsmittel werden durch das X bezeichnet. Man suchte also neue literarische Wege, um das X möglichst klein zu halten und so der Realität möglichst nahe zu kommen. Mit dem Sekundenstil strebten die Autoren epischer Texte nach einer exakten, protokollartigen Wiedergabe der Handlung oder eines Gesprächs mit allem, was dazugehört. Mit Stottern und Versprechern, mit Umgangssprache, Dialekt und Derben ausdrücken.

Sichtbar wurde dieses Bemühen auch in den ausführlichen Regieanweisungen in dramatischen Texten, zum Beispiel zur Sprechweise, zur Gestik und Mimik der Figuren sowie zum Bühnenbild. Und in der Lyrik orientierte man sich nicht mehr an gekünstelten Versmaßen, sondern am normalen Sprechrhythmus. In den naturalistischen Werken wurden erstmals Kleinbürger und Proletarier zu Trägern der Handlung. Die Schattenseiten des Lebens wurden schonungslos in den Mittelpunkt gerückt. Etwa die Lebensfeindlichkeit der Großstädte mit ihrer Anonymität und den beengten Wohnverhältnissen, die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen, Armut und Krankheit, Alkoholismus und Gewalt.

Naturalistische Texte haben somit eine gesellschaftskritische Stoßrichtung. Hier zwei Beispiele. Arno Holz und Johannes Schlaf schrieben die Erzählung Papa Hamlet. Ein arbeitsloser Schauspieler trauert seiner Rolle als Shakespeare's Hamlet hinterher.

In seinem Hochmut weigert er sich weniger ruhmreiche Rollen am Theater, geschweige denn eine andere Arbeit anzunehmen. Er lebt mit seinem kleinen Sohn und seiner kranken Frau in ärmlichen Verhältnissen. Ihr Zusammenleben ist geprägt von Verwahrlosung, Alkohol und Gewalt. Gerhard Hauptmann erhielt für seine naturalistischen Werke sogar den Nobelpreis für Literatur. Sein soziales Drama »Die Weber« dreht sich um den Aufstand der verarmten Weber in Schlesien 1844, und um dessen blutigen Niederschlag.

Das Stück sorgte für einen handfesten Skandal. Die Aufführung des Dramas wurde anfangs sogar verboten. Bekannt ist auch Hauptmanns Novelle Bahnwärter Thiel.

So, hier nochmal das Wichtigste auf einen Blick. Der Naturalismus dauerte etwa von 1880 bis 1900. Die Schriftsteller hielten die Menschen für fremdbestimmt und unfrei. Die Künstler versuchten mit neuen Mitteln die Wirklichkeit möglichst genau abzubilden. Im Zentrum der Werke stand die Verelendung der Kleinbürger und Proletarier. Die wichtigsten Autoren waren Arno Holz, Johannes Schlaf und Gerhard Hauptmann.

Vielen Dank.