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Unsichtbare Sorgearbeit

16 Minuten Staubsaugen, das macht 3,20 Euro. 22 Minuten Ausflugplan sind für 40. 35 Minuten Geschenk besorgen, 7 Euro. Und dann noch 48 Minuten Einkaufen, 9,60 Euro. Das wären dann 24 Euro für zwei Stunden Arbeit, bitte. Aber wer zahlt jetzt die Rechnung? Das bisschen Haushalt, man sieht von allein, sagt man. Das bisschen Haushalt, man sollte nicht sein, sagt man. Unser Alltag ist voll mit unsichtbarer Arbeit. Zusätzlich zu Lohnarbeit. Die Folge, Stress, Erschöpfung und, dass ich dann auch teilweise einfach unfair bin, unfair zu meinem Kind. Und insofern empfinde ich das total als sehr belastend. Ich habe, weil das so stark von dem Bild abweicht, was ich eigentlich mal als Mutter sozusagen sein und transportieren wollte. Falls ihr euch jetzt denkt, langweilig, Frauenthema, falsch. Wenn ihr dranbleibt, erfahrt ihr, warum ihr auch betroffen seid, wenn ihr keine Kinder habt. Wenn ihr Unternehmer oder Finanzminister seid. Denn wir klären jetzt, wie unsichtbare Arbeit unseren Alltag prägt und warum unsere Wirtschaft genau davon abhängt. Und ob jetzt nicht mal Zeit wäre, das auch zu bezahlen. Recap redet drüber. Morgen um sechs, der Wecker klingelt. Frühstück machen, Kind wecken, anziehen, zur Kita bringen. Auf Arbeit fahren, in der Pause einkaufen, weiterarbeiten. Kind abholen, mit Kind zum Arzt fahren, zuhause den Wäschebär in die Waschmaschine stopfen, Essen kochen. Das Handy vibriert pausenlos, weil sich die anderen Eltern in der Kita-WhatsApp-Gruppe über ungewaschene Turmbeutel aufregen. Und Upsi ist ja schon um acht und du pennst ein, während du deinem Kind die Gute-Nacht-Geschichte vorliest. Wow, bei so einem Alltag hast du ja nie Feierabend. Aber ob Eltern oder nicht, wir verbringen einen großen Teil unserer Lebenszeit mit Arbeit für andere. For free. Wo arbeiten wir denn umsonst? Ich hab mal meine Freundin Marisa gefragt, wie das so für Eltern läuft. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Leipzig, ist Journalistin und bloggt auf Instagram über Nachhaltigkeit und Familie. Sich gleichzeitig um Job und Kind zu kümmern, das stresst einfach hart. Immer dann, wenn mein Kind krank ist oder... Dann doch nochmal ein Geschäftsanruf reinkommt und gerade aber eigentlich mein Kind was von mir will. Das ist wirklich einfach extrem hart und sorgt halt auch dafür, dass sich dann so ein Average-Trends-Mörder-Münder auf den privaten Bereich überträgt. Und dass ich dann auch teilweise einfach unfair bin, unfair zu meinem Kind. Wenn wir für andere da sind, uns kümmern, das Familienleben organisieren, den Alltag regeln, den Haushalt schmeißen und so weiter, dann machen wir sogenannte Sorgearbeit, auf Englisch Care-Arbeit. Und die gibt es eigentlich in allen sozialen Beziehungen. Partnerschaften, Familien, Freundschaften, Bekanntschaften. Aber warum ist das jetzt Arbeit? Ich helfe meiner Familie und Freunden doch gern. Klar, Arbeit kann ja auch Spaß machen. Aber trotzdem kosten Fürsorge, Organisation und emotionale Unterstützung Mühe, sind oft anstrengend und können auch belastend sein. Ist also alles auch Arbeit? Für Familien wird es vor allem dann stressig, wenn die Kinderbetreuung wegfällt. Das hat uns Elise erzählt. Sie arbeitet als Referentin für Unternehmenskommunikation und ist Mutter von zwei Kindern. Gerade bei der Kita entfällt oft die Betreuung kurzfristig und wir müssen privat nach alternativen Lösungen suchen. Und auch bei der Nachmittagsbetreuung der Grundschule können wir von Glück sprechen, dass wir überhaupt einen Betreuungsplatz bekommen haben, weil der Bedarf viel, viel höher ist als das, was hier aktuell angeboten werden kann. Wer kümmert sich denn dann? Es ist ja 2023 und wir sind alle gleichberechtigt. Da ist die unbezahlte Arbeit zwischen Männern und Frauen bestimmt fair verteilt. Oder? Na ja. Väter in meinem Freundeskreis erzählen, dass sie ihre Kinderversorgung ganz fortschrittlich untereinander aufteilen. Aber komischerweise sind es dann doch die Mütter, die abends nicht mit feiern gehen können, weil sie aufs Kind aufpassen müssen. Und auch bei der Lohnarbeit sieht die Realität gar nicht mal so gleichberechtigt aus. Die Frauen bleiben zu Hause. 66 Prozent aller Mütter arbeiten in Teilzeit. Die Hans-Böckler-Stiftung hat sich das genauer angeguckt. Demnach arbeiten Männer pro Tag 5,5 Stunden bezahlt und etwas mehr als 2 Stunden unbezahlt. Und Frauen? Die arbeiten über vier Stunden bezahlt und dreieinhalb Stunden unbezahlt. Weil sie mehr Sorgearbeit machen, arbeiten Frauen also weniger im Job, verdienen natürlich auch weniger und sind so abhängig von ihrem Lebenspartner. Und später bekommen sie halt auch weniger Rente. Das ist übrigens einer der Gründe, warum Altersarmut vor allem bei Frauen so krass ist. Und wer seine Kinder allein erzieht, hat entweder wenig Geld, um die Familie zu ernähren oder wenig Zeit, um sich neben der Lohnarbeit um die Familie zu kümmern. Dazu mal kurz eine persönliche Story. Als ich geboren wurde, hat mein Papa zwei Jobs gemacht. So konnte meine Mama ihre Lohnarbeit aufgeben und die Sorgearbeit für mich und meinen kleinen Bruder machen. Zurück im Job musste sie dann gefühlt doppelt so viel arbeiten, um das finanzielle Loch in ihrer Rentenkasse wenigstens etwas auszugleichen. Allerdings betont sie immer, dass sie sich super gerne um uns gekümmert hat und es selbstverständlich findet. Aber weniger Rente bekommt sie halt leider trotzdem. Obwohl Kinder großziehen, einfach verdammt harte Arbeit ist. Arbeit, die für die Wirtschaft unsichtbar bleibt. Das zeigt zum Beispiel das BIP. Unsere Gesellschaften messen ihre wirtschaftliche Leistung hauptsächlich mit dem Bruttoinlandsprodukt, kurz BIP. Wie viele Autos werden gebaut, Computer gekauft und Klamotten verkauft. Das alles fließt ins BIP mit ein. Was nicht mitgezählt wird, unbezahlte Sorgearbeit. 2013 hat das Statistische Bundesamt ausgerechnet, dass diese Arbeit in einem einzigen Jahr einfach mal 826 Milliarden Euro zum BIP beigesteuert hätte. Das wären 30 Prozent der damaligen deutschen Wirtschaftsleistung gewesen. Wie wir diese unsichtbare Arbeit gerechter verteilen könnten, das gucken wir uns gleich nochmal an. Aber erstmal, wieso machen Frauen statistisch gesehen überhaupt so viel mehr Sorgearbeit? Antworten gibt uns eine ganz kleine Geschichte der Menschheit. Steinzeit. Männer jagen Mammuts, Frauen sammeln Bären. Genau so haben wir es gelernt. Und genau so lief's nicht. Jahrtausende lang leben die Menschen sehr gleichberechtigt. Alle kümmern sich um das Überleben der Gruppe. Erst als die Menschen sesshaft werden, entwickeln sich klassische Rollenbilder. Frauen werden viel häufiger schwanger, gleichzeitig gibt's jetzt Haus und Hof, die verteidigt werden müssen. Also führen Männer Kriege und kümmern sich um Ackerbau, während die Frauen mit Gebären und Kinderversorgung beschäftigt sind. Die Konsequenz? Männer werden gesellschaftlich mächtiger. Über die Jahrtausende hinweg entwickelt sich so der Mythos vom schwachen Geschlecht. Während der Industrialisierung verfestigen sich diese Rollenbilder. Der Mann wird mit seiner Arbeit identifiziert, die Frau mit dem Haushalt. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeiten in der DDR deutlich mehr Frauen als in der Bundesrepublik. Übrigens, diesen Unterschied zwischen Ost und West sehe ich auch in meiner Familie. Ich als westdeutsches Kind war es ja gewohnt, dass mittags nach der Schule ein warmes Essen auf dem Tisch stand. Aber mein Freund, der kommt aus dem Erzgebirge. Und für den war es völlig normal, dass beide Eltern arbeiten und es Mittagessen in der Kantine der Ganztagsschule gibt. Seit den 90ern hat sich das übrigens immer mehr in Richtung beider Arbeiten entwickelt. Aber trotzdem gibt es noch Unterschiede. Das hat uns die Ökonomin Clara Schäper vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung gesagt. Der Gender Pay Gap im Durchschnitt über alle Altersgruppen liegt in Ostdeutschland nur bei 7 Prozent, während er in Deutschland bei 19 Prozent liegt. Und in der Sorgearbeit spiegelt sich das ebenso ab. Also auch hier verbringen sowohl ostdeutsche Männer mehr Arbeit. Zuhause also mehr Zeit mit Sorgearbeit und ostdeutsche Frauen weniger als westdeutsche Frauen. Mehr Frauen, die arbeiten, wenn auch oft in Teilzeit. Dann ist doch jetzt alles gut, oder? Naja, nur weil Frauen heute statistisch gesehen mehr Lohnarbeit machen, heißt das nicht, dass sie automatisch weniger Sorgearbeit übernehmen müssen. So ist ein neues Problem entstanden, sagt die Autorin Laura Fröhlich. Da ist sozusagen eine Doppelbelastung aus Erwerbstätigkeit, Und aber die ganze Arbeit zu Hause. Die Arbeit zu Hause wurde nicht gesenkt in gleichem Maße, wie die Arbeit im Beruf gesteigert wurde. Und deshalb ist heute nochmal ein besonderer Stress dabei. Dazu kommt ein weiteres Phänomen, der sogenannte Mental Load. Damit ist die Belastung durch unsichtbare Arbeit gemeint. Laura Fröhlich erklärt das so. Wenn das Kind eine Einladung zum Geburtstag bekommt, dann muss der Transport organisiert werden, ein passendes Geschenk gekauft und eventuelle andere Termine abgesagt werden. Da muss man also verdammt viel im Kopf behalten. Und das passiert parallel, neben all den anderen Sachen. Und das Gedankenkarussell dreht sich immer schneller. Darunter leiden nicht nur Frauen, sagt Laura Fröhlich. Männer sind natürlich wie Frauen in ihren Strukturen gefangen. Fürsorgearbeit wird von Männern oft nicht erwartet oder es wird ihnen nicht zugetraut. Auch im Arbeitsleben haben sie oft noch diesen Anspruch an sich, der kommt natürlich auch von außen, 40 Stunden Vollzeit plus Anwesenheit und so weiter. Ich muss mit dem Geld, das ich verdiene, die Familie versorgen. Gleichzeitig wird von Männern zum Glück auch immer stärker gefordert, sich mehr einzubringen, zu Hause den Mental Note mitzutragen. Kurzer Recap. Die aktuellen Rollenbilder setzen Männer und Frauen unter Druck. Allerdings sind Frauen viel mehr belastet als Männer. Sie verbringen deutlich mehr Zeit mit unbezahlter Arbeit. Und wie können wir das jetzt ändern? Das haben wir auch Clara Schäfer gefragt. Die Ökonomin sieht mehrere Ansätze. Erstens. Die Politik müsste das Ehegattensplitting überarbeiten. Das sorgt nämlich aktuell dafür, dass es sich eher für Frauen lohnt, sich um Kinder zu kümmern. Unternehmen müssten ihre Kultur so anpassen, dass Eltern flexibler arbeiten könnten. Schäfer zufolge müssten Frauen bei der Entscheidung zur Sorgearbeit mitbedenken, was das für ihre Rente bedeutet. Wer... Wenn wir nicht zum Umdenken kommen in einer gleichmäßigen Aufteilung von Lohnarbeit versus unbezahlter Sorgearbeit, kommen wir nicht zu einem System, in dem der Laden läuft. Der Laden läuft natürlich nur, weil irgendjemand diese unbezahlte Sorgearbeit erledigt. Es ist ja vor allem die Frage, wer erledigt. Es reicht aber nicht, wenn sich nur was in Politik und Wirtschaft ändert. Wir müssen auch als Gesellschaft ran. Und zwar auch die Männer, findet Sebastian Tigges, Podcaster, Content-Creator und Vater. Wir Männer, wir Väter, wir müssen endlich Verantwortung übernehmen. Wir müssen Verantwortung übernehmen in der Form, dass wir aktiv Elternzeit einfordern. Wir nehmen Elternzeit und zwar mehr als zwei Monate. Wir verbringen auch mal Zeit alleine mit unseren Kindern, ohne die Mutter, ohne die eigene Mutter oder die Schwiegermutter. Wir müssen lernen, was es heißt, Care-Arbeit zu leisten. Nur dann kann es gerechter verteilt sein. In Spanien ist die Gesellschaft schon weiter. Vor kurzem habe ich von einem Gerichtsurteil gehört, das ich echt nicht erwartet hatte. Eine Frau hatte ihren Ex-Mann auf einen Lohn für jahrelange unbezahlte Sorgearbeit verklagt. Und tatsächlich Recht bekommen. Ihr Ex muss ihr über 200.000 Euro zahlen. Dass so ein Urteil möglich war, hat auch damit zu tun, dass der spanischen Gesellschaft Gleichstellung wichtiger ist als der deutschen. Das hat uns Franka Welz gesagt, unsere ARD-Korrespondentin in Madrid. Was man in Spanien eben auch nicht vergessen darf, ist, dass Feminismus, Gleichstellung, Gleichberechtigung niemals das Projekt nur einer bestimmten politischen Richtung oder Partei war, sondern dass das alles, was hier erreicht wurde in den vergangenen Jahrzehnten, auch immer in Teilen das Ergebnis einer befreiten gesellschaftlichen Mobilisierung war. Sprich, die Menschen, die Frauen fordern das ein. Das Thema hat also... schon seit vielen Jahren hier auf gesellschaftlich einabgestellten Stellen derer es in Deutschland. Breiter gesellschaftlicher Druck kann also schon eine Veränderung bewirken. Die Spanierinnen und Spanier zeigen, wie es gehen kann. Bis sich auch die Einstellungen in Deutschland so weit verändert haben, wird es aber wohl noch einige Jahre dauern. Bis dahin gibt es aber noch drei Alltagstipps von unseren Expertinnen. Marisa sagt, egal wie spießig es klingt, es hilft, Zeiten im Kalender für die Familie, aber auch für sich selbst fest einzutragen. Elisa und ihrem Partner helfen gemeinsam erstellte To-Do-Listen, mit denen Aufgaben sichtbar gemacht und verteilt werden. Und Laura Fröhlich findet Priorisierungen wichtig. Aufgaben auch mal verschieben und Pausen für den Kopf einplanen. Das sind jetzt alles Praxistipps für den Alltag, so als Soforthilfe. Aber die ganz große Lösung ist es natürlich nicht. Falls ihr noch einen Tipp habt, gerne in die Kommentare. Und vielleicht habt ihr ja auch eine Idee, was für gerechtere Sorgearbeit passieren müsste. Redet drüber! Familiäre Sorgearbeit ist nicht nice to have. Sie ist keine Frauenarbeit und keine Privatsache. Sie ist die Grundlage für unsere Gesellschaft. Warum? Weil Sorgearbeit menschliche Grundbedürfnisse erfüllt. Essen, Gesundheit, sozialer Austausch, emotionale Nähe. Also quasi alles, was wir zum Überleben brauchen. Und wer macht diese notwendige Arbeit? Das sollten alle Eltern für sich selbst entscheiden können. Aber eine freie Entscheidung, das geht nur mit finanzieller Sicherheit. Weil wenn Eltern Zeit und Kraft haben, ihr Kind zu trösten, ihm an den Hausaufgaben zu helfen, gesundes Essen zu kochen, es zum Sport zu Freunden zu bringen und mit ihm Spaß zu haben, dann wird ihr Kind später gesünder, gebildeter, sozialkompetenter und glücklicher. Und damit leistungsfähiger. Familiäre Sorgearbeit bereitet Kinder so auch auf ihr zukünftiges Arbeitsleben vor. Ich finde, Wir müssen diese krasse Bedeutung auch für unsere Wirtschaft endlich anerkennen. Heißt auch, wer familiäre Sorgearbeit macht, braucht einen finanziellen Ausgleich. Ich meine, die intensive Sorgearbeit fürs Kind dauert Jahre, da bleibt doch kaum Zeit für Lohnarbeit. Warum endet das Elterngeld trotzdem schon nach ein paar Monaten? Das sollten wir ändern, finde ich. Also, wem das Argument von Selbstbestimmung und Gerechtigkeit nicht reicht, seht eine Honorierung von Sorgearbeit als Investment. Für uns alle. In den Wohlstand der Zukunft. Und das war unser Recap zur unsichtbaren Sorgearbeit. Die ganzen Zahlen und Fakten dazu haben wir euch hier in der Beschreibung verlinkt. Wenn ihr wissen wollt, worüber die Gesellschaft spricht, dann lasst unbedingt ein Abo da und erzählt euren Friends von uns. Wie hart der Alltag als alleinerziehender Papa ist, das zeigt euch Nico bei true doku. Und in diesem Recap checken wir, wie der Luxus-Lifestyle von Superreichen die Klimakrise anheizt. Das war's jetzt von uns, macht euch den Feierabend so schön wie's geht und tschüssi!