November 1931. Die Weltwirtschaftskrise stürzt Millionen Menschen in Not und Verzweiflung. In New York leidet jedes fünfte Kind an Unterernährung. In anderen amerikanischen Großstädten fordern die Behörden Restaurantbesitzer auf, Essensreste von den Tellern zu kratzen und sie an Bedürftige zu verteilen.
In Deutschland ist die Lage nicht minder dramatisch. Fünf Millionen Arbeitslose hätten für einen Job alles, aber auch wirklich alles getan. Und in Österreich? Die Arbeitslosenrate schnellt Anfang der 30er Jahre auf 26 Prozent hinauf.
In dieser verzweifelten Situation im November 1931 verließ die junge Sozialforscherin Lotte Schenk-Danzinger den Personenzug von Wien nach Grammert-Neusiedel, um mit der Forschungsarbeit für eine bahnbrechende Studie zu beginnen. Die Arbeitslosen von Marienthal. Eine Studie, die Wissenschaftsgeschichte schreiben sollte. Das Werk wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Ein Klassiker der empirischen Sozialforschung.
Die Marienthal-Studie ist bahnbrechend, eine Pflichtlektür, ob man gebildet ist oder nicht, ob man politisch engagiert ist oder nicht, ob man sozial interessiert ist oder nicht. Musik Herzliche Grüße aus Marienthal. Während andere Orte rund um eine Kirche, einen Markt, eine Burg entstanden sind, ist Marienthal rund um eine Fabrik entstanden. In den 1830er Jahren eröffnet die Fabrik die neue Fabrik.
richtete der Bankier Hermann Todesco, 20 Kilometer südlich von Wien, eine Baumwollspinnerei. Nach dem Bau der Eisenbahnlinie Wien-Bruck an der Leiter in den 1840er Jahren nimmt die Textilproduktion in Wien-Bruck an der Leiter. im Ort einen stürmischen Aufschwung.
Vor allem aus Böhmen und Mähren ziehen hunderte Textilarbeiter und ihre Familien zu. Marienthal entwickelt sich zu einer Hochburg der regionalen Arbeiterbewegung. In den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts blüht die proletarische Kultur und Körperertüchtigungsszene im Ort.
Die Arbeiterkultur war damals ausrautend. ausgeprägt und hoch entwickelt. Sie konzentrierte sich im Wesentlichen um zwei Bereiche, Sport und Theaterkultur.
Ich weise hier auf die große und größte vereinsmäßige Organisation hin, den ASK Marienthal, der ja heute noch existiert. Er hatte zahlreiche Riegen, sieben Fußballriegen, drei Radfahrriegen, es gab Ringer, Stämmer und Handballriegen, es gab Radfußballriegen, Radreigenriegen. Es war also hier für jede Sportart etwas vorgesehen. Daneben gab es aber auch natürlich Musik, Gesang, Schauspiel. Es gab eine Theatergruppe, es gab eine eigene Arbeiterbühne, wobei schon bemerkenswert ist, dass man nicht nur die Arbeiterliteratur auf die Bühne brachte, sondern auch Klassiker und insbesondere Opern und Operetten.
Das heißt, es herrschte auch ein entsprechendes Orchester unter der Arbeiterschaft vor. Leopold Kopetzki kennt es noch aus eigenem Erleben, das alte Marienthal. Seine Mutter hat als Weberin in der Fabrik gearbeitet, sein Vater als Heizer.
Und wie sein Vater spielte auch Leopold Kopetzki beim ASK Marienthal Fußball, als Turmann. Marienthal ist ein weltberühmter Fußball. Marienthal als Fußball war zum Beispiel unsere Mannschaft.
Die haben es nach Deutschland und sogar nach Russland geholt. Wenn die niederösterreichische ASWE gespielt hat, waren von Marienthal mindestens sieben dabei. Eine ausgesprochene, gute Mannschaft war da in Marienthal. Es war eine in sich geschlossene Welt. der sozialdemokratischen Gegenkultur der 20er und 30er Jahre.
Der 1. Mai, das war zu dieser Zeit noch ein echtes Hochamt der Arbeiterklasse und ein Volksfest dazu. In Marienthal konnte die Gewerkschaftsbewegung im Verein mit einer liberalen, vergleichsweise sozial eingestellten Fabrikantendynastie einiges erreichen. Die Geschichte unserer Fabrik ist eine bewegte. Aus der kleinen Flaggspinnerei, in der unsere Kinder noch täglich acht Stunden arbeiten mussten, ist ein Großbetrieb geworden.
der Arbeitszeit, kollektivvertraglichen Löhnen und Werkswohnungen. Das ging nicht immer ohne Kampf. Jetzt müssen wir danach trachten, das, was wir erkämpft haben, zu erhalten.
Von wegen. Ende 1929 trifft die Weltwirtschaftskrise auch das bisher so beschauliche Mariental mit voller Wucht. Der Textilmarkt bricht zusammen. Im Februar 1930 schließt eine der größten Spinnereien und Webereien der alten K&K-Monarchie ihre Pforten.
Mit dramatischen Folgen. Mit einem Schlag wird praktisch der gesamte Ort arbeitslos. Drei Viertel der 478 Marienthaler Familien sind ohne Arbeit. Eine Katastrophe. Das war ja das Furchtbarste.
In den 29er Jahren, als alles niedergegangen ist, war Marien mit einem Schlag tot. Kein Arbeit. Ich habe das Glück gehabt, dass der Vater als Harzer in Ebergasing eine Arbeit bekommen hat bei der Philips.
Und anschließend hat er sich verbessert und ist nach Mannesdorf in die Perlmoser. Dort hat er einen wunderschönen Gehalt gehabt. Ich bin einer der wenigen griechischen Jungen, der mit meinen Freunden aufgewachsen ist.
Wenn sie zu mir kommen, sind alle hinein. Das war ja nicht einmal in der Woche. Ein Schmolzbrand und ein Opfer, das waren schon Zwölfigkeiten.
In den 32 oder 32 Jahren, glaube ich. Arbeitslosigkeit. Das hieß in den frühen 30er Jahren bitterste materielle Not.
Die Arbeitslosenunterstützung betrug zwischen 72 Groschen und 3 Schilling 50 am Tag. Ein lachhaft niedriger Betrag. Dabei bekam man dieses Geld nur ein paar Monate lang ausbezahlt.
Dann reihte man sich in das Elendsheer der sogenannten Ausgesteuerten ein. Musik Auch Rudolf Swobodnicek hat seine Kindheit in Marienthal verbracht. Er erinnert sich noch gut an die verzweifelte Lage der Menschen damals.
Bei den Ausgesteuerten war die Situation so, dass sie nach Beendigung, also nachdem die Fabrik zugesperrt hat und es keine Arbeit gegeben hat, haben sie vorübergehend einige Wochen arbeitslosen Geld bezogen. Und wenn diese Zeit aus war, waren sie... ausgesteuert und haben vom Staat keine Unterstützung bekommen.
Sie waren auf sich allein gestellt. Und da waren ja die Leute schon damals sehr erfinderisch und haben sich geholfen, dass sie einen Schäubergarten gehabt haben, wo auf kleinsten Gebieten praktisch Ernte geschaffen wurde. Sie haben Tiere gehabt, sie haben sich die Kaninchen gehalten. Ich kann mich erinnern, es hat sogar einen eigenen Kaninchenzüchterverein gegeben.
Und so haben die Leute gelebt. 1987 drehte die Regisseurin Karin Brandauer einen vielbeachteten Fernsehfilm über die Arbeitslosen von Marienthal. Die Geschäftsleitung lässt euch mitteilen, dass die Fabrik liquidiert wird.
Lügner! Die machen eh was hin! Banditen!
Schweinerei! Sauerei! Marietto-Bande!
Schweinerei! Die können doch nicht die Fabrik zusammenhauen! Für den Arsch!
Für den Abbruch der Gebäude benötigen wir Arbeitskräfte. 60 Mann, zwei Wochen. Wochenlohn 28 Schilling, 23 Schilling, 20 Schilling, je nach Einteilung. Wer Interesse hat, Listen liegen im Büro. Ein Dorf mit 70, 80 Prozent Arbeitslosen, so etwas gab es auch während der Weltwirtschaftskrise nicht oft.
Bei aller menschlichen Tragik war Marienthal auch ein großes soziales Labor. Ein Labor, in dem sich die Auswirkungen lang anhaltender Arbeitslosigkeit studieren ließen. Anfang der 30er Jahre begann sich ein Forscherteam rund um die Welt.
Marie Jahoda, Paul Lazarsfeld, Lotte Schenk-Danzinger und Hans Zeisel für die niederösterreichische Arbeiterkolonie zu interessieren. Die Forschenden kamen nach Marienthal. Das gesamte Arbeiterkolonie in Cluster eingeteilt und man begann auch Inventare zu erstellen. Das sind Möbelinventare, Kleidungsinventare. Es ging aber auch dann darum, dass man Einkaufslisten anfertigte.
und über Wochen somit den Speiseplan von den Bewohnern rekonstruieren konnte. Wie schafft man Essen herbei? Das war die zentrale Frage, vor die sich die Arbeitslosen gestellt sahen.
Im Fernsehinterview mit dem österreichischen Starjournalisten Franz Kreuzer hat sich die 2001 verstorbene Marie Jahoda, Hauptautorin der Marienthal-Studie, an die verzweifelte Situation von damals erinnert. Die Lebensbedingungen der Arbeitslosigkeit... der Arbeitslosen in den späten 20er und zeitlichen 30er Jahren waren so furchtbar, dass die Menschen als Hauptproblem das Problem gehabt haben, genug zu essen für sich und für ihre Kinder zu haben.
Und das ist ein durchaus isolierendes Erlebnis, wo das reine Aufrechterhalten der physischen Kompetenz der Menschen zum Hauptproblem ist. Problem geworden ist. Die Entbehrungen waren in der Tat unbeschreiblich. In der Marienthal-Studie wird mehrfach berichtet, dass die Menschen in ihrer Not Katzen und Hunde verzehrten, um ihren Hunger zu stillen. In dieser Situation kam den Schrebergärten und der damals weit verbreiteten Kaninchenzucht besondere Bedeutung zu.
Schrebergärten. Was heute als Inbegriff kleinbürgerlicher Spießigkeit gilt, stand noch vor 70, 80, 90 Jahren im Dienst des puren Überlebens. Die Kleingärten oder Schrebergärten und die Kaninchenzucht hatten eine zentrale Rolle.
Sie wurden eigentlich zunächst für Marienthaler Bevölkerung nach dem Ersten Weltkrieg angelegt, um die Hungersjahre zu überwinden. Nach Schließung der Fabrik 1930 waren sie von außerordentlicher Bedeutung für die Bevölkerung Marientals, weil es die einzige Möglichkeit war, dass sie an Frischgemüse über die Schrebergärten herankamen und an Frischfleisch über die Hasenzucht. Es war kein Zufall, dass die Kaninchenzüchter bereits vor dem Ersten Weltkrieg zwar nachweisbar sind, dass sie sich vereinsmäßig aber erst nach Schließung der Fabrik 1930 organisiert haben im Rassekaninchenzuchtverein Vorwärts Mariental. Die Ernährungslage blieb dennoch prekär. Eine der Folgen, die sieggewohnten Marienthaler Arbeiterringer konnten bei einer Ringmeisterschaft im Nachbarort nicht mehr antreten, weil dem Gegner kein ebenbürtiger Schwergewichtler mehr gestellt werden konnte.
Auch die mittleren Klassen wiesen einen erheblich schlechteren körperlichen Zustand auf als ihre Mitbewerber aus anderen Orten. Die Zwinge, die Feinde, Arbeit verfolgt. Auf die Barrikaden, auf die Barrikaden.
Der Stürme, die Welt, Arbeit verfolgt. Auf die Barrikaden oder nicht auf die Barrikaden? Das war die große Frage Anfang der 30er Jahre.
Brachte die Massenarbeitslosigkeit Resignation und Apathie über die Menschen oder animierte sie die Massen im Gegenteil zu repräsentieren? revolutionären Taten? Diese Frage stellten sich viele während der großen Depression.
Die Marienthal-Studie gab eine klare Antwort. Das wichtigste Ergebnis der Marienthal-und der war, dass es in der öffentlichen Diskussion, die zum Teil von Resignation und Apathie gesprochen hat, zum Teil von einer revolutionären Bewegung, eine wirkliche Antwort gegeben hat. Und die Antwort war Resignation und Apathie und nicht die der Wille, die Welt und die ökonomische und soziale Welt radikal umzugestalten.
Die zentrale Aussage der Studie ist zweifelsohne das, was man unter dem Stichwort müde Gemeinschaft heute international in der Sozialforschung verwendet. Müde Gemeinschaft heißt, die Grunderkenntnis ist jene, dass man durch langfristige Arbeitslosigkeit sozial wie auch politisch inaktiv wird. Damals revolutionär war die Erkenntnis, dass Arbeitslosigkeit nicht dazu führt, dass Leute in Richtung Politisierung und auch eventuell sogar Revolution, also radikale Änderung der sozialen Zustände, tendieren, sondern dass sie weitgehend in ein... einem eher unsozialen Desinteresse an Politik wie auch an gesellschaftlichen Ereignissen enden. Das öffentliche Leben in Marienthal kam während der großen Arbeitslosigkeit weitgehend zum Erliegen.
Die Entlehenzahlen der Arbeiterbücherei gingen zurück, die Theatergruppe stellte ihre Aktivitäten ein, auch der Herrenpark, einst der ganze Stolz der Marienthaler Bevölkerung, verwahrloste. Dazu kam der Zusammenbruch der Zeitstruktur. Die unbegrenzte Zeit, die keine Struktur hat, wo nichts wirklich geschehen muss, die unbegrenzte Zeit ist nicht Freizeit, sie ist eine ungeheure seelische Belastung, die den Menschen nur zeigt, dass sie nicht gebraucht werden, dass sie mit ihrer Zeit nichts tun können, das irgendeinen Wert hat. die die Menschen dazu zwingt, sich als Ausgestoßene von der gesamten Gesellschaft zu fühlen. Und das führt zur Isolation, zum Zurückziehen auf den ganz kleinen Familienkreis und in sehr vielen Fällen natürlich auf arge menschliche Probleme innerhalb der Familie.
Wo arbeitslose Menschen keinen strukturierenden Alltag mehr haben, geben viele von ihnen auch die Hoffnung auf ein besseres Leben auf. Sie halten die Gegenwart aufrecht, haben aber keine Zukunft. No future oder no future. Keine Perspektiven, keine Aussichten, keine Zeithorizonte, keine Hoffnungen und Wünsche für ihre Kinder. Die Kinder keine Weihnachtswünsche, weil die Wünsche, die sie haben, werden nicht erfüllt.
Wenn die Eltern Arbeit hätten, würde ich mir eine Geige und ein Buch wünschen. Ich würde mir gerne ein Album für Bilder wünschen und einen Atlas und einen Zirkel, wenn die Eltern nicht arbeitslos wären. Wenn ich mir einen Beruf wünschen dürfte, würde ich gerne einen Flieger, einen Mechaniker. ein Unterseebootkapitän oder ein Indianerhäuptling werden. Aber ich fürchte, es wird schwer sein, einen guten Posten zu finden.
Es gehörte zur Philosophie der Mariental-Rechercheure, dass sie den Menschen, deren Schicksal sie erforschten, auch etwas zurückgeben wollten. So heißt es in der Studie Es war unser durchgängig eingehaltener Standpunkt, dass kein einziger unserer Mitarbeiter in der Rolle des Reporters oder Beobachters in Marienthal sein durfte, sondern dass sich jeder durch irgendeine, auch für die Bevölkerung nützliche Funktion in das Gesamtleben einzufügen hatte. Wir haben begonnen mit einer Kleidersammlung in Wien.
Die haben wir nach Marienthal gebracht, sind die Menschen besuchen gegangen, um zu sehen, wie sie leben und um zu sehen, was für Kleider sie wirklich brauchen. Wir hatten zwei Ärzte, die kostenlose Konsultationen und regelmäßige Stunden gehabt haben. Wir haben einen Nähkurs eingerichtet. Wir haben in jeder Weise versucht, etwas zu tun.
etwas wenigsten von dem ungeheuren Einsehen, das uns die Menschen gegeben haben, ihnen zurückzugeben. Die Frau Jaruda hat, was man so gehört hat, ein sehr gutes Image gehabt. Sie dürfte sich mit den Leuten eingehend unterhalten haben, dürfte sie befragt haben, vielleicht sogar, wie man sagt, Trost gespendet haben in ihrer Situation.
Ich habe den Leuten sicherlich nicht das Gefühl gegeben, dass sie irgendwelche Versuchskaninchen sind. Heute würde man das Vorgehen der Marientalforscher vielleicht als Action Research bezeichnen. Als kreative Kombination von quantitativer und qualitativer Forschungsarbeit.
Das war eine Invasion von Marienthal. Kleiderverteilungen und ein Doktor kam, die Kinder zu untersuchen. Das waren alles Wege, um irgendwas darüber zu lernen, was die Kinder für Ambitionen haben, was die Eltern denken, was die Frauen leiden. Das war der Versuch, Daten zu sammeln, sodass man ein völliges Bild von diesem...
von diesem Ort hat unter den Konditionen der Arbeitslosigkeit. September 2008. Wieder überrollt eine Weltwirtschaftskrise von der Wall Street aus den Globus. Hemmungslose Spekulationsexzesse auf den Finanzmärkten und das Platzen einer gigantischen Immobilienblase in den USA sorgen für eine tiefgreifende Rezession der globalen Ökonomie.
Das Ergebnis? Die Arbeitslosen zahlen schnell nach oben. Mit unabsehbaren Folgen für viele Regionen. Zum Beispiel für diese hier.
Der Agenturbezirk Sangerhausen in Sachsen-Anhalt hat schon jetzt die höchste Arbeitslosenrate Deutschlands. 19,7 Prozent sind hier offiziell ohne Job. Die verdeckte Arbeitslosigkeit wird wohl um einiges höher sein.
Nora George leitet die Geschäftsstelle der Bundesagentur für Arbeit in Sangerhausen. Sie kennt die Situation in der Region genau. Die Gründe für die hohe Arbeitslosigkeit in diesem Bezirk sind eigentlich historisch bedingt.
Weil diese Region jahrzehntelang vom Bergbau, Kupferschieferbergbau geprägt war. Wir hatten hier Großbetriebe, frühere Kombinate, die bis zu 48.000 Beschäftigte hatten. Und dieser Industriezweig ist komplett weggebrochen. Die Verhüttung ist hier eingestellt worden.
Und mit einem Schlag waren Anfang der 90er Jahre fast 50.000 Menschen arbeitslos. Und wir mussten neue Beschäftigungsmöglichkeiten suchen. In Sangerhausen hat man bereits hinter sich, was anderen Regionen vielleicht noch bevorsteht. Einen schockhaften Strukturwandel mit brutalem Anstieg der Arbeitslosenzahlen.
Diese Region hatte immer eine besonders hohe Arbeitslosigkeit, leider. Allerdings muss man sagen, erfreulicherweise haben wir eine sehr gute Entwicklung genommen. weil das Einstellverhalten unserer etablierten Unternehmen am Markt hier sehr positiv war.
Es gab viele Unternehmen, die sich erstens mal neu gegründet haben, wenn auch nur kleine und mittelständische Unternehmen. Und es gab auch Unternehmen, die in den letzten Jahren die gute wirtschaftliche Situation sehr für sich nutzen konnten und ihr Einstellverhalten entsprechend auch darauf ausgerichtet haben. Wie sich die erste große Rezession des 21. Jahrhunderts auf die Situation im Landkreis auswirkt, lässt sich nur schwer vorhersagen. Dabei ist eine Stadt wie Eisleben, 20 Kilometer von Sangerhausen entfernt, so etwas wie eine Weihestätte deutscher Kultur. Martin Luther ist hier geboren.
An den großen Reformator erinnert vieles in der Stadt. Die offizielle Arbeitslosenrate in Eisleben liegt noch über dem Bezirksdurchschnitt. Sie beträgt 20,4 Prozent.
Jutta Fischer, parteilose Kandidatin der SPD, amtiert seit März 2006 als Bürgermeisterin in Eisleben. Es ist ein gravierendes Bild und wenn Sie sich hier selbst auf dem Markt umgucken, wünscht man sich doch ein bisschen mehr Belebung, als wie Sie auch heute hier am heutigen Tag sehen. Das wirkt sich natürlich daran aus, dass die Menschen, die arbeitslos sind, nicht die Kaufkraft haben. Und dass junge Menschen, die auch keinen Arbeitsplatz hier haben, in die alten Bundesländer gehen. Und das ist natürlich ein Problem.
Mit der Schließung der Kupferschiefer Zechen sind auch große Teile des Mittelstands weggebrochen in der Region. Viele sind in den Westen abgewandert. In der eislebenden Arbeitsagentur herrscht Hochbetrieb.
Man merkt das nur deswegen nicht. weil die Jobsuchenden seit einiger Zeit zu Einzelterminen geladen werden. Lange Schlangen auf dem Arbeitsamt, das war einmal. So, Frau Sauter, der letzte Termin ist ja nun schon im Monat her. Genau.
Wir hatten ja verschiedene Sachen vereinbart, unter anderem die Bewerbungsbemühungen. Was haben Sie denn heute mitgebracht? Eine Braschke. Nicole Sauter, 22 Jahre alt. hat eine Ausbildung als Gärtnerin für Zierpflanzenbau gemacht.
Die Jobangebote in der Region sind spärlich bis nicht vorhanden. Der jungen Frau bleibt wohl nichts anderes übrig, als Hunderte von Kilometern fortzuziehen. Dann hatte ich noch ein Stellenangebot rausgesucht, das wäre in Hessen, in Obertshausen.
Da wird zur Pflanzenpflege ein Gärtner gesucht. Tätigkeiten hat Pflanzenpflege, abgeschlossene Ausbildung sollten sie haben, gute Umvergangsruhen. Der Führerschein sollte vorhanden sein und im Einsatzgebiet wäre Rhein-Main-Gebiet.
Und als Berufsanfänger können Sie sich dort auch gerne bewerben. Wollen Sie das mal mitnehmen? Genau, mache ich. Wir versuchen den Leuten Mut zu machen, wir versuchen sie zu unterstützen, dass sie eine Arbeit bekommen, denn jeder Tag der Arbeitslosigkeit ist ein Tag zu viel. Das sieht wohl auch Nicole Sauter so.
Die junge Frau hat vieles versucht, um einen Job zu finden. Sie hat sich bei Zeitarbeitsfirmen beworben. Sie wäre auch bereit, in einem anderen Beruf zu arbeiten, als Stallhelferin beispielsweise.
Ich habe mich jetzt auch deutschlandweit beworben, zum Beispiel Bayern, Hessen, Sachsen. Und dann halt mal gucken, was kommt. Ich würde jetzt auch Österreich oder Schweiz gehen.
Dabei sind die Träume, die die junge Frau von ihrem weiteren Leben hat, bescheiden, äußerst bescheiden. Mein Leben sollte in zehn Jahren ungefähr so aussehen, dass ich erstmal einen sicheren Arbeitsplatz habe und halt, dass die finanzielle Lage sich bessert und Familie und das alles. Wie Nicole Sauter geht es vielen im Agenturbezirk Sangerhausen.
Es gibt wenig Jobs und viele, die einen suchen, oft über Jahre hinweg. Bei den Menschen, die längere Zeit arbeitslos sind, merkt man, dass sie depressiv sind, dass sie mutlos sind und dass sie sich mit ihrer Situation auch so ein Stückchen abgefunden haben. Lang andauernde Arbeitslosigkeit macht die Menschen tendenziell apathisch.
Dieses Ergebnis der Marienthal-Studie trifft nach wie vor zu. Auch die gesundheitlichen Folgen längerer Erwerbslosigkeit sind nicht zu unterschätzen. Arbeitslosigkeit führt natürlich ganz besonders im mentalen Bereich zu Veränderungen, zu vermindertem Selbstwertgefühl, zu Antriebsschwäche, in dieser Form so eine Art depressive Verstimmung, die sich hier einstellt, was bei einem sozialen Wesen, wie es der Mensch nun mal ist, natürlich dazu führt, dass er in der Gesellschaft sich auch nicht mehr so wohl fühlt und auch Gesellschaft eher meidet, daher auch in der Folge sehr oft Vereinsamung, die eintritt.
Edelgard Anger kennt die düsteren Seiten der Arbeitslosigkeit aus eigenem Erleben. Sie sucht seit Oktober 2008 einen Job. Dann habe ich mich noch als Imbissverkäuferin in Halle beworben, aber auch ohne Ergebnis.
Und jetzt hoffe ich eben auf diese Stelle für den kräftigen Tag. Die 49-Jährige ist gelernte Kellnerin. Seit der Wende 1990 hat sie sich in den verschiedensten Berufen durchgeschlagen. Ute Kratzer, ihre Betreuerin, bemüht sich mit großem Engagement auch um diese Kundin.
Viele Arbeitslose haben schon einige Rückschläge erleben müssen. Das sprechen sie auch ganz konkret im Gespräch an. Da ist es nicht immer leicht, für den Arbeitsvermittler anzusetzen. Wichtig ist, dass wir deren Selbstvertrauen wieder stärken, ihnen einfach Mut geben, damit sie wieder die Initiative ergreifen, um wieder eine neue Stelle zu suchen.
Für viele Betroffene ist genau das das Schwerste. Immer wieder von Neuem die Initiative zu ergreifen. Eine Aufgabe, der sich viele nicht gewachsen fühlen. In der Arbeitslosigkeit ist man natürlich auch suchtgefährdeter. Generell ist man gefährdet, alles was Bewältigungsmuster sind für schlechte Stimmungen, und dazu gehört nun einmal Alkohol und auch andere Suchtverhalten, dass man das annimmt, um eben die Situation besser bestehen zu können.
Es gibt Bewältigungsmuster, die weniger gesundheitlich bedenklich sind. Dazu gehört Sportausübung, die man ja durchaus auch wählen kann, Laufen gehen oder Ähnliches. Dinge, aber das ist nicht das, wozu die meisten neigen, sondern in der Regel geht es eben um die bekannten Bewältigungsmuster Alkohol, Nikotin, eventuell auch zu viel Essen.
Bewältigungstrategien, die Edelgard Anger nicht gewählt hat. Seit dem Ende der DDR hat die gelernte Kellnerin die verschiedensten Jobs ausgeübt. Sie hat als Imbissbudenbedienung gearbeitet, als Produktionshelferin, als Zimmermädchen. Keine der Anstellungen war von Dauer.
Entweder der Job war von vornherein nur befristet oder der Arbeitgeber hat Konkurs gemacht. zusammen mit ihrem mann karsten einem lokführer der deutschen bahn lebt edelgard anger in einem einfamilienhaus in der nähe von eisleben die kredite Die Kosten für das Haus sind noch längst nicht abbezahlt. Ein 2. Einkommen würde manches erleichtern. Man geht auf die 50 schrittweise zu.
Es ist nicht mehr so einfach, im Arbeitsamt in diesem Alter was zu bekommen. Die meisten Jobs, die angeboten werden, was man gerne ausüben möchte, steht drinne höchstens bis 35. Ja, was wollen wir tun? Mit 49 soll man sich zum alten Eisen zählen?
Das möchte ich einfach nicht. Ich möchte einfach noch arbeiten, auch wenn ich 49 bzw. jetzt auf 50 gehe.
Wie viele Arbeitssuchende aus dem Osten Deutschlands ist auch Edelgard Anger bereit, ins Ausland zu gehen, um einen Job zu finden. Zuletzt hat sie in Österreich gearbeitet. Zimmermädchen in einem Vier-Sterne-Hotel auf der Turache Höhe, einem Skigebiet in der Steiermark.
Die Arbeitsbedingungen waren skandalös, wie so oft im Fremdenverkehr. Was natürlich sehr negativ war, das war die Verpflegung. Es hieß, wir bekommen Essen früh, Mittag, Abend.
Früh bekam ich auch nicht, weil da musste ich arbeiten und ab um zehn war der Frühstücksservice vorbei. Dann durfte man Mittagessen ab 15 Uhr essen. Dann waren wir drei, vier Tage lang schon drüber weg. Es war schon alt.
Ich weiß es, weil ich aus dem Service war. Es gab Sonntag für die Gäste und für uns gab es das selbe Donnerstag. Nur aufgewärmte Mikrowellen und dasselbe nach drei Tagen gab es noch einmal das gleiche Essen.
Also man konnte es nicht mehr genießen. Und ich habe mich dann auch wieder auf die Gäste gefühlt. Und naja, Trinken, wir haben hier die Wasserleitung.
In Dürrerhöhe gibt es eine Dürrachquelle und davon sollten wir eine Wasserhahn auf und dann ist es okay. Das würde eben für uns reichen. Und das fand mir, mein Mann hat mir ein Paket geschickt, meine Mutti hat mir ein Paket geschickt, damit wir was zu essen hatten.
So traurig wie es klingt, aber es war so. Nach langem Suchen scheint sich für Edelgard Anger nun eine neue Berufsperspektive aufzutun. Sie will eine Ausbildung zur Altenpflegerin beginnen.
Ein Job, nach dem große Nachfrage herrscht. Ich würde sagen, Pflege ist Licht mir. Also ich habe ein Jahr meine Oma gepflegt und ich habe schon immer reinschnuppern können, wie das ungefähr verlaufen würde zu mir.
Und ich muss sagen, älteren Leuten zu helfen, das ist eigentlich immer mein Wunsch gewesen. Die Unterstützung ihres Mannes, eines leidenschaftlichen Fischfreundes, scheint Frau Anger jedenfalls zu haben. Ich freue mich natürlich, wenn sie immer wieder sagt, ich gehe aufs Neue, wieder einen neuen Schritt ins Leben und suche mir wieder eine Arbeit.
Ob das jetzt in der Pflege ist, ob das jetzt im Servicebereich Restaurantfachfrau ist oder wie auch immer. Aber ich kann sie ja nicht halten. Ich kann sie ja nicht zwingen, hier zu Hause sitzen zu bleiben und auf mich zu warten, wenn ich nach zwölf Stunden wieder nach Hause komme.
Und sage, so kochen wir jetzt mein Essen. Das muss sie nicht machen. Erstens kann ich das selber machen und zweitens, ich werde sie nie zwingen.
Und wenn sie nach Italien fahren muss oder nach Österreich, dann soll sie das tun. Ich werde sie nicht zurückhalten. Ich hebe aber immer den Judenratschlag. Versuche es, lass es mir in Ausland. Es bringt uns nicht viel.
Es bringt uns absolut nicht viel. So schwierig die Situation für Familie Anger sein mag, verglichen mit dem unerhörten Elend der 30er Jahre, sind das Luxusprobleme. In materieller Hinsicht besteht ein himmelhoher Unterschied zwischen dem, was Arbeitslose damals ertragen mussten und ihrer Lebenssituation heute.
Der Unterschied in der gesamten Zeit in den 30er Jahren und in den 80er Jahren kann gar nicht übertrieben werden. Die Welt ist total anders. Die Arbeitslosen in den 30er Jahren haben wirklich unter dem Lebensminimum existieren müssen.
Es ist auch heute natürlich ein finanzielles Problem für alle Arbeitslosen. Aber ich glaube in Österreich und in vielen europäischen Ländern ist zumindest das Lebensminimum gesichert durch die Unterstützung. Ein weiterer Unterschied zu früher, Arbeitslose fühlen sich heute häufiger isoliert und vereinzelt.
Arbeitslosigkeit wird nicht mehr als kollektives Schicksal erlebt wie früher. Ich denke, dass die Arbeitslosigkeit heute individualisierter ist, weil das kollektive Subjekt der Arbeiterbewegung, wo man ja einen Überbau über Kulturen der Armut, die bis zu der Zeit ja waren, drüber gestülpt hat. daraus das Bauvolk der kommenden Welt gemacht hat, nachdem dieser Überbau jetzt weggebrochen ist, sind die Kulturen der Armut übrig geblieben.
Und letzten Endes kommt es auch durch einen verstärkten... durch eine verstärkte Medienpräsentation, einen verstärkten Medienkonsum, auch zu einer Wahrnehmung als Individuum. Und es gibt insgesamt natürlich, und das ist ja historisch letzten Endes gleich geblieben, dass man versucht, die Schuld für Arbeitslosigkeit dem Individuum zuzuschreiben. Die psychologische Erträglichkeit der Arbeitslosigkeit ist natürlich leichter, als kollektives Schicksal hinzunehmen, zu erleiden, als das individuelle Schicksal.
Das war damals so und das ist heute noch viel stärker so. so, weil ja wir aus vielen Studien wissen, dass Menschen, die in Regionen leben, die regional hohe Arbeitslosigkeit haben, darunter weniger leiden als solche, die in Hochbeschäftigungsregionen leben. Dass Menschen, die einen Partner haben, der beschäftigt ist, während sie selbst arbeitslos sind, enorm darunter leiden, während wenn beide arbeitslos sind in einem Haushalt, das subjektive Leid viel geringer ist. Der Bezirk Oberwart fällt höher im südlichen Burgenland.
Ein strukturschwaches Gebiet an der Grenze zu Ungarn. Nirgendwo in Österreich ist die Arbeitslosigkeit höher als hier. Knapp 9% der Menschen sind im Bezirk Oberwart offiziell auf Jobsuche.
Dietmar Strobl leitet das örtliche Arbeitsmarktservice. Die allerorts beschworene Weltwirtschaftskrise spürt man im Bezirk Oberwart vor allem im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit. Der Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit ist sehr dramatisch. Es gibt generell einen Anstieg um 42 Prozent, bei den weiblichen Vorgemerkten sogar um 60 Prozent.
Wir wollen diesen Trend nach Möglichkeit stoppen oder umkehren. 9 Prozent Arbeitslosigkeit, dazu die düsteren Zukunftsaussichten, das hinterlässt natürlich Spuren im sozialen Gefüge der Stadt. Eine normale Arbeitslosigkeit oder auch Saisonarbeitslosigkeit wirkt sich normalerweise nicht negativ auf die Stimmung im Bezirk aus. Jetzt merkt man aber eines, durch die Präsenz in den Medien, durch die Aufarbeitung in den Medien, die Information über Massenentlassungen, Betriebsschließungen, auch in Amerika, ist die Stimmung sicher gedrückt. Leute haben Angst um ihren Job, um ihren eigenen Arbeitsplatz und das merkt man.
Petra Hartl lebt seit fünf Jahren im Bezirk Oberwart. Früher, als sie noch in Wien gewohnt hat, war die Mutter dreier Kinder in der Gastronomie tätig. Sie sucht seit drei Jahren einen Job.
Das merkt man irgendwo schon, wenn man auf der Straße geht, wenn man einkaufen geht, wenn man spazieren geht, dass die Leute einfach irgendwo eine gedrückte Stimmung haben. Ich war jetzt letzte Woche in Wien und die Leute, die sind mir so freundlich vorgekommen. Die waren freundlich, die haben gelacht und die haben gegrüßt und wir haben geplaudert mit fremden Menschen.
Einfach so beim Anker oder beim Einkaufen irgendwo. Und das bin ich gar nicht mehr gewöhnt eigentlich. Petra Hartl will sich nicht anstecken lassen von der eher depressiven Stimmung im Bezirk. Dabei hat sie, wie viele ihrer Leidensgenossen, ziemlich unangenehme Erfahrungen gemacht während der Arbeitssuche.
Die Arbeitssuche war sehr schwierig, so kompliziert, habe ich mir das nicht vorgestellt, wie ich da hergezogen bin. Weil die Arbeitgeber immer nur zwischenzeitlich jemand suchen, bei den diversen Festivitäten, in Herbst, bei den Wildwochen, für ein paar Wochen und dann in der Faschingszeit, wenn die Bälle sind. Und da schreiben sie rein im Arbeitsmarktservice, sie suchen für 20 Stunden Jahresstelle jemanden und dann, wenn die Zeit vorbei ist, ein paar Wochen, dann sagen sie Danke, das war's.
Das ist Marienthal heute. Obwohl Marienthal als selbstständigen Ort gibt es gar nicht mehr. Die frühere Arbeiterkolonie ist längst im ehemaligen Bauerndorf Gramat-Neusiedel aufgegangen. Die einstigen Arbeiterwohnhäuser hat man liebevoll restauriert. Arbeitslosigkeit ist zurzeit kein großes Thema im Ort.
Gramat Neusiedel und damit Marienthal hat sich zu einer typischen Pendlergemeinde im Speckgürtel Wiens entwickelt. Marienthal heute ist ein Ort, der langsam aber sicher am Verschwinden ist. Das hängt damit zusammen, dass die letzte Generation der Marienthaler Textilarbeiterschaft ausstirbt.
Es hängt aber auch damit zusammen, dass es einen massiven Zuzug von auswärts gibt. Der Grammat-Neusiedler Bürgermeister Leo Zolles weiß um die wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung seines Orts. Die Marienthal-Studie ist sicherlich Thema in der Gemeinde, allerdings eher unter den Personen, die diese Zeit noch erlebt haben, die noch persönliche Beziehungen haben zu diesen Leuten, unter den Jungen, unter den Zuzüglern, ist es eher weniger Thema. Schon in den 30er Jahren war Marienthal so etwas wie die kleine Welt, in der die Große ihre Probe hält.
Das ist heute nicht anders. Der Multikulturalismus hat längst auch das beschauliche Marienthal erreicht. In diesen Häusern wohnten früher die Marienthaler Textilarbeiter.
Sie waren vor allem aus Böhmen und Mähren zugewandert. Heute ist hier alles fest in bosnischer und türkischer Hand. Ein Drittel der Bevölkerung im Ort dürfte das haben, was man Migrationshintergrund nennt. Im ehemaligen Gasthaus zum Südpol ist seit einiger Zeit ein muslimischer Gebetsraum eingerichtet. Dazu kommen eine Koranschule und ein muslimisches Mädcheninternat.
Das sorgt für Unruhe im Ort. Ich denke, dass darin auch ein enormes Konfliktpotenzial droht, wenn es nicht gelingt, den Behörden, aber auch den Kulturorganisationen, die sich zum Teil hier sehr engagieren, eine Integration zu schaffen. die Integration dieser beiden Kulturen mit den bereits vorhandenen Kulturen zu erlangen. Während des Freitagsgebetes ist der Zeremoniensaal im früheren Arbeitergasthof zum Südpol zum Bersten gefüllt.
Früher tranken hier die tschechischen Textilarbeiter nach Schichtschluss ihr Bier, heute treffen sich die örtlichen Muslime zum Gebet. Die meisten von ihnen sind Arbeiter. Sie pendeln in die großen Industriebetriebe der näheren Umgebung aus, nach Wien oder Wiener Neustadt.
Noch haben die meisten einen Job. Was niemand vorhersagen kann. kann, wie sich Arbeitslosigkeit, Massenarbeitslosigkeit auf migrantische Milieus auswirkt.
Großfamiliäre Strukturen werden hier noch hochgehalten. Das bietet einen gewissen Schutz, auch wenn man seinen Job verlieren sollte. Die dramatisch steigende Jugendarbeitslosigkeit allerdings könnte zum Problem werden.
Sollten junge Migranten in großer Zahl keinen Job mehr finden, sind explosive soziale Entwicklungen denkbar, die man sich heute noch gar nicht vorstellen kann. kann. Der Hoxha der Marienthaler Muslime ist vor allem um ein gutes Verhältnis zur alteingesessenen Bevölkerung bemüht. Österreich ist ein demokratisches Land.
Wir versuchen uns hier zu integrieren. Wir achten die Gesetze dieses Landes. Es ist uns allerdings auch wichtig, unsere religiösen Traditionen zu pflegen.
Dabei versuchen wir, mit allen gut auszukommen. Ganz ähnlich sieht das der Gemeindeaktivist Bekir Caliskan. Gute Nachbarschaft sei einfach wichtig. Wir machen jedes Jahr einmal Tachdorfenatur, gibt es hier Kebab, türkische Speise, essen wir, trinken und miteinander reden.
Und es kommen viele Österreicher? Vier, die Hälfte Österreicher. Die Hauptschullehrerin Gabriele Steuerer arbeitet derzeit an einem Forschungsprojekt über die örtlichen Muslime.
Ich sehe mich irgendwo als Vermittlerin. Ich bin von beiden Seiten sehr wohlwollend aufgenommen worden. Ich war im muslimischen Zentrum immer herzlich willkommen, habe dort mit den Mädchen auch gearbeitet, habe ihnen Nachhilfelehrer zur Verfügung gestellt und genauso bin ich den Leuten im Ort irgendwo verbunden.
Und es tut mir weh, so viel Uninformiertheit zu sehen und so viele Vorteile, die daraus geboren werden. Einer, der erfolgreich gegen Vorurteile aller Art anarbeitet, ist Seyrani Karabulut. Der junge Türke hat vor zwei Jahren einen Frisiersalon in Marienthal aufgemacht. Am Anfang kam nur türkische Kundschaft, in letzter Zeit ändert sich das.
Ich wohne sehr lange schon und ich habe wirklich sehr wenig Probleme gesehen zwischen uns, türkischen oder auch jugoslawischen Kalits. Also es gibt kein Problem von meiner Hinsicht her, also von meiner Aussicht her. Im Mariental der 30er Jahre gab es sehr wohl Probleme.
Die Arbeitslosigkeit blieb hoch bis in die späten 30er. Die Denunziationen wegen angeblicher Schwarzarbeit der Nachbarn etwa nahmen zu. Was könnt ihr mit mir nicht machen?
Der Frau die Unterstützung streichen, das lass ich mir nicht gefallen. Sie ist angezeigt worden. Anonym. Sie habt fürs Milchausdrang einen Liter Milch bekommen. Das gilt als Nebenverdienst.
Einen Liter Milch? Nebenverdienst? Da willst du die Fülle.
Wo ist die Fülle? Was ist mit dem Eiger, der fürs Baumbrot noch einmolzt? Ich will's nicht hören!
Es hilft dir nichts, wenn du jetzt andere anzeigst. Und was hilft mir? Du hilfst mir? Die Sozi helfen mir? Ja, bei Bauern!
Dazu brauch ich auch nicht! Das kann ich allein! Die Sozi konnten den Arbeitslosen immer weniger helfen, zumal sie von der Dollfuß-Diktatur ab 1934 in die Illegalität abgedrängt wurden. Resultat, als Adolf Hitler 1938 den sogenannten Anschluss Österreichs proklamiert, erntet er auch in Marienthal begeisterte Zustimmung.
Das sozialdemokratische Vorzeigedorf von einst ist plötzlich braun geworden, sehr braun. Die große Not hat nur der Hitler deswegen niedertragen, weil er Arbeit gebraucht hat. Und das hat sich dann herausgestellt für den Krieg, weißt du.
Leider Gottes verkehrt. Die große Phase der Depression, also der Arbeitslosigkeit. Nach Schließung der Fabrik hat es wahrscheinlich dazu geführt, dass man sehr leicht auf Parolen hineinfiel, denen man vorher in Zeiten des Wohlstands und in Zeiten der Möglichkeit kühl und gesichert politisch Bewegungen zu beobachten und zu beurteilen, dass man diese Möglichkeiten dann in Zeiten der Not nicht mehr hatte. Die weniger Gescheiten, die natürlich jahrelang getarbt und gehungert haben, haben natürlich mit einer vollen Schüssel auch endlich einmal zum Essen auch das Herz mitgegeben.
Wieso nicht? Man musste es. akzeptieren, dass jetzt der Essen da ist und die Arbeit da ist und dass es angefangen hat. Und dann hat sich halt dann herausgestellt später, dass es halt wieder ein Trugschluss war, ein mörderischer, mörderischer Trugschluss.
Trotz allem, nicht alle Marienthaler waren Nazis. Es gab auch eine starke sozialdemokratische und kommunistische Opposition im Ort. Fünf antifaschistische Widerstandskämpfer aus Marienthal wurden 1944 im Wiener Landesgericht wegen angeblichen Hochverrats gehängt.
Ich war bei den revolutionären Sozialisten der Jungspaz. Der Jidl-Slawin, der Knische-Peppe, der Knische-Hans, der Golas-Felix, die sind vor den Nase dann gehängt worden. Auch Leopold Kopecky engagiert sich im Widerstand gegen den Nationalsozialismus und riskiert sein Leben dabei.
Peter war der 21. Und der hat die Spendenlisten gehabt für die Jungsozialisten und für die Spenden. Und mit der haben sie dann... Da bist du.
Die Spendenlisten habe ich dann ein Jahr gehabt. Warte mal. Und wenn er das auch führt, dann hast du ja wie ich draufgehängt.
Aus den Orten! Deutschland in Deutschland! Aus den Orten! Es gibt sie auch heute noch.
Politische Gruppen, die mit rassistischen Slogans um fanatisierte Anhänger buhlen. Der Linzer Sozialwissenschaftler Johann Bacher hat in einer aufsehenerregenden Studie erforscht, ob Arbeitslosigkeit zu einem Anstieg des Rechtsextremismus führt. Es ist so, dass Arbeitslosigkeit unter bestimmten Bedingungen zur politischen Unzufriedenheit führen kann.
Und dann, wenn es in dieser Situation entsprechende rechtsextreme Angebote gibt, durch politische Strukturen und politische Parteien, dann erhöhen sich die Wahlanteile und auch die Tendenz der Wahl zu rechtsextremen Parteien. Zeiten der Wirtschaftskrise sind immer auch Zeiten gesellschaftlicher Entsolidarisierung. Nichts leichter als den Menschen in solchen Zeiten Angst zu machen.
Ob in Ungarn, Deutschland, Österreich, wo auch immer. Die einfachen Antworten kommen von rechts. Und anfällig für solche Antworten sind nicht nur Arbeitslose, sondern vor allem auch Menschen, die noch einen Job haben.
Sie fürchten soziale Deklassierung und wurden schon in den letzten Jahren schon in den 20er und 30er Jahren eine leichte Beute der Demagogen. Massenarbeitslosigkeit fördert den Rechtsextremismus, weil Massenarbeitslosigkeit einfach in einer Gesellschaft Strömungen nach außen bringt. nach oben transportiert, politische Strömungen, die anfangen Sündenböcke zu kreieren, die anfangen Stimmungen zu erzeugen, die einfach ganz deutlich in diese Richtung gehen. Unter gewissen Umständen kann Massenarbeitslosigkeit aber auch zu einer Radikalisierung in Richtung Links führen. Für Österreich ist das weitgehend ausgeschlossen, weil es hier keine Parteistruktur gibt, keine organisierte Linke, die entsprechende Interpretationsangebote hat.
machen könnte. In Deutschland ist das etwas anderes. Hier gibt es eine inzwischen etablierte Linkspartei, die entsprechende Interpretationsangebote macht, die ja auch aufgenommen werden, wie die Wahlergebnisse zeigen.
Die Depression der 30er Jahre hält wertvolle historische Lehren bereit. Zuerst fielen die Schornsteine, dann kam das große Elend, materiell wie psychisch. Es war erst die Massenarbeitslosigkeit nach dem Börsenkrach von 1929, die den Nazis die Bahn ebnete und den Weg in die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs freimachte.
Wenn man an die Wirtschaftskrise denkt, in der wir uns jetzt befinden, sollte man bedenken, dass den goldenen 20er Jahren sehr rasch die schlechten 30er und dann die kriegerischen 40er Jahre gefolgt sind. Das heißt, von daher bin ich durchaus pessimistisch, dass es ähnliche Tendenzen in der Gegenwart zumindest auf der Ebene der Vorbereitung gibt. Das heißt nicht, dass sie so kommen. muss, aber man sollte sowohl sein soziales wie auch sein politisches Handeln an diesem düsteren Szenario orientieren. Mit dem millionenfachen Verlust von Arbeitsplätzen begann es, wie die Geschichte der Welt.
endete ist bekannt marie jahoda die große sozialforscherin wusste es es ist vor allem lohnarbeit auch entfremdete lohnarbeit die dem alltag von millionen menschen sinn und struktur gibt Eine geregelte Arbeit, die nicht nur von der eigenen guten Laune abhängt, ist, glaube ich, für die meisten Menschen eine ungeheure psychologische Hilfe, um einen Sinn aus ihrer eigenen Existenz zu machen. Als Bürger, nicht als Wissenschaftler, würde ich meinen, eine Gesellschaft darf sich niemals abfinden mit Massenarbeitslosigkeit und niemals mit verbreiteter Armut. Insbesondere Armut von Kindern und alten Menschen und Arbeitslosigkeit von Menschen, die arbeiten wollen und arbeiten können, das zerstört den Zusammenhalt in einer Gesellschaft, in einer Weise, die allen anderen Formen des sozialen Zerfalls unvergleichbar ist.
Stimmt an, dass die Verhohen Braut, die die schonen Menschen angetraut, die Erste des Mensch war Gott, das Sein ist auf der Erde ruht. Entsprang aus diesem treuen Bund die Arbeit hoch, die Arbeit hoch.