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Berghain: Kultur, Architektur und Nachtleben

Das hier ist ein Heizkraftwerk. Es wurde Anfang der 50er gebaut, um die Hauptstadt der DDR mit Wärme und Strom zu versorgen. Heute strömen jedes Wochenende tausende Menschen an seine Türen, um nächtelang zu feiern. Das Berghain gilt als einer der exklusivsten Clubs der Welt. Wir sind leider nicht cool genug, um reinzukommen. Dafür können wir das Berghain aber animieren. Was passiert in den mysteriösen Räumen? Wie haben die Betreiber es geschafft, ein altes Kraftwerk in einen der geheimnisvollsten Clubs der Welt zu verwandeln. Dieses Video ist zuerst auf Englisch auf dem Kanal unseres guten Kumpels hoch erschienen. Wir haben es übersetzt und noch einige Details hinzugefügt. Das ist Anna. Sie will ins Berghain. Anna ist 23 und kommt aus der Nähe von Stuttgart. Ihr Vater arbeitet bei Daimler. Ihre Mutter ist traurig, weil sie nur noch so selten anruft. Vor einem Jahr ist Anna nach Berlin gezogen. Sie studiert Kunst und Philosophie, aber auf Lehramt, weil sie es ihrem Vater versprochen hat. In ihrem Rucksack sind mehrere Outfits. Wenn die Party gut ist, bleibt sie bis Montagmorgen. Mit dem Rucksack will sie den Türstehern zeigen, dass sie sich auskennt. Sie fröstelt langsam in ihrer schwarzen Netzstrumpfhose. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Berlin in Ost und West geteilt. Nicht nur politisch, sondern auch städtebaulich. Weite Teile Berlins lagen in Trümmern und mussten neu errichtet werden. Der Wiederaufbau wurde zu einem architektonischen Kräftemessen zwischen den beiden politischen Systemen. Im Westen wurde der Kurfürstendamm zu dem modernen Vorzeigeboulevard. Cafés, Restaurants, Kaufhäuser. in den Schaufenstern die neuesten Produkte. Im Osten lag der Alexanderplatz. Von dort aus planten die DDR-Eliten ihren eigenen pompösen Boulevard, die Stalinallee. Die Stadt ist in Struktur und architektonischer Gestaltung Ausdruck des politischen Lebens und des nationalen Bewusstseins des Volkes. Die Stalinallee wurde nach sowjetischem Vorbild geplant. Monumental, repräsentativ, weitläufig. Breite Straßen, viele Bäume, Restaurants, Kinos, Cafés und eine U-Bahn. Helle und geräumige Wohnungen, Heizungen, warmes Wasser und sogar Kühlschränke. Wohnpaläste für das Proletariat. Um die Stalinallee mit Strom zu versorgen, brauchte es ein Kraftwerk in der Nähe. 1955 wird das Heizkraftwerk an der Rüdersdorfer Straße fertiggestellt. Eine halbe Stunde später. Anna kann die Tür sehen. Um reinzukommen, muss sie unbedingt ihren Vibe als existenziell angehauchte Kunststudentin beibehalten. Man darf ihr auf keinen Fall ansehen, dass ihr Vater ihr monatlich 1000 Euro überweist. Vor ihr steht eine Gruppe englischer Touristen. Gut, denkt sich Anna. Die Engländer werden nicht reinkommen. Danach werden sich die Türsteher freuen, wieder eine schwarz angezogene Kunststudentin reinlassen zu können. Nach dem Mauerfall ist die Wirtschaft der ehemaligen DDR und Ost-Berlins komplett zusammengebrochen. Auch West-Berlins Wirtschaft war nach jahrelanger Isolation unterentwickelt. Das wiedervereinigte Berlin ist auch heute noch ziemlich arm. Paris ist das Wirtschaftszentrum von Frankreich, London von Großbritannien, Madrid von Spanien. Berlin ist anders. Hier gibt es keine Bankenviertel, keine großen Autohersteller, kaum Industrie. Die Stadt kann wirtschaftlich mit vielen anderen deutschen Großstädten nicht mithalten. In Berlin herrscht die zweithöchste Arbeitslosigkeit aller Bundesländer. Aber dafür ist Berlin edgy. Nach dem Mauerfall gab es in Ost-Berlin plötzlich etliche verlassene Gebäude, die von jungen Menschen besetzt wurden. Nach Punk galt Techno als die neue Musikrichtung in der Untergrundszene. In ganz Berlin wurden illegale Technopartys veranstaltet. 1998 wird in der Lagerhalle eines ehemaligen Güterbahnhofs das Ostgut eröffnet. Es stammt aus dieser Kultur der totalen Improvisation, dem Berlin der 90er, wo man sich leere Räume genommen hat und die bespielt hat und sie irgendwann wieder verlassen hat. So eine Art Hausbesetzer-Ethos. Und das galt auch fürs Ostgut, das eine Fabrikhalle im Nirgendwo war. Die Musik im Ostgut war... anders. Harter, dunkler Techno. Mit seinen St-Partys bat es auch einen Safe Space für die Berliner Schwulenszene. 2003 musste das Ostgut schließen und Platz für die millionenschwere O2 World Arena machen. Die Betreiber brauchten ein neues, leerstehendes Gebäude. Anna kann den Türsteher sehen. Sie und das Berghain trennt jetzt nur noch eine Gruppe betrunkener Engländer. Vor ihnen steht der vermutlich bekannteste Türsteher Deutschlands, Sven Marquardt. Niemand, mit dem man diskutieren will. Die englische Gruppe versucht es trotzdem. Heute nicht. Heute nicht. Nein. Zwei Türsteher aus Svens Team schaffen die Engländer aus dem Weg. Anna sieht glücklich aus. Zu glücklich. Sie muss sich zusammenreißen. Sie denkt an ihre letzte Beziehung, die ihr Ex-Freund unbedingt öffnen wollte. Oder an den Moment, als ihre Kunstprofessorin meinte, ihre Bildsprache sei noch etwas unterentwickelt. Jetzt sieht ihr Gesicht wieder unglücklich und edgy genug aus, um ins Berghain zu kommen. Sven hat schon im Ostgut gearbeitet. Seine harte Tür ist nicht nur Marketing. Ich habe die Verantwortung, das Berghain zu einem sicheren Ort für Menschen zu machen, die eben deshalb kommen, weil sie Musik mögen und feiern wollen. Der Club hat sich aus der Berliner schwulen Szene der 90er entwickelt. Es ist mir wichtig, dass wir etwas von diesem Erbe bewahren, dass es sich immer noch wie ein einladender Ort für die Gäste von damals anfühlt. Es gibt ein paar Grundregeln, wenn man ins Berghain will. Keine großen Gruppen, gut benehmen, Respekt zeigen, nicht zu laut reden, nicht besoffen sein, die DJs kennen. Schwarz angezogen sein kann helfen, muss aber nicht. Eine Erfolgsgarantie gibt es nicht. Am Ende kommt es vor allem auf eins an, den richtigen Vibe. So wie bei Anna. Annas Vibe ergibt sich aus einer komplizierten Bindung zu ihrer abweisenden Mutter, zwei dysfunktionalen Beziehungen, einer abgebrochenen Gruppentherapie, extatischen Erfahrungen auf diversen Berliner Tanzflächen und einem konstanten Gefühl von Weltschmerz. Genau das, was Sven für seinen Club braucht. Er nickt und lässt sie rein. Wenn wir vom Berghain reden, geht es um diesen Abschnitt des Gebäudes. Es gibt auch die sogenannte Halle auf der Rückseite mit einem separaten Eingang. könnten aber aktuell keine Veranstaltungen statt. Der Gebäudeteil, den wir Berghain nennen, besteht eigentlich aus vier verschiedenen Clubs. Jeder in einer anderen Etage. Im Erdgeschoss befindet sich der Club Säule. Er wird immer donnerstags bespielt. Im ersten Stock befindet sich das eigentliche Berghain mit dem Hauptraum. Hier läuft der harte, berghaintypische Techno. Die Decken sind 18 Meter hoch. Hier steht auch die angeblich beste Soundanlage der Welt. Die Partys gehen in der Regel von Samstag Nacht bis Montagmittag. Manchmal auch bis Dienstag. Darüber liegt die Panorama-Bar, wo leichtere Hausmusik gespielt wird. Sie öffnet schon Freitagabend. Ab Samstagnacht ist sie mit dem Berghain verbunden. Der vierte Club liegt im Keller und heißt Laboratory. Dort gelangt man nur über einen versteckten Eingang an der Nordseite hin. Das Lab ist ein Sexclub für schwule Männer. Der Dresscode reicht, je nach Party von Gummi bis nackt, nur Schuhe. Ich glaube, der Quantensprung zum Berghain war, dass sich die Macher gedacht haben, wenn wir jetzt nochmal einen Club aufmachen, dann machen wir es richtig. Jedes Detail ist genauestens und liebevoll durchdacht. Von den Geländern, an die man sich auf eine bestimmte Art bequem anlehnen kann, bis zu den Garderobenmarken, die du nicht verlieren kannst, egal wie breit du bist. Die Betreiber haben für den Ausbau das Architekturbüro Studio Carhartt engagiert. Die Aufgabe, aus einem heruntergekommenen DDR-Heizkraftwerk Den perfekten Raum fürs Feiern schaffen. Das Berghain soll den Spieltrieb der Menschen ansprechen. Thomas Carsten und Alexandra Erhardt sind die beiden Architekten hinter dem Berghain. In diesem SZ-Interview erzählen sie ausführlich von ihrer Arbeit. Den Link findet ihr in der Beschreibung. Das Berghain wirkt teilweise wie ein Labyrinth. An jeder Ecke gibt es etwas zu entdecken. Verwinkelte Sitzecken, halboffene Kammern, Darkrooms, eine Getränkebar aus Hartgummi, einen Garten, eine Eisbar. Auf der einen Seite brauchen die Besucher Nischen und Rückzugsräume. Menschen sind Höhenbewohner und mögen enge Situationen. Auf der anderen Seite brauchen sie freie Bewegungsflächen, die ein geschmeidiges Durchcruisen erlauben. Und Räume, wo sich die Gäste präsentieren können. Gleichzeitig sollen sich die Besucher instinktiv zurechtfinden können. Es gibt kaum Sackgassen. Aus jedem Winkel eines Raums kann man wieder hinausfinden. Auch die Toilettenräume sind so gestaltet, dass man im Kreis um die Kabinen laufen kann. Außerdem müssen sich unterschiedliche Menschen in sehr unterschiedlichen Bewusstseinszuständen bequem durch die Räumlichkeiten bewegen können. Ein Club ist wie ein Kindergarten. Man muss mit dem Unerwarteten rechnen. Das Berghain ist entsprechend konzipiert. Es gibt genügend Setzmöglichkeiten und Absturzsicherungen. Die Handläufe der Treppengeländer wurden so abgerundet, dass man keine Flaschen darauf abstellen kann. Die Löcher in den Gitterrosten sind entweder so klein, dass man den Finger nicht hineinstecken kann, oder so groß, dass der Finger nicht steckenbleiben kann. Die meisten Sitzbezüge, besonders die in den Darkrooms, sind aus Kunstleder. Das ist nicht nur günstig zu ersetzen, sondern auch einfach abzuwischen. Die Toilettentüren sind so hoch gesetzt, dass man darunter hergucken kann, falls Besucher beispielsweise bewusstlos werden sollten. Einige der Türen sind mit Gummi gefüllt, weil ungeduldige Toilettenbenutzer teilweise dagegen schlagen. In den Kabinen selbst finden sich weder Spülkästen noch andere horizontale Flächen, um... Drogenkonsum einzuschränken. Anna ist aber nicht im Berghain, weil sie das Design der Toilettenkabinen interessant findet. Es gibt andere Gründe, die den Besuch besonders machen. Fotografieren ist im Berghain verboten. Es gibt keine Spiegel. Aggressives Flirten ist ein No-Go. Die DJs stehen auf keinem Podest, sondern sind auf Augenhöhe mit den Besuchern. Es gibt kaum Gästeliste, keinen VIP-Bereich, die Getränke sind nicht besonders teuer. Der Tee im Berghain kostet 2016 gerade einmal 1,50 Euro. Da kann man echt nicht meckern. Einer Studie aus dem Jahr 2023 zufolge gilt der Club im Preis-Leistungs-Verhältnis sogar als günstigster Club Deutschlands. Menschen werden reingelassen, weil sie zum Charakter des Clubs passen, nicht weil sie wichtig sind. Elon Musk, damals reichster Mann der Welt, soll 2022 nicht ins Berghain gekommen sein. Der Club schafft es offenbar, eine besondere Atmosphäre zu schaffen. Das können wir weder recherchieren noch animieren. Wollen wir auch gar nicht. Am Ende ist das Berghain vieles. Eine Spielwiese für Erwachsene, eine Techno-Kathedrale, ein international angesehener Musiktempel, ein völlig ungehemmter Safe Space, ein Überbleibsel eines repressiven DDR-Regimes, die betongewordene Edginess Berlins und am Ende natürlich auch einfach ein ziemlich stabiler Ort zum Feiern. Cheers! Hey, würdet ihr das Berghain gerne mal von innen sehen? Schreibt es uns in die Kommentare.